X Marks The Pedwalk

Secret-Service

30.03.2017 - Nach einer langen Reise, die die deutsche Band X Marks The Pedwalk vom Kult-Label Zoth Ommog über ein Gastspiel bei Infacted Recordings hin zur eigenen Plattenfirma führte, hat das Duo in diesen Tagen das mittlerweile neunte Album namens "Secrets" am Start. Dieses bietet gewohnt feine Electro-Kost und einen tollen Anlass für ein kleines Gespräch ohne viel Geheimniskrämerei. Von: Torsten Pape

Image X Marks The Pedwalk 2017: Sevren Ni-Arb und Estefania (Foto: Milton Decamotan)

BODYSTYLER: Eure Band ist seit vielen Jahren ein Garant für vielschichtige, elektronische Musik, die unter verschiedenen Vorzeichen bzw. in verschiedenen Ausprägungen präsentiert wird. Wie würdet Ihr jemandem, der noch nie von Euch gehört hat, erklären, was für Musik Ihr macht und wie sich diese über die Jahre verändert hat?

SEVREN NI-ARB: Begonnen haben wir Ende der 80er mit einem recht rauen EBM-Industrial-Sound. In den 90ern waren X Marks The Pedwalk die erste Band, die Techno, Dance und Trance mit Industrial-Elementen konsequent gemischt hat. Daher wird uns heute die Begründung des Sub-Genre „Future-Pop“ zugeschrieben. Im weitesten Sinne machen wir heute Electro-Pop - vielschichtig und modern, sehr abwechslungsreich und atmosphärisch - mal düster, mal melancholisch, dabei eingängig und immer überraschend.

ESTEFANIA: Und natürlich mit zwei unverwechselbaren Stimmen und sehr emotionalen Songtexten.

BODYSTYLER: Wie habt Ihr selbst die Entwicklung der Electro-Szene in den drei letzten Jahrzehnten verfolgt? Steht Ihr noch in Kontakt mit Kollegen aus den frühen 90ern oder gar dem jungen Nachwuchs?

SEVREN NI-ARB: Nun, damals waren wir natürlich fest in der Szene verankert, regelmäßig in Clubs unterwegs und auch auf Tour. Durch meine Produzententätigkeit und meinen Studiobetrieb hatte ich viel Kontakt mit anderen Bands und Labels. Spätestens nach meinem Rückzug aus dem Musikbusiness habe ich keinerlei besondere Berührungspunkte mehr mit dieser Szene gehabt. Seit unserem Comeback gibt es natürlich immer mal wieder den einen oder anderen Austausch, mit Claus Larsen z.B. oder aktuell mit Dirk Krause von den Armageddon Dildos. Und häufig gibt es mal E-Mails oder Nachrichten auf Facebook von früheren Wegbegleitern und Fans.

BODYSTYLER: Ihr seid immer noch Fans von analogen Geräten, die Ihr während der Aufnahmen / der Produktion mit digitalen Komponenten verknüpft. Wie darf man sich diesen Prozess genau vorstellen? Entstehen Eure Kompositionen zumeist auf analogen Gerätschaften oder nutzt Ihr auch die digitalen Möglichkeiten, um Songideen zu entwickeln?

SEVREN NI-ARB: Ich setzte mich häufig zunächst an neue Sounds, diese sind quasi Ausgangspunkt für mögliche neue Tracks. Ich experimentiere gerne mit Sound- und Effekt-Layern. Ich besitze unglaublich viel Software und Plug-Ins – tolle kreative Werkzeuge mit schier unendlichen Möglichkeiten. Aber in der letzten Zeit haben auch bei mir wieder mehr und mehr analoge Hardware-Synthesizer Einzug ins Studio gehalten. Und auf „Secrets“ habe ich diese bewusst vorrangig und sehr intensiv genutzt. Es ist ein anderes Arbeiten, direkter und physischer.

BODYSTYLER: Seid Ihr Musiker, die sich in den Details Ihrer Songs verlieren können und manchmal den objektiven Blick von außen benötigen oder habt Ihr Euch diesbezüglich gut im Griff und immer den Überblick?

SEVREN NI-ARB: Es ist nicht immer gut, wenn Du dich in Details verlierst – dann hast Du möglicherweise das Wesentliche des Songs vergessen oder bereits überproduziert. Ich hab eigentlich immer schon eine sehr genaue Vorstellung davon, wie ein Song am Ende klingen soll und darauf arbeite ich dann hin. Gerne lasse ich mich auch mal treiben und schaue, wo ich den Song noch hinbewegen kann. Ich höre meine Songs oder auch einzelne Sounds und Sequenzen immer sehr lange und sehr genau, da bin ich schon überaus detailverliebt, aber es fällt mir immer leicht, den Überblick zu wahren und die eigentliche Charakteristik des Songs im Blick zu behalten.

BODYSTYLER: Bereits bei Erhalt des Promo-Paketes wurde mir klar, dass Ihr mit viel Liebe an die optische Präsentation des neuen Albums herangegangen seid. Schwarz-glänzender Umschlag, Sticker, Button etc., das erinnert mich an die guten alten Zeiten, als diese Presse-Vorab-Bemusterungen noch etwas Besonderes und weit weg von schnödem mp3-Verschicken waren. Wie habt Ihr Euch den Idealismus sowie den Glauben an hochwertige Vermarktung bewahrt?

SEVREN NI-ARB: Schön, dass du das erwähnst. Letzten Endes ist das natürlich vor allem eine Kostenfrage. Eine E-Mail mit MP3-Link zu versenden kostet erst mal nichts. Die Original-CD mit umfangreichen Release-Infos und Give-Aways attraktiv zu verpacken und zu verschicken – auch ins Ausland - ist extrem kostspielig. Aber es signalisiert natürlich dem Empfänger das Qualitätsverständnis der eigenen Releases. Ich habe alles an Technologie inkl. amazon-Echo, Apple Music und so weiter zu Hause. Aber ich kaufe mir immer noch gerne CDs, nehme das Cover in die Hand, lese im Booklet – der Zugang zur Musik ist noch einmal etwas anderes. Ich hoffe natürlich so die Aufmerksamkeit und ein wenig Zeit vom Rezensenten einzufordern, sich mit dem Produkt bewusster zu beschäftigen. Aber das geht natürlich nur solange es wirtschaftlich bleibt. Und auch die beste Verpackung hilft nichts, wenn der Inhalt nicht stimmt!

BODYSTYLER: Beim Layout des Albums habt Ihr Euch wie immer viel Mühe gegeben. Wie kam es zu dieser Verquickung von organischen und eckigen Motiven sowie dem markanten Schwarz/Grau/Weiß – Gelb-Kontrast?

SEVREN NI-ARB: Das war eine sehr frühe Idee von mir, als ich nach einem geeigneten Motiv oder einer Metapher für die Album-Thematik gesucht habe. Ich wollte ein reduziertes Artwork mit bewusster Akzentuierung. Der leichte Retro-Charme der analogen Klang-Ästhetik auf „Secrets“ und der Hintergrund, dass viele Geheimnisse, die wir mit uns herumtragen, ihren Ursprung in der Vergangenheit haben, führten schnell zur Schwarz-Weiß Optik. Dennoch wollte ich eine Akzentfarbe, etwas das heraussticht und eben diesen möglichen Aspekt des Offenbarens symbolisiert. Die Analogie zur Blüte erschien mir sehr passend. Eine Blume oder Pflanze steht für das Natürliche und Lebendige. Die Blüte ist das Offensichtliche und Erste, das wir sehen. Aber zur Blume gehört nicht nur die Blüte - selbst die Blüte hat viele Details. Wenn Du all das wahrnehmen möchtest, musst Du genauer hinschauen. Daher haben wir in der Visualisierung auch die biomikrologische Ebene aufgegriffen, die in sich ja auch schon wieder jede Menge Geheimnisse trägt.

ESTEFANIA: Projiziert man dieses Bild auf den Menschen, verdeutlicht diese Metapher, dass er oder sie erst mal an der Oberfläche wahrgenommen wird. Um jemanden richtig zu verstehen, um einen Menschen kennen zu lernen, musst Du tiefer schauen, genauer hinsehen. Wir müssen miteinander in Interaktion treten. Aber ob Du auch wirklich alles zu sehen bekommst oder Du nur weiter die schöne oberflächliche Blüte siehst, das bestimmt vor allem Dein Gegenüber.

"Die Bandbreite der Informationen, die Personen über sich und ihr Leben preisgeben, ist enorm und die Inszenierung teilweise erschreckend offen und unbedacht."

BODYSTYLER: Mit „Masterpiece“ lasst Ihr den Hörer zu Beginn in vielerlei Hinsicht aufhorchen. Nach dem markanten Intro folgen hörenswerte Textzeilen, die mit Gegensätzen spielen und am Ende steht ein absoluter Ohrwurmrefrain. Wie ist dieser Song entstanden und was verkörpern diese Gegensätze für Euch?

ESTEFANIA: Als ich den Text von "Masterpiece" las, war ich sofort wie elektrisiert. Allein die Worte, die darin verborgenen Bilder klingen schon wie Musik für mich. Für mich ist „Masterpiece“ die Quintessenz aus den Geheimnissen des Lebens. Wir alle streben danach, mit uns und der Welt in Einklang zu leben – Harmonie zu finden. Doch das Leben – oder das Schicksal, wenn man so will - lässt uns nicht entspannt zurücklehnen und hält immer neue Aufgaben für uns parat, die wir annehmen sollten. Nur so, denke ich, entwickeln wir uns im Laufe unseres Lebens weiter. Das Stück vereint in sich so viele Gegensätze und hat mit diesem Ausrufezeichen im Refrain unheimlich viel Kraft. Gleichzeitig vereint es uns Menschen in unserem immerwährenden Bestreben nach Harmonie und Perfektion. Wie oft haben wir das Gefühl, dass sich alles um uns herum verändert, weiterentwickelt, aber wir selbst immer noch an ein und derselben Baustelle beschäftigt sind. Mich ermutigt „Masterpiece“ nicht aufzugeben und ich muss sagen, ich liebe diesen Song. Für mich ist er auch thematisch eng mit „One Time“ verbunden, der auch das Scheitern aber die Hoffnung thematisiert: Eines Tages wird es richtig sein.

BODYSTYLER: Ist es schwerer bzw. fällt es den Menschen aus Eurer Sicht heutzutage schwerer ein Geheimnis zu bewahren? Man könnte behaupten, dass Dinge, die vor der Zeit des Internets persönlich oder auch ein Geheimnis waren, heute oft mit Hilfe der sozialen Netzwerke mit aller Welt geteilt werden? Wie steht Ihr zu dieser Aussage bzw. Entwicklung?

ESTEFANIA: Die sozialen Medien haben den Umgang mit der eigenen Persönlichkeit schon sehr verändert. Die Bandbreite der Informationen, die Personen über sich und ihr Leben preisgeben, ist enorm und die Inszenierung teilweise erschreckend offen und unbedacht. Die Motivation sich der Welt zu präsentieren dürften ebenso vielfältig sein. Aber es ist eben auch sehr einfach möglich, ein Leben nach außen zu dokumentieren, das nur wenig mit der eigenen Realität zu tun hat und damit nicht authentisch ist.

BODYSTYLER: Zu „Photomatique“ und der darin beschriebenen Angst vor dem Ergebnis einer Foto-Session fällt mir ein, dass sich der Stellenwert eines Fotos über die Jahre sehr verändert hat. Früher waren Fotografien noch etwas Besonderes, ja Exklusives und wurden mit der Zeit zu einer Massenware, die beliebig manipulierbar ist. Habt Ihr deshalb den Fotoautomaten, dieses fast schon anachronistische Bindeglied zwischen den Generationen als Aufhänger gewählt, weil er eben nicht bestechlich ist und oft die Wahrheit zeigt?

SEVREN NI-ARB: Inspiriert wurde ich zu diesem Song durch die Bilder eines Freundes, der Antwerpen besucht hat. Auf einem der Fotos war ein Lichtbildautomat zu sehen – in Antwerpen beschriftet mit "Photomatique". Der Lichtbildautomat symbolisiert eine Scheinwelt. Menschen posieren, um sich in einem besonderen Licht zu präsentieren, ihre beste Seite zu zeigen. So bauen sie eine Fassade auf, schlüpfen in Rollen, verbergen die wahre Persönlichkeit. Was aber, wenn der Automat das Verborgene offenbaren kann und die Fotos, die am Ende zum Vorschein kommen, unsere ungeschönte Realität aufzeigen, genau den Teil unseres Lebens, den wir eigentlich gerne verborgen halten möchten?

BODYSTYLER: Welche Art von Gefangenschaft thematisiert Ihr in „Prisoner“? Wollt Ihr das eher allgemein verstanden wissen oder könnte es sich vielleicht um eine medizinische Situation (Wachkoma) handeln?

ESTEFANIA: Nein, "Prisoner" bezieht sich nicht auf eine medizinische Situation. Eher geht es um das Gefühl, das sicher jeder kennt, wenn ihn etwas bedrängt, einengt. Eine Situation, aus der wir wünschen herauszubrechen. Aber wir erkennen oft, dass es uns selber sehr schwer fällt, etwas zu ändern. Dann ist es wichtig zu wissen, dass es eine andere Möglichkeit gibt, auszubrechen. Wenn Du es selbst nicht schaffst, dann anzuerkennen und zu akzeptieren, dass du Hilfe und Unterstützung brauchst.

"Es ist nicht immer gut, wenn Du dich in Details verlierst..."

BODYSTYLER: Ihr seid vor kurzem den Schritt gegangen, ein eigenes Label zu gründen. Erstaunlicherweise war Eure eigene Band nicht die erste, die dort veröffentlicht hat, aber mit Signal~Bruit hattet Ihr bereits sehr hochwertige Kost im Angebot. Wo soll die Reise mit Meshwork Music hingehen? Was habt Ihr Euch vorgenommen und gibt es vielleicht sogar schon Neuigkeiten, was die nächsten VÖs anbelangt?

SEVREN NI-ARB: Meshwork Music habe ich ja bewusst nach dem XMTP Album „Meshwork“ benannt. Das Album hat damals Grenzen aufgelöst. Das soll auch für das Label stehen. So habe ich als ersten Release das außergewöhnliche französische Minimal-Electro-Ambient-Projekt Signal~Bruit veröffentlicht. Diese Richtung möchte ich weiterführen und zugleich modernen Electro-Sound präsentieren – mal eingängig, mal cluborientiert, mal ungewöhnlich oder experimentell.
Gerade habe ich ein neues deutsch-irisches Electro-Projekt unter Vertrag genommen: Ferrochrome. Hinter Ferrochrome stehen Dirk Krause (Armageddon Dildos, DKDENT & Retro Adapter) und Aidan Casserly (Empire State Human, KuBO). Das Debüt-Album „Medusa Water“ wird in diesem Jahr auf Meshwork Music erscheinen. Spannende Elektronik und sehr markanter Gesang. Geht ein wenig in Richtung Erasure.

BODYSTYLER: Ansonsten kann man Euch als Personen in verschiedenen Bereichen des Internets finden. Das reicht von der Marketing-Branche über Reiseberichte aus Schottland bis hin zur Kinderbuch-Szene. Erzählt doch bitte ein wenig über Euer berufliches Dasein abseits der Band, das oft einen Kontrast zu Eurer Musiker-Karriere darzustellen scheint...??

SEVREN NI-ARB: Hauptberuflich bin ich Geschäftsführender Gesellschafter einer Agentur für Digitale Markenführung und digitales Marketing mit Büros in Münster und Berlin. Daneben habe ich noch ein weiteres Unternehmen im Bereich Literatur gegründet. Mit diesem Unternehmen haben wir renommierte Literatur-Portale aufgebaut, die z.B. schon mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet wurden. In diesem ist auch Estefanía als Chefredakteurin für die Bereiche Kinder- und Jugendbuch tätig - und sie schreibt übrigens gerade an ihrem ersten Roman.

ESTEFANIA: Das stimmt – das Buch-Projekt plane ich schon seit einiger Zeit und habe jetzt endlich die Zeit gefunden, das Thema intensiv anzugehen. Schottland ist unsere gemeinsame große Leidenschaft. Wir waren vor fünf Jahren das erste Mal dort und haben uns gleich in das Land und die Leute verliebt. Seitdem sind wir einmal im Jahr dort und erkunden immer wieder neue Regionen. Vor einiger Zeit haben wir dann beschlossen, unsere Reiseerfahrungen in unserem eigenen Online-Magazin zu präsentieren.

BODYSTYLER: André, über die Jahre hattest Du mehrere Nebenprojekte am Start. Was gibt es aus dieser Richtung zu vermelden? Werden in Zukunft einige davon wieder auftauchen oder gibt es Pläne in Sachen Re-Releases oder gar vollkommen neue Spielwiesen?

SEVREN NI-ARB: Aktuell sitze ich am zweiten Album meines Projektes SN-A. Der Album-Titel steht, erste Tracks sind eingespielt. Wenn alles nach Plan läuft, sollte ein Release Ende des Jahres möglich sein.

BODYSTYLER: Wie sieht es in nächster Zeit bezüglich einer Tour oder Einzelauftritten aus?

SEVREN NI-ARB: Leider fehlt uns aber mal wieder schlicht die Zeit, um neben Beruf und Familie auch noch Konzerte oder gar eine Tour auf die Beine zu stellen.

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