Lionhearts

Starker Tobak an Gefühlen

03.06.2017 - Das Löwenherz ist schwer in diesen Tagen. Doch während es auf fußballerischer Ebene zum Absturz in den Amateurbereich führt, geht es auf musikalischer Ebene direkt in die Champions League. Nachdem Frank Spinath dort schon mehrere elektronische Top Teams wie Seabound, Edge of dawn und Ghost & Writer platziert hat, stürmt er nun erstmals als Cheftrainer mit eigenen Kompositionen in unsere Herzen. Von: Spider

Image TV-Kommissar, Politiker, Kinderbuchautor? Pusteblume, Frank Spinath ist Musiker. (Foto: Claudia Schöne - www.Guiding-Light.de)

BODYSTYLER: Erstmal Gratulation, ich finde Dein erstes Solo-Werk fantastisch und es braucht sich hinter Deinen Band-Projekten nicht zu verstecken. Mal ganz abgesehen von der hohen Qualität Deiner Musik, wie schaffst Du das organisatorisch neben Deiner hauptberuflichen Tätigkeit und Deinem Privatleben in solcher Quantität Musik zu produzieren?

FRANK SPINATH: Aktuell sieht es wirklich ein bisschen so aus, als würde ich mit einer sehr hohen Schlagzahl Musik produzieren, aber der Eindruck entsteht in erster Linie dadurch, dass verschiedene Aktivitäten mit teils sehr langen Vorlaufzeiten in den letzten Monaten parallel auf die Zielgerade gegangen sind. Die Arbeit an Lionhearts hat insgesamt gut drei Jahre gedauert. Das ist bei genauerer Betrachtung ja gar nicht sooo flott. Aber wenn ich mich dem Musik machen widme, dann sind die Nächte eher kurz (lacht).

BODYSTYLER: Als ich den Projektnamen Lionhearts zum ersten Mal las, schoss mir als erste Assoziation „Die Brüder Löwenherz“ von Astrid Lindgren in den Kopf. Ich finde dieses Buch passt von der Aussage und Stimmung zu vielen Deiner Songs. Was war Dein Gedanke, das Solo-Album nicht einfach unter Deinem Namen zu veröffentlichen?

FRANK SPINATH: Deine Assoziation ist völlig korrekt: Dieses Buch spielte eine entscheidende Rolle bei der Wahl des Projektnamens. Ich finde die Geschichte nach wie vor märchenhaft, gewagt, traurig und tröstlich zugleich. Und ich erinnere mich gut daran, wie das Buch bei mir als Kind eine Mischung aus Unbehagen und Ruhe hinterließ. Es geht immerhin um Tod und die Frage, ob danach noch etwas folgt. Starker Tobak für ein Kinderbuch, oder?
Durch die Verwendung des Projektnamens Lionhearts bilde ich mir ein, ein wenig von dieser Welt und meinen Gefühlen diesbezüglich transportieren zu können, was nicht der Fall wäre, wenn ich einfach als „Frank M. Spinath“ angetreten wäre. Zumal die Produktion durch Hecq ein so wichtiger Teil des Ganzen ist, dass ich es wirklich etwas vermessen finden würde, allein meinen Namen zu verwenden.

"Man hört, dass auf dem gesamten Album nur ein einziger Freeware-Softsynth zum Einsatz kommt? Mist…"

BODYSTYLER: Musikalisch ist das Album sehr minimalistisch instrumentiert. Durch diese fragile Struktur empfinde ich die Songs besonders intensiv und sie haben mich sofort gepackt. War das künstlerische Absicht oder hast Du selber nicht genügend Instrumente und die Kollegen wollten Dir keine leihen?

FRANK SPINATH: Man hört, dass auf dem gesamten Album nur ein einziger Freeware-Softsynth zum Einsatz kommt? Mist… (lacht).

Ernsthaft: ich hatte den Wunsch, dass das Album dem Zuhörer sprichwörtlich Raum und Luft zum Atmen lässt, und gleichzeitig Tiefe und Weite transportiert. Ben (Hecq) hat die einmalige Gabe, diese scheinbar unmögliche Kombination in seiner Produktion umzusetzen. Obendrein würde ich sagen, dass das Album insgesamt „warm“ klingt, was mir – so komisch das klingen mag – bei Lionhearts sehr wichtig war.

Inhaltlich dreht sich das Lionhearts Album um verschiedene archetypische Themen unseres Lebens wie „Das Gebrochene Herz“ (Gone, No Going Back), „Gewalt“ (Murder, Threat) oder das „Ende“ (In The Sand), aber ich wollte bei aller Verschiedenheit der Stücke eine klangliche Grundstimmung, eine Art Fundament. Das ist uns, denke ich, sehr gut gelungen.

BODYSTYLER: Du hast Dich textlich in der Vergangenheit schon öfter mit dem Seelenleben von Mördern befasst. Das wird auf Deinem Solo-Werk mit dem Song „Murder“ ganz offen plakatiert. Was reizt dich an der Thematik?

FRANK SPINATH: Wenn ich ehrlich bin, dann habe ich das Psychologiestudium seinerzeit begonnen, weil ich verstehen wollte, was in den Köpfen intelligenter Serienmörder wie Edmund Kemper oder Ted Bundy vor sich geht. Mich fasziniert die scheinbar perfekte Fassade, unter der unglaublich zerstörerisches „Potential“ lauert. Es geht dabei nicht darum, Taten zu glorifizieren oder die Opferperspektive zu bagatellisieren. Aber ich frage mich, wie ein intelligenter Mensch mit dem Wissen um derartige Abgründe, das verursachte Leid und den Wahnsinn des Ganzen lebt und vor sich und der Welt gleichzeitig eine Maske trägt, die über Jahre hinweg funktioniert, bis am Ende doch alles in sich zusammenfällt.

BODYSTYLER: Könntest Du Dich in der Rolle eines TV-Kommissars vorstellen, vielleicht mit unserem BODYSTYLER-Model Dr. Mark Benecke als forensische Unterstützung?

FRANK SPINATH: Wir könnten morgen mit dem Dreh beginnen (lacht).

"Ich habe immer gewusst, dass ich für eine aktive Rolle in der Politik ein zu ausgeprägtes (Un)Gerechtigkeitsempfinden habe."

BODYSTYLER: Dieser ist auch politisch sehr aktiv. „Lionhearts“ also Löwenherzen als Metapher für Mut und Stärke stehen ja auch für Zivilcourage. Würdest Du Dich selbst als politisch und sozial aktiver Mensch sehen und findest Du das Musiker*innen in dieser Hinsicht ein Vorbild sein sollten/können?

FRANK SPINATH: Ich habe immer gewusst, dass ich für eine aktive Rolle in der Politik ein zu ausgeprägtes (Un)Gerechtigkeitsempfinden habe. Ich finde es frustrierend zu sehen, dass gute politische Initiativen an Lobbyismus oder schlicht dem Umstand scheitern, dass der politische Gegner glaubt, sich nur über das Vertreten der Gegenposition profilieren zu können. Was das aktuelle politische Geschehen – etwa in den USA – angeht, bin ich schlicht fassungslos und reagiere zeitweise sehr emotional auf die vielen absurden Entwicklungen. Das sind leider allesamt nicht die Qualitäten, die einen guten Politiker ausmachen.

BODYSTYLER: Für mich bist Du quasi der Anneke van Giersbergen der elektronischen Musik - ein Vergleich der durch meinen breiten Musikgeschmack und die Anzahl Eurer jeweiligen Projekte zustande kommt. Welche Art von Musik, abseits Deiner eigenen Stilrichtung, hörst Du privat?

FRANK SPINATH: Nachdem ich Anneke van Giersbergen gegoogelt habe, weiß ich leider überhaupt nicht, woher der Vergleich kommt (lacht), aber sei’s drum. Vielleicht mache ich mich ja mal auf die Suche nach der Coverversion von Depeche Modes „Never Let Me Down Again“, die sie mit der Band Farmer Boys aufgenommen haben soll.

Privat höre ich nicht mehr ganz so viel Musik wie früher, als bei mir im Prinzip permanent elektronische Musik lief, egal was ich tat. Das hat auch damit zu tun, dass ich nach der Arbeit an der Uni gerne Zeit mit der Familie verbringe, und zumindest meine Frau mit meiner Musik und unserem Genre insgesamt nicht viel anfangen kann.

Ich bin nach wie vor großer Fan von Edward Ka-Spel und den Legendary Pink Dots bzw. The Tear Garden, weil mir neben der Musik auch die Texte wichtig sind, und Ka-Spel in meinen Augen ein begnadeter Poet ist. Ich habe keine Ahnung, woher er das alles nimmt, aber es ist großartig. Und natürlich hat er eine wirklich tolle Stimme.

BODYSTYLER: Dein Label-Boss hat uns geraten, fix zu sein mit unserem Interview, da Du demnächst auf Reisen bist. Mal abgesehen davon, dass ich vermute das diese Aussage vorsätzlich getätigt wurde, um uns müden Socken etwas Dampf zu machen, frage ich dennoch: „Wohin geht´s“?

FRANK SPINATH: Es ging nach Dallas, TX, und mittlerweile bin ich wieder zurück. Ich habe dort Freunde getroffen und ein Musikfestival (Convergence 23) besucht, bei dem u.a. Iris und Assemblage 23 aufgetreten sind. Am Rande einer Bondage-Vorführung traf ich übrigens Dan van Hoyel (Harmjoy, kink.com), der mir verriet, dass er Seabound-Fan ist, was mich sehr gefreut hat.

BODYSTYLER: Worauf soll ich in der Redaktion mein Gehalt verwetten? Ein neues Seabound, Edge of Dawn, Ghost & Writer Album, Live-Konzerte mit Lionhearts oder das Basti Schweinsteiger demnächst für den 1. FC Saarbrücken spielt?

FRANK SPINATH: Als Psychologe muss ich Dich warnen: Glücksspiel kann süchtig machen! Außerdem wäre eine aufrichtige Antwort von mir doch fast so etwas wie die Weitergabe von Insiderinformation. (lacht)

Ich kann allerdings sagen, dass sowohl Ghost & Writer als auch Edge Of Dawn aktuell an neuem Material arbeiten. Zudem tut sich gerade auch etwas an der Radioaktivists-Front, dem Projekt von Daniel Myer, Krischan Wesenberg, Sascha Lange und mir. Es bleibt vermutlich also auch in Zukunft wieder bei kurzen Nächten hier.