Kontrast

Was ist das Gegenteil von "Unaufhaltsam"?

28.08.2019 - Es war anno 2014 da brachten uns Kontrast, die Erzeuger synthetischer Musik mit eingebautem Formulator, den "Balance"-Akt zu Gehör. Fünf Jahre später geht es (mit) "Unaufhaltsam" weiter und das neue Album betört durch spannende Klänge, einem Wortakrobaten in Hochform und sogar dem ein oder anderen Hit. Frontmann Roberto und Soundtüftler Dirk widmeten sich dem Fragen-Katalog aus dem Bodystyler HQ. Von: Torsten Pape

Image Im Kontrast-Reich kommt das Licht immer von beiden Seiten... (Foto: blackprintMercurius)

BODYSTYLER: Erneut geht eine eher Kontrast-arme Zeit zu Ende und ein neues Album erblickt das Licht der Welt. Wie gelingt es Euch immer wieder, das Kontrast-Konstrukt mit Leben zu füllen? Was sind die Triebfedern der Kontrast-Konstanz?

ROBERTO: Für Dirk und mich ist es anscheinend zur guten Gewohnheit und in gewisser Weise zum Ritual geworden, dass wir unsere Erlebnisse und Erinnerungen musikalisch und textlich mit Kontrast verarbeiten. Über die Jahrzehnte hat sich dabei eine Art Selbstverständnis entwickelt, das uns nicht selten selbst überrascht: Für „Unaufhaltsam“ war es zu keinem Zeitpunkt so, dass es irgendetwas zu erklären oder zu rechtfertigen gab. Stattdessen hat jeder von uns einfach die Ideen beigesteuert, die er im Sinn hatte - und es hat ganz einfach mit den Einfällen des Anderen zusammen gepasst.

BODYSTYLER: Ihr habt die Tradition, jedes Album mit Hilfe von mindestens einer Nordsee-Session entstehen zu lassen, die ihr stets in der kalten Jahreszeit bei warmen bzw. wärmenden Getränken abhaltet. Wie stellt Ihr sicher, dass bei all diesen konstanten Rahmenbedingungen immer wieder neue Ideen entstehen?

DIRK: Diese Sessions sind deswegen so wichtig für uns, weil sie uns die Gelegenheit geben, wirklich zur Ruhe zu kommen und unsere Ideen auszuarbeiten. Zuhause ist das mit den zahlreichen Verpflichtungen des Alltags nicht so einfach, aber an der Nordsee können wir unseren Gedanken freien Lauf lassen. Hinzu kommt, dass wir durch die gemeinsame Kommunikation häufig Ideen weiterentwickeln, bei denen einer alleine nicht mehr weiter kommt. „Plänterwald“ beispielsweise ist so ein Song, der lange auf die passende textliche Umsetzung wartete, ähnlich wie „Karussell“ von unserem vorherigen Album „Balance“. Die abweisende Atmosphäre des im Spätherbst stets menschenleeren Feriendorfs lässt gar nichts Anderes zu, als sich auf sich selbst zu besinnen - zumal es bis vor zwei Jahren dort mit Handy-Empfang oder gar Internet sehr, sehr schwierig war.

"Eigentlich wäre es mal Zeit für eine „Greatest Hits“-Zusammenstellung."

BODYSTYLER: Mit "John Schehr und Genossen" und "Plänterwald" habt Ihr ganz bewusst markante Vorzeichen gesetzt und sie repräsentieren das wieder etwas kantiger ausgefallene Album natürlich sehr gut. Unter Pop-Gesichtspunkten wäre natürlich der Album-Opener "Unverwundbar" die bessere Wahl für eine Vorab-Single gewesen. Wie sehen bis dato die Reaktionen der Hörerschaft auf die Auskopplungen aus und wie steht es um die bereits angedachte dritte Single?

ROBERTO: Es ist interessant, dass Du „Unaufhaltsam“ „wieder etwas kantiger“ nennst, denn es war nicht beabsichtigt, ein schwierigeres Album zu machen, als „Balance“ es war. „Unaufhaltsam“ ist stattdessen überaus entspannt entstanden und gereift. Mit der Vertonung von Erich Weinerts Gedichts „John Schehr und Genossen“ wollten wir zunächst einen clubtauglichen ersten Single-Ballon aufsteigen lassen - schließlich hatte es ja mehr als vier Jahre lang nichts mehr von Kontrast zu hören gegeben. „Plänterwald“ repräsentiert die eingängigere Seite von Kontrast und ist schon deswegen auffällig, weil es sich um ein Duett im Stil einer Nick Cave‘schen Mörderballade handelt. Da Singles heutzutage nahezu ausschließlich im Online-Format veröffentlicht werden, ist der finanzielle Aufwand längst nicht mehr so groß wie noch vor zehn oder fünfzehn Jahren - und sie helfen dabei, die Aufmerksamkeit für das Album länger aufrecht zu halten. Somit werden wir zu Beginn der dunklen Jahreszeit sehr wahrscheinlich „Nachtclub“ als dritte Single herausbringen - und für April 2020 schwebt uns eine weitere Veröffentlichung vor. „Thriller“ von Michael Jackson ist schließlich nur deswegen das erfolgreichste Album der Musikgeschichte geworden, weil es sechs Auskopplungen gab. Das können wir auch! (zwinkert) „Ostseekind“ und das von Dir angesprochene „Unverwundbar“ wären zweifelsohne gute Radio-Nummern.

BODYSTYLER: "Unaufhaltsam" ist nicht nur ein wunderhübsches Wort, sondern auch ein toller Albumtitel. Seit wann habt Ihr den Eindruck, dass diese Beschreibung zu Euch und dem Album passen könnte?

DIRK: Eines Tages, als der Großteil der Songs bereits im Kasten war, hat Roberto dieses Wort per Mail zur Diskussion gestellt - und niemand hatte etwas dagegen. Auch beim Titel war es so, dass er irgendwann einfach entstanden ist und ganz einfach passte.

BODYSTYLER: Gibt es vielleicht sogar die eine oder andere Vorgeschichte, die jemand von Euch mit dem Begriff "Unaufhaltsam" vorweisen oder gar erzählen kann?

ROBERTO: Ich kann wirklich nicht mal mehr sagen, wann und warum genau der Titel konkret ins Spiel kam. Einige Male hatte ich die Newsmails an unsere langjährigen Hörer mit dem Slogan „Es geht unaufhaltsam voran mit Kontrast!“ beendet - und irgendwann dachte ich: Das wäre doch ein guter Albumtitel, denn er zeugt von Dynamik und Stärke.

BODYSTYLER: Gibt es Eurer Meinung nach ein akzeptables Antonym für "unaufhaltsam"?

ROBERTO: Holla, diesen Begriff musste ich erstmal googeln. (zwinkert) Aber die Frage ist interessant: „Unaufhaltsam“ ist sprachlich ja die Negierung von „aufhaltsam“. Dieses Wort gibt es aber gar nicht! Also: Wir sind für sachdienliche Hinweise dankbar, die zur Findung einer Antithese von „Unaufhaltsam“ beitragen. Hätten wir nämlich These und Antithese, könnte in der nächsten Stufe der Dialektik daraus eine grandiose Synthese entstehen!

BODYSTYLER: Besonderen Dank übrigens für das "Ostseekind", das bestimmt vielen anderen Ostseekindern aus der Seele spricht und in Kombination mit den Joy Division-Klängen ein echter Gänsehautgarant ist. Wie seid ihr auf diese grandiose Musik-Text-Kombination gekommen?

DIRK: Respekt, dass Du die Anspielung auf „Atmosphere“ erkannt hast, denn das ist bestimmt nicht der bekannteste Song von Joy Division. Selbst Roberto, der die Original-Single-Schallplatte sein eigen nennt, ist diese Hommage nicht aufgefallen! „Ostseekind“ transportiert für mich das Lebensgefühl meiner Kindheit: den Sommer, die Weite, den Strand und die vielen schönen Erinnerungen, die ich mit meinen Schulferien an der Ostsee verbinde. Dabei ist mir ganz wichtig zu erwähnen, dass ich bewusst keinen plumpen Ostalgie-Song im Sinne von „Früher war alles besser.“ machen wollte. Als Kind bekommst du ja gar nicht mit, ob du in der DDR, der BRD oder sonstwo aufwächst. Das, was um dich herum geschieht, ist normal. Die politischen, geographischen oder gesellschaftlichen Zusammenhänge erkennt man erst viel später. Vielmehr geht es in „Ostseekind“ darum, dass ein Kind die Welt mit anderen Augen sieht als ein Erwachsener: „Als Kind denkt man nie an Vergänglichkeit …“

"„Thriller“ von Michael Jackson ist schließlich nur deswegen das erfolgreichste Album der Musikgeschichte geworden, weil es sechs Auskopplungen gab."

BODYSTYLER: Es gibt jetzt so viele Erklär-Bär-Videos zum neuen Album, dass man schon gar nicht mehr weiß, was man Euch fragen soll. Sind denn überhaupt noch exklusive Informationen zu den Hintergründen übrig? Wenn ja, würdet Ihr davon evtl. ein paar für diesen Artikel zur Verfügung stellen?

DIRK: Die Videos auf unserem youtube-Kanal haben uns geholfen, die Aufmerksamkeit für unsere Crowdfunding-Kampagne im Februar / März zu steigern. Natürlich haben wir darin schon viele Details zu den einzelnen Songs erzählt; teilweise waren das Dinge, die sogar dem jeweils Anderen von uns gar nicht bekannt waren: Roberto wusste beispielsweise nicht, dass ich das erste Demo zu „Plänterwald“ auf der Rückfahrt von einem Kraftwerk-Konzert in Berlin, das wir beide besucht hatten, eingespielt habe. Und dass zu „Unverwundbar“ sein ursprünglicher Textentwurf „Monotonie und Traumwelten“ hieß, habe ich beim Drehen des Videos zum ersten Mal gehört. Weitere exklusive Enthüllungen haben wir leider nicht … aber jeder, der unser Album hört, wird sicherlich seine eigenen Wahrnehmungen entwickeln. Für uns ist es im Gegenzug ebenso spannend zu erfahren, welche Gedanken unsere Hörer sich zu unseren einzelnen Songs machen.

BODYSTYLER: Ihr durftet bei diesem Album auf die Unterstützung zahlreicher Menschen zählen. Zum einen waren dies die Crowdfunding-Teilnehmer zum anderen auch wieder andere Musiker, Künstler, Dichter (Christian Henke, Daniel Logemann, Lars Graner, Erich Weinert *zwinker* etc.). Wie würdet Ihr dieses Gemeinschaftsgefühl beschreiben wollen? Ist Kontrast heute eine für äußere Einflüsse offenere Band als noch vor fünf oder zehn oder zwanzig Jahren?

ROBERTO: Definitiv jein. (zwinkert) Ja, weil wir längst nicht mehr so puristisch elektronisch unterwegs sind wie noch vor zehn Jahren. Daher haben wir auch die genannten Musiker eingeladen, für einzelne Songs Gitarren-, Schlagzeug- oder sogar Saxophon-Spuren beizusteuern. Nein, weil wir bei diesen Songs aber schon ziemlich genau wussten, was wir haben wollten - und wenn die Sessions mit unseren Gästen nicht zu den gewünschten Ergebnissen geführt hätten, dann hätten wir ihre Beiträge auch nicht in unsere Songs integriert. Offensichtlich war den Jungs aber unbewusst klar, wohin die Reise gehen sollte: Lars Graner beispielsweise hat nie mit uns gemeinsam im Studio gestanden, sondern seine Parts einfach auf unser Playback improvisiert. Musik scheint eine universelle Sprache zu sein - und wenn man Leute findet, die denselben Dialekt sprechen wie man selbst, braucht man keine Partitur einzureichen, sondern kann den Dingen einfach ihren Lauf lassen. Unser Dank geht an alle, die sich für „Unaufhaltsam“ musikalisch, stimmlich und textlich eingebracht haben - und natürlich den „Unterstützern“ unserer Crowdfunding-Kampagne, die es uns ermöglicht haben, erstmals in unserer Kontrast-Historie sogar eine Vinyl-LP zu veröffentlichen-

BODYSTYLER: Apropos "Zwanzig Jahre", irgendwann müsste ja mal Euer zwanzigjähriges Kontrast-Jubiläum anstehen oder haben wir es vielleicht sogar schon verpasst? Wann genau datiert Ihr das Ereignis und wie gedenkt Ihr zu feiern?

DIRK: Tja, mit den Jahreszahlen ist das so eine Sache. Roberto und ich haben 1992 unsere ersten Klangexperimente gemacht, Falko ist seit 1994 dabei. Damals hießen wir aber noch ISECS. 1995 entstand der „Einheitsschritt“, 1997 wurde er durch einen Zillo-Sampler bekannt, 1999 haben wir uns in Kontrast umbenannt, 2002 dann endlich unser erstes offizielles Album herausgebracht. Man könnte also viele Daten für ein Jubiläum verwenden. Eigentlich wäre es mal Zeit für eine „Greatest Hits“-Zusammenstellung. (zwinkert)

BODYSTYLER: Das zweite Album kam nach zwei, das dritte nach vier und das vierte nach sechs Jahren. Zum Glück habt ihr gegen diesen Trend gesteuert, denn es hat dieses Mal nur fünf Jahre gedauert. Was sagt der Zukunftsblick in die Kontrast-Kugel? Gibt es schon Pläne für das nächste Album und könnte es eventuell nach drei Jahren schon im Kasten sein?

ROBERTO: Erfahrungsgemäß kann man das, was passieren wird, ohnehin nicht planen. Wir lassen es einfach geschehen - und wenn wir das Gefühl haben, dass die Zeit reif für neue Kontrast-Songs ist, dann werden sie entstehen. In der Zwischenzeit könnten wir unsere ersten beiden Alben aus 2002 und 2004 mal remastern und wiederveröffentlichen, denn diese Scheiben sind inzwischen doch glatt ausverkauft und ab und an erreichen uns Nachfragen dazu. 2022 wird „Kontrast: Programm“ seinen 20. Geburtstag feiern - das wäre in der Tat mal ein Anlass. Aber was auch geschehen wird: Wir sind dankbar für das, was ist. 1992 hätten Dirk und ich bestimmt nicht gedacht, dass wir 27 Jahre später immer noch gemeinsam Musik machen und dass wir uns sogar die Freiheit erarbeitet haben, unsere Musik so zu veröffentlichen, wie und wann wir es wollen. Das ist großartig und Antrieb genug für eine unaufhaltsame Kontrast-Zukunft!