Joachim Witt

Mit Rübezahl ist weiter zu rechnen

08.05.2020 - Er war der Goldene Reiter und der Herbergsvater. Er verbrachte lange Zeit mit seiner "Bayreuth"-Trilogie und kehrte danach zurück zu seinem "Ich". Seit 2017 verbindet man den Namen Joachim Witt nun mit der Sagengestalt Rübezahl, die mit dem neuesten Werk "Rübezahls Rückkehr" noch mehr zu seinem Alter Ego geworden scheint. Der Herr der Berge hat erneut viel zu erzählen. Von: Torsten Pape

Image "Strahlen und Synapsen zwingen mein Gehirn an den Ort, wo keiner lacht." (aus "Steinzeit") (Foto: Franz Schepers)

BODYSTYLER: Unser letztes Interview zum Vorgänger-Album liegt mittlerweile gut zwei Jahre zurück. War damals eigentlich schon klar, dass es einen Nachfolger mit thematischem Bezug geben würde?

JOACHIM WITT: Am Ende der letzten Produktion war mir schon klar, dass ich zumindest soundtechnisch in dieser Richtung weiterarbeiten wollte. Thematisch war aber damals alles noch offen.

BODYSTYLER: Inwiefern war eigentlich der zwischenzeitliche Auftritt im Leipziger Gewandhaus für die Entwicklung des neuen Albums zweckdienlich?

JOACHIM WITT: Er hat auf jeden Fall eine Lücke gefüllt und stellt eine ganz eigene Insel dar. Ich konnte ausprobieren, wie es sich mit einem großen Orchester anfühlt und fand es ganz toll, dass ich diese Einladung bekommen habe. Ich war an diesem Abend übrigens außergewöhnlich aufgeregt, da das etwas komplett Neues für mich war. Als ich jedoch merkte, dass die Resonanz extrem gut war und vom Veranstalter sogar die Idee einer Tour kam, war das natürlich großartig.

BODYSTYLER: Da auf dem neuen Album deutlich mehr Streicher zu hören sind, kann man diesbezüglich sicherlich auch einen Zusammenhang herstellen, oder? Sind das eigentlich echte Streicher oder vielleicht sogar die Mädels von Eklipse, die ja auf der Tour Dein Support sein werden?

JOACHIM WITT: Teils, teils. Eklipse waren tatsächlich auch dabei. Das mit den Streichern zieht sich ja bei mir so durch, auch schon in der Zeit vor "Rübezahl". Aber es stimmt schon, dass es noch mehr geworden ist. Besonders interessant fand ich hierbei die Kombination der orchestralen Elemente mit dem elektronischen Klangkörper und den harten Gitarren. Chris Harms, Corvin Bahn und die anderen Kollegen haben das alles ja arrangiert bzw. in diese Klangwelt gebracht und das hat mich ganz schön umgeblasen. Am Ende stand die Erkenntnis, dass ich mich mit Chris weiterhin extrem gut verstehe und sich seine Kreativität und musikalische Auffassung mit meinen Vorstellungen sehr gut überschneidet. Irgendwie hat das eine Art Zwangsläufigkeit, dass wir miteinander arbeiten.

BODYSTYLER: Wer Dich und Dein Schaffen kennt, dem ist bewusst, dass dies eine Beständigkeit ist, die nicht immer gegeben war. Du hast vielmehr von einem Album zum nächsten oft mit gänzlich anderen Leuten kooperiert...

JOACHIM WITT: Man muss die Menschen, die besonders zu einem passen ja auch erst kennenlernen. Das hat in diesem Fall dann einfach mal 69 Jahre gedauert... (lacht)

BODYSTYLER: Das ist ein guter Punkt, denn wir haben uns letztes Mal gar nicht darüber unterhalten, wie und wo ihr euch kennengelernt habt...

JOACHIM WITT: Chris habe ich mal backstage getroffen. Martin Engler von Mono Inc hatte mich da angesprochen und mir gesagt, dass Chris mich gern mal kennenlernen würde und zufällig auch gerade da wäre... Chris hat mich bei dieser Gelegenheit gefragt, ob wir nicht mal zusammen was ausprobieren wollen. Damas war ich sowieso gerade dabei, mich neu zu orientieren und deshalb kam mir das sehr gelegen. Drei Titel sind daraufhin entstanden und waren gleich so auf den Punkt, dass wir beschlossen, das weiterzuführen.

BODYSTYLER: Sind denn alle Kompositionen des neuen Albums von Euch beiden oder waren auch wieder andere Musiker beteiligt?

JOACHIM WITT: Wir haben auch noch mit anderen Leuten zusammengerabeitet. Zum einen wäre da Sandi Strmljan, ein hervorragender Komponist, der auch schon bei "Rübezahl" an sechs Titeln mitgeschrieben hat. Einen Titel habe ich mit einem Freund der ersten Stunde - aus alten Tagen von Düsenberg - nämlich Harry Gutowski geschrieben. Dabei handelt es sich um "Die Rückkehr" und Chris hat das dann noch wunderbar ausgemalt.

"Der Mensch ist doch auf ewig durch seine Aggressionen gefangen."

BODYSTYLER: Wie siehst Du eigentlich selbst den Überbegriff "Rübezahl". Diese Figur kommt in den Texten selbst ja gar nicht vor. Vielmehr hat man das Gefühl, dass vieles seine Beobachtungen der heutigen Zeit sein könnten. Würdest Du das so unterschreiben und inwiefern identifizierst Du Dich selbst mit dieser Figur?

JOACHIM WITT: Rübezahl ist für mich der Wächter über die Welt. Ich bin sein Korrespondent und versuche Dinge in hoffentlich poetische Texte zu übersetzen. Darüber möchte ich diese Geschehnisse dem Publikum nahebringen.

BODYSTYLER: Das, was die meisten Leute bis jetzt vom Album mitbekommen haben, sind die beiden Videos zu "Geist an das Licht" und "Die Rückkehr", die ja unterschiedlicher kaum sein könnten. Magst Du vielleicht erzählen, wie die Ideen dafür entstanden sind?

JOACHIM WITT: Bei "Geist an das Licht" geht es vornehmlich um das Thema "Gewalt". Es geht um Missbrauch von Macht und Unterdrückung. Aber wie stellt man das dar, ohne dass es zu trivial wird? Man kann eine Art Dokumentation machen, aber das haben andere schon tausend Mal umgesetzt. Dann kamen wir auf die Idee, Gewalt mit Bildern aus der S/M-Szene darzustellen. Das ist natürlich inszeniert und plakativ, aber der Text kommt dadurch gut rüber. Es ist ja kein Fetisch-Video, sondern der Versuch, das Thema auffällig zu vermitteln. Ich glaube, man versteht, was gemeint ist, obwohl wir uns nicht sicher waren, wie das Publikum darauf reagieren würde. Mich hat die durchweg positive Auseinandersetzung damit umso mehr gefreut und überrascht. Das war die Bestätigung, dass wir alles richtig gemacht haben.
"Die Rückkehr" hat sich für mich schon von Beginn an als Single angeboten, allerdings wollte ich nicht mit einer solch ruhigen Nummer starten. Der Kontrast zwischen diesem emotional sehr intensiven Lied und dem anderen, sehr harten Stück beschreibt gut die Vielfältigkeit des Albums. Wir haben den Song übrigens bereits im Vorfeld mal auf einem Supporter-Treffen vorgespielt und da hatten alle Tränen in den Augen. Musste ich sofort mitheulen... (lacht)

BODYSTYLER: Das passt ja auch insofern, da Du hier ja von den "befreiten Tränen" singst...

JOACHIM WITT: Das steht für mich für die Rückkehr zu dem, was man am meisten liebt. Dorthin, wo man sich sicher fühlt, Geborgenheit hat, Glück verspürt und den Wert eines gewissen Heimatgefühls erkennt. Das kann sich auf eine Beziehung oder eine Umgebung beziehen. Einfach dort, wo man sich zuhause fühlt.

BODYSTYLER: Lass uns über den Titel "Steinzeit" reden. Zuerst habe ich mich gefragt, warum Du denn gleich so weit zurückgehst? Oder meinst Du vieleicht im übertragenen Sinne die Sehnsucht nach den Kindertagen und deren Unbeschwertheit?

JOACHIM WITT: Das weiß ich bis heute nicht. Ich weiß nicht, wie genau ich diesen Text meine. Das war einfach nur so ein Gefühl. Vielleicht wäre ein Ansatz, dass sich die meisten Menschen mit ihrem kruden Verhalten nicht viel von denen aus der Steinzeit unterscheiden. Der Mensch ist doch auf ewig durch seine Aggressionen gefangen. Das ist etwas ganz Archaisches, was man auch nicht einfach so wegrationalisieren kann. Man kann es vielleicht durch positives Verhalten eindämmen oder lernen, damit umzugehen. Darüber mache ich mir oft Gedanken und mir auch nicht vor, dass die Menschen grundsätzlich immer nur gut sind. Mich beschäftigt der Graben zwischen der Gerechtigkeitsdebatte und der wirklichen Realität, dass man oft alles Menschliche vergisst. Viele wollen sich nur bereichern und andere unterdrücken. Manche sind, was diese Diskrepanz angeht, empfindlicher, manche unempfindlicher. Dummerweise sind die Unempfindlichen immer an der Macht. Ich überlege dann immer, wie man daran etwas ändern könnte? Vielleicht sind da Epidemien insofern sinnvoll, dass man durch sie auf andere Gedanken kommt und vieles mal in Frage stellt. Wo bleibt denn die Demut vor dem Leben und vor dem, was einem geschenkt ist? Wir haben heutzutage eine völlig verkommene Moral. Da weckt eine solche Situation, wie wir sie jetzt durch das Corona-Virus haben, mal einige Leute auf. Die Politiker kommen aus ihrem Kreisel-Denken raus und sind wirklich gezwungen zu reagieren. Insofern bin ich schon sehr auf die Zeit nach der Krise gespannt. Werden wir uns schnell wieder in dieses neo-liberale Muster begeben oder werden sich wirklich Dinge ändern?

BODYSTYLER: Ich habe mir übrigens bei zwei Liedern des Albums gedacht, dass sie diesen Geist und die aktuelle Stimmung gut treffen, obwohl die Songs ja vorher geschrieben wurden. Das wäre zum einen "Schmerzende Welt", zum anderen "Wo blüht der Mohn?" Ich habe zudem den Eindruck, dass diese beiden Texte die aktuelle Situation von vollkomen verschiedener Warte aus betrachten. Einmal die tragische Sichtweise und einmal die Suche nach Betäubung, um das alles mal auszublenden. Kannst Du das nachvollziehen?

JOACHIM WITT: Ja, kann ich durchaus. Wenn man die Welt als etwas Lebendiges betrachtet, würde sie ja unter den Menschen leiden. Auf der anderen Seite steht die Suche nach dem erlösenden Faktor. Wo finde ich das Glück? Diese Metapher taucht bei mir immer wieder auf, denk nur mal an "Kosmetik": "Ich bin das Glück dieser Erde..." Mit dem Mohn wollte ich ein Bild schaffen, welches besonders schön ist und mich aus diesem Kreislauf herausbringt. Ein blühendes Mohnfeld, dieses intensive Rot. Ich liebe diese Blume. Sie steht für etwas absolut Reines. Das wird durch die Drogenkultur natürlich etwas getrübt, aber das ändert nichts daran, dass das eine wunderschöne Blume ist... (lacht) Obwohl ich an diesen Effekt natürlich auch gedacht habe, stand er bei dem Text jedoch nicht im Vordergrund. Das Risiko bin ich aber eingegangen. Das eine ist die Notlösung, das andere natürlich viel romantischer.

"Das hat in diesem Fall dann einfach mal 69 Jahre gedauert..."

BODYSTYLER: Ich denke mal, dass Du in den derzeitigen Interviews oft auch auf den Song "Kopfschwul" angesprochen wirst. Einige werden dabei vielleicht an den älteren Track "Ich bin schwul" von 2002 denken. Siehst Du zwischen diesen beiden Liedern eine Verbindung oder steht jeder für sich selbst?

JOACHIM WITT: Damals war das ja aus einer beobachtenden Position geschrieben. Mit "Kopfschwul" beschreibe ich eher einen Zustand und dieser markante Begriff ging mir schon eine ganze Weile im Kopf rum. Eigentlich gibt es ihn ja gar nicht im täglichen Sprachgebrauch. Ich fand, dass das eine tolle Beschreibung für eine Situation ist, in die der eine oder andere gerät. Die Situation, dass man sich auf geistiger Ebene einer Person des gleichen Geschlechts sehr nahe fühlt, vielleicht sogar eine Art Liebe entwickelt. Ich selbst habe so etwas zwei, drei Mal erlebt. Das war sehr intensiv, aber es ist nie eine Partnerschaft daraus geworden. Es blieb immer platonisch. Ich wollte das unbedingt mal beschreiben, weil ich denke, dass es anderen auch so ergeht.

BODYSTYLER: Im Grunde bestätigst Du gerade meine Vermutung, dass Du das früher in dieser Form noch nicht hättest veröffentlichen können und dabei beziehe ich mich einzig auf die Umwelt, die so etwas in den 80ern und vielleicht sogar noch in den 90ern gar nicht verstanden hätte.

JOACHIM WITT: Allein durch meine Arbeit hatte ich ja stets Kontakt zur Schwulen-Community und habe da stets nur positive Erfahrungen gemacht. Ich kann immer gar nicht verstehen, wie man darüber noch diskutieren oder sich aufregen kann. Für mich ist das eine absolute Selbstverständlichkeit. Die Suche nach der eigenen Sexualität gehört doch zu den Grundrechten. Jeder sollte sein Glück finden und die Partnerschaften führen, in denen man sich wohlfühlt. Dieses archaische, machohafte Bild davon, was ein Mann sein sollte, habe ich noch nie verstanden. In den 80ern wäre so ein Text aber wahrscheinlich wirklich nicht möglich gewesen.

BODYSTYLER: Auf Deinen Konzerten sprichst Du zwischen den Liedern oft eine sehr direkte, kompromisslose und manchmal sogar etwas derbe Sprache. Das finde ich persönlich immer sehr erfrischend. Wann hast Du denn für Dich persönlich festgestellt, dass diese Dinge manchmal raus müssen?

JOACHIM WITT: Seitdem mir ziemlich viel egal geworden ist (lacht) Das hat etwas mit der schwindenden Angst vor einer peinlichen Situation zu tun. Ich mache mir weniger Gedanken darüber, wie ich rüberkommen oder mich das Publikum noch akzeptieren könnte. Mir ist es wirklich manchmal egal, ob das den Leuten gefällt, obwohl ich mich natürlich darüber freue, wenn es gut aufgenommen wird. Ich fand es übrigens immer schon peinlich, wenn man sich auf der Bühne beim Publikum einschleimen will. Ich möchte mich nicht anbiedern oder Ansagen einstudieren, sondern sage das, was mir gerade einfällt.

BODYSTYLER: Sehr schön. Das lieben Deine Fans an Dir.

JOACHIM WITT: Anscheinend. Vielen Dank. Mir war ja lange Zeit auch gar nicht bewusst, dass das sogar zu einer gewissen eigenen Stilistik geworden ist (lacht).

BODYSTYLER: Du hast vor einiger Zeit, die Idee der Rewards ins Leben gerufen. Das finde ich total spannend. Wie lief das an und was genau verbirgt sich dahinter?

JOACHIM WITT: Das ist von den Fans sehr positiv aufgenommen worden, obwohl die Leute natürlich auch vorsichtig sind, wenn sie Geld für etwas ausgeben sollen, was sie noch nicht kennen. Das ist ein gestaffeltes Programm. Es gibt da Videos, Fotos, die es so im öffentlichen Raum nicht gibt. Man hat zudem Chancen auf Gästelistenplätze und es wird wahrscheinlich auch mal Demoversionen von Songs geben. Ich biete also viele exklusive Dinge, teils aus meinem persönlichen Alltag und hoffe, dass das für beide Seiten etwas Gutes ist. Ich denke ja oft, dass das keinen interessiert, aber das sehen die Fans meist ganz anders (lacht)

BODYSTYLER: Zum Glück. Vielen Dank für das wieder mal sehr schöne Gespräch und bleib gesund.

JOACHIM WITT: Dankeschön und ebenso.


„Rübezahls Rückkehr“ – Die Tour 2021
(verlegt von 2020)
Support: Eklipse + Special Guests

12.03.2021 Potsdam - Lindenpark
13.03.2021 Cottbus - Gladhouse

18.03.2021 Frankfurt - Das Bett
19.03.2021 Dresden - Tante Ju
20.03.2021 Erfurt- HsD

26.03.2021 Leipzig - Haus Auensee
27.03.2021 München - Backstage
28.03.2021 Nürnberg - Hirsch

08.04.2021 Berlin - Kesselhaus
09.04.2021 Magdeburg - Factory
10.04.2021 Görlitz - Kulturbrauerei

16.04.2021 Oberhausen - Kulttempel
17.04.2021 Hannover - Musikzentrum
18.04.2021 Hamburg - Mojo Club