BODYSTYLER: Zunächst einmal herzlichen Glückwunsch zum Chartseinstieg! Platz 20 ist ja schon mal eine ordentliche Hausnummer? Was war der erste Gedanke, als ihr davon erfahren habt und wie habt ihr das Ereignis gefeiert?
SVEN FRIEDRICH: Dankeschön! Erstmal dachte ich „Wow, cool!“. Dann rief der Chef der Plattenfirma an, hat gratuliert und gemeint, dass es genau in dieser Woche so viele Veröffentlichungen gab wie selten und dass wir in der Vorwoche mit diesen Verkäufen sogar in die Top Ten gekommen wären… Gerade vor dem Hintergrund ist das Ergebnis sogar nochmal viel besser. Richtig zusammen feiern werden wir das erst bei unserem nächsten Konzert.
BODYSTYLER: SF hat mit Jeans Halbauer Zuwachs bekommen. Erzähle doch mal bitte etwas über die Umstände der Vermehrung. Woher kennt Ihr Euch und welche Rolle spielte der neue Schlagzeuger im Studio bei der Entwicklung der Aufnahmen?
SVEN: Ich hatte im letzten Jahr das Gefühl, dass wir mit SF an einem Punkt angekommen sind, wo man gerade die Live-Shows ein wenig erweitern könnte, den Fans auch mal was Neues anbieten sollte. Wir haben im vergangenen Jahr ein wenig experimentiert. So hatten wir bei zwei Shows Benni Cellini (Letzte Instanz) dabei, der uns mit dem E-Cello unterstützt hat. Das war auf jeden Fall toll, ziemlich anders und kam auch gut an. Danach wollten wir es mal mit einem Schlagzeuger probieren. Ich kannte Jeans von seiner Zeit bei Rabia Sorda und fand, dass er absolut außergewöhnlich spielt und sein Stil extrem gut zu elektronischer Musik passt. Ich hab mir damals schon gesagt: Wenn ich mal 'nen Live Drummer auf der Bühne haben sollte, dann nur ihn! Ja und dann haben wir das zum Darkstorm Festival ausprobiert. Ein Festival bietet sich insofern an, da Jeans nicht auf einen Schlag 25 Songs lernen musste, sondern erstmal nur zehn. Sowohl wir auf der Bühne, als auch die Leute im Publikum waren derart begeistert, dass wir das Experiment auf die folgenden Shows ausgeweitet haben. Zum Glück hat es Jeans auch viel Spaß gemacht und nun ist er zumindest bei den Konzerten, zu denen wir mit dem Auto fahren können, dabei. Bei den meisten Auslandsshows ist das vorerst noch nicht möglich, weil es zu teuer wird, aber in Deutschland und Umgebung geht das. Ich denke, in absehbarer Zeit haben wir ihn dann auch in Mexiko, Russland oder Finnland dabei (zwinkert).
Auf die Studioarbeit wirkt sich das allerdings gar nicht aus, denn bei der Produktion ist nach wie vor alles außer dem Gesang rein elektronisch und so soll es auch bleiben.
BODYSTYLER: Der Albumtitel "You win. Who cares?" wird in allen, die ihn lesen, die unterschiedlichsten Gefühle und Erinnerungen wecken. Von Wut bis Resignation, von globaler bis sehr persönlicher Interpretation dürfte da alles dabei sein. Welche Gewinner(typen) hattest Du im Kopf als Dir dieser Titel eingefallen ist?
SVEN: Alle, die großen und die kleinen. Und sie gehen mir unglaublich auf die Nerven. Und dieses ganze Gehabe ist so überflüssig und so sinnlos. Beim Versuch, vermeintlich besser, schneller oder größer zu sein als der andere geht so viel kaputt, aber das interessiert in dem Moment nicht. Die meisten sind dann auch noch zu blöd zu erkennen, dass die Welt sich gar nicht um sie selbst dreht und es völlig egal ist, ob sie Erster, Zweiter oder Letzter sind. Naja, Menschen eben… Es ist einfach Wahnsinn, wie Ich-bezogen die meisten sind.
BODYSTYLER: Wie gut konntest Du denn als Kind bzw. Teenager verlieren und wie ist es aktuell um Deine Nehmerqualitäten bestellt?
SVEN: Ich hatte noch nie besonders großen Ehrgeiz, gerade bei sportlichen Sachen oder bei Spielen. Ich fand das Ergebnis nie sonderlich wichtig, sondern hatte entweder Spaß am Spiel selbst oder eben nicht. Eine Ausnahme bildet da sicher die Musik. Wobei ich auch da nie der Beste werden wollte. Ich habe ja einige Instrumentalausbildungen hinter mir. Am prägendsten war sicher die an der klassischen Gitarre, zwischen meinem 6. und 13. Lebensjahr. Meine damalige Lehrerin hat mir damals schon gesagt: „Es wird immer Gitarristen geben, die besser sind als Du. Du kannst nur so viel an Dir selbst arbeiten, dass Du immer das absolut Beste aus Dir herausholst, dann wirst Du ein toller Musiker“. Ja, und so arbeite ich immernoch.
BODYSTYLER: Was sind aus Deiner Sicht die prägnantesten Unterschiede zwischen "You win, who cares?" und den Vorgängern?
SVEN: Zum einen gehe ich textlich noch einen Schritt weiter, werde teilweise noch direkter. Und musikalisch wage ich auch ein paar Experimente, was ich allerdings auf jedem Album mache. Dennoch glaube ich, ist "You win. Who cares?" eine konsequente Weiterentwicklung vom letzten Album. Es geht da weiter, wo „Another Manic Episode“ aufgehört hat.
"Ich habe früher fast nur ohne Ich-Persepektive geschrieben."
BODYSTYLER: Gab es wieder Tracks, die Dich/Euch besonders viel Nerven gekostet haben? Wenn ja, schildere doch bitte den Werdegang von der ersten Idee bis hin zum finalen Ergebnis.
SVEN: Auf jeden Fall „Too late“. Meine Güte, an dem hab ich so lange gefeilt. Ich glaube, der hatte vier oder fünf verschiedene Refrains. Den endgültigen habe ich tatsächlich erst beim Mixen geschrieben, also zu einem Zeitpunkt, als es dafür eigentlich schon zu spät war. Ich fand die Strophe super, aber der Refrain war immer problematisch. Beim Mixen ging mir dann der alte Refrain so auf die Nerven, dass ich kurz davor war, den Song zu kippen. Ich hab mir dann nur einen Tag gegeben, um einen Refrain zu schreiben, sonst fliegt er vom Album… Hat geklappt, zum Glück, jetzt bin ich happy mit dem Song.
BODYSTYLER: Deine Texte zeigen mal wieder, dass Du ein sehr guter und intensiver Beobachter bist. Hat sich diese Eigenschaft bzw. die Wahrnehmung Deiner Umwelt über die Jahre verändert? Beobachtest Du anders oder andere Dinge?
SVEN: Entweder das oder die Menschen sind anders geworden. Aber ich glaube tatsächlich, dass ich auf andere Dinge achte, dass ich in bestimmten Bereichen deutlich sensibler geworden bin und dass ich auch nicht mehr alles tolerieren will oder kann. Ja, wahrscheinlich bin ich einfach intoleranter geworden… oder weniger gleichgültig… am Ende ist es wohl das selbe…
BODYSTYLER: Auf dem neuen Album gibt es seit langer Zeit mal wieder zwei Songs komplett ohne Ich-Perspektive. Ist das Zufall oder könntest Du vielleicht sogar Gründe dafür benennen?
SVEN: Echt? Das ist mir gar nicht aufgefallen (zwinkert). Ist definitiv Zufall. Ich habe früher fast nur ohne Ich-Persepektive geschrieben, aber zu Solar Fake passt das Direkte und sehr Persönliche irgendwie besser.
BODYSTYLER: Der Song, der auf den ersten Eindruck die meisten Kanten besitzt, ist sicherlich "I don't fight back". Wie ist dieser Track entstanden und welche Entwicklungsstufen hat er durchlaufen?
SVEN: Oh, der war eigentlich relativ unkompliziert. Es war einer der ersten Songs, die ich geschrieben hatte. Ich fand es lustig, so etwas mal zu machen, eigentlich ein Song, der nach Gitarren schreit… Halt mal die umgekehrte Herangehensweise. Wie gesagt, ich muss immer ein wenig experimentieren (zwinkert).
BODYSTYLER: Im Booklet wird davon erzählt, dass es eine dritte Coverversion leider nicht auf das Album geschafft hat, da die Freigabe vom zuständigen Künstler/Verlag nicht erfolgt ist. Um welchen Song hat es sich denn gehandelt? "Precious" (Depeche Mode)? "Sunday" (Hurts)?
SVEN: Haha, nee. Für „Precious“ haben wir sofort eine Freigabe bekommen, der ist ja auf dem Acoustic-Live-Album drauf. Und für „Sunday“ haben wir es in der Live Version gar nicht erst probiert, weil da ein Teil eines weiteren Stücks enthalten war, nämlich „Nowhere Girl“ von B- Movie. Das macht es nahezu unmöglich, eine Freigabe zu bekommen. Nee, ich wollte „These things“ von She Wants Revenge machen. Hab ich auch gemacht, ist auch echt 'ne schöne Version geworden, aber der Verlag hat sich leider auf keine der vielen Anfragen zurück gemeldet. Naja, der Verlag von Editors und Archive war da viel unkomplizierter, wobei auch da die Versionen direkt von den Künstlern genehmigt werden mussten.
BODYSTYLER: Im Internet findet man eine Setlist aus dem letzten Jahr, in der ein Song namens "I quit" aufgeführt wird. Ist dieser im Laufe der Zeit umbenannt worden oder immer noch unveröffentlicht?
SVEN: Das ist „Anything you want“, der hat nur den Titel gewechselt, „I quit“ fand ich nicht mehr so passend.
BODYSTYLER: Das Cover bietet eine fast schon erdrückende, apokalyptische Optik. Überall finden sich Verfall und Zerstörung und das in düsterer Ausrichtung als noch beim deutlich heller gestalteten Booklet des Vorgängers. Wie sind die Bilder entstanden und gibt es wieder versteckte Dinge zu entdecken?
SVEN: Naja, das ist viel Arbeit mit Photoshop gewesen (zwinkert). Leider hatte ich nicht die Zeit, Dinge auf dem Cover zu verstecken. Aber ich habe auch fürs Booklet einige tolle verlassene Orte fotografiert. Da hab ich noch einiges an Bildern vorrätig. Ja, und das "Another Manic Episode"-Cover ist ja auch nicht gerade fröhlich, aber Du hast recht, es ist auf jeden Fall heller (lacht).
BODYSTYLER: Wird es nach "Sick of you" eigentlich noch weitere Videos zum Album geben? Wenn ja, gibt es schon Details zu berichten?
SVEN: Ja, aktuell sitze ich gerade in den letzten Zügen eines Lyric Videos zu „The pain that kills you too“. Einige Clips haben wir teilweise in echt gruseligen englischen und schottischen Hotels aufgenommen… Da wird es aller Wahrscheinlichkeit nach noch einen 2. Part von geben, mal sehen, ob wir das schaffen. Und dann arbeiten wir immer noch an dem Postkarten-Video. Wir hatten um den Jahreswechsel herum unsere Fans aufgefordert, kurze Videos mit unserer Postkarte zu machen. Jedem, der interessiert war, haben wir eine oder mehrere Postkarten geschickt. Wir haben wahnsinnig viele Einsendungen bekommen und können nur einen Bruchteil davon verwenden… Das Projekt ist leider viel aufwändiger, als wir uns das in unserem Leichtsinn gedacht haben. Na mal sehen, wie viele Videoclips wir daraus machen können.
"Es ist einfach Wahnsinn, wie Ich-bezogen die meisten sind."
BODYSTYLER: Aktuell kommt man bei SF an einem kleinen Tech-Talk nicht vorbei, da ihr eine von der Geschwindigkeit korrigierte Version des Mr.Kitty-Remixes von "A bullet left for you" zum freien Download zur Verfügung gestellt habt. Wie ist das letztendlich aufgefallen und vor allen Dingen: Wie kommt so etwas zustande?
SVEN: Ganz ehrlich? Ich habe keine Ahnung, wie das passieren konnte. Es war keine falsche Samplerate, der Track läuft einfach zu langsam. So blöd das klingt, bin ich wahrscheinlich, ohne es zu merken, an einen falschen Knopf beim Mastern gekommen. Nun hab ich ja die Remixes nicht so verinnerlicht, wie die eigenen Songs, sonst wäre mir das natürlich aufgefallen. So ist es halt Mr.Kitty persönlich aufgefallen. Ich glaube, er war nicht wirklich erfreut, aber mit meinem Vorschlag, den Track in den digitalen Downloads auszutauschen und ihn zusätzlich als kostenlosen Download anzubieten, war er dann einverstanden und ich glaube, jetzt ist alles wieder okay…
BODYSTYLER: Bei einigen SF-Stücken könnte man sich ohne weiteres eine "Gitarren-Version" vorstellen, was in diesen Fällen unweigerlich eine Brücke zu den Dreadful Shadows und Zeraphine schlägt. Ist in dieser Hinsicht noch einmal neues Material zu erwarten?
SVEN: Also bei den Dreadful Shadows bin ich schon vor vier Jahren offiziell ausgestiegen. Wenn da nochmal was Neues kommen sollte, dann ohne mich. Bei Zeraphine ist die Situation anders, uns gibt es immerhin noch. Dennoch habe ich keine große Hoffnung, dass wir es in absehbarer Zeit schaffen, ein neues Album oder neue Songs zu machen. Der Fokus hat sich dann doch bei allen Musikern zu weit weg bewegt. Aber es macht immer noch großen Spaß, Konzerte zu spielen.
BODYSTYLER: Gerne möchte ich Dich wieder nach Deinen musikalischen Highlights der letzten Monate befragen. Welche VÖs haben einen besonderen Eindruck bei Dir hinterlassen?
SVEN : Ich habe durch Zufall Get Well Soon und Metric für mich entdeckt. Letztere eigentlich schon während unserer USA-Tour. Ziemlich genre-fremd, aber trotzdem tolle Songs. Ansonsten bin ich großer Fan der beiden Songs „Far away“ und „Age of the disposable bodies“ vom gleichnamigen Grendel-Album. Den Rest des Albums finde ich auch toll, aber diese beiden Tracks sind wirklich Weltklasse. Die beste Entdeckung der letzten zwei Jahre ist für mich allerdings Sirus gewesen, ein Industrial-/ Goth-/ Dubstep-Act aus Australien. Das muss, soll und kann man ganz laut hören. Wahnsinn!
BODYSTYLER: Haben sich nach dem Oberhausen-Release-Gig bzw. generell den letzten Auftritten bereits einige der neuen Stücke herauskristallisiert, die live in Zukunft unverzichtbar sein werden bzw. solche, die auf der Bühne weniger gut funktionieren? Was für eine Mischung darf man von den kommenden Gigs erwarten?
SVEN: Na auf jeden Fall eine Mischung. Klar werden wir auf der Tour zum Album schon den Fokus auf den neuen Songs haben, aber natürlich werden wir auch ganz viele alte Songs spielen. Ich schätze, das wird sich auch erst während der Tour zeigen. Beim Release-Gig war ich viel zu nervös, um drauf zu achten, welcher Song eventuell besser funktioniert, als ein anderer. Sie haben alle riesigen Spaß gemacht, so viel steht fest… „The pain that kills you too“ spielen wir ja schon eine Weile live und der funktioniert super. Auch „Sick of you“ und „Invisible“ haben wir schon häufiger gespielt und sie haben ebenfalls extremen Spaß gemacht. Aber wie gesagt, das wird sich bei den Proben und bei den ersten Konzerten alles herausstellen…
BODYSTYLER: Vielen Dank und alles Gute!
SVEN: Dankeschön, Dir auch und bis zum nächsten Mal (zwinkert)