Kasper Hate

Generation Mixtape

17.04.2019 - "Play More Synthpop" - so heißt das neue Album des Hamburger Projektes Kasper Hate. Das kann man natürlich ebenso als freundliche Bitte, aber auch als deutliche Aufforderung verstehen. In jedem Fall wäre bei einem Anstieg der Synthie-Pop-Quote die Welt ganz bestimmt nicht schlechter, sondern vielleicht sogar ein wenig besser. Wir schenken Björn Persigla, Kopf und Sänger der Band, gern Gehör. Von: Torsten Pape

Image Triebfedern des Synthpops (Foto: Roberto Antonietti)

BODYSTYLER: Blickt man ein wenig zurück in die KH-Diskographie, so stellt man fest, dass die letzten Alben immer gut ein Jahr auseinander liegen. Diese Konstanz ist beeindruckend, andererseits weiß ich bereits, dass die Arbeiten an "Play More Synthpop" gut drei Jahre gedauert haben. Wie darf man sich diesen Schaffensprozess vorstellen und wie trennst Du letztendlich Deine Album-Projekte?

BJÖRN PERSIGLA: Das mag beim ersten Hinschauen sehr viel aussehen, allerdings liegt zwischen dem Fertigstellen eines Albums und der Veröffentlichung auch noch mal ein gutes halbes, wenn es schlecht läuft auch ein gutes dreiviertel Jahr. Da ich aber seit mehr als 15 Jahren fast jede freie Minute nutze, um Musik zu machen, habe ich immer recht viele angefangene Songs, Textfragmente oder Melodieteile herumliegen, die ich dann entweder verwerfe oder aber irgendwann in passender Stimmung nochmal ausgrabe und weiter bearbeite. Als die Songs des letzten Albums „Why Live When You Can Rule“ fertig waren und es ans Label ging, haben wir schon monatelang an den Songs für „Play More Synthpop“ geschrieben und gearbeitet. Da wir eine sehr genaue Idee davon hatten, wie die Stimmung des Albums sein soll, wollten wir das Release diesmal für das Frühjahr planen, nicht wie bei allen Vorgängern für Herbst/Winter. Einzelne Alben oder Albumprojekte zu trennen ist insofern kein Problem, als dass jedes Album durch ein Konzept in meinem Kopf entsteht. Die Songs müssen daher zum Albumkonzept passen. Vielleicht ist das sowas wie mein imaginärer, roter Faden oder einfach ein kleiner Trick, um sich nicht in unzähligen Einzelprojekten und Frickeleien zu verlieren… Darüber hinaus ist ein Song dann fertig, wenn er sich so anfühlt. Man spürt, ob es das ist, was man sich vorgestellt hat und das, was man damit vermitteln will.

BODYSTYLER: Dieses Mal tue ich mich etwas schwer damit zu erkennen, ob es wieder Querverweise zu früheren Songs gibt. Wie ich Dich kenne, gibst Du doch bestimmt gern ein paar sachdienliche Hinweise, oder?

BJÖRN PERSIGLA: Mit Querverweisen habe ich mich bei diesem Album in der Tat etwas zurückgehalten. Das liegt daran, dass ich darauf bedacht war, das neue Album als komplett eigenständiges Konzept zu behandeln, ohne direkte, gedankliche Verbindung zum Vorgänger, wie es bei „A Hunter Must Hunt“ und „Why Live When You Can Rule“ der Fall war. Querverweise sind diesmal eher durch kleinere textliche Anspielungen zu finden und auch die bei den letzten beiden Alben verwendete „Einrahmung“ mit Hilfe von Intro, Interlude und Outro haben wir über Bord geworfen.

BODYSTYLER: Können Songs und Texte bei Dir in jeder Lebenslage entstehen oder braucht es gewisse Umstände/Stimmungen, die Dich inspirieren?

BJÖRN PERSIGLA: Sowohl als auch. Manche Texte entstehen mehr oder weniger nebenbei während andere tatsächlich Lebenslagen oder Situationen widerspiegeln, die ich so be- und verarbeite. Das können sowohl gute oder fröhliche Dinge sein, es können aber auch andere Themen wie Verlust, Schmerz und Trauer in einen Song einfließen. Das ist ja gerade das Schöne daran: die Musik ist ein Hobby aus Leidenschaft, das gleichzeitig zu einem gewissen Teil eine Art Eigentherapie ist. Mindestens genauso schön, wie durch die eigene Musik eine Aussage machen zu können und sich zu positionieren.

BODYSTYLER: Natürlich impliziert der Albumtitel, dass Du Deine Musik in das Synth-Pop-Genre einordnest und damit mehr gehört werden möchtest. Andererseits ist es ja eine recht universelle Aufforderung, die man generell an Radiostationen oder DJs richten könnte. In welcher Situation bzw. aufgrund welcher Erlebnisse ist der Albumtitel denn genau entstanden?

BJÖRN PERSIGLA: Die Antwort hierzu ist recht einfach und denkbar unspektakulär. Genau aus diesen beiden, in deiner Frage schon formulierten Gedanken ist der Albumtitel entstanden.

BODYSTYLER: Wenn Du denn selbst Deine Musik als Pop kategorisierst, so weicht diese Definition doch ein wenig von der üblichen Auslegung ab, da der Aufbau Deiner Songs deutlich komplexer und die Art der verwendeten Klänge vielschichtiger ist, als man es von einem klassischen Pop-Song gewöhnt ist. Wie würdest Du in eigenen Worten beschreiben, was Pop für Dich bedeutet? Wo fängt Pop an und wo hört er auf?

BJÖRN PERSIGLA: Das ist meiner Ansicht nach reine Definitionssache, wenn auch trotzdem diskussionswürdig. Dreht man die Zeit ein paar Jahrzehnte zurück, nehmen wir mal die 80er und 90er Jahre, erinnert man sich, dass populäre Musik in viel weniger Untergenres eingeteilt war bzw. es gab einfach noch nicht so viele verschiedene Genres. Ich nenne jetzt als Beispiel mal die Musik-Hünen Pop und Rock. Synthpop, Elektropop, Indierock, Grunge, etc. - nahezu alle Abspaltungen sind nach und nach aus diesen beiden Musikrichtungen heraus entstanden bzw. haben dort ihre musikalischen Wurzeln. Die daraus gewachsenen Genres haben sich dann etabliert, manche nur eine Zeit lang, manche bis heute. Noch pragmatischer heruntergebrochen ist Popmusik nichts weiter (und irgendwie doch so viel mehr) als populäre Musik und auch wenn es bei Kasper Hate Ausschläge in Richtung EBM, Trip Hop, Leftfield oder auch Deep House gibt, so sehe ich unsere Musik doch im Synthpop oder auch im Elektropop. Wobei mir hier der Unterschied selbst oft so verschwommen erscheint, dass ich das jetzt einfach zusammenwerfe. Auch darüber kann man natürlich diskutieren…

BODYSTYLER: Du hast einmal erzählt, dass Deine Songs meist auf der Gitarre erste Gestalt annehmen. War das auch bei der neuen Platte so und wenn ja, wie darf man sich den Übergang in die synthetischen Klangwelten vorstellen? Wäre es denkbar, dass diese Gitarrenversionen einmal das Licht der Öffentlichkeit erblicken? Oder könntest Du Dir vielleicht sogar ein Nebenprojekt in dieser Richtung vorstellen?

BJÖRN PERSIGLA: Könnte ich! Ich hatte sogar selbst schon des Öfteren daran gedacht, die Songs einfach mal als Gitarrenversionen aufzunehmen, die Soundspielereien machen mir aber schlichtweg einfach mehr Spaß. Ansonsten ist das gar nicht so kompliziert. Ich schreibe die Gesangsmelodien nach wie vor auf bzw. mit der Gitarre, nehme sie auf und baue dann Stück für Stück den Song drumherum. Das mit der Gitarre mache ich einfach, weil mir dabei die besten Ideen für Melodien kommen und mir diese, egal ob nun Gesangsmelodie oder einzelne Leadsynthies, extrem wichtig sind.

BODYSTYLER: "Down the upward spiral" ist mit seinen gegenläufigen Worten und Sounds ein toller, spannender Einstieg ins Album, der sofort die volle Aufmerksamkeit des Hörers abfordert. Wie sind die ungewöhnlichen, unregelmäßigen Rhythmen sowie die Wortspiele entstanden?

BJÖRN PERSIGLA: Der erste Song des Albums ist interessanterweise gleichzeitig der letzte Song, der für das Album entstand. Der Text und damit auch das gesamte Endprodukt entspringen letztendlich aus dem angedeuteten Wortgegensatz: „Drag me down to you, drag me down the upward spiral“. Das war die erste Textzeile, um die sich der restliche Text und der ganze Song mit jedem einzelnen Sound dreht.

BODYSTYLER: Mit "You put a spell on me" folgt ein absolut groovender Song. Vielleicht kannst Du anhand dieses Liedes einmal beschreiben, wie Du Deine Klänge kreierst und zusammenstellst. Den einen, prägnanten hätte ich ja zum Beispiel "aufkommender Ball" genannt... (zwinkert)

BJÖRN PERSIGLA: Die Ballassoziation ist tatsächlich passend! Ich hätte da noch die Hexenharfe in den Instrumentalparts im Angebot. Aber womöglich bin ich durch den Text und den Titel etwas beeinflusst. Die Klänge und Sounds, die ich verwende oder programmiere, entstehen erstmal rein intuitiv aus der Songidee heraus. Bis ein gewählter Sound dann klingt wie im finalen Song muss er allerdings in den meisten Fällen noch einiges an Effekten, Filtern und/oder das Kombinieren mit anderen Sounds überstehen. Ich muss da ab und zu aufpassen, dass ich mich nicht in stundenlangen Soundspielereien verliere… Daraus ergeben sich aber dann im besten Fall solch schön abgefahrenen Sounds wie die schon erwähnte Hexenharfe, Ping Pong, Lightning Bolt, Electric Fish oder Cowboy Guitar.

BODYSTYLER: "Divine" überrascht durch die klaren Klänge und den andersartigen Gesang. Wie ist Dir denn dieses kleine Pop-Juwel in den Sinn gekommen und was kannst Du über die Gesangsaufnahmen bzw. die eingesetzten Effekte erzählen?

BJÖRN PERSIGLA: Die Stimmeffekte waren reiner Zufall. Eigentlich war der Song wesentlich langsamer gedacht und der Gesang im ganzen Stück hoch gepitcht. Irgendwann hab ich den Song dann final eingesungen und einfach mal den trockenen und den gepitchten Gesang übereinander gelegt. Daraus entstand quasi ein ganz neues Songkonzept mit dessen Ergebnis ich sehr zufrieden bin. "Divine" ist vielleicht der, nennen wir es mal beschwingteste Song auf dem Album.

BODYSTYLER: "Numb", "All I never wanted" und vielleicht auch das Instrumental "Bitter Bitch" stechen insofern aus dem ansonsten eher positiven Kontext des Albums heraus, da sie recht traurige bzw. verletzte Gefühle beschreiben. Wieso war es Dir wichtig, diese Songs genau an diesen Stellen einzufügen?

BJÖRN PERSIGLA: Mit "Play More Synthpop" wollte ich ein Album machen, das eine eher tanzbare und positive, wenn auch oftmals melancholisch behaftete Stimmung aufweist. Wobei clubtaugliche Songs ja durchaus melancholisch sein können, wie im Fall von „Bitter Bitch“, „Heaven Was Wide“ oder auch „Down The Upward Spiral“. Ebenso können tanzbare Songs eine nachdenkliche Botschaft vermitteln, wie bei „Numb“. Gefühle wie Schmerz oder Wut lassen sich übrigens hervorragend raustanzen! Für unsere Verhältnisse gibt es aber tatsächlich und bewusst wenige, wenn man es so nennen will, Balladen auf dem Album. Für mein Empfinden zumindest trifft dieser Begriff nur auf „All I Never Wanted“ und auf das dazu völlig konträre „Golden“ zu.

BODYSTYLER: Ich habe mich ja sehr gefreut, dass Du einen Song über das Phänomen des Mixtapes gemacht hast. Ein Mixtape ist (war?) so eine schöne Art der Liebeserklärung, aber auch ein wahrer Freundschaftsbeweis, den die beste, geteilte Playlist nicht ersetzen kann, oder? Beschreibe doch bitte Deine persönliche Geschichte zum Mixtape und wie Du sie in die Neuzeit gerettet hast.

BJÖRN PERSIGLA: Ich gehöre ja zur Generation Mixtape und erinnere mich gerne daran. Man hat Mixtapes für Kumpels aufgenommen, um Musik auszutauschen, hat sich gegenseitig zu jeder Gelegenheit Mixtapes geschenkt oder sie als Flirtversuch genutzt. Die Dinger zu machen, war ja im Vergleich zu heute echte Knochenarbeit und super zeitaufwendig. Aber irgendwie hat man sich damit mit Freude stundenlang aufgehalten, daneben gesessen, gespult, aufgenommen, umgedreht, nochmal gespult, das Kassettencover beschriftet und mit coolen Bildern bebastelt. Was für ein charmanter Freundschaftsbeweis und was für eine schöne Liebeserklärung war das bitte?! Ich hatte auch einen, unter meinen Freunden schon berüchtigten Schuhkarton voller Kassetten im Auto wobei ich die Hälfte der Fahrtzeit dann mit Suchen und Spulen verbracht habe. Mixtapes waren einfach eine coole Sache und sind nicht vergleichbar mit Playlisten. In diesem Sinne: „I wanna be uncool. I wanna be oldschool. I make a mixtape for you – to show my love.“

BODYSTYLER: Beim Abschlussong "Die Glocke" dachte ich ja zunächst, dass es hier gleich gewaltig Schillert, aber der Ursprung ist dann offensichtlich doch ein anderer. Woher stammt dieser Text und wie hat sich dieser Song die Ehre des letzten Tracks verdient?

BJÖRN PERSIGLA: Der Text stammt von mir und ist in Teilen schon Jahrzehnte alt. Das war eigentlich mal eher als Gedicht gedacht. Bei meinem Umzug im letzten Jahr habe ich das Büchlein mit dem Text dann irgendwo wieder ausgegraben. Anstatt ein weiteres Intro mit gesprochenem Inhalt zu machen, wollte ich dieses Mal schlichtweg einen letzten Song machen, der das Album auf ganz eigene Art und Weise abschließt und eine Art Gute-Nacht-Geschichte erzählt. Eine zugegebenermaßen etwas morbid anmutende…

BODYSTYLER: Was kannst Du denn dieses Mal zum Artwork berichten für das erneut Roberto Antonietti Bilder beigesteuert hat? Wo zwischen "Birdman", "Geteert und gefedert" und "Paradiesvogel" ordnest Du denn selbst das außergewöhnliche Coverbild ein?

BJÖRN PERSIGLA: Das Artwork hat in diesem Fall eigentlich keine tiefsinnigere Bedeutung. Ich bin nach wie vor ein großer Fan von Robertos Bildern, seiner Kreativität und seinem Mut, etwas anderes zu machen. Und mit dem Thema des Artworks hatte ich schon bei der Namensfindung für das Album geliebäugelt.

BODYSTYLER: Im letzten Interview hast Du davon gesprochen, dass Du dabei bist, Deine Songs bühnentauglich zu machen. In guter Tradition erkundige ich mich also mal wieder nach dem Stand der Dinge...

BJÖRN PERSIGLA: Shame on me! Ich kann noch keine großen Fortschritte vermelden, wenn es darum geht, anstehende Konzerte zu vermelden. Das heißt aber nicht, dass der Gedanke verworfen ist. Ich kann zumindest sagen, dass die Songs von „Play More Synthpop“ bereits live umsetzbar sind…

BODYSTYLER: THANX!!!

BJÖRN PERSIGLA: Ich habe zu danken.