Seasurfer

Zombies, die auf Schuhe starren

03.02.2021 - Vor kurzem erreichte mich die nagelneue CD "Zombies" der Gruppe Seasurfer. Sie enthält einen Mix aus Dream Pop und "Spacy" Shoegaze mit moderen Einflüssen, in dem man sich herrlich verlieren kann. Das Duo hat damit wieder ein musikalisches Meisterwerk hingelegt. Lassen wir uns überraschen, was Bandkopf Dirk Knight und Sängerin Apolonia alles zu erzählen haben. Von: Sven Hauke Erichsen

Image Natürlich haben Helden wie My Bloody Valentine, Cocteau Twins und später Slowdive Spuren hinterlassen! (Foto: Promo)

BODYSTYLER: Hi Dirk, vielen Dank für die CD "Zombies". Ich finde, dass ihr mit der neuen Scheibe wieder ein musikalisches Meisterwerk hingelegt habt.
Kannst Du uns einmal selber die Gruppe vorstellen? Wie kam es zur Gründung, welche Einflüsse gab es, wie bist Du damals in der heimischen "Musikszene" und in der "Hamburger Dark Wave Gegend" gestartet?

DIRK: Ich bin in Hamburg geboren und spiele seit meiner Schulzeit in Bands. Angefangen mit Punkzeugs, dann eher düster, danach schon mehr ethereal mit Dark Orange und jetzt mehr Wall of Sound mit Seasurfer. Ich kann mich noch erinnern, dass 1980 ein Mädel meiner Schule mit Lederjacke und toupierten Haaren aus England zurückkam, das Robert Smith persönlich kannte. Das fand ich alles cool und dann war es um mich geschehen. Musik gehört seitdem zum Leben einfach dazu und ich definiere mich und mein Leben stark hierüber. Und dann rutscht man eben so rein… Noch heute habe ich Kontakt zu Clemens Grün, der damals als erster die Cocteau Twins und Sisters of Mercy nach HH und ins KIR (oder hieß das damals noch Zitrone?) brachte. Oder zu den Leuten von Girls Under Glass und Cancer Barrack, die neben uns ihren Proberaum hatten. Musikalisch habe ich immer eher nach England geschaut und London-Besuche mit der alten HH-Harwich-Fähre waren Pflichtprogramm. Hier habe ich aber auch schon X-Mal Deutschland oder Pink Turns Blue lieben gelernt. Und natürlich haben Helden wie My Bloody Valentine und die Cocteau Twins oder später Slowdive Spuren hinterlassen.
Seasurfer habe ich Mitte 2013 gegründet, weil ich nach vielen Jahren Dark Orange mal einen Punkt und etwas Neues machen musste. Neue Leute, dreckigerer Sound. Mal ganz neu starten, beim US-Label Saint Marie "beworben" und drei Tage später hatten wir einen US-Deal. Das war schon cool, hat nochmal einen Schub gegeben und wir haben in den USA in der Szene eine Menge Fans gefunden.

BODYSTYLER: Hat es für Dich eine Art Weiterentwicklung im Klangkosmos oder der Soundausrichtung gegeben? Es ist schon die dritte Platte und sie klingt für mich diesmal schwerer und elektronischer?

DIRK: Unbedingt. Es ist das dritte Album mit der dritten Sängerin und inklusive des Extra-Albums mit Elena Alice Fossi von Kirlian Camera als Gastsängerin im Grunde sogar schon das vierte. Ein Album entsteht ja in einer bestimmten Zeit und Stimmung. Die finalen Mixe habe ich während der ersten Covid-19-Welle im Frühjahr gemacht und dazu auch noch die ganzen „Game of Thrones“-Staffeln geschaut. Die Situation war irgendwie surreal und hatte etwas von Parallelwelten, doch für das Mixen selbst war das schon inspirierend. Elektronischer...das stimmt. Ich habe einfach auch mal Synthies durch meine FX-Pedals gejagt und Beats aus alten Drummachines gebaut.

BODYSTYLER: Könnt Ihr den Lesern etwas zur Umsetzung Eures Albums "Zombies" erklären? Welche Konzepte / Texte und Produzenten stecken dahinter und wie viel Arbeitszeit habt ihr in die Produktion investiert?

DIRK: Ich habe mein eigenes, kleines Haus hier in Hamburg, 100 Jahre alt und ein altes Backsteinstallgebäude habe ich zu einem kleinen Studio umgebaut. Dort kann ich Musik machen, wann immer ich Lust habe. Schalter an und alle Pedals und Instrumente sind bereit. Das ist mega. Ich habe auf "Zombies" alles selbst gespielt, alles selbst gemischt. Das Doppelalbum hat von den ersten Ideen bis zu den finalen Mixen schon rund zwei Jahre gebraucht, aber wir haben zwischendurch ja auch immer mal Singles veröffentlicht.

APOLONIA: Dirk schickte mir seine ersten Songdemos und ich hatte zu manchen sofort Gesangsmelodien im Kopf. Meistens sang ich die dann mit Worten ein, die mir spontan einfielen und danach entwickelte ich Texte daraus. Geschichten aus vergangenen Liebesbeziehungen oder aktuelle Themen, die mich/uns beschäftigten. Auch der Lockdown und die ganzen ‘Corona-Themen’ hatten einen gewissen Einfluss. In manchen Songs beließ ich es sogar bei den ersten intuitiven Ideen, z.B. in „Too Wild“. In anderen Songs hatte Dirk schon Gesangsmelodie und Text im Kopf. Ich bat ihn seine Ideen einzusingen und überredete ihn dann, seine Vocals mit drin zu lassen.

"Es ist eigentlich merkwürdig, Musik digital zu machen und aufzunehmen und dann wieder auf ein analoges Medium zu packen."

BODYSTYLER: Wer macht das Styling für die Cover und woher kommt überhaupt der Bandname des Projektes? Was wäre mal mit deutschen Texten?

DIRK: Die Ideen für die Cover kamen eigentlich von Anfang an von mir. Beim ersten Album war es eine von mir fotografierte Fischerflagge eines dänischen Fischers, beim zweiten meine Gitarre in Kombi mit einem Bild unseres Fotografenfreunds Christian Klepp. Danach sind wir mit den Singles und dem aktuellen Album zu Fotos von den Musikern selbst übergegangen.
Bandname...häufig erzählen mir Leute, wir seien wohl eine Strandsurferband (haha). Für mich war es eher das Surfen auf dem Wall of Sound und zudem eben die Freiheit der See, dort sind wir oft und ja auch ziemlich dicht dran.
Deutsche Texte...nope, mal einen Satz, das haben wir auch schon gemacht, aber ich mag grundsätzlich deutsche Texte nicht so sehr, mir fehlt dann die Mystik und der, ich nenne es mal "Weltenklang".

BODYSTYLER: Habt ihr eine musikalische Ausbildung genossen und mit welchen Instrumenten arbeitest Du? Welche DAW wird verwendet?

DIRK: Ich bin Autodidakt, bis auf den Musikunterricht in der Schule. Finde ich auch nicht schlimm, deswegen hänge ich wenig an konventionellen Harmonien und Strukturen. Ich kenne auch noch die analogen 24-Spur-Bandstudios, finde aber die heutigen digitalen Möglichkeiten mega. Ich bin auch Fan von Effektpedals, ich habe eine Menge davon und von Amps, so wie den immer noch heiß geliebten Roland Jazz Chorus. Viele Instrumente werden da durchgejagt und dann entsteht eben auch der noisige Sound.

APOLONIA: Ich habe Schauspiel und Gesang in NY studiert. Meine Vocals nehme ich von zu Hause auf mit verschiedenen Mikrofonen, passend zum Song. Meistens in Garage Band oder Logic. Danach schicke ich die Vocal-Files an Dirk und er zaubert dann alles zusammen.

BODYSTYLER: Welche musikalischen Einflüsse gibt es, habt Ihr Vorbilder und was sind Eure ewigen Helden im Plattenschrank?

DIRK: Den einen Einfluss gibt es nicht, eher eine große Gesamtstimmung. Das fängt bei mir an mit den Ramones oder The Damned, dann natürlich das Shoegaze/Dreampopzeugs von My Bloody Valentine und den Cocteau Twins, Slowdive und zudem The Cure, aber auch Portishead und elektronisches Zeug wie Goldfrapp und Crystal Castles. Wobei mein ewiger Held schon Robert Smith ist... Ich bewundere, wie er das alles über die Jahre durchgezogen hat, sich treu geblieben und was für ein toller Gitarrist er eben auch ist.

BODYSTYLER: Dirk, mit welchen Künstlern aus der aktuellen Szene verstehst Du Dich am besten und gibt es eine(n), mit dem Du mal gerne auftreten würdest?

DIRK: Ich habe mich immer sehr gut mit Axel Ermes von Girls Under Glass verstanden, mit ihm lange Jahre in Altona gekickt und beispielsweise das erste Seasurfer-Album gemischt. Volker Zacharias von den Girls Under Glass und Cassandra Complex hat lange bei mir Bass gespielt. Und eben Harald Löwy von Chandeen, mit dem ich ...ich nenne es mal Kreativwochen, in Weimar in seinem Studio mit Musikmachen und Drinks verbracht habe. Das sind schon echte, alte Freunde. Auftreten würde ich gerne mal mit Robin Guthrie von den Cocteau Twins, der hat ja auch mal was von mir geremixt und gemastert. Sehr cooler Typ übrigens, er hat den für mich besten Gitarrensound ever kreiert.

BODYSTYLER: Wie ist Eure Meinung zu Radioeinsätzen - ist das ein Thema, was mit Eurer Ausrichtung nur rein online stattfinden kann - obwohl z.b. Wolfsheim/Heppner auch schon im Formatradio liefen?

DIRK: Auch wir werden weltweit durchaus von College Radio Stationen und Szeneradios gespielt. Ich schaue da nicht auf bestimmte Formate und betrachte uns eher als Nischenmusik. Ich selbst höre aber auch immer mal Formatradio, dort gibt es ganz coole Musik. Peter Heppner… Wir suchen bis heute eine alte Kassette, denn er hat mal zu Songs von meiner Dark Orange-Sängerin Katrin und mir Backings auf Demos eingesungen, noch mit alten 4-Spur-Aufnahmegeräten gemacht. Leider nie wiedergefunden.

BODYSTYLER: Wie steht Ihr zum Thema Videos? Sind solche Clips (wie mit Elena zum Song "Blue Days") wichtig, um diese in Social Media-Kanälen, Youtube, Facebook usw. laufen zu lassen?

DIRK: Ist ja eine Diskussion von wegen digitalisierte Welt und fast alles for free und das Sterben der kleinen Bands. Das sehe ich nicht so. Man kann heute Musik weltweit ohne großen Aufwand platzieren, Videos selbst machen und ist dann auch über Spotify & Co. zu finden. Uns entdecken viele neue Fans über Social Media. Und wenn man Geld verdienen möchte, dann muss man eben live spielen und dort Zeug verticken. Ich kaufe immer noch CDs und live ein Shirt, wenn mir etwas gefällt und das landet dann direkt bei den Bands. Ich habe übrigens zum ersten Mal ein Video selbst gemacht, zu unserem Song "Zombies". Alles mit dem Smartphone gefilmt und geschnitten. Das ist schon Selbstverwirklichung.

APOLONIA: Persönlich finde ich Musikvideos sehr wichtig und habe mich zum ersten Mal getraut, selbst ein Video mit Freunden für ‘Too Wild’ zu drehen. Ein guter Freund und Videokünstler aus Paris hat für uns noch weitere Videos aus eigenem, aber auch Material, welches wir selbst in unserer Umgebung gedreht hatten, für „SOS“ zusammen geschnitten. Ein weiteres Patchwork Art Video zum Song „Pretend“ von ihm folgt bald…

BODYSTYLER: Gab es schon Auftritte im Ausland und auf welchen Festivals in Germany würdet ihr generell gerne spielen? Ich hatte Euch in Bremen vor ein paar Jahren in der Lila Eule gesehen.

DIRK: Beim WGT habe ich mit Dark Orange und Seasurfer schon gespielt, ebenso das NCN. Und auf dem nächsten Beautiful Noise sind wir mit dabei. Ich mag Festivals und die Atmo.

APOLONIA: Wir hatten eine Show in Porto, Portugal in 2019 und haben das sehr genossen. Wunderbare Menschen haben uns dort herzlich empfangen und es war ein unvergessliches Erlebnis. Eventuell werden wir dort im legendären ‚Hard Club‘ erneut spielen.

"Ich habe einfach auch mal Synthies durch meine FX-Pedals gejagt und Beats aus alten Drummachines gebaut."

BODYSTYLER: Was außer Musik bereichert noch Euer Leben, außergewöhnliche Hobbys oder spezielle Filme, Serien, Bücher?

DIRK: Apolonia sagt hier sicherlich nichts, haha. Ich bin seit dem 6. Lebensjahr Fußballfan, wie so viele Musikerkollegen auch. Mit Axel Ermes bin ich häufig zum HSV gegangen, mit Eintracht SGE-Fan Harald Löwy gibt es immer witzige Sticheleien. Dazu bin ich begeisterter Fliegenfischer und liebe es, alleine in der See oder im Fluss zu stehen. Ansonsten mag ich alles, was irgendwie eine gewisse Tragik in sich trägt...von Tolstois „Krieg und Frieden“ über „GoT“ bis hin zum HSV. Und natürlich die wöchentliche ZEIT in Papier, haha, die über die aktuellen Tragödien berichtet... so fließen die Stunden nur dahin.

BODYSTYLER: Dirk, wie gefällt Dir die gerade wieder auflebende Vinylkultur oder müssen wir uns an das digitale Streaming, also Bandcamp, Spotify usw. für immer gewöhnen?

DIRK: Ehrlich gesagt interessiert mich das nicht ganz so sehr. Ich habe zwar noch viele alte Vinyls, aber keinen Plattenspieler mehr. Ich finde es toll, etwas Haptisches in der Hand zu halten, rau und zum Anfassen. Aber ansonsten geht es mir viel mehr um die Musik selbst, da ist es mir egal, von welchem Medium. Es ist eigentlich merkwürdig, Musik digital zu machen und aufzunehmen und dann wieder auf ein analoges Medium zu packen. Aber wenn Leute dafür eine Passion entwickeln, Daumen hoch!

BODYSTYLER: Reizen Dich noch Neben- oder weiterführende Projekte und gibt es Coversongs, die Du umsetzen würdest - „Maid of Orleans“ oder „Fade to Grey“ in der schwebenden Seasurfer Shoegaze-Version könnte ich mir durchaus vorstellen...

DIRK: Naja, Seasurfer war und ist eigentlich ein dauerhaft weiterführendes Projekt. Durch die Sängerinnenwechsel entsteht immer etwas Neues. Das werde ich so auch weitermachen. Apolonia und ich sind jetzt sicherlich der Kern der Band, aber es wird weiterhin Features geben. Manchmal vielleicht irritierend, aber für mich Ansporn und Inspiration. Über Coversongs habe ich noch nicht weiter nachgedacht, aber wenn Du das so sagst... Vielleicht machen wir das mal!

BODYSTYLER: Und zum Schluss: Können wir was in 2021 erwarten, was sich Live Aktivitäten schimpft, denkst Du ab Herbst könnte da was klappen?

DIRK: Wir peilen immer noch das Beautiful Noise-Fesitval im Mai an und denken auch über ein Package mit Gloria de Oliveira von unserem Label Reptile Music nach. Die ist cool und das würde passen. Hoffentlich geht das irgendwann in diesem Jahr wieder, drücken wir mal die Daumen!

BODYSTYLER: Vielen Dank Euch für das Interview und bleibt gesund!

DIRK: Dank Dir...und Du und Ihr alle da draußen auch!