!distain

Familienband(e)

10.11.2018 - Nachdem die Vorab-Singles "SynthPopBoy" und "Maid of freedom" ordentlich die DAC- und GEWC-Charts aufgemischt haben, erscheint nun das dazugehörige, achte Album des bayrischen Duos !distain. Alexander Braun und Manfred Thomaser gaben detailierte Auskunft zu "Farewell to the past" und beschäftigten sich zudem mit der Idee der SynthPop-Familie... Von: Torsten Pape

Image Deep inside everyone's a SynthPopBoy... (Foto: Barbara Andres)

BODYSTYLER: Das neue Album habt Ihr nach der Trennung von Rick wieder als Duo erdacht und umgesetzt. Wie kann man sich eine gemeinsame Studiosession bei Euch vorstellen? Entwickelt Ihr die ersten Ideen eher getrennt oder gemeinsam und wie nehmen diese dann im Kellerkind Studio bzw. der Lounge Noire Gestalt an?

MANFRED THOMASER: Fast jede gemeinsame Session beginnt mit zwei Tassen Tee. Es gibt während dieser Phasen keine festgelegten Arbeitsprozesse. Im Grunde darf jeder seine Ideen einbringen und sich austoben. Manche Ideen entstehen gemeinsam, andere wiederum in Momenten individueller Zurückgezogenheit. Die Basisidee zu "The Guest-House" entstand z.B. während einer gemeinsamen "Sitzung". Anschließend nahm ich diese Idee mit ins "Lounge Noire" und stieg tiefer in die Komposition ein. "SynthPopBoy" war dagegen bereits sehr weit fortgeschritten, als Alexander mir das Instrumental erstmals präsentierte.

ALEXANDER BRAUN: In einem solchen Fall arbeiten wir gemeinsam am finalen Arrangement und den Gesangsmelodien. Da kann sich dann durchaus noch einmal einiges verändern, muss es aber nicht zwangsläufig. Die Texte schreiben wir zumeist getrennt voneinander.

BODYSTYLER: Was waren die ersten Songideen und welcher Song nahm als letzter Gestalt an? Gab es Lieder, die Euch besonders schnell von der Hand gingen bzw. doch eher länger benötigten, bis sie Euren Ansprüchen gerecht wurden?

MANFRED: Der erste Song war "Der Hirtenmann", den ich Alexander und Rick 2015 präsentierte. Die beiden reagierten damals eher zurückhaltend. Zwei Jahre später sind Alexander und ich nochmal neu an Instrumental und Text heran gegangen und haben dem Song quasi eine neue Chance gegeben.

ALEXANDER: "Wake Me Up" kam gleich danach und stammte aus der Zeit, in der wir eine Weile nicht gemeinsam Musik machten. Aber das Gefühl, das dieser Song vermittelte, nachdem wir ihn gemeinsam ausgearbeitet hatten, bestärkte mich darin, mit voller Kraft weiter zu machen... Etwas mehr Zeit nahmen z.B. die Vocals von Seyhan in „The Cosmic Revolution“ in Anspruch. Um die scharfen S-Laute in den Griff zu bekommen, hatte ich sogar ein spezielles Plug-In von Waves gekauft… (lacht). Der letzte Song war tatsächlich "SynthPopBoy". Das Album war so gut wie abgeschlossen, aber ich hatte das Gefühl, ein solcher Song täte dem Album noch gut… Ob das stimmt, kann der geneigte Hörer ja selbst entscheiden…

BODYSTYLER: Der Albumtitel bringt bereits beim Lesen die Gedanken in Schwung. So zum Beispiel ist es wahrscheinlich gut, wenn man, sofern es um unliebsame oder gar schmerzhafte Erlebnisse geht, irgendwann einen Strich darunter ziehen und sie hinter sich lassen kann. Seid Ihr Menschen, die gut mit der Vergangenheit abschließen können?

ALEXANDER: Ich versuche es. Es ist zumindest mein großes Ziel, vermeintliche „Fehler“ lieber als Erfahrungen anzusehen, die mich bis hierher gebracht haben. Die Lektion zu lernen und dann nach vorne zu blicken... Das gelingt nicht immer gleich gut, da hilft dann die Verarbeitung durch Musik. Wie man ja z.B. bei „Letter To Myself“ sehen kann.

BODYSTYLER: Im Umkehrschluss wäre es interessant zu erfahren, ob Ihr gern in vergangenen, positiven Situationen schwelgt? Wie sehr begleitet Euch Eure Vergangenheit, in Eurem aktuellen Leben?

MANFRED: Das hier und jetzt beruht auf der jeweiligen Vergangenheit. Ich setze mich damit auseinander, d.h. so gut es geht. Die Musik ist eine Art Therapie. Ich plane aber auch sehr gerne, d.h. die Zukunft sollte später Teil einer besseren Vergangenheit sein.

ALEXANDER: Nostalgie ist bei mir durchaus ein Thema, im besten Falle erwächst aus dieser Sehnsucht etwas Neues. Wichtig ist, dass es nicht zu Stillstand führt.

"Es gibt grundsätzlich Zeiten, in denen Ethik, Moral und auch Musik die Menschen zusammen bringen."

BODYSTYLER: Mit "SynthPopBoy", Eurer ersten Single aus "Farewell To The Past", habt Ihr ja bereits ordentlich die GEWC- und DAC-Charts aufgemischt. Was bedeutet Euch dieser Erfolg und wie habt Ihr das gefeiert?

ALEXANDER: Mir bedeutet das sehr viel, besonders in Anbetracht der Tatsache, dass es von uns selbst produziert und gemischt wurde. So ganz ohne Hilfe von Produzenten traute ich mich das bisher nicht. Umso schöner ist diese Art der Wertschätzung und bestärkt mich darin, so weiter zu machen! Wir haben darauf erst mal mit einer Tasse Tee angestoßen! Prost...

BODYSTYLER: Warum bekommt das "SynthPopGirl" eigentlich erst nach so langer Zeit ein männliches Gegenstück? Und gehen die beiden vielleicht in Zukunft mal gemeinsam in den Club oder gründen gar eine "SynthPopFamily"?

MANFRED: Der "SynthPopBoy" kam uns tatsächlich erst 2017 in den Sinn. War zuvor schlichtweg kein Thema. Bei dem Altersunterschied ist er aber möglicherweise eher der kleine Bruder des "SynthPopGirls" als deren Liebhaber und gemeinsamer Familiengründer. Aber wer weiß das schon so genau? Die Idee der "SynthPopFamily" ist aber eine, über die wir nachdenken sollten.

ALEXANDER: Stimmt, das ist eine super Idee! Vielleicht bringen wir in ein paar Jahren auch noch den "SynthPopGrandpa" raus.(grinst)

BODYSTYLER: Kommen wir zur zweiten Single "Maid Of Freedom" - bei den beiden deutschen Textzeilen muss man unweigerlich an zwei in der Vergangenheit relativ populäre Werbespots (VISA und Nescafe) denken. War das ein bewusste Parallele oder eher ein unbewusster Einfluss oder ist dieser Bezug total abwegig?

ALEXANDER: Wo Du es sagst... aber das hatte ich bisher tatsächlich gar nicht auf dem Schirm. Mein Ziel war es eher, für mich selbst so eine Art Mantra zu erschaffen, das mir dabei hilft, nicht immer so bescheiden zu sein. In diesem Zusammenhang fällt mir ein: Zu mir würde auch der „SoftSynthPopBoy“ passen. (Manfred lacht laut)

BODYSTYLER: Wie ist denn eigentlich die Idee mit dem "kosmischen" Einstieg ins Album entstanden und wie kam die interstellare Reisebegleiterin ins Spiel?

MANFRED: Die erste textliche Idee zu "The Cosmic Revolution" entstand spontan im Studio, als wir am Instrumental saßen. Diese ersten Textpassagen habe ich später ausgebaut. Zur Idee einer Reisegruppe, die durch das Universum düst, gehört natürlich auch das Organisationsteam der Reise. Diesen Job übernahm Seyhan, die uns im Song erzählt, wo im Universum wir uns jeweils befinden.

BODYSTYLER: Was könnt Ihr zum "kaputten Klavier" in "Targets" erzählen?

ALEXANDER: Der Sound heißt tatsächlich „Broken Piano“. Wir wollten das intellektuelle Niveau der Platte etwas anheben … naja … "Der Hirtenmann" hat´s dann wieder kaputt gemacht. Aber der ist ja immer schuld...

BODYSTYLER: "Der Hirtenmann" ist mit Sicherheit ein Lied, das jedem auf dem Album besonders auffallen wird. Ich habe bis jetzt erlebt, dass man es recht unterschiedlich deuten kann. Was war Euer Ansatz, um diesen Text zu schreiben und wie entwickelte sich die musikalische Umsetzung?

MANFRED: Der Text basiert auf der menschlichen Historie aber auch auf eigenen Erlebnissen. Grundsätzlich geht es darum, welche Wirkung Gerüchte entfalten können. Ausgangslage ist eine Mordserie in einem nicht näher bezeichneten Ort, die (zunächst) ungeklärt bleibt. Die ersten Gerüchte entstehen, denn natürlich fragen sich die Bürger, wer für die Gräueltaten verantwortlich ist. So entwickeln sich Schauergeschichten vom "Hirtenmann". Es ist unklar, ob dieses Wesen jemals wirklich gesehen wurde oder existiert.

ALEXANDER: Dem "Hirtenmann" werden Eigenschaften zugeschrieben, die ein Mensch aktuell nicht hat. Er tötet mit seinem Blick, aber nicht einmal den benötigt er für seine Taten. Er geht durch Wände und ungeöffnete Türen etc. In unserer Geschichte glauben viele Menschen daran. Vielleicht weil sie daran glauben wollen. Zunächst aber müsste geklärt werden, ob der "Hirtenmann" existiert und darüber hinaus ein Mörder ist. Ein Teil der Bevölkerung ist davon überzeugt. Die wichtigsten Zeilen des Songtextes sind:
"und war es nicht der Hirtenmann
man klagt ihn dennoch an"

MANFRED: Das bringt uns zu der Frage, wer hinter den Gerüchten steckt, wenn es den "Hirtenmann" nicht gibt bzw. er unschuldig ist. Wer profitiert davon? Wer versteckt hinter den Gerüchten sein eigenes Handeln?

ALEXANDER: Wie schon gesagt, entstanden Instrumental und Text vor einigen Jahren. Der "Hirtenmann" brauchte also viel Zeit, bis er zu einem fertig produzierten Song wurde. Wir haben uns nach Ricks Ausstieg erneut des Themas angenommen und einen Weg gefunden, Text und Musik gesanglich zu interpretieren. Im Studio haben wir während der Gesangsaufnahme sehr viel gelacht, weil es wirklich absurd ist, dass ich mit meiner Stimme den "harten Mann" markiere (ich als SoftSynthBoy). Aber darüber haben wir nicht vergessen, worauf dieser Text basiert.

BODYSTYLER: "Waiting For A Song" behandelt das Thema der Suche nach einem Song, der in den Gehirnen der Hörer etwas bewegt. Wie kommt man auf diese Idee und wie begegnet Ihr der Inspiration im täglichen Leben?

MANFRED: Ich habe mich immer wieder mal gefragt, welche Songs waren die letzten, die eine umfangreiche gesellschaftliche Veränderung hin zu mehr Demokratie einleiteten oder zumindest begleiteten. Als Beispiel gelten die Kompositionen, die sich gegen den Vietnam Krieg stellten. Es gibt grundsätzlich Zeiten, in denen Ethik, Moral und auch Musik die Menschen zusammen bringen. "Live Aid" war ein Statement.

ALEXANDER: Wir hinterfragen, was von diesen Momenten übrig geblieben ist. Ein Song alleine kann Meinungen prägen. Die Wirkung kann aber auch schnell wieder verpuffen.

"Es ist zumindest mein großes Ziel, vermeintliche „Fehler“ lieber als Erfahrungen anzusehen, die mich bis hierher gebracht haben."

BODYSTYLER: Ein weiterer sehr persönlicher Song ist "Letter to myself", der auch die Zeile enthält, die zum Albumtitel wurde. Alex, beschreibe doch bitte noch einmal in diesem Rahmen, was dieser Brief für Dich bedeutet und wie man dieses schriftliche Selbstgespräch verstehen darf?

ALEXANDER: Ich fand die Idee sehr reizvoll, mit meinem jüngeren Ich in Kontakt treten zu können und mit der „Weisheit“ und den Erfahrungen des erwachsenen Ichs das Kind in mir zu umarmen, es zu trösten und zu sagen: "Du schaffst das schon!" Ich glaube, das täte jedem gut, denn jeder hat Verletzungen aus alten Tagen.

BODYSTYLER: "The Guest-House" wurde durch einen Zeitungsartikel über einen Serienmörder inspiriert. Manfred, wie darf man es sich vorstellen, was beim und nach dem Lesen in Deinem Kopf passierte und wie wurde daraus der Song? Zu welchem Zeitpunkt kam denn Euer Gast Oren Amram ins Spiel?

MANFRED: "The Guest-House" ist inspiriert von Herman Webster Mudgett, alias Henry Howard Holmes, der um 1890 herum in Chicago zahlreiche Mieter seines Hauses bzw. Gäste des später in ein Hotel umgebauten Gebäudes ermordete. Ich war geschockt als ich den Artikel las. Diese Wirkung hielt an und verfolgte mich. Um den Mann wieder los zu werden, schrieb ich den Text zu "The Guest-House", aus dem ein Mix aus realer und fiktionaler Geschichte wurde. Es geht um eine Person, die sich durch die Jahrhunderte mordet. Es geht aber auch um das Gastrecht, Vertrauen, Betrug etc.
Oren kam ins Spiel, als der erste Teil des Songs stand. Wir brauchten einen Sprecher für die Strophen, die man aus unserer Sicht mittels Gesang abgeschwächt hätte. Der instrumentale zweite Teil des Songs schloss sich an diese Phase der Komposition an.

BODYSTYLER: Es steht bereits seit längerem die Idee einer dritten Single im Raum. Gibt es dazu schon etwas Konkretes zu vermelden?

ALEXANDER: Hier wollten wir mal schauen, welche Rückmeldungen wir zum Album so bekommen. Vielleicht kristallisiert sich ja ein Favorit heraus. Wir sind hier also durchaus für Vorschläge z.B. via Facebook dankbar.

BODYSTYLER: Mir ist zu Ohren gekommen, dass sich mit einer Vinylveröffentlichung für Euch ein Traum erfüllen würde. Was steht dem noch im Wege und in welcher Form könntet Ihr Euch das vorstellen?

MANFRED: Ich bin mit Vinyl aufgewachsen. Klanglich würde ich Vinyl gegenüber einer CD oder einem MP3 file immer vorziehen. Musik auf Vinyl hat somit eine andere Wertigkeit für mich. Musik auf CD hat auch eine andere Wertigkeit als ein MP3 file. Insoweit besteht der Wunsch nach einer !distain Vinyl seit Jahren. Aber bislang ließen sich unsere Pläne finanziell nicht umsetzen.

ALEXANDER: Vor einigen Jahren stand z.B. im Raum, "Cement Garden" als Doppel-Vinyl zu veröffentlichen. Wir hatten das Artwork bereits abgeschlossen, als der Release aus Kostengründen abgesagt wurde.

BODYSTYLER: Ihr seid eine Band, die recht selten auf der Bühne zu erleben ist, obwohl sich viele Fans mehr Konzerte von Euch wünschen. In welcher Form werdet oder würdet Ihr gern die neuen Songs live präsentieren?

ALEXANDER: Also am liebsten sehr laut, tanzend, schreiend und mit gaaanz vielen Fans. Wir halten Euch auf dem Laufenden...

BODYSTYLER: THANX!!!