BODYSTYLER: Unser letztes Interview fand vor vier Jahren statt. In der Zwischenzeit hast Du das Best of-Album „Strange situations“ veröffentlicht und der Aufnahmeprozess für das neue Album dauerte lt. Info zwei Jahre. Was passierte in der restlichen Zeit?
JB: Es sind so viele Dinge in den letzten vier Jahren passiert. Was die Musik anbelangt, so habe ich einige Remixe für meine Freunde bei meinem Label Boredom Product, die Band Junksista und die französische Sängerin Desireless angefertigt. Die Tatsache, dass das Vorgängeralbum „Monophonic“ zu gute Reaktionen bekam, hat mir zudem Selbstvertrauen gegeben. So fühlte ich bei den Aufnahmen zu „Perfect picture“ nicht den Druck, den ich noch bei „Monophonic“ gespürt hatte. Ich wusste, die Deadline ist 2015 und habe mir dementsprechend Zeit gelassen.
BODYSTYLER: Member U-016 von Celluloide sowie Pierre von Foretaste haben das Album co-produziert, es gibt erneut ein Duett mit Sylvie, der Sängerin von Foretaste, aber auch Darkleti, die Sängerin von Celluloide wirkte mit. Warum hast Du Dich dafür entschieden, mit all diesen guten Freunden zusammenzuarbeiten?
JB: Ich liebe einfach Duette und „So sorry“ (auf „Monophonic“ enthalten, Anm. d. Red.) ist mein Lieblingssong von Dekad. Member U-0176 hat übrigens Pierre vorgeschlagen. Ich war wirklich froh darüber, da ich wusste, was für ein Perfektionist er ist. Außerdem hat er ein einzigartiges Gespür für Melodien, und ich war davon überzeugt, dass er all sein Können einbringen und so den Songs eine neue Dimension verleihen würde. Das Duett mit Darkleti war ein langgehegter Wunsch von mir, aber ich habe auf den richtigen Moment gewartet. Innerhalb der Label-Familie haben wir gute Beziehungen untereinander und wissen, dass wir aufeinander zählen können.
BODYSTYLER: Würdest Du zustimmen, wenn ich behaupte, dass das neue Album zunächst viel düsterer als der Vorgänger erscheint, bei genauer Betrachtung aber nur stellenweise wirklich dunkler ausgefallen ist?
JB: Stimmt, einige Songs wie „Hate“ oder „Miss me“ sind schon sehr düster. Aber man sollte sie auch nicht für bare Münze nehmen, da meine Stimmung im Vergleich zu der Zeit von „Monophonic“ viel optimistischer war. Damals spiegelten die Lieder bis zu einem bestimmten Punkt mein damaliges Leben wieder. Nun habe ich eher versucht, in die Haut von jemandem zu schlüpfen, der schlecht drauf ist. Egal wie, ich war noch nie gut darin, lustige Songs zu schreiben.
"Ich mag die Vorstellung, dass ein kaputtes Herz einfach so ersetzt werden kann und all der Schmerz verschwindet - wie ein neuer Motor für ein altes Auto."
BODYSTYLER: Ich muss schon sagen, dass ich vom Artwork des neuen Albums und den Bildern von dem explodierenden Glas begeistert bin. Wer hatte die Idee dazu, besonders zu den glitzernden Effekten, die eine Art 3D-Effekt vermitteln?
JB: Wir haben mit einem sehr talentierten Künstler namens Eric Lacombe gearbeitet. Mir schwebte etwas Explodierendes vor und wir haben das dann mit dem Konzept des perfekten Bildes vereint. Eric schlug dann vor, eine Fotografie zu benutzen, die genau diesen Zeitpunkt festhält. Mir gefiel das und ich habe dann versucht, dem Ganzen durch die glänzenden Elemente einen plastischen Eindruck zu verleihen.
BODYSTYLER: Welche Dinge/Komponenten machen für Dich ein perfektes Bild aus? Was möchtest Du zu der Textzeile „Good girls are looking for perfection“ erzählen?
JB: Für meinen Geschmack erhält man das perfekte Bild auf jeden Fall nicht, indem man das gleiche Motiv unzählige Male schießt und hofft, dass die vierzehnte Aufnahme besser als die dreizehnte ist. Das perfekte Bild kann vielmehr total unscharf oder überbelichtet sein, wenn es nur ein gewisses Gefühl vermittelt. Es gibt keinen Grund, der ästhetischen Perfektion hinterherzurennen. F..ck Photoshop! „Slowmotion“, aus dem die von Dir genannte Textzeile stammt, erzählt von den Mädchen, die sich hinter vollkommen unrealistischen Bildern von sich selbst verbergen. Am Ende steht nur eine Vision, die sehr weit von dem entfernt ist, was sie im wirklichen Leben darstellen. Das ist ein gefährliches Spiel, das oft auf schreckliche Weise endet.
BODYSTYLER: Das „Foto-Thema“, aber auch einige Klänge und der Remix von „Poladroid“ lassen mich unweigerlich an Die Form denken, obwohl sehr viel weniger Fetisch- oder Erotik-Themen mitschwingen. Was sagst Du zu diesem Vergleich, zur Band Die Form an sich und dem Thema des angesprochenen Songs? Warum hast Du Dich dafür entschieden, genau diesen Track als Vorab-Single zu veröffentlichen?
JB: Vielen Dank für den Vergleich, aber ich denke, ich bin noch ein gutes Stück weit entfernt vom verdrehten Fetisch-Universum eines Phillippe Fichot. Trotzdem bin ich froh, wenn Du Gemeinsamkeiten zu Die Form entdeckst, aber die Ähnlichkeit war absolut nicht beabsichtigt. „Poladroids“ handelt von einem Fotografen, der versucht, sein Model an seine/ihre Grenzen zu treiben. Das kann ein Spiel sein, in das zwei Erwachsene einwilligen, was bedeutet, dass jeder von uns von diesen Personen verkörpert werden kann. Wir haben uns für diesen Song als erste Single entschieden, da er eine gute Vorstellung davon ermöglicht, was man vom Album erwarten kann. Zudem ist das behandelte Thema einfach sehr prägnant und steht in direktem Zusammenhang zum Albumtitel.
BODYSTYLER: Es hat ein Ewigkeit gedauert bis Du mit „Ta vie“ den ersten Dekad-Song mit französischem Text veröffentlicht hast. War das Dein erster Versuch oder gab es bereits andere Anläufe? Warum versteckst Du das Lied als B-Seite auf der Single?
JB: Ich hatte auf Grund von Künstlern wie Daho, Brel oder Ferré einen riesigen Respekt vor der französischen Sprache und dachte, dass ich nicht würdig wäre, ebenfalls in Französisch zu dichten. Ich war davon überzeugt, dass das Resultat schrecklich ausfallen würde. Als ich älter wurde, kam ich zu dem Schluss, dass ich es bereuen würde, wenn ich es nicht wenigstens einmal probiert hätte. Als ich das Demo das erste Mal jemandem vorgespielt habe, war ich ganz verlegen und fühlte mich lächerlich. Außerdem war es merkwürdig, mich selbst französisch singen zu hören. Ich habe mich selbst nicht erkannt. Zum Glück habe ich auf den Song sehr positive Rückmeldungen bekommen und benutzte das als Ansporn. Wenn ich mich recht erinnere, war es Member U-0176, der entschieden hat, den Song auf die EP zu packen, da er der Meinung war, dass er nicht zum Rest des Albums passen würde. Das ist seine Meinung, die ich auch respektiere, aber ich kann mir immer noch vorstellen, dass wir einen Platz für ihn auf dem Album gefunden hätten...
"Für meinen Geschmack erhält man das perfekte Bild auf jeden Fall nicht, indem man das gleiche Motiv unzählige Male schießt und hofft, dass die vierzehnte Aufnahme besser als die dreizehnte ist."
BODYSTYLER: Schon im Rahmen der Single war ich vom Song „Searching“ begeistert. Warum nur nehme ich es Dir jedoch nicht ab, wenn Du singst, dass ein gebrochenes Herz wieder hergestellt werden kann? Was ist mit den Narben, die zurückbleiben?
JB: Es gibt doch immer Freunde, die Dir versichern, dass Du eine neue Liebe finden und das Mädchen bald vergessen wirst. Ich mag die Vorstellung, dass ein kaputtes Herz einfach so ersetzt werden kann und all der Schmerz verschwindet - wie ein neuer Motor für ein altes Auto. Unglücklicherweise sind Liebe und Schmerz untrennbar miteinander verbunden. Ein chirurgischer Eingriff wird also nicht helfen und nur die Zeit bringt Linderung.
BODYSTYLER: „Miss me“ ist wahrscheinlich der traurigste Song, den Du je geschrieben hast, aber man findet auch einen kleinen Hoffnungsschimmer in diesem Lied. Glaubst Du daran, dass auf manche von uns (oder gar alle?) eine bessere Welt wartet?
JB: Ich finde es gut, dass dieses Lied auf zwei unterschiedliche Arten interpretiert werden kann. Manche werden Empathie für diesen langsam sterbenden Menschen empfinden und Abschied nehmen. Andere wiederum werden sich auf die Idee fokussieren, dass auf der anderen Seite eine bessere Welt wartet. Das kann jeder für sich entscheiden und deshalb habe ich mich dafür entschieden, diesen traurigen Text mit einem etwas sonnigeren musikalischen Thema zu verknüpfen.
BODYSTYLER: Darf man fragen, ob evtl. noch eine weitere Single oder gar ein Video geplant sind?
JB: Vielleicht wird „Tied up“ die nächste Single, aber das steht noch nicht fest. In jedem Fall habe ich schon eine Idee für das Video und Du wirst erneut sagen, dass es von Die Form beeinflusst wurde... (zwinkert)
BODYSTYLER: Bist Du immer noch davon überzeugt, dass es niemals ein Dekad-Konzert geben wird?
JB: Ich bin nicht für die Bühne gemacht. Mein Platz ist im Studio, um dort an Songs zu feilen. Ich könnte sie bei einem Konzert einfach nicht in der Weise vortragen, die ihnen gebührt.