Solar Fake

Willkommen in Dystopia

10.02.2021 - In einer dystopischen Zukunft gehen bekanntermaßen Werte und Moral verloren. Düstere Aussichten, die sich bereits jetzt im täglichen Leben abzeichnen, erwecken Wut bei all jenen, die das nicht akzeptieren wollen. Die Electro-Formation Solar Fake wandelt diese Energien und den angestauten Frust auf dem neuen Album „Enjoy Dystopia“ in wunderbare Songs um. Ein Gespräch mit Frontmann Sven Friedrich. Von: Torsten Pape

Image SoFa auf dem Sofa... (Foto: Melanie Haack)

BODYSTYLER: Den Albumtitel könnte man sowohl als Feststellung als auch als Aufforderung verstehen. Wie ist er denn ursprünglich gemeint?

SVEN: Das ist eigentlich eher ein zynischer Ausspruch, im Sinne von: "Bitte schön… jetzt kommt damit klar… das ist das Ergebnis von Ignoranz, Selbstüberschätzung und Egoismus". Halt etwas, was man an entsprechend passender Stelle auch an eine Mauer schreiben würde (zwinkert). Letztlich wollte ich aber auch den Widerspruch im Titel haben.

BODYSTYLER: Das Covermotiv finde ich wieder extrem spannend. Wie ist die Idee mit dem Stop-Schild entstanden? Waren das Kreuzungszeichen und der Blitz bereits auf der linken und das Radioaktivitätssymbol auf der rechten Tür? Kommt oder geht der Mensch? Und wer bitte macht einen Stacheldraht und einen Zaun vor eine geöffnete Tür?

SVEN: Der Anfangsgedanke war tatsächlich der Begriff "Dystopia", der irgendwie über jedem Song steht. Irgendwann fiel uns auf, dass die Mitte dieses Wortes "STOP" enthält. Damit lag es natürlich nahe, ein STOP-Schild einzubauen. Ich habe ganz viel recherchiert, weil ich nicht glauben konnte, dass das noch keiner vor uns so benutzt hat, aber ich habe nirgends etwas gefunden. Die Tür war zwar schon auf dem Originalbild ziemlich kaputt, aber die kleinen Ritzungen haben wir nachträglich hinzugefügt. Ob der Mensch kommt oder geht, kann man sich aussuchen. Er soll eigentlich symbolisieren, dass es einen offensichtlichen Ausweg gibt, der sich erst wenn man dort angelangt ist, als sinnlos entpuppt, wenn nämlich der Zaun mit Stacheldraht ein Weiterkommen verhindert. Der Mensch ist entweder noch voller Hoffnung auf dem Weg nach 'draußen' oder schon wieder umgekehrt. So haben wir auch gleich die Frage zum Stacheldraht vor dem offenstehenden Tor beantwortet (lacht)
Wichtig waren mir noch die Lichter der im Hintergrund befindlichen Ortschaft, die auf eine Art Leben hinweisen.
Bis auf das Tor habe ich übrigens alle Bilder direkt in meiner Nachbarschaft gemacht…

BODYSTYLER: Mittlerweile darf man durchaus von einem typischen Solar Fake-Sound sprechen. Das hängt sicherlich auch mit dem Equipment zusammen, welches Du benutzt, oder? Gibt es über die Jahre analoge wie digitale Fixpunkte bei der Produktion der SF-Alben oder sogar ein MUSS, das auf keinem Album fehlen darf?

SVEN: Eigentlich gar nicht mal. Klar, ich benutze viel Synths und Sampler von Native Instruments und damit kompatible Add-ons. Aber es hat wohl mehr mit meiner Vorliebe für bestimmte Sounds zu tun und wie ich welche Stimmung unterstützen kann. Ich experimentiere nach wie vor viel herum, aber mir gefällt der SF-Sound sehr und daher klingen die Sachen am Ende immer irgendwie 'verwandt'. Hardware benutze ich übrigens so gut wie nicht. Bis auf meine Speaker, die Mikrofone, das Audio Interface und mein Master Keyboard (das aber selbst keine Sounds generiert), passiert bei mir alles im Rechner.

BODYSTYLER: Deine Texte sind schon immer ein Ventil für Dich, um Deinen Unmut über bestimmte Umstände bzw. Menschen rauszulassen. Siehst Du das ausschließlich als Selbsttherapie oder gibt es vielleicht sogar Rückmeldungen von Deinen Fans, dass einer Deiner Songs mal einen konkreten Effekt in ihrem Leben ausgelöst hat?

SVEN: Oh ja, das passiert sehr oft und ist ehrlich gesagt eines der größten Komplimente, die man mir für meine Musik machen kann. Ich selbst ärgere mich häufig über die Unreflektiertheit und den Egoismus, mit dem sehr viele Menschen durch‘s Leben gehen und das geht schon im ganz Kleinen los. Und offenbar geht es vielen unserer Fans sehr ähnlich, gerade wenn man sich häufiger mal fragt, ob man eigentlich der Einzige ist, der den „Fehler im Bild“ sieht. Ich geh dann aber nicht zu den Leuten hin und erkläre ihnen, was für ein Arschloch sie in meinen Augen sind. Das hätte wohl auch nicht viel Sinn und würde wahrscheinlich öfter als mir lieb ist mit blauen Augen meinerseits enden. Ich nutze diese Energie dann lieber kreativ.

"Ich mag spanischsprachige Popmusik nicht besonders..."

BODYSTYLER: Nachdem Du bei Zeraphine bereits viele Songtexte auf Deutsch verfasst hast, gibt es nun auch mit „Es geht dich nichts an“ den ersten SF-Song in Deiner Muttersprache. Warum war die Zeit anscheinend reif dafür und warum erst jetzt?

SVEN: Also geplant hatte ich das nicht und ich sehe SF auf jeden Fall als englischsprachigen Act. Aber für diesen Song hatte ich den Haupt-Text des Refrains schon beim Schreiben der Musik im Ohr. Ich habe nur kurz überlegt, ob ich das ins Englische bekomme und mir dann recht schnell gesagt, dass das ja nun auch totaler Quatsch wäre. Meine englischen Texte schreibe ich schließlich auch gleich in Englisch und übersetze sie nicht aus dem Deutschen. Naja, und dann hatte ich auch schnell den Text komplettiert und so ist der Song dann eben deutschsprachig geworden. Passt irgendwie gut, finde ich. Auf dem 6. Studioalbum ist das bestimmt auch mal zu verkraften, hahaha!

BODYSTYLER: Du beschäftigst Dich auf dem neuen Album erneut mit psychischen Erkrankungen und dem Umgang der Gesellschaft mit ihnen. Man merkt, dass Dir manche Reaktionen von Mitmenschen auf das Leid der Betroffenen gehörig gegen den Strich gehen. Wann bist Du das erste Mal mit diesem Thema in Berührung gekommen und wie engagierst Du Dich in Deinem Leben außerhalb der Musik dafür?

SVEN: Ich wurde mit diesen Themen schon früh konfrontiert. Glücklicherweise war ich nie direkt betroffen, aber ich fand es schon immer unfassbar, wie unbedarft und gedankenlos viele Menschen damit umgehen und vor allem wie viel Schaden sie mit eben genau diesen Plattitüden, die ich in dem Song "Es geht dich nichts an" aufzähle, anrichten. Und alles nur, weil sie eine Krankheit nicht als Krankheit sehen, sondern eher als Macke, Faulheit, Bösartigkeit oder was auch immer. Zu einem Menschen, der ein Bein verloren hat, sagt man ja auch nicht, er möge doch bitte „einfach mal schneller laufen und nicht alles blockieren“. Zu einem Krebspatienten im Endstadium sagt man auch nicht, er soll „nicht faul im Bett rumgammeln und sich doch einfach mal zusammenreißen“. Nur bei psychischen Erkrankungen passiert das permanent und auch viele auf diesem Gebiet tätigen Ärzte halten sich für unfehlbar und allwissend und richten als Vertrauensperson teilweise richtig großen Schaden an. Das habe ich jetzt an vielen Beispielen erlebt und bin jedes Mal fassungslos.
Mein außermusikalisches Engagement gilt allerdings tatsächlich ausschließlich dem Tierschutz und dorthin spende ich selbst viel und sammle auch Spenden. Letztlich ist und bleibt der Mensch aus meiner Sicht die Wurzel allen Übels auf unserem Planeten und daher habe ich mich dazu entschlossen, mein Engagement und meine Spenden den Tieren zukommen zu lassen.

BODYSTYLER: Wie gehst Du in deinem Leben mit vielleicht gut gemeinten, aber doch eher lästigen bis verletzenden Kommentaren um? Begibst Du Dich in die Offensive oder ist auch hier der Rückzug oft die bessere Alternative?

SVEN: Ganz klar defensiv. Ich bin eher jemand, der Konfrontationen meidet und denk mir eher meinen Teil. Zumal, wenn es wirklich gut gemeint ist, will man ja auch kein Fass aufmachen. Wobei gut gemeinte Ratschläge, die ihr Ziel so stark verfehlen, ja eher auf eine ziemliche Selbstbezogenheit und fehlende Empathie desjenigen hinweisen, der diese Ratschläge gibt. Denn er scheint ja davon auszugehen, dass jeder Mensch auf der Welt mit Problemen so umzugehen hat wie er selbst.

BODYSTYLER: Ein Song trägt den Titel „Arrive somewhere“, was die Frage aufwirft, ob Du das Gefühl hast, mit Solar Fake angekommen zu sein? Immerhin ist es die Band, mit der Du jetzt die meisten Alben veröffentlicht hast.

SVEN: Ja, stimmt. Also angekommen sind wir sicher noch nicht. Aber wir sind auf einem wirklich tollen Weg, der allen Beteiligten viel Spaß macht. Ich denke, wenn man irgendwo ankommt, dann ist die Reise ja vorbei und das Kapitel beendet und das hoffe ich für SF nun wirklich nicht. Ich habe noch zu viele Ideen für diese Band. Zumal das ganze Gefüge zwischen Musikern, Crew und auch den beteiligten Firmen, wie Label und Booking Agentur so familiär ist, wie man es sich nur wünschen kann. Es ist ein perfektes Setup und es macht unglaublich viel Spaß und so kann es meinetwegen gerne noch lange weitergehen.

BODYSTYLER: Fühlst Du Dich abseits der Musik in irgendeiner Hinsicht angekommen oder eher „noch auf dem Weg“?

SVEN: Ja, das ist ungefähr dasselbe. Ich glaube, wenn man irgendwo ankommt, dann hört die Spannung auf. Das wäre für mich eine furchtbare Vorstellung. In etwa so, als würde man verbeamtet sein und genau vorgezeichnet haben, was für den Rest des Lebens passiert. Aber ich bin nicht der Typ, der diese Art von „Sicherheit“ braucht. Das wäre für mich eher der totale Albtraum und unter dieser völligen Einengung würde ich wahrscheinlich genauso leiden, wie der Beamte unter der Vorstellung, nicht jeden Monat ein festes Gehalt bis zur Rente überwiesen zu bekommen. Es gibt eben unterschiedliche Typen und ich gehöre eher zu denen, die es etwas spannender und aufregender brauchen.

BODYSTYLER: Da Du einen großen Teil Deines Lebens mittlerweile in Spanien verbringst, stellt sich doch die Frage, wann Du den ersten spanischen Text präsentierst? Gibt es da vielleicht schon Ansätze/Überlegungen?

SVEN: Auf keinen Fall. Ich mag spanischsprachige Popmusik nicht besonders, vor allem, weil es so unglaublich dämliche Reime auf alles gibt und das wird meist bis auf‘s Letzte ausgereizt… Nee, so gar nicht mein Fall. Und mein Spanisch ist bei Weitem nicht gut genug, um tatsächlich gute spanische Texte schreiben zu können. Ich schreibe meine Texte ja immer in der finalen Sprache und bei Spanisch würde es eher auf eine Übersetzung hinauslaufen und das finde ich überhaupt total doof. Also nein, ich bleibe bei Englisch und evtl. schummelt sich manchmal ein deutscher Text dazwischen (zwinkert).

"Ob der Mensch kommt oder geht, kann man sich aussuchen."

BODYSTYLER: Aus Tradition möchte ich mich mal wieder danach erkundigen, welcher Song Dir in seiner Entstehung am meisten Kopfzerbrechen bereitet hat? Gab es schlaflose Nächte, weil etwas (zunächst) nicht funktionieren wollte?

SVEN: Dieses Mal hatte ich einige Probleme, einen guten Refrain für "At least we'll forget" zu finden. Der hatte vorher, glaube ich, schon drei oder vier andere Refrains und Teile. Aber ich wusste, dass es irgendwie funktionieren wird, sonst hätte ich ihn dann doch beiseite gelegt. Ich hatte ungefähr 25 Grundideen, aber die meisten der 15 übrig gebliebenen stellten sich schon früh als solche heraus, die ich nicht unbedingt weiterführen muss, hahaha...

BODYSTYLER: Es gab in der Vergangenheit bereits einige Schwierigkeiten mit den Freigaben Eurer Coverversionen. Bleibt Ihr eigentlich an solchen „Problemfällen“ dran oder ist das Thema dann für Euch erledigt? Immerhin habt Ihr eine Menge Zeit in diese Tracks investiert?

SVEN: Ja, das stimmt. Also auf das letzte Album sollte ja ein Song von She Wants Revenge drauf und ich fand die Version wirklich nicht schlecht. Und da wir vom Verlag keine Absage, sondern einfach keine Antwort bekommen haben, haben wir für dieses Album erneut angefragt, aber wieder mit demselben Ergebnis. Und jetzt hab ich dann auch keine Lust mehr, weitere Energie zu investieren und werde einfach gleich alles ausschließen, was von diesem Verlag kommt. Denn du hast recht, es ist schon echt ärgerlich, wenn man so eine Version macht und dann nichts damit anfangen kann, einfach, weil es den Mitarbeitern dort zu aufwändig ist, eine kurze Email mit einem „ja“ oder „nein“ zu verfassen. Dann nutze ich meine Zeit lieber für irgendwas Netteres…

BODYSTYLER: Wie lief es denn dieses Mal mit der Freigabe der Cover und wie ist die Wahl auf sie gefallen?

SVEN: Also abgesehen von dem eben erwähnten Ärgernis, lief es total unkompliziert. Von Ville (Valo, HIM) kam die Freigabe sogar persönlich und dann auch nochmal durch seinen Verlag. „Join me“ hatte ich eigentlich nur mal aus Spaß probiert und eigentlich kaum damit gerechnet, dass man das wirklich machen könnte. Aber ich fand das Ergebnis super, dann habe ich es an Ville weitergeleitet und ihm hat es auch gefallen… perfekt…
Und „Where is my mind?“ ist natürlich inspiriert von meinem Lieblingsfilm "Fightclub", wo dieser Song in der mit Abstand schönsten Szene der Filmgeschichte läuft. Hier gab es ja auch schon unzählige Coverversionen und die von Placebo mag ich zum Beispiel sehr, aber da wollte ich doch wirklich mal ausprobieren, wie das als SF-Song klingen würde (zwinkert). Und die Freigabe für unsere Version kam direkt nach einer Woche… Profis eben.

BODYSTYLER: Apropos „Where is my mind?“: Was ist Dein Lieblingsalbum der Pixies und wann bist Du das erste Mal mit dieser Band in Berührung gekommen? Wie findest Du eigentlich ihre letzten Veröffentlichungen und hast Du evtl. sogar eines ihrer letzten Konzerte gesehen?

SVEN: Das erste Mal hab ich die Pixies und "Where is my mind?" in einer kleinen Radiosendung gehört, bei der wir damals mit den Dreadful Shadows zu Gast waren. Irgendwann Mitte der 90er. Ich hab mir die CD auch direkt besorgt und die Pixies aber wieder aus den Augen verloren und eigentlich gar keinen näheren Bezug zu ihnen. Aber wenn Du das so fragst, werde ich mich mal in die restlichen Alben reinhören (zwinkert).

BODYSTYLER: Gibt es abseits von Solar Fake musikalische Betätigungsfelder von denen Du berichten kannst?

SVEN: Wir haben mit Zeraphine ein Cover-Album gemacht, das nur über unseren Fanclub erhältlich ist. Ansonsten mache ich immer mal Remixe und Features, zum Beispiel gab es im letzten Jahr ein Feature mit Faderhead, das echt gut ankam und gerade kürzlich erschien das Album von Scarlet Dorn, auf dem ich auch einen Song mitgesungen hab, der sogar als Single mit Video erschienen ist. Ansonsten gibt es bald ein Feature bei Lord of the Lost. Über weitere Pläne mach ich mir Gedanken, wenn wieder etwas Ruhe nach der Album-VÖ eingekehrt ist (lacht)

BODYSTYLER: Wie sehen Deine nächsten musikalischen Pläne in Sachen Solar Fake aus?

SVEN: Normalerweise könnte ich jetzt unsere Tour zum Album präsentieren, aber das ist ja leider alles noch sehr kompliziert. Wir hatten natürlich schon eine komplette Tour gebucht, aber haben keine Daten veröffentlicht, solange wir nicht sicher sein konnten, dass die Konzerte auch stattfinden können. Schon, um den Leuten den Ärger mit Ticketrückgaben usw. zu ersparen. Seitdem klar ist, dass unsere Tour nicht im März starten kann, wird das alles umgebucht, aber auch hier werden wir abwarten, bis wir halbwegs sicher sein können. Bis dahin hoffen wir, dass es vielleicht im Frühjahr oder Sommer wieder ein paar Möglichkeiten für uns geben wird, unter den dann geltenden Bedingungen Spezial-Konzerte zu geben, bis wir hoffentlich um den nächsten Jahreswechsel herum wieder halbwegs normale Tourgigs spielen können. Kreative musikalische Pläne müssen bis nach der Veröffentlichung warten. Man muss ja den Kopf erst mal wieder ein wenig frei bekommen.

BODYSTYLER: Vielen Dank und alles Gute!

SVEN: Ebenso!