v01d

Befreiungsschlag

13.01.2017 - Das kanadische Projekt v01d legt in diesen Tagen das Album „Greeted as liberators“ vor und nimmt damit eine Stellung ein, die Einflüsse aus Rock und Industrial vereint und mit düsteren Stimmungen vermischt. Schnell wird zudem klar, dass Mastermind Joe Byer sich auch sozial und politisch eindeutig positioniert. Rundum ein sehr ambitioniertes und spannendes Werk über das es sich zu sprechen lohnt. Von: Torsten Pape

Image Reichlich Inspiration für Industrial-Rock-Musik... (Foto: Promo)

BODYSTYLER: v01d ist zwar ein Ein-Mann-Projekt, klingt jedoch definitiv so, als ob mehrere Personen involviert wären. Wie bekommst Du diesen Sound bzw. dieses Bandfeeling so hin?

JOE BYER: Vielleicht hat es etwas damit zu tun, dass man von allem etwas versteht, aber nirgendwo Meister ist... (lacht) Man klimpert ein wenig auf der Gitarre oder dem Synthie, programmiert ein paar Beats und schichtet jede Menge Klänge übereinander. Obwohl ich dieses Mal schon versucht habe, es etwas sparsamer anzugehen. Ich lebe da in meiner eigenen, kleinen Welt und es gab wirklich kaum Beiträge von anderen Leuten.

BODYSTYLER: Es hat sieben Jahre gedauert, um an dem neuen Werk zu schreiben und es zu produzieren. War das ein konstanter Fluss der Inspirationen oder gab es auch ein paar Sackgassen oder hast Du gar einige Ideen komplett verändert während des Schaffensprozesses?

JOE BYER: Eigentlich habe ich sofort nach dem Vorgänger „False alarm“ angefangen, an neuem Material zu arbeiten. Es hatte jedoch schon etwas von einem Stop-and-go und es gab definitiv auch einige Sackgassen. Der Geist dessen, was ich da kreierte, war jedoch relativ konstant vorhanden bis hin zum fertigen Ergebnis.

BODYSTYLER: Mit der Special Edition von „Greeted as liberators“ präsentierst Du als Bonus Dein Debüt „Prototype“, das nie wirklich veröffentlicht wurde. Kannst Du die Geschichte dieser Platte erzählen und warum war jetzt die Zeit gekommen, um es der Welt zu zeigen?

JOE BYER: Dabei handelt es sich um den ersten Versuch, ein Full-Length-Album zu erschaffen und es ist ein Produkt seiner Zeit um 2004, als ich noch jede Menge Electro-Industrial gehört und dies mit meinen Einflüssen aus den 90ern verknüpft habe. Ein paar Plattenfirmen zeigten auch Interesse, aber niemand traute sich so richtig heran. War es damals vielleicht zu abgefahren? Vielleicht habe ich den Leuten auch zu wenig Honig um's Maul geschmiert... Ich war noch nie jemand, der sich in den Vordergrund drängt, das hat sicherlich auch eine Rolle gespielt.

BODYSTYLER: Wenn Du selbst Deine zwei bzw. drei Alben vergleichst, was sind die bedeutendsten Veränderungen/Unterschiede?

JOE BYER: So vielfältig wie „Prototype“ auch war, ich begann damit doch meinen eigenen Weg zu gehen und musste spätestens mit „False alarm“ nicht mehr um jeden Preis in eine Schublade passen. Inhaltlich war dieses Album jedoch sehr persönlich und fast schon esotherisch. Ich bin aktuell froh, dass ich mich danach eher in soziale und politische Sphären vorgewagt habe und denke, das verleiht „Greeted as liberators“ auch deutlich mehr Relevanz. Zudem ist das aktuelle Album auch etwas härter ausgefallen, was ich sehr mag...

"Letztendlich hätte ich jedenfalls nicht gedacht, dass es im Jahr 2017 noch mal trendy wird, sich selbst als anti-faschistisch zu bezeichnen..."

BODYSTYLER: Das Artwork des Albums und sein Titel implizieren bereits, dass Du keine Texte über den Duft der Blumen oder romantische Gefühle machst. Möchtest Du den Hörern Eindrücke oder eher Botschaften oder gar beides vermitteln?

JOE BYER: Es soll schon alles etwas verstörend wirken, aber auch nicht um jeden Preis schockieren. Es gibt diese düsteren Themen, die sich durch unseren Alltag ziehen. Einige davon werden zunehmend ignoriert und diese möchte ich wieder ein wenig beleuchten. Die Fotos stammen von einem syrischen Künstler und spiegeln den Alltag in seiner vom Krieg erschütterten Heimat wider. Die Menschen beginnen erneut, so etwas wahrzunehmen, obwohl es vielleicht auch schon zu spät ist.

BODYSTYLER: Menschen können auf verschiedene Art und Weise befreit werden. Durch das Kreuz/die Kirche, mit Waffengewalt, verschiedene politische Aktionen und vieles mehr. Oftmals hält dieses Gefühl der Befreiung jedoch nicht lange an, da es häufig auf falschen Versprechungen und Hoffnungen, die nicht erfüllt werden, basiert. An welche Dinge hast Du während der Produktion des Albums gedacht?

JOE BYER: Gute Frage, das ist eine interessante Deutung des Albumtitels. Ich habe eher aus der Sichtweise der so genannten Befreier heraus agiert und diese Gedanken vertiefe ich auch noch in meinem eigenen Blog (soundofv01d.wordpress.com/2016/12/10/the-meaning-of-greeted-as-liberators/). Um den Fokus jedoch auf die Befreiten zu legen, stellt sich die Frage, was es bedeutet wirklich frei zu sein? Ich denke, dass ich in den Texten meist von einer Unterdrückung ausgehe. Wir betonen ja immer, dass wir in einer freien Gesellschaft leben, besonders die Völker in den Erste-Welt-Ländern. Wie frei fühlt sich jedoch der durchschnittliche schwarzafrikanische Amerikaner, wenn er 2016 durch die Straßen läuft? Wie fühlt sich eine einheimische Kanadierin angesichts der Tatsache, dass ihre Schwestern verschwinden oder ermordet werden und die Polizei kaum Notiz davon nimmt? Wie frei fühlt sich eine Frau – egal welcher Rasse sie angehört – in dieser Männer-Welt? Es wird immer genug Leute geben, die uns vorhalten, dass es anderswo noch viel schlimmer ist, man schaue nur in ein x-beliebiges Dritte-Welt-Land. All das sind individuelle Geschichten, aber sie alle haben einen Effekt, sie alle belasten jene Menschen, die sich nicht in hohen, privilegierten Positionen befinden. Es sollte also keinen Zweifel daran geben, dass sich all das auf die allgemeine Wahrnehmung der Freiheit auswirkt.

BODYSTYLER: Musikalisch gesehen verpackst Du diese Inhalte auf verschiedene Weise. Man könnte es Rock-Musik mit Industrial-Elementen nennen, aber oft verbunden mit einem dunklen Gothic-Touch. Manchmal hat es diesen ultimativen Punch wie in „All the rage“, aber meisten sind es doch eher schwere Atmosphären, die Du kreierst. Irgendetwas scheint immer unter der Oberfläche zu lauern... Würdest Du dem zustimmen oder etwas ergänzen wollen?

JOE BYER: Dankeschön erst mal! Zweifellos kombiniere ich viele verschiedene Stimmungen mit verschiedenen musikalischen Genres. Jeder Song soll sich von den anderen Songs des Albums unterscheiden und es muss immer diesen gewissen Twist geben. Es mag auch ein Fluch sein, dass ich keine geradlinigen Songs schreiben kann, weshalb ich wohl auch nie Pop-Musik machen werde...

BODYSTYLER: Einige Deiner Songs erinnern mich an die (frühen) Werke von V.A.S.T.. Ist das ein Vergleich, den Du akzeptieren kannst?

JOE BYER: Ich kenne mich mit dieser Band überhaupt nicht aus, aber vielleicht sollte ich sie mal antesten...

"Ich war noch nie jemand, der sich in den Vordergrund drängt..."

BODYSTYLER: Wie kam es eigentlich dazu, dass Du relativ häufig den Vocoder einsetzt? Dabei geht ja immer ein gewisser Teil des Gefühls verloren, obwohl das andererseits natürlich gut zu den Themen des Albums passt.

JOE BYER: Teilweise kommt das einfach daher, dass ich in Bezug auf meine Gesangsleistung nicht sehr selbstbewusst bin, aber trotzdem so viel wie möglich über die Texte rüberbringen möchte. Manchmal ist das schon ein Kreuz, aber wie Du schon sagst, funktioniert es manchmal eben auch ganz gut. Mir gefällt aber auch der Gegensatz, dass in einem nach vorn preschenden Metal-Song plötzlich eine Roboter-Stimme auftaucht... Überraschung! (lacht)

BODYSTYLER: Nach der Wahl von Donald Trump hast Du auf Deiner Facebook-Seite folgendes geschrieben: „Solidarity to my African American, Latinx, Muslim, Jewish and LGBT brothers and sisters that woke up a little more scared today. You have every right to be upset, but just know that more of us are looking out for you now.“ Das sind sehr bewegende Worte. Wie ist Dein aktuelles Gefühl einige Wochen nach der Wahl? Welche Veränderungen im Leben Deiner Freunde erwartet Ihr in den nächsten Wochen und Monaten?

JOE BYER: Um ehrlich zu sein bin ich immer noch ziemlich betäubt. Angesichts all der Aufmerksamkeit die Ungerechtigkeiten in den letzten Jahren erhalten haben, ist diese Wahl ein echter Rückschlag, außer für all die reichen, rassistischen Menschen... Lasst es uns doch offen aussprechen, dies war eine Wahl für Faschismus im Weißen Haus. Natürlich sind nicht all seine Unterstützer Rassisten, aber in dem man ihn wählt, verharmlost man so viel Rassismus, Frauenhass und Islamophobie. Das ist unverzeihlich und ignorant. Wir haben so viele Fortschritte in Sachen Frauenbewegung oder LGBT-Rechte gemacht und diese Wahl weist all das zurück. Wie auch immer, wir müssen uns diese gigantische Diskrepanz innerhalb der öffentlichen Wahl vor Augen halten, die zeigt, wie kaputt das amerikanische Wahlsystem ist. Es wurden so viele Leute betrogen und die Reue der Wähler wird schon jetzt offenkundig. Viele reden bereits davon, dass wir ja auch Reagan überlebt haben, aber jemand hat bereits treffend bemerkt, dass so etwas nicht immer die Armen an den Rand ihrer Existenz drängen darf. „Dafür wird es jede Menge guter Punk-Musik in den nächsten Jahren geben...“, aber ist es das wirklich wert? Immerhin hat mich das Ganze aus der Social-Media-Blase, in der ich mich befand, befreit. Das kommt einem großen Weckruf gleich für all jene in ihrer Echokammer der sich selbst bestätigenden Stimmen. Eigentlich dachte ich bis dato, der anderen Seite Gehör geschenkt zu haben, aber wahrscheinlich nicht genug. An der Stelle gehe ich jedoch einen Schritt zurück und verliere mich nicht in Spekulationen. Die Zeit wird zeigen, was uns erwartet. Letztendlich hätte ich jedenfalls nicht gedacht, dass es im Jahr 2017 noch mal trendy wird, sich selbst als anti-faschistisch zu bezeichnen...

BODYSTYLER: Starke Worte, Respekt! Lass uns trotzdem noch über Deine Live-Aktivitäten reden. Vor einigen Wochen bist Du auf dem Toronto Sound-Festival aufgetreten, aber wohl nicht mit einem regulären Set. Was kannst Du von diesem Abend berichten? Wie sehen denn reguläre und nicht reguläre Sets aus?

JOE BYER: Ha, nun... Das könnte man vielleicht als Experiment bezeichnen, das nicht wie geplant ausgegangen ist. Es war eine Live-Performance mit modularen Synthesizern – eine Drone-Kakophonie, die sich zu einem musikalischen Etwas entwickeln sollte. Das hat nicht funktioniert, aber trotzdem Spaß gemacht. Das habe ich seit Jahren nicht mehr gemacht und inhaltlich hatte das auch nichts mit v01d zu tun. Vielleicht halten jedoch ein paar Bausteine oder Techniken irgendwann mal in einen v01d-Song Einzug. Es kommt auf einen weiteren Versuch in der Zukunft an...

BODYSTYLER: Gibt es denn konkrete Pläne für die Zukunft?

JOE BYER: Jup! Ich bastle immer noch im Studio herum und schon bald wird ein Remix-Nachschlag zu „Greeted...“ herauskommen. Ich habe aber auch schon mit der Arbeit am nächsten Album begonnen. Außerdem werde ich live spielen und weitere experimentelle Modular-Techno-Sachen machen. Vielleicht wird daraus auch etwas Eigenständiges. Ich befinde mich jedenfalls definitiv in einem kreativen Fluss, den ich nicht stoppen möchte. Es werden also nicht wieder sieben Jahre bis zum nächsten v01d-Album vergehen. Versprochen!