Pink Turns Blue

Intensive Authentizität

19.04.2016 - Über all die Jahre des Bestehens – das Debüt erschien bereits im Jahre 1987 - scheint es bei Mic Jogwer und seiner Band Pink Turns Blue eine gewisse Konstanz zu geben. Diese besteht nicht im regelmäßigen Erscheinen neuer Alben, sondern vielmehr im regelmäßigen Innehalten sowie der anschließenden Neudefinition der Band. Sechs Jahre nach dem letzten Werk erscheint 2016 „The AERDT – Untold stories“. Von: Torsten Pape

Image Die Wahrheit ist keine Lösung sondern mehrdimensional und uneindeutig. (Mic Jogwer) (Foto: Promo)

BODYSTYLER: Im letzten Jahr wurden die ersten PTB-Alben in remasterter Form wiederaufgelegt. Inwiefern hatte das Beschäftigen mit Deinem Frühwerk Einfluss auf das neue Album? Hat das den musikalischen Weg beeinflusst oder war das eher mental wichtig, um gestärkt wieder an den Start gehen zu können?

MIC JOGWER: Es hatte keinen Einfluss. Tatsächlich war das neue Album schon fertig. Uns ist es eigentlich immer wichtig, neue Songs unabhängig von unserer musikalischen Geschichte zu schreiben. Die eigene Person und seinen Sound nimmt man ja am Ende immer mit. Als es dann an die Vorbereitungen zur Veröffentlichung ging, haben wir uns zum ersten Mal mit den Sozialen Medien beschäftigt. Und dabei ist uns aufgefallen, dass wir inzwischen weltweit verstreut so einige Fans hatten, die sich für unsere Frühwerke begeisterten, aber nie die Gelegenheit hatten, die Originalalben in einer guten Qualität zu einem fairen Preis zu erstehen. Als wir dann die alten Masterbänder hervorkramten, haben wir unseren Masteringspezialisten gebeten, die guten alten Stücke im bestmöglichen Sound zu mastern.

BODYSTYLER: Die neuen Songs hast Du fast durchweg im Alleingang geschrieben, nur beim letzten Track "Devil" war Ruebi für die Musik verantwortlich. Wie darf man sich das Komponieren vorstellen? Über welchen Zeitraum entstanden die Songs und wo fandest Du die beste Ruhe, um kreativ zu sein? An welchem Punkt hast Du die Songs anderen präsentiert und fremde Einflüsse zugelassen?

MIC JOGWER: Wir spielen uns die Songideen eigentlich schon in einem sehr frühen Stadium vor. Allerdings war es schon immer so, dass der wesentliche musikalische Anteil erst im Studio ausgearbeitet wird. Der jeweilige Gesamtsound, die grundsätzliche Richtung und die Auswahl der Songs, die wir tatsächlich fertig machen wollen, weil sie dort hineinpassen, das alles geschieht erst kurz vor den tatsächlichen Aufnahmesessions. Erst dort entsteht eine ernste Arbeitsatmosphäre, der hundertprozentige Fokus auf die Musik und sonst gar nichts. Davor gibt es eigentlich nur Skizzen und Ideen, die wir uns regelmäßig gegenseitig zuschicken und wenn das Gefühl entsteht, dass wir in Menge und Qualität etwas Neues anzubieten haben, wagen wir es.

BODYSTYLER: Mit Ruebi Walter verbindet Dich eine sehr lange Freundschaft. Wie habt Ihr Euch eigentlich kennengelernt und wie würdest Du Eure Beziehung beschreiben wollen?

MIC JOGWER: Ruebi war ein Nachbar und damit Spielkamerad von Marcus Giltjes. Marcus und ich haben bereits vor Pink Turns Blue in Bands zusammengespielt. Als Tom und ich in Köln Pink Turns Blue gründeten, holte ich Marcus für Drums und er dann Ruebi für die Keyboards hinzu. Als Tom dann noch vor dem ersten Album ausstieg, sattelte ich um auf Gitarre und Ruebi auf Bass. Die Keyboards spielte er alternativ bei bestimmten Songs wie „Coldly Stare Out“, „If Two Worlds Kiss“ oder „The First“. Ruebi war der einzige, der Pink Turns Blue auch in unserer Ljubljana- und London-Zeit begleitet hat. Das war eine intensive Zeit. Auch hat Ruebi immer mal wieder Songs oder Songideen beigesteuert. Leider fehlte er nach London bis nach „Ghost“ (2007). Jetzt ist er wieder am Start. Wichtig ist, dass wir viele Konzerte und Aufnahmesessions gemeinsam bestritten haben, er alle Songs noch aus der Entstehungsphase kennt und ein Grundgefühl für Pink Turns Blue mitbringt. Und wir zu zweit zwei Drittel der Urbesetzung ausmachen.

BODYSTYLER: Der Albumtitel verweist ja deutlich in die Vergangenheit zum vierten Album der Band. Auf welchen Ebenen siehst Du Parallelen zwischen beiden Werken? Wo liegt der größte Unterschied (außer dass die Musiker ein paar Tage älter und erfahrener geworden sind...)?

MIC JOGWER: Die Parallele kommt aus der Zeit, in der Ruebi und ich zu zweit mit einer Drum-Machine in Ljubljana und schließlich in London gelebt und mit Janez Krizaj das Album „AERDT“ aufgenommen haben. Auch damals wollten wir eine neue, aktuelle Version der Band mit viel Mut zum Risiko schaffen. Damals kam ein Album mit Roland 909 statt echten Drums und vielen Keyboards heraus. Sehr atmosphärisch, intensiv, nahbar. Dieses Mal wollten wir wieder ein neues Kapitel beginnen. Allerdings wieder mit „echter“ Band. Reduziert auf die Kernelemente Gesang, Gitarre, Bass und Drums, nur wenige Keyboards bei den Songs, bei denen es darauf ankommt. Alles ohne Sequenzer / Maschinen, alles „live“. Das ist dann mehr Arbeit aber erhöht die Menschlichkeit und damit Authentizität. Es ist auch einfacher live zu reproduzieren und macht außerdem einfach mehr Spaß.

BODYSTYLER: Unerzählte Geschichten bleiben ja nur so lange unerzählt bis sie jemand erzählt. Dein Album wird jedoch seinen Titel auch nach der Veröffentlichung nicht mehr verändern. Was sagst Du zu diesem Gedankenspiel?

MIC JOGWER: Ist mir zu hoch (zwinkert). Egal wie unpräzise oder unbeholfen man sich ausdrückt, es zählt nur die Absicht, die Botschaft. Beim Titel geht es darum, einerseits eine Referenz zu der sehr emotionalen und intensiven Zeit des Albums „AERDT“ herzustellen und anderseits auszudrücken, dass damals eine andere Seite komplett ausgelassen wurde. Zwar ging es auch um Abschied und Neubeginn, ein weißes Blatt, ein neues Kapitel (unser frischer Umzug nach London, Aufkommen der 909 und Techno), dieses Mal ging es jedoch um die Geburt einer neuen Band und damit Post Punk / Dark Wave in einem aktuellen, zeitgemäßen Sound. Also um einen Entwurf für eine neues Genre. Natürlich haben wir uns da zu viel vorgenommen. Trotzdem: Statt einem neuen Musiktrend Respekt zu erweisen, wollten wir unseren ureigenen Kern in den Farben der heutigen Zeit malen. Also komplette Selbstverneinung und sich gleichzeitig treu bleiben. Neu erfinden und dabei noch authentischer und intensiver werden. Gerade weil es so theoretisch klingt und ist, war es ein sehr langer, steiniger Weg bis wir unbewusst tatsächlich etwas geschaffen hatten, was sich zumindest für uns so anfühlt als hätten wir unser Ziel erreicht.

"Es stimmt, dass sich Künstler öfter berufen fühlen, diesen steinigen und endlosen Weg zu gehen, einfach weil der Drang nach Sinn, Bedeutung und großer Aufgabe eingebaut scheint. Allerdings ist der Narzissmus nicht weit."

BODYSTYLER: Das Coverfoto ist ja der Hammer! Je mehr man es betrachtet, umso mehr Details entdeckt man und Fragen werden aufgeworfen. Was kannst Du zu seiner Entstehung sagen? Erkenne ich auf der einen Schachtel russische Buchstaben?

MIC JOGWER: Es ist ein russisches Wohnzimmer. Und zwar relativ aktuell. Hier gibt es eine Parallele zur Aussage / Absicht unseres musikalischen Projektes: Der Versuch ein ganzes Leben oder zumindest einen wesentlichen Teil davon in einem Moment abzubilden. Ein Foto in der richtigen Stimmung und im richtigen Moment kann das. Ein Song in der richtigen Stimmung, im perfekten Moment aufgenommen oder 'in Verbindung zum Universum' dargeboten, kann das auch: In dreieinhalb Minuten die Essenz des Lebens oder eines wesentlichen Elementes dessen erlebbar machen.

BODYSTYLER: In "Give me your beauty now" beschäftigst Du Dich mit Zweifeln und Fragen, die wohl viele Menschen und insbesondere Künstler kennen dürften. Was bleibt von einem selbst auf dieser Welt zurück? Wieviel Substanz hinterlässt mein Leben auf diesem Planeten? Der Grundton ist ein eher resignierter, obwohl auch nicht alle Hoffnung vergebens scheint. Wie betrachtest Du retrospektiv Dein musikalisches Schaffen und was unterscheidet das dabei entstehende Gefühl von dem, das Du bekommst, wenn Du Dein Leben abseits der Musik betrachtest? Oder kann man das gar nicht so trennen???

MIC JOGWER: Die Wahrheit ist keine Lösung sondern mehrdimensional und uneindeutig. Jeder Mensch, der nach Wahrheit, Wahrhaftigkeit, Gerechtigkeit oder einfach nur nach Schönheit oder Vollendung strebt, wird erkennen, dass er nur einen Teil der Wegstrecke zurücklegen konnte. Dazu kommt, dass die Dinge, an denen wir im Alltag unseren Erfolg festmachen, wie zum Beispiel Ruhm, gesellschaftliche Stellung, finanzieller Erfolg immer nur im Vergleich funktioniert. In Momenten der Erschöpfung, Mutlosigkeit greifen wir dann nach Placebos: Konsumgüter, Unterhaltung, Betäubung, käufliche Befriedigung. Der Song ist eine schonungslose Selbstabrechnung mit Appell. Die Absicht zählt. Und die Tat. Sich nicht ablenken lassen von den bequemen Lügen: Sich ein schönes Leben machen, aufhören für die Ideale zu kämpfen, jede Sekunde. Es stimmt, dass sich Künstler öfter berufen fühlen, diesen steinigen und endlosen Weg zu gehen, einfach weil der Drang nach Sinn, Bedeutung und großer Aufgabe eingebaut scheint. Allerdings ist der Narzissmus nicht weit.

BODYSTYLER: Vielen, vielen Dank für den wahnsinnig berührenden Song "Tomorrow never comes"!! Wie schwer war es, an diesem Song zu sitzen oder war es eine Art der Befreiung?

MIC JOGWER: Dieser Song ist todtraurig. Für mich der traurigste Song der Welt. So traurig, dass ich mich kaum getraut habe ihn zu veröffentlichen. Gleichzeitig verbindet dieser Song diese Welt mit dem Jenseits. Für mich kann das nur Musik. Diesseits und Jenseits miteinander verbinden.Und das ist eine unendliche Kraft.

BODYSTYLER: Der Titel "NYC Breakdown" erklärt sich im Song nicht eindeutig. Welche Geschichte verbirgt sich dahinter?

MIC JOGWER: Hier geht es um Kontrollsucht, modernes Funktionieren und Ohnmacht. New York City erlebt man als brummende Power, mit der Wallstreet, den Hochhäuserschluchten. Ein Sinnbild für unsere moderne Zeit. Alles voller Kraft und ökonomischer Gewinnermentalität. Gleichzeitig hört man in New York die ganze Zeit Sirenen. Krankenwagen, welche die Ausfälle des Funktionierens zur Reparatur oder zur Entsorgung bringen („Like a truck in the fields“, „Like waste on a crap-heap“). Und je besser man in diesem System funktioniert, desto schneller wird man zum austauschbaren Rad im Getriebe, desto schneller wird man vergessen. Die Angst vor dem Versagen kann kann nur durch Aussteigen oder besser noch „Birds-View“ erreicht werden.

"Egal wie unpräzise oder unbeholfen man sich ausdrückt, es zählt nur die Absicht, die Botschaft."

BODYSTYLER: Natürlich muss die Frage gestellt werden, ob denn mittlerweile schon feststeht, wann man die neuen Songs (außerhalb des WGTs) auf einer Bühne erleben darf? Wie werden die Auftritte aussehen? Werdet Ihr eher in der Minimalbesetzung oder doch mit mehr als drei Leuten auf der Bühne stehen?

MIC JOGWER: Definitiv drei Leute. Das passt einfach zu unserem Anspruch der Nahbarkeit und Authentizität. Die Songs werden dadurch spürbarer. Auch für uns Musiker. Und wir bleiben flexibler, Momente zu erzeugen und zu schaffen, die nur für den einen Auftritt gültig sein sollen. Auf dem WGT wollen wir uns als Band ausprobieren. Ob es uns und dem Publikum Spaß macht. Realitätscheck durch Erdung. Wir überlegen schon ernsthaft wieder öfter aufzutreten. Allerdings suchen wir gleichzeitig nach einer musikalischen Familie. Wir fühlen uns einigen, auch jüngeren Bands musikalisch sehr verbunden. Da nehmen wir gerade vorsichtig Kontakt auf, gehen zu Konzerten und gucken, ob man nicht mal was zusammen machen kann oder will. Wir tun uns gerade etwas schwer mit den typischen Festivals wo Future-Pop, Goth-Techno, Mittelalter und Satans-Theater veranstaltet wird und wir uns als „echte“ Band ohne Getue nur bescheuert vorkommen. Aber es gibt doch einige Bands bei denen die Musik im Vordergrund steht und die einfach auf die Bühne gehen und geilen Sound machen. Wir haben die Sehnsucht und die leichte Hoffnung, dass wir mit unseren musikalischen Seelenverwandten immer öfter etwas gemeinsames stemmen können.

BODYSTYLER: Bei welchen der neuen Songs freust Du Dich am meisten, sie endlich live darbieten zu können und warum genau? Von welchen Klassiker kriegst Du im Gegenzug nicht genug und warum?

MIC JOGWER: Bei dem aktuellen Album gibt es eigentlich keinen Song, den wir nicht gerne live spielen würden. Im Rahmen mit den Klassikern passen jedoch dann nicht alle ins Programm. Deshalb spielen wir am 13.5. ja auch eine Extra-Record-Release-Show und am 16.5. dann ein komplettes Pink Turns Blue-Konzert. Bei den Klassikern wechseln die persönlichen Vorlieben. Einige Songs wie „Walking On Both Sides“, „Your Master Is Calling“, „I Coldly Stare Out“, „Walk Away“, „Can't Be Love“ und noch ein paar werden jedoch immer Spaß machen.

BODYSTYLER: Das neue Album ist zwar noch gar nicht erschienen, aber darf man eventuell trotzdem fragen, ob ein ähnlicher kreativer Schub wie in der letzten Phase der Band (in der ja in kurzer Zeit drei Alben erschienen) möglich ist? Sprühst Du zur Zeit vor Kreativität oder hast Du noch ein paar Ideen auf Lager?

MIC JOGWER: Dieses Album ist definitiv der Beginn einer neuen Schaffensphase. Der Zeitraum zur Neuorientierung war lang und mühsam. Jetzt haben wir unseren neuen Weg beschritten und natürlich den Wunsch und die Absicht neue Klassiker zu schreiben. Auch das dauert, aber in den nächsten 24 Monaten sollte das machbar sein.