Massiv In Mensch

Man gibt sich küstennah...

10.09.2017 - Die norddeutsche Formation Massiv In Mensch ist ein gutes Beispiel dafür, dass es der Prophet im eigenen Land manchmal wirklich schwer hat. Vielleicht ist man anderswo aber auch nur toleranter, wenn es um die Vermischung der verschiedenen Electro-Spielarten geht. Mit dem neuesten Album "Am Port der guten Hoffnung" nimmt man erneut Anlauf, um die heimischen Ohren zu erobern. Könnte funktionieren... Von: Torsten Pape

Image Nur Türkis ist auch keine Lösung... (Foto: Promo)

BODYSTYLER: Seit Jahren versucht die Welt, die Band MiM stilistisch zu greifen und einzuordnen. Jetzt kommt Ihr einfach mal mit dem Begriff "Offshore-Electro" um die Ecke. Gebt doch bitte eine kurze Erklärung dazu ab, welche auch bei Wikipedia bestehen könnte.

DANIEL LOGEMANN: Prädikate wie "Dark Rave" seinerzeit oder jetzt "Offshore-Electro" entstanden aus einer Bierlaune heraus, denn mit den üblichen Genre-Bezeichnungen geht unsere Musik einfach nicht (oder nur geringfügig) konform. Wir machen weder EBM noch Futurepop aber von beidem ist irgendwie was enthalten. "Offshore" fanden wir ganz pfiffig, weil es konzeptionell zum Album und zur Bühnenpräsentation passt, sind halt norddeutsche Jungs.

BODYSTYLER: Über die Jahre wohnten viele Musiker im Massiv-Haus bzw. waren dort zu Gast. Was könnt Ihr über die aktuelle Besetzung sowie die aktuellen Gäste berichten?

DANIEL: Seit 2014 hat sich die jetzige Formation herauskristallisiert. Wir spielen live mit Bass (Marwin Voß), Drums (Muck Kemmereit), Gitarre (Jonathan Millat) und an den Keys klimpert Rafunzel Rauchenecker. Die Produktion wird weitestgehend von mir Daniel Logemann gesteuert und unterstützt werde ich hierbei von Tommy Appelhoff. Zu den Gästen des Albums bestehen mitunter langjährige Freundschaften (Kontrast, Welle:Erdball). Und die Musik von Stefan Poiss (Thyx) bewundere ich schon seit Jahren – für mich ein völlig unterbewerteter Musiker.

BODYSTYLER: MiM war bereits bei Labels wie Artoffact (Kanada) und Advoxya (Ungarn) unter Vertrag. Jetzt seid Ihr bei der jungen schwedischen Plattenfirma Katyusha Records gelandet. Wie kam es zum Umzug und warum fällt die Wahl immer auf ausländische Label?

DANIEL: Der Vollständigkeit halber muss man erwähnen, dass wir auch schon bei deutschen Plattenfirmen unter Vertrag standen (Endless, Wire). Artoffact war eigentlich unser Stamm-Label (2000-2013), danach gingen wir zu Advoxya. Hier wurden nicht all unsere Erwartungen erfüllt und so suchten wir ab 2014 nach einer besseren Lösung. Auch durch persönliche Kontakte zur Band Trakktor entstand dann die Idee, auf deren Label Katyusha die neue Platte zu veröffentlichen. Wir sind bislang sehr zufrieden mit der Zusammenarbeit. Warum es immer wieder ausländische Labels sind, die uns verpflichten, kann ich nicht genau erklären, aber offenkundig gibt es hier ein stärkeres Interesse an MiM als im Inland.

BODYSTYLER: Viele der neuen Songs besitzen ein deutliches Lokalkolorit. Wie würdet Ihr denn küstenfern lebenden Menschen die Platte schmackhaft machen? Was wären Kaufargumente für eingefleischte Landeier?

DANIEL: Gelebte (musikalische) Authentizität muss doch immer ein Argument sein. Hans Albers oder Freddy Quinn haben ihre Seemannslieder ja sicherlich auch nicht nur in Norddeutschland verkauft. Ich denke, die Platte ist bodenständig, in ihr steckt viel Herzblut ohne jedoch übertrieben lokalpatriotisch zu sein. Wir bieten eine Reihe von Facetten aus dem Bereich der elektronischen Musik an und es gibt ja auch viele Songs, die keinen Bezug zum Leitmotiv haben („Schwarzer Mann“, „Sunt Terminat“).

BODYSTYLER: In Eurem Nebenjob als Stil-Berater verkündet ihr aktuell, dass Türkis das neue Schwarz sei und das könnte nicht nur in der Electro-Szene für Erstaunen sorgen. Wie kam es zu dieser gewagten Aussage und inwiefern konntet Ihr Euch bereits in der Modeszene damit durchsetzen?

DANIEL: Türkis ist unsere Bandfarbe seit ein paar Jahren. Das war sicherlich ein Auslöser. Darüber hinaus steht Türkis für die kälteste aller Farben, das passt ganz gut zur Szene. Natürlich wollen wir auch immer mal wieder kleine humoristische Seitenhiebe zelebrieren, denn das fehlt – unserer Meinung nach - oft in der schwarzen Szene. Wir haben uns halt mal vorgestellt, was wäre, wenn Türkis Schwarz ersetzt und „Mainstream im Mikrokosmos“ wird. Ob die Modeindustrie darauf aufmerksam wird, bleibt abzuwarten. Ich las jedoch kürzlich, dass Türkis die Trendfarbe schlechthin sei, aber vermutlich wie der „Kuchen der Saison“ nur eine temporäre Erscheinung.

"Eine Kindheitserinnerung, die ich immer mal wieder auf YouTube suchte, ist das legendäre „Rätseltier von Ingolstadt“."

BODYSTYLER: Das Lied "Sturm" bietet Ihr gleich in drei Versionen an. Wie sind diese unterschiedlichen Ausprägungen entstanden und wie kam es zum Dreierpack auf dem Album?

DANIEL: Die Originalversion findet man auf CD 2. Wir haben von Anfang an geplant, auch eine Akustikversion einzuspielen. Diese gefiel uns dann so gut, dass wir sie auf CD 1 gepackt haben. Die Akustikversion ist natürlich deutlich epischer oder auch dramatischer. Komplett anders ist die „Alternativ-Version“, die aus einem Zufall heraus entstanden ist. Ich habe einfach mal den Text auf einer anderen Tonlage und Geschwindigkeit eingesungen. Am Ende gefiel uns diese Version ebenfalls und daher findet man den Song in drei ganz unterschiedlichen Versionen auf dem Album vor.

BODYSTYLER: Mit "Repowering" habt Ihr einen flotten Ohrwurm am Start, der einerseits Fans von Welle:Erdball andererseits vielleicht sogar eine breitere Öffentlichkeit ansprechen könnte. Single, Powerplay, Samplerplatzierung - was ist noch möglich oder gar geplant? Was könnt Ihr zur Geschichte dieses Songs berichten (Entstehung der Melodie, Auswahl der Instrumentierung sowie der Sängerin...)?

DANIEL: „Repowering“ und „Kontrolliertes Abbrennen“ gehören eigentlich thematisch zusammen. Es geht hier um Windräder. Während jedoch „Kontrolliertes Abbrennen“ eher reflektierend und nüchtern daher kommt, zeigt „Repowering“ deutlich mehr Pathos. Den Sachverhalt des Ersetzens alter Anlagen mit dem Ziel, einen höheren Wirkungsgrad zu erreichen, haben wir auf eine zwischenmenschliche Ebene übertragen. Das gesungene „Alles ist neu“ kann man demnach auf übertriebenen Schönheitswahn projizieren. Musikalisch ist das sicherlich eine „klassische“ MiM-Nummer mit charakteristischen Bass-Sequenzen in den Strophen und einem schnellen, aber sehr melodischen Chorus. Gesungen wird „Repowering“ von Sara Peel, die für uns in dieser Zeit den weiblichen Gesangspart übernahm. Durch die persönlichen Beziehungen zu Hannes (Welle Erdball) haben wir die Nummer auch in seinem Studio eingesungen. Von daher ist die von dir vorgenommene Kategorisierung durchaus nachvollziehbar... (zwinkert) Wir haben bislang nicht vor, die Nummer auszukoppeln o.ä. aber was nicht ist, kann ja noch werden...

BODYSTYLER: "Le-Rav" ist nicht nur ein älterer Song von Euch, sondern auch dein Alias und rückwärts gelesen eine Stadt in Friesland. Nun bringt Ihr "Le-Rav II" zu Gehör und da wäre doch vielleicht eine Erklärung der Zusammenhänge ganz interessant...

DANIEL: Ja, „Le-Rav“ ist ein sehr persönlicher Song, den es schon 2003 auf dem Album „Menschdefekt“ gab. Die Stadt in Friesland ist übrigens unsere Heimatstadt Varel (das Wappen ziert unser Cover). Von daher lag es auch nahe, sich die Nummer noch einmal vorzunehmen. Ich war im Grunde genommen zufrieden damit, doch mir fehlte der klassische Aufbau „Strophe-Refrain-Strophe-Refrain“. Das haben wir nun nachgeholt und den Sound modernisiert. „Le-Rav“ erzählt natürlich eine zwischenmenschliche Geschichte, es geht um das Scheitern, um Ablehnung und die Sicht der Frau auf den Zurückgebliebenen.

BODYSTYLER: Über die Jahre habt Ihr bereits einige Coverversionen an den Start gebracht. Nun habt Ihr Euch mit "Der schwarze Mann" ein Kinderlied vorgenommen und sogar schon positives Feedback vom Komponisten bekommen. Leider kenne ich das Original nicht und konnte auch im Netz nichts darüber finden. Wie sah Euer erster Kontakt mit diesem Song aus und wie entwickelte sich die Idee, ihn zu interpretieren?

DANIEL: Längere Geschichte. Eine Kindheitserinnerung, die ich immer mal wieder auf YouTube suchte, ist das legendäre „Rätseltier von Ingolstadt“. Irgendwann habe ich es gefunden und dann festgestellt, dass es sogar auf LP veröffentlicht wurde (zusammen mit anderen Songs aus der „Sesamstraße“ und „Spaß am Dienstag“). Diese LP suchte ich eine Zeit lang und wurde fündig. Nach dem Durchhören gelangte ich auf Seite 2 an das letzte Stück - „Der schwarze Mann“, das mich sofort fesselte. Ich habe mich sofort in den naiven Charme des Liedes verliebt. Mir war auch recht schnell klar, dass wir die Nummer nachspielen müssen. Ich liebe so unbekannte, verschollene Perlen. Der Song wurde recht schnell produziert und eingesungen und ist trotzdem sehr gelungen, wie ich finde. Auch Arend Agthe, der Autor, war begeistert. Er produziert heute noch Kinderfilme und bot uns an, doch gleich ein ganzes Album mit Kinderliedern zu produzieren. Mal sehen... (zwinkert) Das Original findest du übrigens hier: https://www.youtube.com/watch?v=3ibwAcZXwsE

"Hans Albers oder Freddy Quinn haben ihre Seemannslieder ja sicherlich auch nicht nur in Norddeutschland verkauft. "

BODYSTYLER: Remixe bzw. deren Austausch mit anderen Künstler spielen schon lange eine große Rolle für Euch und Ihr scheint da über die Jahre ein gewisses Netzwerk aufgebaut zu haben. Ist dies für Euch mehr eine technische Herausforderung und Gelegenheit an den eigenen Fähigkeiten zu basteln oder geht es vorrangig um den Kontakt zu anderen Musikern?

DANIEL: Die technischen Herausforderungen haben sich im Laufe der Jahre nicht großartig verändert. Remixe haben wir auch schon vor 17 Jahren mit Hilfe von einfachen WAV-Spuren produziert. Es geht in der Tat eher darum, die eigenen Fähigkeiten auszutesten. Besonders interessant sind Mixe für Bands aus völlig anderen Genres. Zu erwähnen ist hier z.B. der Mix für Lord of the Lost. Natürlich gibt es auch die schon erwähnten Kontakte zu anderen Musikern, für die man gerne Remixe anfertigt, weil man deren Musik schätzt und sie unterstützen will. Interessanterweise fertigen wir ja auch selbst Remixe unserer eigenen Songs an, oft für die Live-Shows und am Ende stellen wir fest, dass uns die Mixe besser gefallen als die Originale. Mit ein wenig Abstand lässt sich oft noch mehr aus den Songs herauskitzeln.

BODYSTYLER: Durch den von Mirco Osterthun angefertigten Altlast-Maschinen-Boss-Mix von "Aggressive Leader" taucht ein Gründungsmitglied von MiM mal wieder und das für fast 13 Minuten auf. Wie kam es dazu?

DANIEL: Mit Mirco bin ich weiterhin freundschaftlich und musikalisch verbunden. Wir haben vor einigen Jahren das Projekt Altlast gegründet, wo es eher um den alten MiM-Sound (1996-2000) geht. Mit Altlast kommen auch die musikalischen Ideen und Vorstellungen von Mirco viel stärker zum Tragen. Das Ganze machen wir ohne Druck von außen, haben also kein Label sondern veröffentlichen die Sachen auf Bandcamp. Es war mir sehr wichtig, dass Mirco den Mix im Altlast-Stil alleine anfertigt und seine erste VÖ auf einem MiM-Album erhält.

BODYSTYLER: Ihr seid bis dato immer nur punktuell live zu erleben. Welchen Stellenwert haben Auftritte für Euch und warum gab es bis jetzt noch keine Tour, ob nun als Headliner oder Support?

DANIEL: Auftritte sind für uns wichtig und wir spielen alle gerne Live-Shows. Seitdem wir als klassische Band auftreten, ist der Spaß-Faktor auch deutlich gestiegen. Bislang war es uns noch nicht möglich, eine klassische Tour zu spielen, weil wir alle auch noch (mitunter zeitintensive) Jobs haben. Daher kommt es meist zu punktuellen Gigs. Das kann und soll sich gerne ändern. Mit dem neuen Album erhoffen wir uns natürlich auch Anfragen für Livegigs oder eine Tour. Wir sind bestimmt nicht abgeneigt. Bislang gibt es einige lose Anfragen, darunter auch aus dem Ausland. Wir sind gespannt, wie es im kommenden Jahr weitergeht!

BODYSTYLER: Vielen Dank für Eure Aufmerksamkeit!

DANIEL: Danke für die netten Fragen!