Ostara

Vorübergehende Dunkelheit

08.07.2020 - Mit "Eclipse of the West" veröffentlicht der Australier Richard Leviathan das mittlerweile achte Studioalbum unter dem Namen Ostara. Es spiegelt eindrucksvoll einen oft pessimistischen, aber doch vorwärts gewandten Blick auf die Geschichte wieder, der eingebettet wurde in eine sehr eingängige Variante des Neo-Folks. Das folgende Gespräch soll ein wenig die gehaltvollen Hintergründe beleuchten. Von: Torsten Pape

Image "Das Zerstörerische kann vieleicht sogar das größere Gut sein, da es uns den Schlüssel zur Wahrheit übergibt, anstatt vor ihr zu flüchten." (Richard Leviathan) (Foto: Promo)

BODYSTYLER: Dein neues Album "Eclipse of the west" war ursprünglich bereits für 2018 geplant. Warum hat es letztendlich noch zwei weitere Jahre bis zur Veröffentlichung gebraucht?

RICHARD LEVIATHAN: Zunächst einmal kamen einige Songs zum ursprünglich deutlich kürzer geplanten Album hinzu. Zweitens ist das auf COVID-19 zurückzuführen, was die Veröffentlichung um ein paar weitere Monate nach hinten verschoben hat. Ich hatte mir vorgenommen, es spätestens 2020 herauszubringen, aber dadurch, dass so viel in der Welt passiert ist, wurde es immer mehr zu einem Soundtrack. Einige Songs spiegeln die Zeit mehr wieder, andere weniger.

BODYSTYLER: Deine Rückkehr zum Trisol-Label war eine kleine Überraschung. Wie kam es dazu?

RICHARD LEVIATHAN: Das hat letztendlich mit dem Wunsch nach Expansion zu tun. Von einem kleinen Unternehmen in den USA sollte es nun wieder internationaler werden mit einem besonderen Fokus auf Europa. Bei Trisol sind ein paar großartige Künstler wie zum Beispiel Rome unter Vertrag, für die ich viel Bewunderung und Respekt empfinde. Ich kenne Alex Storm (Geschäftsführer von Trisol, Anm. d.Red.) nun schon seit Jahren und seine Beständigkeit legt Zeugnis von seiner Fähigkeit ab, sich der digitalen Zerrüttung anzupassen und immer noch Vinyl zu veröffentlichen. Zudem hat er einen ähnlichen Sinn für Ästhetik wie ich.

BODYSTYLER: Natürlich weckt das Gelb des Vinyls Erinnerungen an das Album "The force of truth and lies" (damals noch unter dem Namen Strength Through Joy veröffentlicht, Anm.d.Red.). Siehst Du selbst eine Verbindung zwischen diesen beiden Werken oder hast Du diese eventuell sogar beabsichtigt?

RICHARD LEVIATHAN: Nein, obwohl ich diese Assoziation mag. In gewisser Hinsicht fühle ich, dass dies das Ostara-Album ist, welches dem Klang und dem Spirit von STJ am nächsten kommt.

BODYSTYLER: Ein anderer interessanter Aspekt ist der Kontrast des hellgelben Vinyls zum Titel des Albums. Dunkelheit und Licht, die "Sonne" geht auf, wenn man die Platte aus ihrer Hülle nimmt... Erzähle doch bitte etwas darüber, warum Ihr Euch für genau diese Farbe entschieden habt und welche Intentionen generell hinter dem Artwork stecken?

RICHARD LEVIATHAN: Ich konnte einfach nicht nur Schwarz benutzen, weil das keinerlei Symbolcharakter besessen hätte. Also war Gelb die Sonnen-Alternative. Die Vorstellung von einer Verdunkelung ist nicht etwas, das permanent stattfindet, aber sie besitzt eine tiefgehende Symbolik und geht mit unterbewussten Assoziationen einher, die wir immer dann abrufen, wenn eine reelle Finsternis auftritt. In vergangenen Zeiten wohnte einem solchen Ereignis immer etwas Unheilvolles inne, aber es war nie von Dauer und am Ende erstrahlte wieder das Licht. Was in dieser dunklen Stunde geschieht, ist eine bedeutsame Erfahrung und wenn man es als Metapher betrachtet, kommt es einer offensichtlichen Meditation über unsere Zeit gleich. Meiner Meinung nach haben wir den Tiefpunkt des Optimismus, welcher das neue Jahrtausend kennzeichnete, erreicht. Das endete mit dem 9.November, dem Krieg gegen den Terrorismus, dem finanziellen Kollaps, der Flüchtlingskrise, dem IS und der Implosion der Vereinigten Staaten sowie deren führender Rolle in der Welt. Spirituell gesehen ist das alles ein Echo auf Oswald Spenglers "Der Untergang des Abendlandes" und es gibt da diesen viel längeren, dunklen Schatten hinter der gegenwärtigen Angst. Vielleicht ist das der Geist der Geschichte, was Moeller van den Bruck das Gesetz des Unkalkulierbaren nannte.

BODYSTYLER: In einem anderen Interview (im Orkus-Magazin) hast Du gesagt, dass sich die Geschichte wiederholt, aber auf der anderen Seite auch, dass die Realität oft unvorhersehbar ist und Überraschungen bereithält. Wo ziehst Du die Grenze zwischen den Dingen, die erwartbar sind und denen, die es nicht sind?

RICHARD LEVIATHAN: Siri Hustvedt sagte, dass Geschichte aus Amnesie gemacht wird, eine Zeile, die ich mir auch für einen meiner Songs ausgeborgt habe. Das ist im Grunde nur eine andere Art, um zu sagen, dass diejenigen, die nicht aus der Vergangenheit lernen, dazu verdammt sind, diese zu wiederholen. Die Wahrheit ist jedoch, dass sie dazu verdammt sind sie zu wiederholen, selbst wenn sie aus ihr gelernt haben. Die Zeit und ihre Effekte auf Macht und Beständigkeit besitzen etwas Schicksalhaftes. Jene, die sie suchen, werden sie verlieren und jene, die die Grenzen nicht erkennen, werden das Chaos in die Welt bringen. Vieles an dieser tristen Reflektion geht auf die Idee vom Ende der Geschichte zurück, dem Triumph der westlichen, besonders der anglo-amerikanischen Vorherrschaft, welche dem Kommunismus folgt. Das ist eine ironische Wiederholung von Hegel, der dachte, dass die Geschichte in seiner Zeit zu einem Ende finden würde. Marx hat dies in die nahe Zukunft projiziert, wohingegen die Liberalen und Konservativen um Clinton und Bush es als den Sieg des amerikanischen Traumes angesehen haben. Wir wissen, dass das auch keinen Bestand mehr hat, was uns wiederum an das erinnert, was Spengler, Nietzsche, Evola und Vico über die Zeit gesagt haben und was einer östlichen Konzeption der ewigen Wiederkehr und der zyklischen Gesetzmäßigkeiten entspricht, die im Faden der Gegenwart verborgen ist. Alles passiert immer wieder, nur unter verschiedenen Vorzeichen und mit anderen Situationen. Der gleiche tragische Refrain nur hinter verschiedenen Masken.

BODYSTYLER: In einem anderen Interview hast Du erzählt, dass Du als Kind immer eine gewisse Empathie für den unglücklichen Troubadix aus den Asterix-Comics verspürt hast. Wie jedoch sieht Deine heutige Sicht auf diesen Charakter aus? Fühlst Du Dich selbst manchmal missverstanden? Und wie steht es um die häufig anzutreffende Diskrepanz zwischen den Klängen, die man selbst mag und der Meinung, die andere darüber haben, aus?

RICHARD LEVIATHAN: Zunächst einmal hoffe ich, dass ich ein besserer Barde als Troubadix bin. Den Vergleich finde ich jedoch sehr interessant, da ich mir der Tatsache sehr wohl bewusst bin, dass ich von jenen, die denken, dass ich politisch motiviert oder auch ein Blender bin, interpretiert und verdammt werde. Das Internet bietet für Trolle immer wieder Möglichkeiten, um Maß zu nehmen und aus ihren Sesseln heraus zu kritisieren. Einige von ihnen verbergen damit jedoch nur ganz persönliche Motive. Was ich daraus gelernt habe, ist Ausdauer, innere Stärke und einen gewissen Stolz zu haben. Ein Musiker zu sein, hat nichts mit einem Hobby oder einem Beruf zu tun. Es ist eine Berufung und wenn Dir nur ein paar Tausend Leute folgen und das zu schätzen wissen, was Du machst, hat sich die Mühe mehr als gelohnt. Das über zwanzig Jahre durchzuhalten ohne zu stagnieren, hat nichts mit Überleben zu tun, sondern mit einer ständigen Erneuerung. Man findet jedoch trotzdem nie den Heiligen Gral. Man kann nur einen Blick darauf erhaschen und das hat mich die Tradition der Troubadoure und Minnesänger gelehrt. An einem Tag trittst Du in einer Burg in Thüringen auf, am nächsten sitzt Du wegen der Pandemie im Exil in Australien fest. Also geht die Reise für Dich weiter, immer auf der Suche nach Liebe, Weisheit und Kampf. Der Weg zum Krieg führt zur Liebe und andersherum.

"Ich möchte mich daran erinnern, wie das Leben früher aussah, die Vergangenheit mit in die Zukunft nehmen, was bedeutet, mit dem Internet und nicht in ihm zu leben."

BODYSTYLER: Mit jedem Schritt, den man im reellen oder virtuellen Leben tut, nimmt die Observation sowie die Sammlung von persönlichen Daten zu. Was denkst Du über die zunehmende Transparenz eines jeden einzelnen Menschen? Wie versuchst Du selbst, solche Mechanismen zu vermeiden?

RICHARD LEVIATHAN: Das Internet und die sozialen Medien sind mehr als nur ein Fenster oder ein Spiegel - es ist vielmehr eine Art Black Box, durch die die Menschen ihre wahre Natur offenbaren und gleichzeitig zu verheimlichen versuchen. Das führt zu viel Feindseligkeit und Hass und vergiftet die Gedanken, da die Menschen versuchen, virtuelle Feuer zu entfachen, um Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Das kommt einer Erniedrigung des Intellekts gleich und führt zu einer mundgerechten, hoch komprimierten und giftigen Form der Kommunikation, die uns von den essentiellen Dingen des Lebens abbringt. Das soll natürlich nicht bedeuten, dass man ohne das Internet leben soll. Für mich ist es ebenfalls eine sehr lebendige Quelle, durch die ich bereits viele gute Freunde gewonnen habe. Wenn man es auf eine ehrliche und aufrichtige Art benutzt, kommt es einem Orakel gleich, mit dessen Hilfe wir uns auch über große Entfernungen verbinden können. Das ist in Zeiten, in denen die Bewegungsfreiheit und das Reisen eingeschränkt sind, noch wichtiger geworden. Wie jede andere Technologie ist es natürlich auf moralischer Ebene nie neutral. Es ist ein Instrument für die Guten, aber auch die kranken Geister und wir müssen uns seiner Verlockungen und Grenzen bewusst sein, da wir immer mehr in dieser Ersatzwelt leben, oftmals auf Kosten der physischen und metaphysischen Realität unseres Seins. Wir sollten einen Schritt zurücktreten, unser Gleichgewicht finden und eine Form von Abstand etablieren, die uns daran erinnert, dass das ein Bildschirm, eine Barriere, ein Schleier und eine Mauer ist. Es ist wichtig, diese Barriere zu haben, die Grenzen zu kennen und kritisch damit umzugehen. Wir müssen erkennen, wie betrügerisch und selbstzerstörerisch das alles sein kann. Meine Gegenmittel sind ein gutes Buch, eine Vinyl-Platte, ein langer Spaziergang ohne bestimmtes Ziel und eine bewusste Pause, die aber mehr sein sollte als nur ein Urlaub vom Internet. Ich möchte mich daran erinnern, wie das Leben früher aussah, die Vergangenheit mit in die Zukunft nehmen, was bedeutet, mit dem Internet und nicht in ihm zu leben. Das fällt zunehmend schwerer, da mittlerweile jeder Aspekt des Lebens ein virtuelles Äquivalent besitzt, von der Bildung bis zur Medizin, Kunst bis Kommerz. Ich würde mir internetfreie Zonen wünschen, in denen man Zuflucht finden kann, aber letztendlich müssen wir diese nah an unserem Zuhause errichten, um dem Wahnsinn regelmäßig widerstehen zu können.

BODYSTYLER: In Deinen Texten wirfst Du oft einen Blick auf die kleinen Dinge des Lebens, aber oft als einen Teil des großen Sytems. Bist Du ein Mensch, der sich stets des großen Ganzens bewusst ist oder kannst Du diesen Aspekt gut ausblenden?

RICHARD LEVIATHAN: Diese Beobachtung ist korrekt. Ich bin mir der Beziehung zwischen den temporären und den ewigen Dingen, der Gegenwart und der Vergangenheit, des Vergänglichen und des Beständigen bewusst. Ich schreibe über ganz reale Dinge und reale Menschen, aber ich bevorzuge Symbole und Metaphern, um sie zu vermitteln, was einer poetischen Imagination gleichkommt. Das kann natürlich nicht verleugnen, dass ich aus Fleisch und Blut bin und dass ich Veränderungen im Denken und Fühlen unterworfen bin. Ich bin nicht mehr der Mensch, der ich 1995 war, aber der Samen wurde schon vor langer Zeit gesät, wächst, wechselt seine Blätter und entwickelt sich zu etwas Neuem, dessen Essenz jedoch stets die gleiche ist. Wenn jedes Atom in unserem Körper alle zwei Dekaden ersetzt wird, so ist das eine Erneuerung und Transformation der gesamten Person und was bleibt, ist nicht die Erinnerung, sondern der Kern der Erinnerung, der das bewahrt, was mich verändert, indem eine Art Zeitachse bzw. eine Art Archiv angelegt wird. Wir werden nie aus uns selbst heraustreten, also ist das, was andauert, auch das, was sich auflöst und uns neu gestaltet.

BODYSTYLER: Du bist schon immer sehr beeinflusst von Literatur, Geschichte, Mystizismus, der Pop-Kultur und vielen anderen Dingen. Um eine Idee des aktuellen Stands zu bekommen, wäre es großartig, wenn Du uns die letzten Bücher, Alben und Filme nennen würdest, die bei Dir einen bleibenden Eindruck hinterlassen haben.

RICHARD LEVIATHAN: Bücher: Tim Winton "Eyrie" (dt. "Schwindel"), Giambattista Vico "The new science" (dt. "Die neue Wissenschaft"), Georges Bataille "The accursed share" (dt. "Der verfemte Teil"), Wolfram von Eschenbach "Parzival", Han Kang "Der Vegetarier"
Musik: Leonard Cohen "You want it darker", Rome "Heliodoro", Chelsea Wolfe "Birth of violence", Ennio Morricone "Western Songs"
Filme: "Agora" (Amenabar), "The wind rises" (Miyazaki), "Parasite", "Joker"

BODYSTYLER: Du hast einmal gesagt: "Man kann die Union verlassen, aber man verlässt nie wirklich Europa." Was ist Deine aktuelle Meinung zum Brexit?

RICHARD LEVIATHAN: Großbritannien gehört zu Europa und alle Versuche des UK für sich allein zu stehen, haben es mehr und mehr isoliert bzw. in den amerikanischen Einflussbereich gebracht. Das ist an sich nichts Schlimmes, aber es bringt schon ein paar negative Konseqeunzen mit sich besonders in den Zeiten des "War on terror". Der Brexit ist eine falsche Hoffnung, denn was auch immer das Problem der EU ist (und da gibt es einige), die Motivation war nie eine regionale Identität innerhalb der westlichen Welt, sondern vielmehr eine kleinkarierte Engstirnigkeit, die auch schon die alten Euroskeptiker um Margaret Thatcher ausgezeichnet hat. Es ist das Erbe Churchills aber minus des Empire-Gedankens und kombiniert mit der neoviktorianischen Ökonomik der anglo-amerikanischen Welt. Das alles hat eine Kultur des Zerfalls und der selbstsüchtigen Interessen erschaffen, die den Westen atomisiert hat. Ich habe nichts gegen Individualismus, sondern glaube vielmehr ganz fest daran, aber kein Mensch ist eine Insel, genauso wie der Inselstatus Großbritanniens nicht autark ist. Er ist vielmehr das Ergebnis jahrhundertelanger Verbundenheit mit dem Kontinent, genau wie mit seinem irischen Nachbarn. Es wurden währenddessen viele multikulturelle Elemente, die sich aus den Zeiten des Empires und der Kolonien, aber auch vieler anderer Kulturen der Welt ergeben, aufgenommen. Der Versuch, eine internationale Gesellschaft zu sein, die jedoch an Einfluss verliert, wird den Status weiter schwächen. Es hätte vielmehr Veränderungen in den Beziehungen zur EU geben müssen. Es mag Wunschdenken sein, aber für mich geht es um so wichtige Dinge wie die historische und kulturelle Landkarte Europas, als ein komplexes Gebilde aus Nationen mit einer gemeinsamen Vergangenheit, gemeinsamen Wurzeln und gemeinsamen Landschaften. Solche Dinge werden sich durch Austritte wie den Brexit zwar nicht auflösen, aber durch die Kräfte des Zerfalls, die uns an die Themen wie Globalisierung und engstirniger Nationalismus erinnern. In dieser Hinsicht bin ich kein Optimist und deshalb ist der Brexit eher das Symptom einer Krankheit im Herzen Europas. Wenn wir die Großartigkeit Europas bewahren wollen, dann mit Hilfe von Erinnerungen und Kunst, der Konservierung der intellektuellen Traditionen und der Überwindung aller Ideologien des 20. Jahrhunderts, die diesen Geist untergraben haben. Leider Gottes ist Europa ein tragischer Kontinent, aber das befähigt ihn auch zur Größe. Es besitzt nicht den kindischen, amerikanischen Optimismus, sondern ist erfüllt von Jahrhunderten des Blutes und des Feuers.

"Meiner Meinung nach haben wir den Tiefpunkt des Optimismus, welcher das neue Jahrtausend kennzeichnete, erreicht."

BODYSTYLER: Im Song "Alchemy" kombinierst Du (einmal mehr) fröhliche und poppige Melodien mit melancholischen und düsteren Worten ("lonely world", "circle of pain", "To nothing will lead the way" etc.). Was ist für Dich so reizvoll an der Kombination dieser (scheinbaren?) Gegensätze?

RICHARD LEVIATHAN: Ich glaube an den Geist eines fröhlichen Pessimismus, eine freudige Umarmung des Tragischen und Schicksalhaften. Die meiste Kunst ist doch eine Art von Alchemie, welche sich dunkler Themen des Lebens bedient und sie in eine Elegie umwandelt, die die Verzweiflung und die Gefahr im Herzen der Realität vertont. Das ist der Kontrapunkt zu all dem Glauben an Erlösung und Befreiung, aber in den Tiefen kann es diesen Sinn für Transzendenz besitzen. Die Frage ist doch, ob es nicht noch eine andere Art gibt, das Leben zu zelebrieren, ohne sich dessen bewusst zu sein, was es zerstört? Das Zerstörerische kann vieleicht sogar das größere Gut sein, da es uns den Schlüssel zur Wahrheit übergibt, anstatt vor ihr zu flüchten.

BODYSTYLER: "Wayland's son" wurde inspiriert durch die Geschichten über Wayland Smith, der in Deutschland als Wieland der Schmied bekannt ist. In diesem Song geht es recht heroisch zu und am Ende scheint Ragnarök (oder auch Walhalla) zu warten. Ist das für Dich nur die Wiedergabe eines Mythos oder mystischer Dinge oder siehst Du auch Bezüge zur Gegenwart?

RICHARD LEVIATHAN: Ich habe die Wayland Schmiede in Wiltshire vor vielen Jahren besucht und viel darüber gelesen, dass Wayland bzw. Wieland einer der mächtigsten, aber auch brisantesten Figuren der nordischen Mythologie ist. Es ist sein Schwert, dass an Ragnarök zerschmettert wird. Er ist eine Art Einzelgänger mit misanthropischen Zügen und einem Misstrauen gegenüber den Göttern. Ich schaue mir auch "Vikings" an und registriere ein zunehmendes Interesse an nordischen Mythen und Sagen. Das ist großartig, aber erinnert uns natürlich auch daran, dass unsere Geschichte sehr unbeständig und gewaltäig ist und Technologie oder die Zivilisation keine Garantie für Frieden und Sicherheit sind. Die Barbaren können dabei der IS sein, der Hi-Tech-Geräte benutzt, um seine Greueltaten aufzuzeichnen oder auch der Präsident des mächtigsten Staates, der einfach kein Gespür für Geschichte hat. Der Feind ist manchmal außerhalb der Tore, manchmal jedoch schon tief im Inneren. Walhalla ist in dieser Situation ein Traum. Es gibt heutzutage keine glorreiche Aufopferung oder Martyrertum, weil es keine heiligen Dinge mehr gibt, für die es sich zu sterben lohnt - zumindest nicht auf kollektiver Ebene.

BODYSTYLER: In "El enemigo" findet man die Textzeilen: “I’m a taker / I’m a breaker / I’m a black hole maker / It’s metaphysical / It’s fate versus the will / I’m a joker in the pack / I’m a poet not a hack / The bearer of blows / A wound to the soul.” Wie sind Dir diese Worte in den Kopf gekommen und wie kam es zu der Entscheidung, sie auf diese für Ostara recht neue Art und Weise vorzutragen? Vielleicht magst Du ja auch ein paar Hinweise zur Bedeutung des Textes geben?

RICHARD LEVIATHAN: Der Text wurde durch einen Vorfall vor einigen Jahren inspiriert. Ich habe einen Festival-Direktor getroffen, der sich ständig darüber ausließ, dass er gut Freund mit diversen Berühmtheiten und millardenschweren Förderern der Kunst wäre. Im Nachhinein hat mich das an die Weinstein-Affäre erinnert und wie prätentiös, betrügerisch, heuchlerisch und elitär unsere Celebrity-Kultur doch ist. Man wird nur zu schnell in diesen Reigen der Berühmtheiten gelockt und separiert sich unter den Großen und Guten von der Welt. Große Künstler wurden schon von dieser Art von Hybris verflucht. Der Song ist eine Hymne an die Außenseiter, die Rebellen, die sich nie anpassen, selbst wenn sie erfolgreich sind und verehrt werden. Deswegen fand ich Joaquin Phoenix' Oscar-Rede auch so furchtbar und enttäuschend, da er als der Joker eben jenen Enemigo verkörperte, das Gegenteil eines falschen Freundes und Retters, der nur vorgibt, die Welt zu lieben. Man findet nichts Liebenswertes an dieser Welt.

BODYSTYLER: Bei "City of shades" meine ich Paralellen zu "Streets of London" von Ralph McTell zu erkennen. War das vielleicht sogar beabsichtigt oder ist es doch nur Zufall?

RICHARD LEVIATHAN: Ich habe in London in der Nähe der Van Gogh Lane in Isleworth gelebt, wo der Maler wirklich gelebt hat. Er besaß wenig Geld, weswegen er stets an der Themse entlang in die City laufen musste. In London arm zu sein, ist immer noch so hart wie damals und geht einher mit dem einsamen und hilflosen Gefühl, dass man von einem großen Schatten verschluckt wird. Ich wurde nicht durch Ralph McTell beeinflusst, aber ich kenne und liebe diesen Song.

BODYSTYLER: Würdest Du bitte erzählen, wo die Wurzeln für "Runaway horses" zu finden sind? Wo hast Du die Inspiration für diesen Song gefunden und was hältst Du von der Idee, dass dieser Ohrwurm ein wunderbares Duett sein könnte?

RICHARD LEVIATHAN: Das wurde von einer Novelle des gleichen Namens, die von Mishima geschrieben wurde, inspiriert. Ich habe sie in meinen Zwanzigern gelesen. Während die Worte von rituellem Selbstmord und heroischer Selbstaufopferung erzählen, besitzen der Songtext und die Musik diese gewisse romantische Note, so dass es sich fast wie ein Liebeslied anfühlt. Belinda Carlisle hatte mal einen Song mit dem gleichen Namen und vielleicht, in meinen Träumen, könnte ich ihn mit ihr zusammen singen. Allerdings würde ich auch gern bei Chelsea Wolfe anfragen, wenn sie denn zur Verfügung stehen würde. Behalten wir das mal im Auge...

BODYSTYLER: "Cold blunt love" sehe ich ganz in der Tradition von Leonard Cohen. Was sagst Du zu diesem Vergleich und wie findest Du diesen Künstler generell?

RICHARD LEVIATHAN: Cohen gehört zu meinen Lieblingskünstlern und ich sehe ihn als Legende, obwohl ich ihn nicht direkt zitiere und sein Einfluss eher unterschwellig ist. In dem Song geht es um den Vatikan und die Skandale um Kindesmissbrauch, in die kürzlich Australiens ältester Kardinal George Pell verstrickt war. Er wurde freigesprochen, hatte aber viele hochrangige Freunde und genoss den Schutz der Kirche. Cohen hat auch oft über Religion geschrieben und kombinierte dabei eine augenzwinkernde Ironie mit einem aufrichtigem Verständnis für Glaube und Hingabe.

BODYSTYLER: Ich habe von Plänen einer gemeinsamen Tour mit Rome gehört. Wie sieht es damit aus und planst Du gerade überhaupt irgendwelche Konzerte?

RICHARD LEVIATHAN: Die Shows in Australien wurden aufgrund von Covid-19 gestrichen. Es wären so tolle Veranstaltungen geworden und so kann ich nur hoffen, dass unser Rendezvous auf 2021 verschoben werden kann. So wie es aktuell aussieht, fliegen bis in die zweite Jahreshälfte hinein keine Flugzeuge nach Australien oder von hier ab. Da Jerome bekanntlich sehr produktiv ist, wird er wohl in der Zwischenzeit noch drei weitere Alben veröffentlichen.

BODYSTYLER: Nächste Schritte, letzte Worte?

RICHARD LEVIATHAN: Später dieses Jahr werde ich ein Buch mit dem Titel "Corona time" veröffentlichen, eine Art Memoandum der Plage. Ich plane derzeit, ein paar regionale Shows und Festivals in Australien zu spielen, um dann zu schauen, ob ich nächstes Jahr auch nach Europa und in die USA kommen kann. Daumen drücken!

BODYSTYLER: Vielen Dank und ich wünsche Dir alles Gute.

RICHARD LEVIATHAN: Ich danke Dir.