Collapse Under The Empire

Kalter Krieg und heilige Berge

19.10.2017 - Das Hamburger Duo Collapse Under The Empire begeistert seit Jahren mit rein instrumentalen, bildgewaltigen Klanglandschaften und auch auf dem dieser Tage veröffentlichten, sechsten Langspieler "The Fallen Ones" findet sich wieder Post-Rock der Extraklasse. Chris Burda und Martin Grimm beweisen im Interview, dass sie zwar wortlose Musik erschaffen, aber deswegen noch lange nicht sprachlos sind. Von: Torsten Pape

Image C.U.T.E. mögen spannende Momentaufnahmen. (Foto: Promo)

BODYSTYLER: Für Eure Verhältnisse ist der Abstand zum letzten Album recht groß ausgefallen und es gab dieses Mal auch keine Single/EP, um die Zeit zu verkürzen. Was verursachte / beeinflusste diese ausgedehnte Stille?

CHRIS: Das hatte mehrere Gründe. Zum einen brauchten wir nach sieben Jahren eine kleine Pause, um die Batterien wieder aufzuladen. Wir haben seit 2009 jedes Jahr ein Album sowie eine EP oder Single veröffentlicht. Es war der perfekte Zeitpunkt, um ein Kapitel C.U.T.E. abzuschließen und mit dem, was danach kommt, die Weichen für eine Art Übergangsalbum zu stellen. Uns schwebte eine komplette Neuorientierung vor, so wie es damals Talk Talk mit „Spirit of Eden“ gemacht haben. Dieser radikale Schritt ist aber nicht so einfach zu bewerkstelligen und dazu gehört doch etwas mehr, als es sich vorzunehmen. Wir haben festgestellt, dass es das Beste ist, ein Album anzugehen, welches die alte C.U.T.E.-Vergangenheit mit etwas Neuem verbindet. Wir können uns aber gut vorstellen, dass auf dem nächsten Alben immer weniger Gitarren zum Einsatz kommen und wir uns immer weiter weg von dem bewegen, wo wir herkommen.
Des Weiteren haben wir auf unserem Label drei weitere Künstler veröffentlicht, was natürlich auch einiges an Arbeit und Zeit in Anspruch genommen hat. Letztes Jahr waren wir zudem ein halbes Jahr mit den Vorbereitungen für unser Debüt-Konzert auf dem Dunk!festival beschäftigt. Seit Anfang 2017 haben wir dann an „The Fallen Ones“ gearbeitet. Du siehst, wir waren also doch ziemlich aktiv.

BODYSTYLER: Auf den Vorgänger-Alben ging es u.a. um den Ausbruch aus gewohnten Standards. Das kann zum einen zu einer Befreiung führen, aber das Ungewohnte birgt auch immer Nahrung für Unsicherheit und kann ebenso Ängste freisetzen. Könnte diese Ausführung als thematische Verbindung/Überleitung zum neuen Werk dienen? Wie darf man in diesem Zusammenhang (wenn es denn einen gibt...) den Albumtitel verstehen?

CHRIS: Einen direkten Zusammenhang zu unserem Konzeptwerk „Shoulders &Giants/Sacrifice & Isolation“ gibt es nicht, auch wenn das Artwork es ein wenig vermuten lässt, da auch hier eine einzelne Person in der Weite der Landschaft zu sehen ist. Das war aber rein zufällig. Um es ein wenig geheimnisvoll zu machen, haben wir das Frontcover nur in einem Kreuzausschnitt sichtbar gemacht. Einige unsere Albumtitel beziehen sich darauf, was man auf dem Frontcover zu sehen bekommt. Natürlich ist es uns wichtig, dass es viel Interpretationsspielraum gibt, um sich nicht einzuengen. Die neun Tracks auf“ The Fallen Ones“ sollen eine dystopische Reise beschwören, die dazu inspiriert, die Landschaften einer pessimistischen Zukunft zu erkunden. Thematisch passt das Album meiner Meinung nach in die heutige Zeit. Trotz aller Zukunftsangst wollten wir aber auch ein Bild der Hoffnung bieten.

BODYSTYLER: Lass uns ein wenig mehr auf das Cover eingehen, auf dem der kleine Mensch im Mittelpunkt steht und gleichzeitig Teil einer größeren Szenerie ist. Dieses Mal handelt es sich jedoch um ein Gemälde und der Protagonist läuft dem Licht entgegen. Wie kam es zur Verwendung des Bildes bzw. des Bildausschnittes und wird es im Booklet (oder auf der Rückseite) die Möglichkeit geben, den Rest des Werkes zu betrachten?

CHRIS: Ja, wenn man das Digipack oder die LP öffnet, zeigt sich das komplette Bild. Das Artwork stammt von Loukas P., der es für uns entworfen hat. Wir wollten eine Großstadt in einer Wüstenlandschaft einbetten, die sozusagen fast unbewohnt ist. Wenn man genau hinsieht, könnte man auf viele Gedanken kommen. Was ist mit der Welt passiert? Zwangsläufig muss man an eine Naturkatastrophe oder einem Virus denken, der die Menschheit so gut wie ausgelöscht hat. Bilder à la „The Walking Dead“ oder „The Road“ fallen einem sofort ein. Wir wollten uns mit dem Konzept ein wenig an die aktuellen Zustände der Welt- und Klimapolitik anlehnen und zum Ausdruck bringen, dass es in unserer heutigen Zeit mit all den Bedrohungen auf der Welt nicht viel braucht, um ein apokalyptisches oder zumindest beängstigendes Bild der Zukunft abzubilden. In meinen Augen befinden wir uns mittlerweile in einer neuen Art des „Kalten Krieges“ und einer Bedrohung der Natur, die immer weiter voranschreitet. Es brodelt gewaltig unter der Oberfläche und die Auswirkungen sind immer mehr zu spüren. Keiner weiß, wohin die Reise der Menschheit geht. Dieses Thema ist nach wie vor ein klassisches Filmthema, aber auch für uns ungemein spannend.

"Es gibt Musiker wie Nickelback, die haben sofort ihren Weg gefunden, scheinbar beabsichtigt. Sie müssen es als positiv empfinden, noch heute genauso zu klingen wie auf dem ersten Album."

BODYSTYLER: Kürzlich habt Ihr ein Video von "Dark water" ins Rennen geschickt und die Bilder der dunklen Quallen sowie der Geldscheine, die ins Wasser fallen, waren schon sehr beeindruckend und ästhetisch. Wieso war es gerade das Bild des dunklen Wassers, welches Ihr als ersten Eindruck vom neuen Album ausgewählt habt?

MARTIN: "Dark Water" haben wir einige Wochen vor dem Album veröffentlicht. Es war wichtig für uns, dass wir dem Zuhörer einen ersten Eindruck geben und kein Song wäre besser geeignet gewesen als "Dark Water" - für mich einer der Höhepunkte der Platte. Der Song beginnt sehr ruhig und erzeugt das Gefühl, als würde man tief im Wasser schweben. Der harte Bruch anschließend ist wie eine Befreiung.

CHRIS: Wir mussten allerdings eine Kurzversion des Tracks anlegen, da das Videomaterial nur drei Minuten lang war. In der heutigen Zeit, in der sich kaum jemand ein 6-7-minütiges Video anschaut, ist ein kurzes Video nicht das schlechteste. Der volle Hörgenuss entfaltet sich bei „Dark Water“ allerdings erst, wenn man sich die Album Version hört.

BODYSTYLER: "A place beyond" ist sicherlich eines Eurer elektronischsten Lieder und kommt einer herkömmlichen Songstruktur relativ nahe. Fast hat man das Gefühl, dass einige Sounds (oft die Gitarren), die über den eingängigen Synthie-Klängen liegen, eine Art Gesang darstellen (könnten). Habt Ihr auch das Gefühl, dass Euch irgendwann einmal ein nicht rein instrumentaler Song "rausrutschen" könnte oder gibt es sogar schon andere Projekte, die mit Gesang arbeiten?

MARTIN: Unsere Musik lebt von Klangwelten, die wir oft sogar miteinander vermischen, ohne eine feste Songstruktur einhalten zu müssen. Eine Sprache benötigen wir nicht, um die Botschaft unserer Alben zu transportieren. Wenn wir jedoch mit Gesang arbeiten, dann funktioniert das nur in Form von Chören oder Gesangsfragmenten, die so in dem Song eingearbeitet werden, dass sie wie ein Instrument klingen. "Incident" ist ein Song auf dem Album "Shoulders & Giants" von 2011 und der erste und letzte Track, bei dem wir mit Gesang (weiblicher Chor) gearbeitet haben. Wir schließen aber nicht aus, dass wir in Zukunft auch mit Gesang einzelner Gastmusiker experimentieren werden. Neben C.U.T.E. produziere ich übrigens derzeit eine Newcomerin namens Emelie Ray, sie macht eine Art Elektro-Indie-R‘n‘B-Pop. Ihr souliger Gesang spielt die zentrale Rolle und alle elektronischen Beats und Sounds werden drumherum gelegt. Eine ganz andere Herangehensweise während der Produktion und Vermarktung. Die neue EP erscheint am 3. November diesen Jahres. Ihre Single "Desire" kann man sich auf www.emelieray.com bereits anhören.

BODYSTYLER: Im Verlauf von "Blissful" erlebt man als Hörer mehrere recht unterschiedliche Steigerungen, wobei die erste kurz und bemerkenswert heftig ausfällt. Wolltet Ihr mit den verschiedenen Klangbildern Wege zur Glückseligkeit aufzeigen? Habt Ihr Euren persönlichen Weg bereits gefunden oder seid Ihr noch auf der Suche?

MARTIN: Oh Gott, du kannst Fragen stellen. Ich persönlich möchte gar nicht meinen Weg finden. Der findet sich schon von selbst. Erst letztens habe ich ein junges Pärchen kennen gelernt, die meinten, ihren Weg gefunden zu haben. Das finde ich ganz schlimm. Mit meiner Musik möchte ich mich genauso wenig festlegen. Immer auf's Neue, sich nicht binden, heute so, morgen vielleicht ganz anders! Es gibt Musiker wie Nickelback, die haben sofort ihren Weg gefunden, scheinbar beabsichtigt. Sie müssen es als positiv empfinden, noch heute genauso zu klingen wie auf dem ersten Album. Genauso wie das junge Pärchen 20 Jahre später. (lacht)

BODYSTYLER: Beim Hören von "The holy mountain" kann man sich wirklich gut vorstellen, wie jemand einen Berg erklimmt, immer weiter hinauf bis hin zur Erleuchtung oder sei es auch nur dem Finden der eigenen Mitte. Was sind Eure heiligen Berge?

MARTIN: Worauf möchtest du denn hinaus? Erleuchtung und innere Mitte finden, das wird mir jetzt alles etwas zu spooky. Die Titel der einzelnen Tracks denkt sich immer Chris aus. Die einzigen Berge, die für mich heilig sind, sind die des weiblichen Geschlechts. Alles andere sind nur Erhebungen plattentektonischer Veränderungen (lacht)

"In meinen Augen befinden wir uns mittlerweile in einer neuen Art des „Kalten Krieges“ und einer Bedrohung der Natur, die immer weiter voranschreitet. Es brodelt gewaltig unter der Oberfläche und die Auswirkungen sind immer mehr zu spüren."

BODYSTYLER: Jetzt haben wir schon einige Interviews geführt, aber ich habe Euch lange nicht nach der typischen Entstehungsweise eines Songs von der ursprünglichen Idee, zu den ersten Tönen über den Aufbau bis hin zum letztendlichen Arrangements befragt. Vor sechs Jahren habt Ihr zu Protokoll gegeben, dass es keine Konzipierung gibt, der Weg stets ein anderer ist und immer ein gewisser Flow vorhanden sein muss. Hat sich an dieser Vorgehensweise etwas verändert? Gibt es mittlerweile vielleicht doch ein System, das sich bewährt hat?

CHRIS: Da hat sich wirklich nicht viel getan. Unsere Arbeitsmethoden sind fast immer noch die gleichen. Klar arbeitet man mit neuerer Software und muss sich damit auseinandersetzen, aber das Aufnehmen der Instrumente verläuft immer noch gleich und die Herangehensweise bzw. Komposition ist immer noch dem Zufall geschuldet. Es sind alles Momentaufnahmen, wo keiner von uns beiden weiß, in welche Richtung es gehen wird. Das macht es auch für uns immer noch so spannend. Ich schätze, erst wenn wir weitere Musiker integrieren, wird sich da was ändern. Wir stehen dem völlig offen gegenüber und wollten schon einige Male mit Filmkomponisten etwas zusammen aufnehmen. Leider ist es aus Zeitgründen nie dazu gekommen. Wenn also ein Filmkomponist das Interview liest und sich etwas mit uns vorstellen kann, so kann er sich gerne bei uns melden.

BODYSTYLER: Auf Euren Alben präsentiert Ihr stets ein breites Spektrum an Klängen und Instrumenten. Es wäre im aktuellen Fall interessant zu erfahren, welche davon per Hand eingespielt und welche synthetisch erzeugt wurden? Welche Faktoren bestimmen neben dem Budget den Einsatz der Instrumente?

CHRIS: Alle Saiteninstrumente (Gitarre, Bass) werden digital aufgenommen, wobei der Bass häufig synthetisch hergestellt ist. Wir fahren mittlerweile einen so elektronischen Sound, dass ein normaler Bass fast nicht mehr in unseren Sound passt. Die Entwicklung ist von Jahr zu Jahr elektronischer geworden, wobei wir seit unseren Anfangstagen schon sehr elektronisch sind. Das Budget spielt natürlich immer eine große Rolle, da wir aber seit Jahren in unserem eigenen Studio arbeiten, müssen wir kein Studio mieten. Daher können wir das Geld in neue Instrumente oder neue Software investieren.

BODYSTYLER: Vor einiger Zeit fand nun endlich ein C.U.T.E.-Konzert statt, aber wenn ich das richtig mitbekommen habe, seid ihr selbst nicht aufgetreten. Das bedarf natürlich einer Erklärung...

MARTIN: Ja das stimmt! Im ersten Moment wirkt das befremdlich, das verstehen wir sehr gut. Allerdings machen wir das ja nicht, weil wir keine Lust haben live zu spielen. Seit 2008 haben wir sechs Studio-Alben und fünf EPs veröffentlicht. Wir machen viel DIY und diese Frequenz an Veröffentlichungen wäre mit zusätzlichen Live-Shows sicherlich nicht möglich gewesen. Wir sind beide keine Berufsmusiker, das kommt hinzu. Dieser Umstand erschwert natürlich das Arbeiten am Live-Projekt. Auf der anderen Seite, schafft er für uns aber auf künstlerischer Seite viel Freiheit und gleichzeitig Sicherheit, da wir so nicht darauf angewiesen sind „große Hits“ zu landen, um unseren Kühlschrank zu füllen. Das gibt einem die Möglichkeit, musikalisch genau das zu machen, was wir wollen.

CHRIS: Schön ist es dann zu sehen, wie viele Fans auf der ganzen Welt mit dem Projekt gewachsen sind und immer häufiger kommt eben auch die Frage nach Live-Shows. In den vergangenen zwei Jahren haben wir Booking-Anfragen aus aller Welt erhalten: Russland, China, USA usw. C.U.T.E. ist definitiv ein internationales Projekt und so haben wir uns zusammengesetzt, unser Team um Management und Booking-Agentur erweitert und angefangen für uns eine Form zu schaffen, in welcher wir einerseits das Projekt weiterführen können wie wir zwei das gewohnt sind und gleichzeitig die Nachfrage nach Live-Shows beantworten können. Daher haben wir uns entschieden, dass „C.U.T.E.-Live" von Freunden umgesetzt werden soll, die sich mit der Band und der Musik genauso identifizieren können, wie wir das tun. Glücklicherweise ist uns das gelungen. Zudem finden wir, dass diese spezielle Form der Live-Show, der Musik sogar zugute kommt. In unseren Augen geht es um die Musik und die Musik alleine. Natürlich spiegeln viele der Songs und Konzepte unsere persönlichen Ansichten, Emotionen und Gedanken wieder, aber Post-Rock bietet dem Hörer schon immer die Chance, aufgrund der nicht vorhandenen Lyrics, mit einem Song seine eigenen Bilder und Gefühle zu assoziieren.

BODYSTYLER: Was sind Eure Pläne für die nächste Zeit?

MARTIN: Wie das mit dem Live-Projekt weitergeht, wird sich nun zeigen. Wir sind für alles offen und haben eine gute Zusammenarbeit mit unserer Booking-Firma. Zuerst einmal planen wir weitere Shows für Frühjahr 2018 in Deutschland und dann sieht man weiter. Allen hat unsere Debüt-Show auf dem DUNK!-Festival letztes Jahr sehr viel Spaß gemacht und da wollen und werden wir auf jeden Fall anknüpfen. Wir freuen uns jedenfalls, auch in Zukunft unseren Fans die Möglichkeit zu geben, unsere Musik live erleben zu können!

CHRIS: Wir betreiben ja unser eigenes Label. Das heißt, in nächster Zeit sind wir erst mal damit beschäftigt, uns um das aktuelle Release zu kümmern. Trotzdem sind wir kreativ nicht untätig und der Flow des Songwritings hat noch nicht aufgehört. Wir wollen uns jetzt nicht festlegen, aber nächstes Jahr haben wir ja 10-jähriges Jubiläum und da werden wir uns sicherlich was ganz Besonderes einfallen lassen! Denkbar wären Re-Releases beziehungsweise Veröffentlichungen von unveröffentlichtem Material aus der letzten Dekade. Ist also alles noch offen. In den zwei Jahren „Pause“ haben wir viel an dem gearbeitet, was C.U.T.E. für uns ausmacht, Formen gefunden und Strukturen geschaffen, wie wir das auch die nächsten zehn Jahre weiterführen können und wollen. Daher haben wir natürlich viel Motivation und es vergeht keine Woche, in der wir nicht etliche Stunden im Studio verbringen und zusammen an neuen Sachen basteln. Wir freuen uns also sehr auf 2018!