Sankt Otten

Geometrie nach Noten

03.04.2021 - Schon lange begeistert die deutsche Band Sankt Otten mit einem einzigartigen Mix aus Drone, Ambient, Elektronica und Krautrock-Elementen. Die instrumentalen Klangwelten, die sich melancholisch und beruhigend, melodisch und fließend in das Ohr des geneigten Hörers schlängeln, haben schon sehr viele Fans in aller Welt überzeugt und finden ihre logische Weiterentwicklung in der neue Platte "Lieder für Geometrische Stunden". Von: Sven Hauke Erichsen

Image Schön nach Körpergröße sortiert: Sankt Otten (Foto: Nele Jamin)

BODYSTYLER: Mögt Ihr den Lesern zum Einstieg einmal die Band vorstellen, wie Eure Musikkarriere in Osnabrück begonnen hatte und wie Ihr auf die Ausrichtung gekommen seid, Bandname usw.?

STEPHAN OTTEN: Ich hatte mir in den 90ern die Ohren als Schlagzeuger einer Noiserock-Band fast ruiniert und genug davon, in muffigen Proberäumen abzuhängen. Oli hatte damals in der Band schon Bass gespielt. Die technische Entwicklung war dann so weit, dass man mit einfachen Mitteln eigene Sachen entspannt im Schlafzimmer aufnehmen konnte. Ich habe `98/`99 erst alleine angefangen elektronische Sachen aufzunehmen. Mein Name ist Stephan Otten und das Sankt ist schlicht das ”St.” als Abkürzung des Vornamens. Als ich damals solo gestartet bin, war es angesagt, seinen richtigen Namen, statt eines Phantasiebandnamens zu nutzen. Aus dem St. ist irgendwie später ein Sankt mutiert. Mit Carsten Sandkämper wurde dann anschließend ein Zwei-Mann-Projekt daraus. Carsten hat damals auch noch gesungen. Daraus wurde das erste Album „Eine kleine Traurigkeit“ im Jahr 2000. Danach kam Oliver Klemm dazu und wir haben instrumental, ohne Carsten, weitergemacht. Anfangs mit einer Melange aus Postrock mit Streichersamples und elektronischem Anstrich. Später wurde auf den Einsatz von Samples fast vollständig verzichtet. Dominierten sonst natürliche Orchesterklänge und Strings, so sind wir später der elektronischen Klangerzeugung verfallen. Wir haben alles aufgefahren, was die analogen Klangerzeuger der Synthesizer-Ära der 70er und 80er hergaben. Bei unseren Schlagzeugsounds dominierten auch die 80er. Ich liebe die Drumsounds der alten Simmons-Sets. Seit den letzten drei Alben ist es eher die Dreifaltigkeit aus Krautrock, Ambient und zeitgenössischer Elektronik. Seit 2009 veröffentlichen wir bei Denovali. "Lieder für geometrische Stunden" ist mittlerweile unser 11. Album. Es ist auf die Sekunde 45 Minuten lang und passt auf eine Seite einer C90–Kassette. Da schliesst sich wieder der Kreis zu den 80ern!

BODYSTYLER: Bitte erklärt den Lesern einmal das Konzept Eures neuen Albums "Lieder für geometrische Stunden". Wie viel Arbeitszeit habt Ihr in die Produktion investiert und wie lief der Arbeitsprozess ab?

STEPHAN OTTEN: Die Produktion des letzten Albums hat dieses Mal knapp zwei Jahre gebraucht. Wir haben zeitweise im Ein-Jahres-Rhythmus veröffentlicht, aber durch Familie und Job geht es nicht mehr ganz so schnell. Der Titel lässt vielleicht auf eine Thematik schließen, die im Lockdown entstanden ist oder das Thema behandelt. Die Aufnahmen waren aber gerade fertig, als Corona in Fahrt kam. Idee war eine Art Soundtrack für das Auf und Ab des Lebens. Eben diese Momente, Stunden oder Tage, in denen man im Dreieck springen könnte, im Quadrat tanzen, sich nur noch im Kreis dreht oder etwas einfach mal wieder aus einem anderen Winkel betrachten möchte. Wir haben hier wieder verschiedenste Stimmungen und Stile versammelt. Wir versuchen, eine Platte immer abwechslungsreich zu gestalten. Da folgt dann gern eine Uptempo-Nummer auf ein Ambient-Stück oder etwas Krautiges auf eine moderne Elektronik-Komposition. Das Songwriting läuft meist so ab, dass ich Skizzen, Beats oder Sounds vorbereite und wir dann gemeinsam daran weiterschrauben, bis einer sagt, es reicht jetzt für den Song. Den finalen Mix und den Feinschliff übernehme ich dann wieder allein. Wir haben aber auch Titel wie „Die Blumen darfst Du behalten“, die komplett improvisiert und spontan als First Take aufgenommen wurden.

"Es geht einfach nichts über einen schönen Tonträger in der Hand. Mp3s sind einfach nicht sexy."

BODYSTYLER: Wer macht das Coverartwork bei Euch für z.B. die neue Platten-Veröffentlichung und wonach legt ihr die Albumtitel wie z.B "Gottes Synthesizer" fest?

STEPHAN OTTEN: Wir versuchen seit einiger Zeit, ein durchgängiges Artwork-Konzept zu nutzen, das für drei Alben genutzt wird. Angefangen hat es mit „Gottes Synthesizer“, „Sequencer Liebe“ und „Messias Maschine“. Hierfür durften wir die unglaublich tollen Gemäldemotive und Zeichnungen des spanischen Künstlers Salustiano nutzen. Es malt Portraits im Stil der Alten Meister und ist mittlerweile international in den Galerien der Welt schwer angesagt. Nach der Portraitreihe haben wir für drei Alben schöne Tierfotos (Kampffische, Kois, Schwäne) genutzt. Alle gehen in eine rote Farbrichtung, was sich auch als unsere Bandfarbe herauskristallisiert hat. Jetzt haben wir uns geometrischen Formen verschrieben. Daniel Castrejon, ein mexikanischer Grafik-Designer, hat uns unterstützt und unsere Wünsche perfekt umgesetzt. Die Vinyl-Version hat zudem ein aufwendiges Stanz-Cover (mit limitierter roter Auflage), die CD ist in einem formschönen Schuber verpackt. Den Albentitel legen wir erst zum Ende einer Produktion fest. Er soll möglichst einzigartig, auffällig und natürlich originell sein. Das bereitet uns oft ganz schön Kopfverbrechen, bis wir beide zufrieden sind.

BODYSTYLER: Welche Instrumente und welche DAW werden bei Euch auf der neuen Platte verwendet?

STEPHAN OTTEN: Wir arbeiten schon seit ewigen Zeiten mit Ableton Live. Unser ehemaliger Live-Bassist Volker hat dort auch eine Zeit lang gearbeitet. Es gibt sicherlich passendere DAW für die Aufnahmetechniken und -abläufe, die wir nutzen, aber wir beherrschen die Software halbwegs und daher sind wir darauf hängengeblieben. Generell arbeiten wir mit einem Mix aus virtuellen Instrumenten und Hardware (Juno 106, Prophet 08, Model D, Moog Mother, Minibrute ...). Die klassischen, alten Synthesizer sind leider unbezahlbar und da muss man leider auf VSTs zurückgreifen. Wir nutzen aber hier und da sogar noch klassisches Schlagzeug. Ich bin ja von Hause aus Trommler. Teilweise wird das live eingespielt oder programmiert. Oli spielt nach wie vor auch Gitarre, obwohl das auf dem letzten Album doch schon recht wenig geworden ist. Er ist ein wirklicher Könner der dronigen Ebow-Sounds auf der Gitarre, die wir schon vom ersten Album an nutzen.

BODYSTYLER: Welche musikalischen Einflüsse/Vorbilder gibt es, was sind Eure Fulltime-Favoriten im Plattenregal und gibt es Covertracks ( z.B. Jarre, Vangelis, T. Dream), die Euch reizen würden?

STEPHAN OTTEN: Wir stehen beide auf die üblichen Verdächtigen der 70er und 80er-Elektronik. Speziell u.a. Kraftwerk, Neu!, Ashra, Klaus Schulze und unzählige andere... Aber auch aktuelle Bands und Künstler stehen bei uns im Regal … Allessandro Cortini, Caterina Barbieri, Tengger… Wir haben tatsächlich einige Coverversionen auf der Festplatte, die noch nicht veröffentlicht wurden. Details werden aber noch nicht verraten. Es sind aber wieder eher abwegige Sachen. Wir hatten uns z.B. einmal Slayer in einer elektronischen Version vorgeknöpft. So etwas in der Richtung darf man hier auch erwarten.

BODYSTYLER: Mit welchen Künstlern aus der aktuellen Szene versteht Ihr Euch am besten und mit welchen würdet ihr gerne mal zusammen spielen, wo spielt Ihr am liebsten live?

STEPHAN OTTEN: Die meisten leben nicht mehr oder schaffen es nicht mehr auf die Bühne, von daher hat sich das erledigt. Wir haben schon auf einigen Festival gespielt und mit außergewöhnlichen Künstlern auf der Bühne gestanden (Bohren & der Club of Gore, Nils Frahm, Oneohtrix Point Never, Michael Rother, Gabi Delgado…), da bleiben kaum noch Wünsche offen. Ich finde es mittlerweile wichtiger, an schönen Orten zu spielen z.B. in Museen oder tollen kleinen Open-Air-Locations, aber die Elbphilharmonie wäre natürlich auch mal nett (zwinkert). Wir hatten schon immer einen guten Draht zu unseren Labelkollegen vom Bersarin Quartett, mit denen wir mal getourt sind oder auch Harald Grosskopf, der ein Stück auf einem unserer Alben getrommelt hat.

"Seit den letzten drei Alben ist es eher die Dreifaltigkeit aus Krautrock, Ambient und zeitgenössischer Elektronik."

BODYSTYLER: Wie sieht es mit Videos aus, ist das wichtig die Clips (aktuell das großartige "Wenig Worte für ein Ende") zu den Tracks für z. B. Youtube, FB und andere Kanäle zu produzieren? Wer kam auf die Idee mit den wohl älteren Landschaftsaufnahmen?

STEPHAN OTTEN: Der große Hype ist hier vorbei. Zu MTV-Zeiten waren Videos für Bands wichtig. Es unterstützt ein wenig die Promo für ein Album oder jemand wird zufällig bei Youtube über ein Video auf uns aufmerksam, aber für uns hat das keine so große Bedeutung. Das letzte Video hat wieder Sascha Göpel für uns gebastelt. Sascha ist unser Haus- und Hof-Fotograf. Er hatte gerade alte Super 8-Familienvideos aus den 70ern eines lokalen Künstlers digitalisiert und kam dabei auf die Idee, diese Sequenzen für ein Video für uns zu nutzen. Wir sind sehr froh, dass wir die nutzen durften. Ich finde das Video ist sehr stimmig und zeitgemäß zum Sound geworden.

BODYSTYLER: Da ich ein Fan vom guten alten Vinyl bin: Wie steht Ihr zur gerade wieder auflebenden Vinylkultur oder ist die Zukunft wirklich das digitale Streaming, also Spotify und Co.?

STEPHAN OTTEN: Wir sind beide große Vinylfans. Glücklicherweise sind unsere Labelmacher von Denovali auch Liebhaber von tollen, gut aufgemachten Vinyl-Editionen. Es gibt hier Fans, die kaufen jede Platte von Denovali, weil man hier geschmacklich, obwohl stilistisch durchaus unterschiedlich, nichts falsch machen kann. Schallplatten sind ein wichtiger Bauteil des Labels. Ich denke, die physischen Tonträger überwiegen hier bei weitem die digitalen Verkäufe. Es geht einfach nichts über einen schönen Tonträger in der Hand. Mp3s sind einfach nicht sexy.

BODYSTYLER: Was mich immer wieder begeistert hat, sind sogenannte "Nebenprojekte" von Künstlern. Ist so was wichtig, um sich hier künstlerisch "auszuprobieren"? Gibt es bei Euch welche?

STEPHAN OTTEN: Ich habe leider nur Zeit, um mich auf Sankt Otten zu konzentrieren. Oliver spielt ja noch Gitarre bei Phillip Boa & The Voodooclub und arbeitet hier und da als Studiogitarrist. Sonst machen wir aktuell nebenbei nichts. Wir hatten vor einigen Jahren mit zwei Kollegen aus Osnabrück ein Projekt namens Ficht mit improvisierter, live gespielter Elektronik. Hörproben: https://soundcloud.com/fichtosnabrueck/sets/ficht-elektrokeller-recordings

BODYSTYLER: Und zum Schluss: Was können wir noch von Euch in 2021 erwarten? Konzerte gehen sicher erst ab Herbst/Winter…

STEPHAN OTTEN: Konzerte sind bei uns recht rar gesät. Es ist noch nicht ganz klar, ob wir das Album noch auf die Bühne bringen wollen. Die Bedingungen könnten ja aktuell nicht schlechter sein. Wollen wir hoffen, dass überhaupt noch Auftrittsorte überleben. Wir sitzen aber auch schon fleißig an Ideen für ein neues Album. Mal schauen, ob wir das noch dieses Jahr hinbekommen.