Kasper Hate

Violette Musik

18.07.2020 - Das Hamburger Projekt Kasper Hate spielt schon lange mit den Bausteinen der Popmusik, präsentiert diese jedoch stets in einem ganz eigenen Klangkosmos. Das neue Album "Violent violet" macht da keine Ausnahme, wirkt jedoch wieder etwas dunkler und experimenteller als sein Vorgänger aus dem Jahr 2019. Björn Persigla gewährt erneut Einblicke in die Entstehungsgeschichten der aktuellen Songs. Von: Torsten Pape

Image Lila Bart-Haar? (Foto: Roberto Antonietti)

BODYSTYLER: Wir haben bereits in den vergangenen Interviews immer wieder über Deine nicht abreißende Kreativität gesprochen. Nun liegen erneut kaum anderthalb Jahre zwischen den letzten beiden Alben und wie ich Dich kenne, warten bestimmt schon wieder die nächsten Songfragmente auf ihre Fertigstellung... Seit wann ist "Violent violet" für Dich abgeschlossen und bist Du wirklich schon wieder auf der nächsten Mission?

BJÖRN PERSIGLA: In der Tat ist es so, dass "Violent Violet" schon in der Mache war als wir "Play More Synthpop" vor etwa zwei Jahren fertiggestellt hatten (bis zum Release vergehen ja auch nochmal locker ein paar Monate). "Violent Violet" war für mich so eine Art „persönliches Projekt“ oder vielleicht eher ein Befreiungsschlag, wenn man es so ausdrücken möchte. Die Musikindustrie hat sich sehr verändert in den vergangenen Jahrzehnten, ebenso die gesamte Veröffentlichungspolitik. Es gibt ein riesiges Angebot an Musik, Genres und Veröffentlichungen. Mir ist (daher) durchaus bewusst, dass es wohl äußerst unwahrscheinlich sein dürfte, dass Kasper Hate noch zum Blockbuster-Act wird. Das verinnerlicht bzw. im Hinterkopf hat mich von unglaublichen vielen Zwängen und Ansprüchen befreit, nicht jedoch von der Liebe zum Musikmachen. Auch nicht davon, dass man sich natürlich über positive Reaktionen freut und einen negative doch irgendwo treffen. Das hat mich ein Album machen lassen, bei dem mich ausschließlich mein Gefühl geleitet hat. Fragen wie „Kann man das so machen?“ oder solche nach irgendwelchen Genrebegrenzungen habe ich mir einfach nicht (mehr) gestellt. "Violent Violet" war bisher das bei weitem zeitintensivste Album. Der letzte Track entstand noch dieses Jahr im Januar. Daher muss ich gestehen, dass noch nichts Neues in der Pipeline wartet. Im Booklet steht geschrieben: „This record comes from the depth of the heart” – in meinem Fall ist das völlig floskelfrei und ernst gemeint.

BODYSTYLER: Deine bisherigen Alben waren rein äußerlich so gar nicht im violetten Spektrum angesiedelt. Was war die Initialzündung für die Lila-Schaffensphase?

BJÖRN PERSIGLA: Die gesamte Farbgebung des Albums und der Single stehen letztlich für die Stimmung und die Aussage des Gesamtwerks. "Violent Violet" ist mit Sicherheit ein „ernsteres“ Album als es beispielsweise "Play More Synthpop" war. Sei es, weil die Sounds und die Songs auf "Violent Violet" wesentlich darker sind oder auch der Themen wegen. Naja, und der Albumtitel schreit ja förmlich nach violetter Farbe…

BODYSTYLER: Was sind Dinge, die Du ansonsten mit der Farbe Violett assoziierst?

BJÖRN PERSIGLA: Leuchtendes Violett: Hingucker, Signalfarbe, Wutfarbe, Verwandter zu Rot.
Dunkles Violett: Beruhigend, melancholisch, Traurigkeit, Dunkelheit, Nacht, schwarz-ähnlich
Sehr schöner Wortklang im Englischen.

BODYSTYLER: Das Frontcover, aber auch die Bilder im Booklet sind wieder mal ein absoluter Hingucker. Bei ersterem würde mich besonders interessieren, warum das rückwärts geschriebene "Violet" durchgestrichen ist?

BJÖRN PERSIGLA: Danke erstmal für das Kompliment, welches ich wieder an Roberto Antonietti weiterleite. Die Antwort ist gar nicht mal so spektakulär: Das „Violet“ ist durchgestrichen, um das „Violent“ hervorzuheben.

BODYSTYLER: Weiterhin findet man im Booklet den Satz "Fürchtet Euch nicht." An wen ist dieser gerichtet und warum?

BJÖRN PERSIGLA: Auf der einen Seite lädt der Satz ein, sich auf das Album (mit seinen teils nicht ganz popmusiktypischen Themen) einzulassen. Darüber hinaus habe ich einen persönlichen Bezug zu diesem Satz und verbinde ihn, so befremdlich das ohne Zusammenhang jetzt auch wirken mag, mit der prägendsten Zeit meines Lebens. Zum anderen ist der Satz ein gutes Mantra. Furcht ist doch kacke!

BODYSTYLER: Es wird beim neuen Werk bestimmt hin und wieder etwas länger dauern, bis es durch die Hörer erschlossen sein wird. Die Lieder wollen einfach erobert werden und brauchen ihre Zeit, um durch den Gehörgang ins Gehirn zu wandern. Wie würdest Du einen potentiellen Käufer davon überzeugen, sich diese Zeit zu nehmen?

BJÖRN PERSIGLA: Für mich persönlich waren die schwieriger erschließbaren Alben immer die, die mich am meisten fasziniert und gefangen haben. Und es sind jene, welche sich noch nach Jahren und Jahrzehnten in meinen Playlisten tummeln – im Gegensatz zu den klassischen Ohrwürmern, die man nach einmaligem Hören nicht mehr aus dem Hirn bekommt. Die wirkten bei mir immer nur um die erste "Hype-Zeit“ herum, werden aber letztendlich schnell wieder vergessen.
Ich glaube, dass es schwierig ist, eine Art Empfehlung auszusprechen. Jeder hat doch einen anderen Musikgeschmack und einen anderen Anspruch an Musik. Ich nehme an, wenn man die Musik auf dem Album einfach nicht mag, weil sie dem persönlichen Geschmack nicht entspricht, dann ist das schlichtweg so und auch völlig legitim. Wenn aber beim (ersten) Hören irgendetwas triggert, dann ist wiederum das erste Ziel erreicht. Das muss nicht sofort in grenzenlose Euphorie ausufern, es reicht das Gefühl, es nochmal hören zu wollen. Ich kann nur von mir ausgehen, aber gibt es nur die kleinste Verbindung, dann ist automatisch die Lust geweckt, mich genauer hineinzuhören.

BODYSTYLER: Mit "Anti-Love" hast Du Dich für einen sehr markanten Opener mit ungewöhnlichen Sounds entschieden. Er ist rhythmisch und schräg, wirkt scharfkantig und doch gleichzeitig abgerundet. Wie ist dieser Track entstanden, wie möchtest Du den Titel verstanden wissen und ist der Basslauf eigentlich echt?

BJÖRN PERSIGLA: "Anti-Love" war der letzte Song, den ich für das Album geschrieben hatte. Und mein Anspruch war in der Tat genau das, was du gerade beschrieben hast. Er sollte sich nochmal völlig von allen anderen Songs abheben. Die eigentliche Herausforderung waren allerdings die Lyrics und deren Effektierung. Sprechgesang kommt bei mir eigentlich eher selten vor und in Französisch war ein es ein zusätzliches Debüt.
Beeindruckend, dass du nach dem Basslauf fragst. Der Grundbasslauf ist in der Tat von mir eingespielt und geloopt, aber auch mit Effekten bearbeitet.

BODYSTYLER: Du hast für Deine selbst kreierten Sounds ja immer recht prägnante, teils drollige Namen parat. Magst Du eventuell verraten, wie Du einige Deiner Babys dieses Mal getauft hast?

BJÖRN PERSIGLA: Das Thema hat mich beim letzten Mal schon sehr amüsiert. Da gab es wieder einige, wobei jetzt nicht alle auch witzige oder unterhaltsame Namen haben. Der „90s Grunge Bass“ aus "Anti-Love" ist z.B. eher Mittel zum Zweck. Aber es gab auch “Sad Kitty” ("And The Beast Became Flesh And The Flesh Became Us"), “Too Much Flies” ("Hurts Like Hell"), “Deadlights” ("Sand On Sand") oder aber (darf man das sagen?): "Fuckbass" ("Rapture Me").

BODYSTYLER: In "Day 7" interpretierst Du die Schöpfungsgeschichte etwas um. Spannend ist dabei, dass wir Menschen in Deiner Version erst lernen zu sprechen und dann zu denken, erst lieben und dann hassen. Außerdem ist da, wo die Menschheitsgeschichte in der Bibel erst so richtig durchstartet, bei Dir schon wieder alles vorbei. Wie bist Du auf diesen Text gekommen?

BJÖRN PERSIGLA: "Day 7" ist einer der Songs, dessen Lyrics und das Instrumental auf der Idee des Titels aufgebaut sind. Die vage Textidee spukte mir schon längere Zeit immer mal wieder im Kopf herum. Da führte eins zum anderen. "Day 7" beschreibt die Schöpfungsgeschichte, vielleicht aber eher die anschließende Entwicklung des Menschen in 7 Tagen. Am 6. Tag lernt der Mensch zu lieben, doch am 7. Tag folgt der Hass. Zu einem achten Tag kommt es nicht mehr. Dass in "Day 7" auch Passagen auf Deutsch enthalten sind, war übrigens bis kurz vor Fertigstellung und Abgabe des fertigen Album-Masters gar nicht geplant.

BODYSTYLER: "How I am so burnt when I'm barely on fire" - in "Culpa" spielst Du mit Gegensätzen und regst angenehm zum Nachdenken an. Warum ist diese bzw. sind auch die anderen gestellten Fragen anscheinend Schuldfragen?

BJÖRN PERSIGLA: Das ist in jedem Fall so! Stelle ich mir als Mensch derartige Fragen, steht auch immer die Suche nach einer Erklärung, einem Grund, einem Schuldigen mit im Raum. Das muss nicht zwingend ein Außenstehender ("how i am so lost when i feel so alive?") sein. Die Schuld an was auch immer kann ebenso bei mir selbst liegen. Oder bei niemandem und es ist schlichtweg der Lauf der Dinge ("how i am so pale when i feel like newborn?"). So oder so, es läuft auf Schuld oder die Frage nach Schuld hinaus. Menschen, mich nicht ausgenommen, sind ganz schlecht im Annehmen von Dingen.

BODYSTYLER: Wenn ich es nicht besser wüsste, könnte der Song "How did I end up all alone" natürlich der traurige Soundtrack zu manch einem Corona-Schicksal sein. Wie ist dieser Song entstanden und ist Dir dieser nachträgliche Bezug vielleicht selbst schon in den Sinn gekommen?

BJÖRN PERSIGLA: Der Bezug entsteht bei mir gerade erst durch deine Frage. Das liegt aber einfach daran, dass der Song einer der ersten war, der für das Album entstanden ist. Nach „In Chains“, das war der erste und noch eine ganze Weile vor der Corona-Pandemie. Ähnlich wie bei „Culpa“ stellt sich auch hier eine sich immer wiederholende (Lebens-)Frage, die im Kontrast zur musikalischen Untermalung steht. „They told me i were the center. How did i end up (dying) all alone?“

BODYSTYLER: Spielst Du eigentlich manchmal mit dem Gedanken, Deine Stücke von anderen Musikern remixen zu lassen? Gäbe es vielleicht sogar realistisch wie unrealistische Wunschkandidaten?

BJÖRN PERSIGLA: Och, es gab ja schon diverse Zusammenarbeiten und Remixe in den vergangenen Jahren. Das war immer sehr bereichernd und hat darüber hinaus großen Spaß gemacht. Bei den letzten Alben und Singles habe ich ehrlich gesagt überhaupt nicht daran gedacht. Das heißt nicht, dass ich daran kein Interesse hätte. Es war einfach kein Thema (mehr). Aber könnte ich mir jemanden aussuchen, würde ich wohl Paper Faces wählen oder The Knife.

BODYSTYLER: Traditionsbewusst wie ich bin, muss ich Dich auch am Ende dieses Interviews wieder nach möglichen Plänen für Live-Auftritte befragen. Wie sieht es denn aktuell damit aus?

BJÖRN PERSIGLA: Und ich bleibe ehrlich: Es gibt keine Neuigkeiten dazu zu vermelden. Die Arbeit am Album mit den dazugehörigen Musikvideos, der Versuch, im Internet Werbung und sich bzw. das kommende Album bekannt zu machen und nicht zuletzt Corona und alles, was damit einherging und noch geht, haben gar nicht zugelassen, dass wir uns damit auseinandergesetzt bzw. etwas auf die Beine gestellt hätten. Es blieb daneben schlicht und einfach keine Zeit übrig. Dafür – wenn auch nur als schwacher Trost – haben wir uns endlich um eine neue Homepage gekümmert und sind jetzt mit ihatekasper wieder online!

BODYSTYLER: THANX!!!!

BJÖRN PERSIGLA: Ich habe zu danken!!