Arsine Tibé

Atmosphärisches Sterben

21.05.2020 - Es heißt, dass das Sterben bereits direkt nach der Geburt beginnt. Es begleitet den Menschen ein Leben lang. Man kann diese Tatsache verdrängen oder sich damit auseinandersetzen. Manfred Thomaser hat sich mit seinem Solo-Projekt Arsine Tibé für Letzteres entschieden und widmet dem Thema eine Instrumental-Trilogie namens "An ambience of dying". Von: Torsten Pape

Image Reflektion im Ambient-Spiegel (Foto: Pinar Karabulut)

BODYSTYLER: Vor vier Jahren erschien der erste Teil der "An Ambience Of Dying"-Trilogie. Kannst Du Dich erinnern, wie diese Reise begann und war Dir damals schon bewusst, dass es eine Trilogie werden würde?

MANFRED: An eine Trilogie habe ich damals nicht gedacht. Es hatte zuvor bereits erste Schritte in Richtung Ambient gegeben, z.B. "Walking Inside" vom "Istanbul"-Album, und ich wollte diesen Weg für einen gesamten Longplayer gehen. Was sich daraus ergab, war eine Lounge Noire Version von Ambient.

BODYSTYLER: Thematisch setzt Du Dich im Verlauf dieser Trilogie mit dem Thema "Sterben" oder auch "Verfall" auseinander und innerhalb der Alben drückst Du viele unterschiedliche Stimmungen aus. Der Hörer erlebt eher helle, sonnige, ruhige und rhythmische, aber auch dunkle, verschwommene und melancholische Passagen. Welche Gefühle verbindest Du selbst mit den verschiedenen Stücken und welches dominiert Deine Stimmung nach Abschluss dieses Zyklus?

MANFRED: Im Rückblick entstand die Trilogie aus zwei inneren Vorgängen heraus. Einerseits brauchte ich ein Ventil, um den Tod meiner Eltern zu "ertragen", andererseits helfen mir die drei Alben, die Angst vor dem eigenen Sterben ins Gleichgewicht zu bringen. "The Day She Died I" ist z.B. von der Trauer geprägt, die der Tod meiner Mutter auslöste. Als sie starb wurden sämtliche Wurzeln durchtrennt. "Anywhere" vom zweiten Album steht für die Erinnerung an die Verbindung zwischen Mutter und Kind. Diese Gedanken fanden aber erst nach Abschluss des Songs zusammen. Ich stehe nicht am Fenster und sage: 'Heute schreibe ich mal einen Song, der die Verbindung zwischen Mutter und Kind zum Ausdruck bringt.' Das aktuelle "Horizon" verdeutlicht, wie wenig wir dem Tod entgegen zu setzen haben. Letztlich steht dieser Song für Hoffnung und Ausweglosigkeit zugleich. Diese beiden Worte verbinde ich mit dem Tod meines Vaters. Wir haben immer wieder gehofft, seine Erkrankung könnte einen guten Ausgang nehmen. Ein dominantes Gefühl gibt es nach Abschluss der Trilogie nicht.

BODYSTYLER: Wie hat sich Deine Sichtweise auf den Tod im Verlaufe Deines Lebens verändert und welche Rolle nimmt "An Ambience Of Dying I-III" dabei ein?

MANFRED: Als Kind wirkte der Tod abstrakt auf mich. Man versteht in gewissen Grenzen, welche Bedeutung es hat, wenn die Großeltern sterben. Aber die Zusammenhänge fehlen je nach Alter und Entwicklung. Mit dem Älterwerden rückt das Thema näher an das Bewusstsein heran. Ich denke, "An Ambience Of Dying I-III" wäre mir im Alter von 20 Jahren nicht in den Sinn gekommen. Kam es ja auch nicht. Die damit einhergehende Melancholie war mir aber auch damals nicht fremd.

"Die "blaue Phase" ist dadurch aber natürlich nicht beendet sondern nur unterbrochen worden."

BODYSTYLER: War das Element des Gesanges in den Anfangstagen von Arsine Tibé noch vorhanden, trat es über die Jahre mehr und mehr in den Hintergrund. Wie kam es zu dieser Entwicklung und wird es zukünftig bei der rein instrumentalen Ausrichtung bleiben?

MANFRED: Instrumentalmusik bietet mir sehr viele Freiheiten. Der klassische Pop-Song mit Gesang enthält Strophen, Refrains, eventuell ein Intro, eine Bridge, ein Break oder auch ein Solo. Instrumentalmusik ist frei von all dem, wenn sie frei davon sein möchte. Und der Wunsch, diese Freiheit stärker auszuleben hat die Entwicklung geprägt. Es wird aber sicherlich auch wieder Zeiten geben, in denen ich mit Gesang arbeite.

BODYSTYLER: Wie bist Du selbst das erste Mal mit Instrumentalmusik bewusst in Berührung gekommen und was schätzt Du daran besonders?

MANFRED: Die ersten Erinnerungen reichen zurück in die Kindheit, als ich die Karl May-Verfilmungen sah. Auch die Edgar Wallace- und James Bond-Verfilmungen haben mich musikalisch früh geprägt. Martin Böttcher, Peter Thomas und John Barry waren damals die "Helden" im Hintergrund. Die Titelmusik von "Raumpatrouille Orion" (Peter Thomas) oder die zu "Die Zwei" (John Barry)... ja, letztlich sind es die fehlenden Grenzen, die ich am Komponieren von Instrumentalmusik schätze.

BODYSTYLER: Welche Künstler haben Dich diesbezüglich in Deinem eigenen Schaffen besonders geprägt?

MANFRED: Neben den drei bereits genannten Komponisten waren das u.a. Andreas Vollenweider, Antonio Carlos Jobim, Thievery Corporation, Tangerine Dream, Kraftwerk und Projekt Erde.

BODYSTYLER: Das von Dir genannte Duo Projekt Erde dürfte wahrscheinlich nicht allen Lesern bekannt sein. Würdest Du diese Band vielleicht einmal kurz vorstellen und beschreiben, was Dich an ihrer Musik besonders fasziniert?

MANFRED: Projekt Erde war ein Duo, bestehend aus Christoph Hausmann und Martin Stark. Die drei mir bekannten Alben erschienen zwischen 1992 und 1996. Vor allem "11:11" empfinde ich als die berühmte kosmische Reise schlechthin. Als ich das Titelstück erstmals hörte, hatte ich eine sehr intensive Vision. Die atmosphärische Weite und Tiefe in der Musik sind beeindruckend.

BODYSTYLER: Im letzten Interview zu Deinem anderen Nebenprojekt The Independent Seasons haben wir noch darüber gesprochen, dass die Anzahl der Songs auf Deinen Veröffentlichungen immer mehr abnimmt, die Stücke selbst jedoch immer länger werden. Nun veröffentlichst Du ein Album mit nur zwei Tracks, die jeweils jedoch deutlich über zwanzig Minuten lang sind. Wie kam es zu diesem Schritt und war es ein bewusster oder unbewusster?

MANFRED: Unser Gespräch hatte tatsächlich einen Einfluss darauf, weil ich mich hinterher fragte, warum ich mich nicht an den 20 Minuten Song heran traue. Davor hatte ich natürlich Respekt. Wie schafft man es, 20 Minuten oder mehr zu gestalten, ohne sich zu sehr zu wiederholen oder eventuell sogar sehr weit von der Grundidee abzuschweifen? Als "Horizon" entstand, war die erste Version um die 12 Minuten lang. Der Song baute ein Gefühl auf, das sich nach dieser Länge verflüchtigte. Und das ist natürlich nicht, was man erreichen will. Also habe ich die Atmosphäre weiter ausgebaut, bis das Gefühl nach dem Anhören blieb.

BODYSTYLER: Die Tatsache, dass Dein neues Album nur diese beiden, langen Songs enthält, könnte man auch als Verbeugung vor dem guten, alten LP-Format verstehen. Was sagst Du zu diesem Deutungsansatz?

MANFRED: Definitiv. Gerade "Rubycon" von Tangerine Dream hat mich diesbezüglich geprägt. Zwei LP-Seiten, je ein Song, eine wirklich irre Dichte und Atmosphäre. Ein Meisterwerk.

BODYSTYLER: Du hast im Vorfeld unseres Interviews bereits angedeutet, dass es viel Zeit gekostet hat, die einzelnen Teile der beiden aktuellen Songs miteinander zu verbinden. Würdest Du noch einmal beschreiben wollen, wie sich die Komposition und Umsetzung von "Horizon" und "Inspiration I-III" gestaltete und mit welchen Schwierigkeiten Du zu kämpfen hattest?

MANFRED: Sehr viele meiner Songs entstehen nach dem "Prinzip", ich schau mal was passiert. Letztlich vertraue ich darauf, dass viele der aufkommenden Melodien und Arrangements bereits lange vorher im Unterbewusstsein los gelaufen sind. Diese Arbeitsweise bringt einen manchmal an Orte, an denen die Orientierung verloren gehen kann. Bei "Horizon" hatte ich z.B. zu viele Ideen in die ersten zwölf Minuten gepackt. Auch das rund 25 minütige Arrangement enthielt zu viele Sounds und Melodien, so dass ich viel Zeit damit verbrachte heraus zu finden, was bleibt drin und was fliegt raus. Letztlich verzichtete ich auf fünf Instrumentenspuren und denke, man kann sich jetzt viel klarer auf die Komposition einlassen.
"Inspiration I-III" rief nach Brücken, mit deren Hilfe ich die einzelnen Parts verbunden habe. Alle drei Teile stehen für sich und gehören doch zusammen. Das heraus zu arbeiten war nicht einfach. Natürlich inklusive der Frage, ob es überhaupt gelingen würde. Ich stehe in solchen Situationen immer wieder vor Mauern.
Und zum Schluss hin habe ich die Songs selbst gemastert. Da ich das erstmals gemacht habe, ging anfangs natürlich viel daneben. D.h. einen Song mastern, in Ruhe auf verschiedenen Anlagen anhören, die Fehler entdecken, neu mastern... weitere Fehler entdecken, neu mastern... da braucht es viel Geduld. Vor allem wenn die Songs so lang sind.

"Ich stehe nicht am Fenster und sage: 'Heute schreibe ich mal einen Song, der die Verbindung zwischen Mutter und Kind zum Ausdruck bringt.'"

BODYSTYLER: Lass uns noch über das Artwork reden. Nach Deiner "blauen Phase" ist es nun gänzlich in Schwarz und Weiß gehalten. Das passt natürlich zum Thema, obwohl beim Hören der Songs auch durchaus andere Farben vor dem geistigen Auge erscheinen. Wie sind die Covermotive entstanden?

MANFRED: Die beiden letzten Covermotive basieren auf der Idee zum ersten Album, zu dem Seyhan Photo und Artwork beisteuerte. Dieses Photo zu "An Ambience Of Dying" entstand im vernebelten Hamburg. Die grundsätzliche Idee wollte ich fortsetzen als die Trilogie in den Fokus geriet. Herbert Hippmair erlaubte mir, eines seiner Photos für Teil 2 zu verwenden. Das Cover-Bild zum dritten Teil ist ein Porträt meinerseits, welches Pınar Karabulut machte. In einem Museum entdeckten wir einen alten Spiegel, der Gesichter je nachdem wo man gerade stand verfremdete. So als würde man nachträglich einen Filter über das Bild legen. Die "blaue Phase" ist dadurch aber natürlich nicht beendet sondern nur unterbrochen worden.

BODYSTYLER: Gibt es bezüglich Arsine Tibé bereits Ideen, wie es zukünftig weitergehen könnte?

MANFRED: Für die zweite Jahreshälfte 2020 plane ich die Veröffentlichung zweier EPs aus meinem Archiv. Es handelt sich um zuvor unveröffentlichte Songs, die zur Zeit ihres jeweiligen Entstehens nirgendwo dazu passen wollten. Dort wird zumindest teilweise auch wieder gesungen. 2021 liegt anschließend völlig frei und offen vor mir.

BODYSTYLER: Kannst Du vielleicht auch noch einen kurzen Ausblick darauf geben, was man demnächst von Deiner Hauptband !distain sowie The Independent Seasons erwarten darf?

MANFRED: Was !distain betrifft, so haben wir nach "Farewell To The Past" erste Demos komponiert und zu einigen bereits Gesangsideen skizziert. Die Corona-Krise legte die gemeinsame Arbeit im Studio erst einmal auf Eis. Von The Independent Seasons soll es noch in diesem Jahr ein neues Album geben. Daran arbeite ich zurzeit.