RROYCE

Perfekte Punktlandung

20.11.2019 - Ist es Synth-Pop, ist es Synth-Wave? Im Grunde ist eine Kategorisierung egal, wenn es um das Trio RROYCE geht, denn auf dem dritten Album "Patience" überzeugen die Jungs schlicht mit durchweg tollen, hochmelodischen Songs sowie absolut gelungenen Texten. Frontmann Casi gewährt einen spannenden Blick hinter die Kulissen. Von: Torsten Pape

Image Some boys are schnieker than others... (Foto: Tanja Rynkowski)

BODYSTYLER: Die VÖ von "Patience" ist schon ein paar Tage her und die Reaktionen seitens der Fans und der Presse sind sehr positiv. Zudem darf man Euch zum Platz 1 in den GEWC beglückwünschen. Wie sieht Euer aktuelles Fazit aus und über welche Reaktionen habt Ihr Euch besonders gefreut?

CASI: Hallo Torsten, das aktuelle Fazit kann besser nicht sein. Es ist ja nicht nur das Album seit 6 Wochen auf Platz 1 der GEWC – sondern auch unsere Singleauskopplung „Parallel Worlds“ stieg von 0 auf 1 in den Single-Charts und verblieb dort, wie verwachsen bis zur 8.Woche auf Platz 1. Für uns ist das phänomenal. Ein toller Erfolg. Wir haben uns generell über dieses fantastische Feedback gefreut. Ganz besonders zufrieden stimmen dann ja natürlich immer die Meldungen aus den „native English speaking Countries“, wie den USA, Australien oder England. Das macht schon sehr stolz, wenn lokale Radio-DJs Deinen Song ankündigen. Natürlich rätseln denn einige immer, wie man jetzt das Doppel-R richtig ausspricht. Das ist herrlich!!

BODYSTYLER: Auch die Tour mit Welle:Erdball scheint gut zu laufen. Gibt es bereits besonders schöne Erlebnisse, von denen Ihr erzählen könnt?

CASI: Wir genießen es sehr, unterwegs zu sein. Wir haben größtenteils immer vor „500 Plus“-Zuschauern gespielt. Es ist jedes Mal eine wunderbare Herausforderung für uns. Wenn wir dann „unsere Shirts“ in den Zuschauerreihen sehen oder das Feedback unmittelbar nach den Shows bekommen, gerade von Leuten, die uns zum ersten Mal live gesehen haben, dann ist das schlichtweg unbeschreiblich. Ganz bemerkenswert war eine Rückmeldung aus Berlin. Ein W:E-Fan entschuldigte sich nach der Show bei uns, weil er die ersten drei Songs einfach nur regungslos da stand und scheinbar keine Reaktionen zeigte. Er begründete sein Verhalten damit, dass er die Gänsehaut, die unsere Songs bei ihm verursacht hätten, nicht verlieren wollte. Für uns eine sehr außergewöhnliche und bemerkenswerte Erklärung. Er hat das wirklich ernst gemeint. Eine schönere Analyse kann es doch gar nicht geben. Zumindest haben wir jetzt immer die Gewissheit, dass die Leute einfach nur ihre Entenpelle genießen, wenn sie scheinbar teilnahmslos wirken. (lacht)

BODYSTYLER: Ich hab ja nicht schlecht gestaunt, als ihr gemeinsam mit den Erdbällen am Ende deren Sets "New England" von Billy Bragg dargeboten habt. Wer ist denn auf diese grandiose Idee gekommen?

CASI: Das war in der Tat ein Vorschlag von Honey und M.A. Peel. Bei unserem ersten Treffen zur Vorbereitung auf die Tour erfuhren sie, dass ich doch sehr England-Affin bin und meine musikalischen Wurzeln im Britpop liegen. Honey kreierte eine eigene Version des Songs und diese spielen wir immer gemeinsam am Ende des Konzertabends. Eine richtig tolle Team-Building-Maßnahme von W:E.

BODYSTYLER: Wäre es nicht eigentlich bald mal an der Zeit für eine kleine Headliner-Tour mit der vollen RROYCE-Dröhnung? Bei Eurer Spielfreude und mittlerweile drei Alben sollte ein abendfüllendes Set doch kein Problem sein, oder?

CASI: Das sollte wirklich kein Problem sein. Wir sind jedoch sehr vorsichtig, was das Thema „Headliner-Tour“ angeht, denn wenn die Resonanz ausbleibt, kann das viel zerstören. Aber nach den Supports für Eisfabrik, Solitary Experiments und eben W:E sollten wir uns da mal intensivere Gedanken drüber machen, eigenverantwortlich durch unser Land zu tingeln. Womöglich wird es Zeit…Wir werden sehen! Die Stimmen nach einer eigenen Tour werden lauter und lauter. Das haben wir nicht überhört.

BODYSTYLER: Das Internet liefert keinerlei Informationen, wenn es um Euer musikalisches Leben vor RROYCE geht. Angesichts der doch sehr versierten Kompositionen, die sich bereits auf Eurem Debüt fanden und der absolut souveränen Vortragsweise kann ich mir kaum vorstellen, dass ihr komplett unbeschriebene Blätter wart. Was könnt Ihr denn über Eure musikalischen Laufbahnen vor der RROYCE-Zeitrechnung erzählen?

CASI: Natürlich haben wir schon vor RROYCE mit diversen Bands und Projekten auf den Bühnen unsere Hörner abgestoßen. Nur in einem anderem Genre. Was die so genannte „schwarze Szene“ angeht, sind wir quasi - was die Aktivität AUF der Bühne angeht- seit 2013 Seiteneinsteiger. Wir drei sind alle mit der Musik der 80er und 90er groß geworden. Al spielte recht erfolgreich in einer Rockabilly-Band. Kay und ich musizieren seit 1994 zusammen. Er hat als Bassist und ich als Sänger in einer „Britpop-Band“ gespielt. Ich wage zu behaupten, dass wir damals in der lokalen Musikszene bereits etabliert waren. Vor ein paar Jahren spielten Al und Kay gemeinsam in einer Rockband, die mich persönlich stilistisch an Pearl Jam erinnerte. Die ganze Live-Erfahrung kommt uns heute natürlich zugute.

"Es war sicherlich der Pubertät geschuldet, dass ich meinte, Morrissey sei der einzige Mensch, der mich versteht."

BODYSTYLER: Wie ist denn die Idee zum markanten Cover entstanden? Ist Euch beim "Reversi" spielen aufgefallen, dass Ihr Euer drittes Album an den Start bringt?

CASI: Könnte man meinen, nicht wahr? Tatsächlich ist es viel banaler: Schaut man auf das Cover erkennt man drei vorgehobene Punkte. Wir wollten etwas stilistisch Klares, Schnörkelloses entwerfen. Wir sind zu dritt. Es ist das dritte Album…na??? Merkste was?? Kommst Du jetzt alleine drauf, oder? Das Cover zur Single „Parallel Worlds“ nimmt einfach die Grundidee auf, so dass hier parallel verlaufene Punkte/Bälle hervorgehoben wurden.

BODYSTYLER: Warum habt Ihr Ihr Euch eigentlich für das Poster-Booklet vor einer Meeresmotivtapete fotografieren lassen? *zwinker*

CASI: Das Foto dazu ist eine wunderbare Arbeit von Tanja Rynkowski. Sie hat uns abgelichtet und ein wenig experimentiert. Das eigentliche Foto ist ein Outtake, was eher zufällig geschossen wurde. Wir fanden aber, dass wir dort einfach in einem Moment eingefangen wurden, der unsere Mentalität widerspiegelt. Offen ehrlich, nicht gekünstelt. Wir wollen uns nicht anmalen oder verkleiden. DAS wären nicht WIR!
Wenn Du aber Ideen für weltbewegende, noch-nie-dagewesene Bandfotos hast, dann weißt Du ja, wie du uns erreichen kannst (zwinkert).

BODYSTYLER: "Parallel Worlds" beschreibt das Gefühl zwischen zwei Welten gefangen zu sein. Das könnte einfach bedeuten, dass es einem schwer fällt, eine Entscheidung zu treffen, aber auch die Beschreibung des Krankheitsbildes der Schizophrenie sein? Was hat Euch zu diesem vielschichtigen Text inspiriert und wie ist die absolut ohrwurmige Melodie dazu entstanden?

CASI: Die Idee zum Text hat sich bei mir eingenistet, als wir die Tour mit Eisfabrik gefahren sind. Es bedarf schon eines starken Charakters, aus der Situation, die wir selbst geschaffen haben, mental unbeschadet herauszukommen. Zum einen lebt man seinen Traum, man ist unterwegs, auf Achse, man erfährt Dinge AUF, VOR und HINTER der Bühne, die für mich ein Privileg darstellen und wofür ich einfach unendliche Dankbarkeit empfinde. Dann fährt man zurück in sein privates Leben. Man ist Arbeitnehmer, Vater, Ehemann…Der Spagat ist manchmal schon ganz schön krass. Textlich wird es natürlich dramatischer ausgeschmückt. Patholologisch ist der Text eigentlich nicht gedacht. Aber ich finde es immer ganz interessant, wenn der individuelle Zuhörer eigene Bilder und Interpretationen kreiert. Das möchte ich keinem verwehren. Ich finde das immer ganz spannend, mit Leuten darüber zu reden.
Die (ohrwurmigen) Melodien waren auf einmal in meinem Kopf. Kay macht es mir immer relativ einfach, denn in seine musikalischen Vorgaben kann ich mich immer gut fallen lassen und in die Songideen eintauchen.

BODYSTYLER: Ich finde, dass Ihr von Album zu Album immer noch mal eine Schippe drauf packt, wenn es um große oder auch hymnische Melodien geht. Fällt es Euch mit der Zeit leichter, solche Ohrwürmer zu schreiben?

CASI: Man setzt sich ja nicht hin und sagt: JETZT machen wir mal einen besonders guten Song mit hymnischen Meldodien. Womöglich habe ich ja ein Talent dafür. Womöglich haben wir uns alle weiterentwickelt. Musik zu machen ist ein kreativer Prozess – er sollte frei von Zwängen oder Regularien sein. Wir ergänzen uns da ganz fantastisch. Unsere nagelneuen Ideen gefallen mir schon jetzt wieder ein kleines Stückchen besser als das, was wir bisher veröffentlicht haben. Was ist das denn bitteschön für eine tolle Situation?

BODYSTYLER: Bei "My dearest enemy" und "Too little" habt ihr zu Beginn prägnante Melodien/Töne am Start, die einmal an "Du hast" (Rammstein) und einmal an "Enola gay" (OMD) erinnern. Ist das eine bewusste Referenz, ein bewusstes Augenzwinkern oder der totale Zufall?

CASI: Es ist nichts von alledem. Die Songs entstehen, weil sie entstehen. Mir ist nicht wohl dabei, wenn ich mich hinsetze und sage: der Song klingt aber wie dieses oder jenes Lied. Leute, die unsere Musik anderen Menschen beschreiben, bedienen sich zwangsläufig bekannter und beliebter Muster. Wenn Du unsere Musik mit Rammstein und OMD assoziierst, ist das ja auch nicht soooo übel (lacht).

BODYSTYLER: Ist es schwerer eine Ballade oder einen schnellen, tanzbaren Song zu schreiben?

CASI: Es ist nicht schwerer oder leichter. Der Charakter eines Songs zeichnet sich relativ schnell ab. Ich besitze eine gewisse Grundmelancholie in mir. Vielleicht hilft mir das bei Balladen ein bisschen. Ich gestehe, dass ich die ruhigen Songs lieber singe. Ich liebe es, die Texte zu „You don´t belong here“, „Pyroclastic Flow“ oder „L.T.H.M“ darzubieten.

"Zumindest haben wir jetzt immer die Gewissheit, dass die Leute einfach nur ihre Entenpelle genießen, wenn sie scheinbar teilnahmslos wirken."

BODYSTYLER: "Promises never start with a maybe" - eine schöne und einfache Wahrheit. Wie habt Ihr sie gefunden und was könnt Ihr zum dazugehörigen Song "Someone else's life" erzählen?

CASI: Sie war plötzlich da. Ich fand diese Passage sehr bedeutend und wahrhaftig. Es hat mich sehr geärgert, als ich erfuhr, dass ich nicht der erste war, dem diese bedeutungsschwangeren Worte sinngemäß eingefallen sind. (lacht) Ein gewisser Mick Hucknall war da vor ein paar Jahren ähnlich von der Muse geküsst. Aber die Tatsache, dass ich es wirklich „neutral“ auf einem Zettel geschrieben hatte, gibt mir das nötige Selbstbewusstsein zu behaupten, MIR ist es eingefallen. Ein sehr persönlicher Text. Ich verarbeite eine für mich sehr traurige und tragische Zeit, in der man rückwirkend betrachtet feststellt, dass man durch sein Verhalten sehr vielen Menschen wehgetan hat. Menschen, die man wahrlich geliebt hat und es immer noch tut. Es hilft nicht wirklich, wenn man schutzbehauptet, dass man „das Leben eines anderen lebte“. Aber für ein Liedtext ist es eine ganz wunderbare Idee.

BODYSTYLER: Casi, mir ist zu Ohren gekommen, dass Du einen gewissen Morrissey sehr schätzt. Was genau fasziniert Dich an diesem außergewöhnlichen Musiker und wie hat er Dich als Mensch und Sänger/Songschreiber geprägt?

CASI: Ich war 14 als ich The Smiths zu ersten Mal hörte. Diese Stimme/ Stimmung und Atmosphäre, die von dem Song ausging, ließ mich nicht los. Es war sicherlich der Pubertät geschuldet, dass ich meinte, Morrissey sei der einzige Mensch, der mich versteht. Damals konnte man ja nicht einfach online gehen und die Playlist studieren. Ich habe den Sender angeschrieben und gefragt, welcher Song denn zu dieser Uhrzeit, an diesem Tag gespielt wurde. Es war Mitte der 80er und die Smiths waren im Begriff sich aufzulösen. Ich studierte Morrisseys Texte, lernte sie auswendig, kaufte mir Biografien, übersetzte diese aus dem Englischen und wurde schlichtweg Fan vom Mozzer. Die britische Musikszene faszinierte mich seitdem. So kam es, dass ich u.a. auch ein Faible für Wave-Bands entwickelte. New Order, Human League, Joy Division, aber auch The Cure bis hin zu Bands wie Radiohead, Shed Seven, Gene, Marion, Manic Street Preachers, Suede, Oasis, Blur usw. usw. Zur Ehrenrettung muss ich erwähnen, dass ich mir damals von meinem Konfirmationsgeld einen HiFi-Turm mit Doppelcassettendeck UND die neuste Scheibe von DM „Some Great Reward“ zugelget habe. Okay, ein paar PUMA-Turnschuhe „Top Winner“ waren auch noch drin. (lacht) Den aktuellen Mozzer kann ich allerdings schwerlich ertragen. Seine provozierenden und teilweise rechtspopulistischen Äußerungen haben mein Denkmal, was ich ihm gebaut habe, sehr stark zerstört.

BODYSTYLER: Warum habt Ihr eigentlich den Songtitel "Learn to hate me" abgekürzt und warum auf manchen digitalen Portalen nicht? Die Songzeile "Everybody needs some hate on their side" klingt wie eine kleine Referenz, oder?

CASI: Warum da Unterschiede in der Schreibweise entstanden sind, weiß ich nicht. Ich weiß nicht, welche Referenz du meinen könntest? Ich wählte diese Zeile eigentlich als Provokation. Braucht man das wirklich? Einen gewissen „Hass“ in sich, um mit Situationen im Leben klarzukommen? Diese Frage muss sich jeder persönlich beantworten.

BODYSTYLER: Nach "Karoshi" wurde auch "Patience" wieder von Dirk Riegner produziert. Könnt Ihr beschreiben, wie die Zusammenarbeit abläuft? Was genau bringt er in Euer Klangbild ein?

CASI: Ich nutze dann immer gerne folgenden Vergleich: Er bekommt den Weihnachtsbaum und macht dann Lametta und Kugeln dran. Wir produzieren unsere Songs immer so weit, dass wir sagen: „Okay, sie sind fertig.“ Ich denke, dass der eine oder andere sicherlich großes Interesse hätte, diese Versionen zu hören. (lacht) Dirk hat unsere Musik einfach verstanden. Er schraubt noch ein wenig hier und tauscht mal da die Drums aus, effektiert mal hier und da und fertig sind die RROYCE-Songs. Es kommt selten vor, dass wir seine kreativen Ideen ablehnen oder nochmal nacharbeiten lassen.

BODYSTYLER: Wird es noch eine Single-Auskopplung geben und wenn ja, könnt Ihr schon Details verraten?

CASI: Ja. Wir werden mit unserem Label Infacted Recordings eine zweite Single zeitnah auskoppeln. Diese wird als digitaler Download, incl. einiger Remixe zur Verfügung stehen. Ein Video dazu steht auch schon in der Pipeline. Welcher Song das ist, verrate ich an dieser Stelle noch nicht. Lasst euch überraschen.

BODYSTYLER: Dankeschön und alles Gute für Euch! Macht bitte weiterhin so tolle Musik!!! Cheers!

CASI: Danke, Torsten. Wir machen einfach immer weiter. Danke für Dein Interesse an unserer Musik.