Kasper Hate

Starke Schwächen

07.12.2017 - Die bewegenden Stücke des letzten Albums "A hunter must hunt" von Kasper Hate hallen noch nach, da wartet das Duo bereits mit dem Nachfolger auf. "Why live when you can rule" bietet eine Schatzkiste voll mit synthetischer Klangvielfalt, zarter Wortgewalt und herz-kompatiblen Geschichten des kleinen wie großen Lebens. Im Gespräch beweist Björn Persigla erneut, dass er wirklich etwas zu sagen hat. Von: Torsten Pape

Image Eine Hommage an den dritten James Bond-Film? (Foto: Roberto Antonietti)

BODYSTYLER: Du hast Deine letzten vier Alben jeweils mit einem Abstand von ziemlich genau einem Jahr herausgebracht. Hast Du Dir eine solche Frequenz direkt als Ziel vorgenommen oder ist es letztendlich Zufall? Worin siehst Du die Quelle Deiner hohen Kreativität und Produktivität? Bist Du in Deinem anderen Berufsleben und Deinem Privatleben auch jemand der schnell und effektiv arbeitet?

BJÖRN PERSIGLA: Das klingt jetzt erst mal nach massiv viel Output. Man muss allerdings berücksichtigen, dass „WolfSkill“ kein klassisches Studioalbum war, sondern eine Sammlung von Singles, Remixen und Songs, die in den Jahren zuvor entstanden und zum Teil bereits veröffentlicht wurden. Und zu der Zeit, als „WolfSkill“ herauskam, waren die Songs des - ich nenne es jetzt mal ersten Studioalbums - zum Großteil schon in Arbeit oder sogar schon fertig. Auch habe ich zu dem Zeitpunkt schon an Songs gebastelt, die ich dann Monate auf Eis gelegt habe und von denen sich sogar der ein oder andere auf dem aktuellen Album befindet.
Es ist aber schon so, dass ich fast jede verfügbare Minute damit verbringe, Musik zu machen. Das reicht vom Gitarre spielen (der Großteil der Songs entsteht nach wie vor an und mit der Gitarre) über das Schreiben der Lyrics bis hin zum letztendlichen Zusammenbasteln der einzelnen Sounds und Beats. Mir macht das nicht nur Spaß, es entspannt mich auch ungemein. Jeder hat ja so sein Ventil, ein Lieblingshobby oder die eine Leidenschaft. Bei mir fließt das alles zusammen.
Ich würde - eigentlich egal für welchen Bereich meines Lebens - sagen, dass ich eher jemand bin, dem es um das Endergebnis geht. Die Schnelligkeit ist dabei zweitrangig. Während es im Berufsleben meist darum geht, schnell ein bestimmtes Ergebnis zu erzielen, bin ich froh, dass ich mich beim Musikmachen davon lossagen und ohne Zeitdruck auf das Ergebnis konzentrieren kann.

BODYSTYLER: Natürlich muss ich Dich nach dem Albumtitel befragen, da dieser erneut sehr prägnant ausgefallen ist. Da Du ein eher sozial denkender Mensch zu sein scheinst, vermute ich ja, dass es sich bei "Why live when you can rule" um eine gehörige Portion Ironie/Sarkasmus handelt. Was waren die Inspirationen für den Titel und kommen sie eher aus dem privaten Leben oder eher aus dem globalen Geschehen?

BJÖRN PERSIGLA: Deine Vermutung trifft tatsächlich zu - zumindest in Teilen. Ich möchte jetzt gar nicht großartig politisch werden, bin jedoch angewidert von vielem, was aktuell, in der (Welt-)Politik vor sich geht. Ich mag Herrscher genauso wenig, wie den Gedanken, beherrscht zu werden und Menschen, die sich selbst als Herrscher empfinden. Die weit weniger politische Aussage soll einfach sein: „Warum leben, wenn du das Leben rocken kannst“. Zum zweiten Teil der Frage kann ich sagen, dass gerade die mehrfache Auslegbarkeit und das kleine Fragezeichen, welches damit einhergeht, der Grund für die Wahl des Albumtitels waren.

BODYSTYLER: Nachdem das Intro verklungen ist, findet sich im ersten Song "Replaced sun" ein Zitat aus Deinem letzten Werk. Warum war Dir dieser Brückenschlag / diese Verbindung wichtig?

BJÖRN PERSIGLA: Das hat gleich mehrere Gründe: Zum einen trifft das besagte Zitat natürlich wie die Faust auf's Auge die Aussage des vorigen Albumtitels „A Hunter Must Hunt“. Gleichzeitig spielt das Zitat auch mit der Bedeutung des jetzigen Titels „Why Live When You Can Rule“.
„…close your hocused eyes, you will win a war with the one inside“. Vergiss das, was um dich herum ist, was um dich herum für eine Meinung über dich vorherrscht. Vergiss auch deine eigenen Vorurteile und Ängste zu deiner eigenen Person. Steh zu dir und zu der Welt um dich herum. Bleib ganz bei dir, geh in dich und du wirst viel mehr sehen und erreichen.
Mit „Replaced Sun“ einen Song und Opener zu machen, der eine Brücke zum letzten Album schlägt, war eine ganz bewusste Entscheidung. „Why Live When You Can Rule“ ist für mich persönlich ein Schritt, der auf das letzte Album quasi folgen musste. Bestimmt auch in vielen Punkten eine Weiterentwicklung oder vielleicht eher ein klarerer Richtungseinschlag des Sounds von Kasper Hate.

BODYSTYLER: Generell scheint es Dir etwas zu bedeuten, immer mal wieder Textzeilen, Fragmente oder Songs aus früheren Tagen in überarbeiteter Form in neue Werke einfließen zu lassen. Was gefällt Dir an der Idee, dass Deine Alben auf diese Art miteinander verwoben sind?

BJÖRN PERSIGLA: Mir gefällt genau das. Das miteinander verwoben sein. In der Tat gibt es in meinen Texten Passagen bzw. Aussagen, die sich für den aufmerksamen Hörer (in abgewandelter Form) auch in anderen Songs wiederfinden. Das ist übrigens gar nicht mal ungewöhnlich, auch wenn man das oft gar nicht so richtig mitbekommt. Aber um auf die Frage zurückzukommen: Ich stehe total auf Texte, auf gute Songtexte. Schon früher als Fast-Jugendlicher wollte ich immer gleich wissen, was da gesungen wird. In meinem persönlichen Fall ist es schlichtweg so, dass ich meine Texte mit Herz und Seele schreibe. Ich habe an mich selbst den Anspruch, mit Musik und Text und Gesang gleichermaßen zu unterhalten und bestenfalls zu erreichen. Dass ich dabei oftmals mit Metaphern arbeite, ist wohl für meine Texte genauso typisch wie bestimmte und prägnante Textzeilen, die hin und wieder auftauchen. Gerade für Intros, Interludes und Outros verwende ich gerne kleine Fragmente, Sounds und Melodiefetzen aus früheren Stücken, die ich dann in das neue Stück einarbeite. Hier spielt wieder die Idee des Verwobenseins eine Rolle.

"Two possibilities exist, either we are alone in the universe or we are not. Both are equally terrifying. (Arthur C. Clarke)":

BODYSTYLER: Das im Booklet verwendete Zitat von Arthur C. Clarke ist wirklich sehr prägnant und berührend. Wie bist Du darauf gestoßen und warum passte genau diese Worte zu Deinem neuen Album?

BJÖRN PERSIGLA: Die politische Spitze des Albumtitels hatten wir ja schon thematisiert. Stellen wir uns diesbezüglich nun einmal vor, wir sind nicht die einzigen (intelligenten) Lebewesen im Universum. Nun gehen wir noch einen Schritt weiter und stellen uns vor, die anderen Lebenswesen seien dem Menschen ähnlich in geistiger Hinsicht. Sie denken wie wir und sind ebenso feindselig, brutal und egoistisch. Und genauso besessen davon, sich und die eigene Macht zu vergrößern und auszuweiten. Beunruhigend, oder?

BODYSTYLER: Immer wieder finden sich in deinen Liedern sehr einschmeichelnde, aber auch recht ungewöhnliche Klänge. Woher kommen bzw. wie entstehen diese teils bizarren Sounds? Könntest Du bitte erzählen auf welche Art Du sie bearbeitest? Vielleicht würde sich als Beispiel das Instrumental "City" anbieten, um zu verdeutlichen, was als Kasper Hate-Klangquelle alles in Frage kommt?

BJÖRN PERSIGLA: Wenn ich einen Sound höre, der mir gefällt, wird der erst mal zurecht gebogen. In der Regel mit einer ganzen Reihe von Effekten. Andere Sounds bestehen aus mehreren einzelnen Sounds, die vorher miteinander kombiniert wurden. Gefällt mir letztlich dann ein fertiger, wird der zunächst in den Song eingebaut. Das muss aber nicht zwangsläufig dazu führen, dass er letztendlich auch im fertigen Stück zu hören ist. Und um ehrlich zu sein, ich mache mir beim Produzieren eines Songs keine Gedanken darüber, welche (Art) Sounds ich benutzen werde oder besser gesagt, welche Sounds zu dem Stück passen könnten. Entweder es löst etwas bei mir aus oder eben nicht.

BODYSTYLER: "Reasons to pretend" offenbart textlich mehrere Ebenen, die der Satz "I'm made of rage but I'm already tamed" gut zusammenzufassen scheint. Der Song endet jedoch in der Aussage "There's no reason to pretend, I'm made of rage", obwohl man das durch den immer noch recht ruhigen Gesang gar nicht so recht glauben kann. Wie kam es zum Kampf der inneren Dämonen und warum hast Du den Gegensatz zwischen Tonfall und der Aussage der Worte gewählt?

BJÖRN PERSIGLA: Um ganz ehrlich zu sein, „Reasons To Pretend“ ist eigentlich ein Liebeslied. Ich bin gemacht aus Wut, aber Du hast mich gezähmt. Was den Tonfall angeht, so ist Wut ja nicht zwangsläufig etwas, was herausgeschrien wird. Die stille Wut ist nicht weniger wütend als die offensichtliche.

BODYSTYLER: Angeblich sollen Indianer und große Jungs ja nicht weinen. Nun nennst Du einen Deiner Songs "Big boys cry" und sprichst im Text zu Dir selbst "Big boys don't cry". Wann haben Dir letztere Worte in Deinem Leben wirklich geholfen und was passiert nach deiner Erfahrung nach mit unterdrückten Tränen?

BJÖRN PERSIGLA: Unterdrückung jeglicher Emotionen ist ja nicht wirklich gesund und auf Dauer auch nicht machbar. Trauer und Schmerz gehören genauso dazu wie Freude und Liebe. „…the last man standing under blackened skies, whispering to myself: big boys don’t cry“: Die große Liebe ist fort, man fühlt sich wie der einzige Mensch auf der Welt. Trotzdem sagt der Betroffene sich selbst immer wieder, dass große Jungs nicht weinen, wobei sich das Ganze dadurch noch trauriger anfühlt. „Egal wie traurig ich bin und wie gut es tun würde, ich darf jetzt nicht weinen!“
Männer, die das Mannsein darüber definieren, dass man stets stark sein muss und keine Tränen zeigen darf, schneiden sich ins eigene Fleisch und zeigen dabei noch die größte Schwäche.
Der Titel des Songs, der im Kontrast zum Text jedoch „Big Boys Cry“ lautet, soll das nochmals bekräftigen. Denn wirklich große Jungs weinen!

"Ich mag Herrscher genauso wenig, wie den Gedanken, beherrscht zu werden..."

BODYSTYLER: "The flood" ist ein Song, der durch seine Kombination von bewegenden Worten mit Klängen, Rhythmen und Melodien, die für sich genommen wohl kaum mit einem Ertrinkenden assoziiert werden würden, fasziniert. Wie ist dieser Song entstanden und was war zuerst da - Text oder Ton?

BJÖRN PERSIGLA: "The Flood" ist einer der wenigen Songs, bei denen es zunächst das fertige Instrumental gab, bevor ich mich an Melodie und Text gemacht habe. Die wabernden Klänge und verhallten Sounds im Hintergrund rufen bei mir unweigerlich die Assoziation von dunklem Wasser und Wellen hervor. Seit Jahrzehnten muss ich immer mal wieder an das Volkslied der zwei Königskinder denken. Als Kind fand ich dieses Lied super gruselig und bedrückend. Aber irgendwie auch so faszinierend, dass ich es heute noch im Kopf habe. Daher war das Thema recht schnell gefunden. „I cannot come over to you“ war dabei die erste Zeile, um die herum dann der restliche Text entstanden ist. Vielleicht ist „The Flood“ sowas wie meine Interpretation der zwei Königskinder - oder meine Art, dieses furchtbare und doch schöne Lied endlich zu verarbeiten.

BODYSTYLER: "You got me broken" kann man ohne weiteres als recht beschwingt bezeichnen, was in Kombination mit den Zeilen "I have lost my spirit golden, all my scars are open, lord you got me broken" einen weiteren (scheinbaren) Gegensatz hervorzaubert. Gebrochen und doch befreit/erlöst?

BJÖRN PERSIGLA: Stimmungen und Emotionen sind ja ein ganz spezielles Ding und bei jedem anders ausgeprägt. Genauso empfinden wir ja verschiedene Reize ganz unterschiedlich. Für mich fühlt sich „You Got Me Broken“ z.B. gar nicht als kontrastreich an. Es kann sehr befreiend und erlösend sein, mal alle (alten) Wunden zu öffnen, die Schwächen zu offenbaren und diesbezüglich gebrochen zu sein oder sich brechen zu lassen. Am befreiendsten ist es allerdings dann, wenn auch eine Linderung oder Erlösung in Reichweite ist: „…is your hand upon me, will you set me free…is your hand upon me, will you save me…“.

BODYSTYLER: Nach all dem Drama und der Tragik in den vorangegangenen Liedern kommt "One heartbeat, one love" ja geradezu einem Wellness-Urlaub gleich. Allerdings ist der Fall aus Wolke 7 hart, wenn man kurze Zeit später bei "End of an end" mit erschütternden Kinderschicksalen konfrontiert wird. Welche Rolle spielt dabei das dazwischen befindliche "In the arms of unconsciousness" und warum war Dir dieses spezielle Kontrastprogramm ein Bedürfnis?

BJÖRN PERSIGLA: "One Heartbeat, One Love" ist in der Tat so etwas wie das weiche Kuschelkissen des Albums, während „In the arms of unconsciousness“ ja etwas düsterer und EBM-lastiger daherkommt. Aber genau deswegen hebt er sich von den anderen Songs auf seine ganz eigene Weise ab. Dass ich durchaus etwas übrig habe für Gegensätze, kommt hier wahrscheinlich einfach durch. Der Kontrast zu „ One Heartbeat, One Love“ lässt (hoffentlich) genauso aufhorchen wie der folgende Kontrast von „In The Arms Of Uncsonsciousness“ zu „End Of An End“.

BODYSTYLER: In unserem letzten Gespräch hast Du erzählt, dass Du mittlerweile ein Konzept für Konzerte im Kopf hättest. Bist Du in Sachen Live-Präsentation weiter gekommen?

BJÖRN PERSIGLA: Innerhalb der letzten Monate habe ich mich zugegebenermaßen ausschließlich mit dem neuen Album beschäftigt. Ich bin jedoch insofern weitergekommen, als dass das angesprochene Konzept nun steht. Im nächsten Schritt geht es nun darum, die Songs „konzertfähig“ zu machen. Wir bleiben also dran!