Funker Vogt

Gegen die Gleichgültigkeit

02.10.2018 - 2018 - es wird langsam Herbst und das neue Funker Vogt-Album "Wastelands" steht bereit, um das Laub von den Bäumen zu pusten. Es ist das zweite Werk der neuen Zeitrechnung, die mit dem Einstieg des neuen Sängers Chris L. eingeläutet wurde. Eben jener sowie der musikalische Kopf der Truppe Gerrit Thomas halfen dabei, das neue Funkverständnis zu erläutern. Von: Torsten Pape

Image Mein Funkverständnis, ja das reicht zur Not... (Foto: Promo)

BODYSTYLER: Innerhalb von nicht einmal zwei Jahren wurden drei Maxis/EPs, zwei Alben sowie zwei Re-Releases an den Start gebracht. Der Funker sendet offensichtlich wieder auf sehr hoher Frequenz und hat keine Zeit zu verlieren. Wie würdet Ihr die letzten Monate retrospektiv beschreiben wollen?

GERRIT: Da wir in den letzten Jahren live gar nicht bis sehr wenig unterwegs waren, konnten wir uns neben unseren anderen Bands und Projekten stärker auf die Studioarbeit konzentrieren, was natürlich dann viel Material abwirft. Außerdem macht es halt wieder richtig Spaß, weil wir ständig neue Ideen zusammen entwickeln.

BODYSTYLER: Beim letzten Album seid Ihr während der Produktion noch räumlich getrennte Wege gegangen und dieses Mal habt Ihr wirklich gemeinsam an den Songs gearbeitet. Wie entwickelte sich dabei das Bandgefühl, welche Dynamiken sind entstanden und wie habt Ihr den Lagerkoller vermieden?

GERRIT: Wir sind durch die Zeit während der Gesangsaufnahmen noch mehr zusammengewachsen. Man hat sich im Studio schon fast blind verstanden und abends immer noch ein paar Stunden mit 'ner Grillwurst auf der Terrasse gesessen und über Privates als auch Funker Vogt Betreffendes gesprochen. Sowas wie Lagerkoller kam nie auf. Jeder hatte seinen Rückzugsbereich und hätte gehen können, wenn‘s ihm zuviel geworden wäre - ist aber nur zum Schlafen passiert.

CHRIS: Es war ja beim letzten Album auch aus Zeitgründen nicht möglich, gemeinsam ins Studio zu gehen, dieses Mal hatten wir das im Vorfeld geplant und dadurch gestaltete sich die Arbeit viel flüssiger. So etwas wie Lagerkoller wird sich auch nicht einstellen, da wir Privates und Business sehr gut miteinander verbinden, aber auch trennen können.

BODYSTYLER: Chris, was kannst Du bei FV umsetzen, was bei Deinen anderen Projekten/Bands so nicht möglich wäre? Erzähle doch bitte auch, was die gravierendsten Unterschiede in der Herangehensweise an die Komposition/Aufnahme eines Songs sind?

CHRIS: Es startet ja bei mir meistens mit dem Song, es ist eher selten, dass man einen Text musikalisch umsetzen will. Es ist halt schön, dass Gerrit mir freie Hand lässt bei der textlichen und stimmlichen Umsetzung, so konnte ich meine Limits mal ausloten und viel experimentieren. Ich denke, das Endresultat überrascht nicht nur uns. Einige Songs sind aus Impuls entstanden und gehören wahrscheinlich zu den besten Stücken auf "Wastelands", wobei wir uns schwer tun, eindeutige Favoriten heraus zu filtern, da wir einfach zuviele gute Songs erschaffen haben.

"Töten, ob nun Mensch oder Tier, sollte nie als selbstverständliches Recht gesehen werden."

BODYSTYLER: Nachdem Ihr "Code of Conduct" mit dem Bild des "Phönix" eingeläutet habt, ist es auf "Wastelands" die Figur des "Ikarus", der man zu Beginn begegnet. Welche Aussage wolltet Ihr mit diesem Song an dieser exponierten Stelle treffen?

CHRIS: Ging es bei "Code of Conduct" ja noch darum, mit einigen Vorurteilen aufzuräumen, so geht es bei "Wastelands" eher darum, sich bewusst mit der heutigen Situation auseinander zu setzen, sich nicht in Gleichgültigkeit und Selbstverliebtheit zu verlieren. Allerdings ist es Zufall, dass diese beiden Songs die jeweiligen Opener geworden sind, was sich allerdings sehr gut in das Gesamtbild fügt (zwinkert)

BODYSTYLER: "Feel the pain" scheint ein Song zu sein, der kein politisches oder vom Krieg beeinflusstes Thema präsentiert. Ist dem wirklich so? Man kann ja auch den Schmerz eines besiegten Gegners fühlen... Wie ist der Text entstanden?

CHRIS: Genauso gut könnte der Text ja auch von einem zurückgelassenen Kameraden handeln (zwinkert). Ich lasse gerne viel Interpretationsfreiraum und möchte diesen hier auch nicht zerstören.

BODYSTYLER: Ich vermute mal, dass der Videodreh zu "Feel the pain" zu gewissen Teilen viel Spaß gemacht haben könnte. Erzählt doch mal bitte etwas über die Szenen unter der Salatschüssel mit den diversen Gesichtsentgleisungen.

GERRIT: Also, diese spastischen, touretteartigen Zuckungen sollten Schmerzen darstellen, die man spürt, wenn man Stromschläge verpasst bekommt, aber sich vehement dagegen wehrt. Da diese Sequenzen bei halber Geschwindigkeit des Songplaybacks aufgenommen wurden, hab ich sie lippensynchron doppelt so schnell abspielen können. Das wirkt dann natürlich noch befremdlicher als ohnehin schon. Aber war schon sehr lustig, als Chris dann losgelegt hat, diese Faxen zu machen...(lacht)

CHRIS: Na, danke für die Salatschüssel (lacht) Es war halt wenig Budget zur Hand, also haben wir aus den vorhandenen Ressourcen, wie eben dem Elektrischen Stuhl usw., das Maximum herausgeholt (zwinkert)

BODYSTYLER: Gibt es auf "Wastelands" Songs, die Euch besonderes Kopfzerbrechen bereitet haben? Welche Titel haben besondere Anstrengungen benötigt, um zu dem zu werden, was sie jetzt sind?

CHRIS: Erstaunlicherweise gar nicht. Wir hatten viel mehr Zeit für wesentlich weniger Songs eingeplant und als wir dann im Studio waren, lief es wie auf Autopilot, als hätten Gerrit und ich schon seit Jahrzehnten zusammen gearbeitet. Es sind in einem Drittel der Zeit wesentlich mehr Songs entstanden, als eingeplant waren, sodass wir bei dem Album komplett auf Remixe oder Lückenfüller verzichten und ein Album ohne für uns ersichtliche Schwachpunkte produzieren konnten.

BODYSTYLER: "Let's go to war" und "Lock and load" beschreiben Situationen, in denen Menschen sich mit einem Gewehr in der Hand stärker, besser oder gar allmächtig fühlen, "Desperado" hingegen das Trauma, das durch einen tödlichen Schuss im Schützen ausgelöst wird. Stets positioniert Ihr Euch dabei eindeutig gegen Waffen- bzw. Größenwahn. Habt Ihr jedoch eine Idee, wie das einzelne Individuum mit seinen jeweiligen Motiven (Gefühle der Hilflosigkeit/Verzweiflung oder der Rache/des Hasses) aus diesem, oft politisch forcierten Kreislauf der Gewalt ausbrechen kann?

CHRIS: Die Menschen sollten generell erst einmal damit anfangen, ihr "Recht", eine Waffe zu tragen oder Menschen aus den niedersten Gründen töten zu dürfen, aus ihren Schädeln verbannen. Es gibt keine Geheimformel, um solche Traumata zu verarbeiten, deshalb sollte man zweimal überlegen, ob man den Abzug zieht. Töten, ob nun Mensch oder Tier, sollte nie als selbstverständliches Recht gesehen werden. Man muss auch nicht auf eine Fliege schießen, weil sie einen nervt und man eine Waffe zu Hause hat. Leider ist die Macht der NRA ungebrochen und daran wird sich leider wohl auch so schnell nichts ändern. Ein jeder sollte genug Grips entwickeln, um zu wissen, welche Konsequenzen es mit sich bringt, wenn man den Abzug betätigt.

BODYSTYLER: Beim Song "Atme den Schmerz" kann man sich mehrere Szenarien vorstellen, in denen dieser Text Sinn macht. In welche Rolle seid Ihr hier geschlüpft?

CHRIS: Wir leben im 21ten Jahrhundert und nichtsdestotrotz raffen Krankheiten wie Krebs einen nach dem anderen dahin. Was in erkrankten und leidenen Menschen vorgeht, wissen wir meistens nicht, bis es uns selbst trifft. Das unnötige "am Leben erhalten" und damit teilweise das Verlängern der Schmerzen, ist kontrovers diskutiert. Sterbehilfe ist in vielen Ländern verboten und wird als unethisch betrachtet, leider werden die betroffenen Personen nicht mit einbezogen, viele schreien nach Erlösung von ihrem Leiden und erwarten sehnlichst ein Ende ihres Lebens. Es ist traurig loszulassen, aber man sollte auch nicht das Leiden einer geliebten Person aus puren Eigennutz und Egoismus unnötig verlängern.

BODYSTYLER: Wird es nach der Album VÖ erneut eine weitere Single bzw. EP geben?

GERRIT: Ja, mit der Auskopplung von „Ikarus“ kommt Ende des Jahres noch eine zweite Single von diesem Album heraus. Darauf enthalten sind dann zwei Versionen von „Ikarus“, zwei ganz neue Stücke und ein alter Klassiker in neuem Gewand - welcher, petz‘ ich noch nicht...

"So etwas wie Lagerkoller wird sich auch nicht einstellen, da wir Privates und Business sehr gut miteinander verbinden, aber auch trennen können."

BODYSTYLER: Über die Jahre habt Ihr mit jedem Album ein leicht verändertes Layout des Bandnamens präsentiert. Ist das nur ein (Running) Gag oder verbirgt sich dahinter ein tieferer Sinn? Wie ist diese Idee entstanden und wie darf man sich das dazugehörige Brainstorming des Grafikverantwortlichen vorstellen?

GERRIT: Genau daran wird es liegen. Über die Jahre hinweg haben wir immer wieder andere Grafiker an unseren Logos und Schriftzügen arbeiten lassen, die stets ein wenig an dem ursprünglichen Schriftzug verändert haben. Grundsätzlich sollte die Schriftart und der Look aber immer erhalten bleiben. Erlaubt sind da nur kleine Veränderungen, die dem jeweiligen Artwork zugute kommen.

BODYSTYLER: Ihr tretet demnächst im Berliner Nuke-Club auf. Die Besonderheit daran ist, dass es zwei Gigs an aufeinanderfolgenden Tagen mit unterscheidlichen Vorbands sowie unterschiedlicher Setlist sein werden. Wie ist diese Idee entstanden und wie genau wird sich das gestalten? Die wichtigste Frage wird für die meisten Fans aber wahrscheinlich sein, wie sehr sich die Songauswahl unterscheiden bzw. wie viele Überschneidungen es geben wird?

CHRIS: Es hatte sich so angeboten und da wir vor allem mit dem neuen Material an die Öffentlichkeit wollen, lag es nah. Natürlich wird der ein oder andere Klassiker nicht aus den Augen verloren, wir wollen die Jahre vor mir ja nicht totschweigen (zwinkert). Es wird logischerweise Überschneidungen geben, aber wir dachten, es ist die optimale Gelegenheit, auch mal Exoten einzubauen, die ansonsten nicht ihren Weg in unsere Setlist gefunden hätten. Das wird dann dementsprechend auf beide Tage verteilt.

BODYSTYLER: Beim letzten Mal haben wir ja darüber gesprochen, dass ein Festival mit all Euren Bands und Projekten sicherlich ein großer Spaß wäre. Nun ist für das nächste Jahr die Hybridize-Tour angekündigt, die diese Idee ja zu einem gewissen Teil aufgreift (leider ja ohne Berlin-Termin...). Habt Ihr die Sauerstoffzelte schon organisiert? Wie werdet Ihr Euch konditionell in Form bringen?

GERRIT: Also, ich persönlich habe körperlich dabei ja nicht so viel zu tun wie Chris und René. Letzterer muss ja sogar dreimal pro Abend trommeln! Er ist allerdings auch der Fitteste von uns und solche Anstrengungen gewohnt. Ich werde mir dann während der Agonoize-Shows einen Liegestuhl neben die Bühne stellen und mit 'ner ordentlichen Cowboy-Schorle den Feierabend genießen, während sich die beiden noch über die Bühne schleppen...

CHRIS: Es werden ja beide Bands kurz vorher einzeln in Berlin vertreten sein, so fiel Berlin raus. Wie wir das stemmen, wissen wir selbst noch nicht, aber wenn es mal läuft, dann läuft es eh’ auf Autopilot wie von alleine. Die Sets sind ja auch nicht so lang wie auf Einzelkonzerten.