Deine Lakaien

Die Kunst der Zweiheit

15.04.2021 - Das deutsche Duo Deine Lakaien veröffentlicht im April 2021 das Konzept-Doppel-Album „Dual“, welches zum einen hochkarätige Coverversionen enthält, aber auch ebenso viele eigene Songs. Musikalisch wie textlich bewegen sich Sänger Alexander Veljanov und Instrumentalist Ernst Horn dabei auf gewohnt hohem Niveau. Zeit für ein unterhaltsames und informatives Telefonat mit einem bayrischen Musiker… Von: Torsten Pape

Image Duale Lakaien (Foto: Jörg Grosse-Geldermann)

BODYSTYLER: Hallo Ernst, zunächst einmal vielen Dank für das tolle neue Album. Ich hatte wieder viel Spaß beim Hören und Entdecken. Beim Lesen des Titels „Dual“ habe ich mir übrigens sofort gedacht, dass das absolut passt. Ihr seid ein Duo, es geht bei euch textlich nicht selten um Leben und Tod, ihr verwendet oft Kontraste mit zwei dominanten Farben, die Bandinitialen sind drin... Nun bringt Ihr es also mit einem Albumtitel inklusive großem Konzept auf den dualen Punkt. Ist „Dual“ für Euch die logische Konsequenz Eurer Bandgeschichte?

ERNST HORN: Das war ursprünglich eine Idee vom Alexander. Ich kannte den Begriff eher von den Plattenspielern, das ist meinem Alter geschuldet… (lacht) Er meinte damit schon dieses Konzept: Auf der einen Seite die Coverversionen, auf der anderen unsere davon inspirierten Songs. Sich parallel durch das Album bewegen mit all den Querbezügen. Aber wenn Du das so sagst, passt das doch auch ganz gut und es gibt meines Wissens nicht allzu viele Leute, die etwas „Dual“ genannt haben.

BODYSTYLER: In unserem letzten Interview habt Ihr gesagt, dass Ihr das letzte Album „Crystal Palace“ als Ganzes versteht und Euch insofern geäußert, dass die allgemeinen Hörgewohnheiten immer mehr verdorben werden. Nun habt Ihr den immer kleiner werdenden Aufmerksamkeitsspannen sogar einen noch größeren Brocken vorgesetzt. Wie kam es denn zu dieser Gegenbewegung?

ERNST HORN: Das ist ja immer so ein grundsätzliches Problem, was man als Musiker hat, wenn man etwas mehr möchte als nur ein paar Hit-Singles zu produzieren. Alles wird in einzelne Stücke zerfleddert und man schaut nur noch auf die Click-Zahlen. Das machen nicht nur die Produzenten oder Plattenfirmen, sondern auch schon die Musiker selbst. Für uns war in diesem Fall von Anfang an klar, dass wir ein Konzeptalbum machen und eine Geschichte erzählen möchten. Das war uns ja immer schon wichtig und wir wollten das zum Beispiel auch mit den Lyric-Videos unterstützen.

BODYSTYLER: Im Vorfeld habt Ihr ja durch die vielen Video-Auskopplungen eine recht deutliche Spur zum Album gelegt. Man könnte sogar behaupten, dass Ihr schon versucht, die Leute mit etwas kleineren Happen zu kriegen?

ERNST HORN: Haha, das ist immer die Geschichte mit den Vorab-Singles, die eine Plattenfirma zur Sprache bringt. Dieses berühmte Bewerbungsgespräch einer Band beim Label, wo der Spruch fällt, dass man keine Single hört. Auch in unserem Umfeld wird uns gesagt, dass wir etwas vorausschicken müssen, um den Leuten die Idee nahezubringen bzw. das Album vorzubereiten. Natürlich nimmt man dafür Stücke, die etwas leichter ins Ohr gehen, aber wir hoffen natürlich, dass das Album trotz der sechs Videos, dann trotzdem als Ganzes akzeptiert, durchgehört und verstanden wird. Die schwierigen Stücke von Mussorgsky, Kate Bush und so weiter, kann man im Zusammenhang bestimmt auch besser verstehen.

BODYSTYLER: Kannst Du Dich eigentlich an Deine ersten Versuche erinnern, andere Künstler nachzuspielen? Geht das zurück in Deine Kindheit oder hat das erst später angefangen?

ERNST HORN: Klar habe ich früher auf dem Klavier auch mal was von den Beatles gespielt. Auf dem Schlagzeug waren es eher die ganzen Soul-Hits. Später als das mit der Elektronik losging, habe ich mich mal mit einem Freund an einem Soul-Song versucht, aber das hat nicht geklappt. „Don‘t play with fire“ von den Rolling Stones war dann das erste Coverstück, das ich mit Alexander gemacht habe. Mit Deine Lakaien wollten wir aber schon immer mehr unseren eigenen Weg gehen. Komisch eigentlich, andere Bands haben das mehr oder viel eher gemacht als wir. Die Idee mit den Covern kam dann von anderen Leuten, die meinten, dass wir doch mal was in der Richtung versuchen sollten. Es gab ja früher schon ein paar Anläufe, zum Beispiel „(We don‘t need this) Fascist groove thang“ von Heaven 17 und jetzt kürzlich „Am Fenster“ von City. Letzteres hat den Leuten anscheinend ausgesprochen gut gefallen. Es war dann Alexanders Idee, dass wir, wenn wir solch ein Cover-Album machen, es dann auch mit einem eigenen Album verbinden. Immer einen eigenen Song, der zu einem Cover passt, egal ob sich das nun auf den Text oder die Musik bezieht.

BODYSTYLER: Würdest Du denn im Nachhinein sagen, dass es schwieriger ist, eine Coverversion auf die Beine zu stellen oder sich von einem Original zu etwas Neuem inspirieren zu lassen? Was kostete Euch mehr Mühe oder mehr Zeit?

ERNST HORN: Nun ja, das kann man schwer sagen. Wir wollten uns die Cover zunächst einmal nicht auf eine egoistische Art zu eigen machen. Vielmehr wollten wir die Form der Songs beibehalten und uns eher die Freiheiten beim Instrumentalteil nehmen. Die Auswahl hat zum Großteil ja Alexander getroffen. Ich hatte zwar auch Songideen, habe aber selbst gemerkt, dass mein 60er Jahre-Geschmack schon sehr schräg war. Diese psychedelischen Songs oder auch Stücke von Jimi Hendrix leben eher von der Machart als vom Song selbst. Das wäre für uns keine gute Lösung gewesen von daher habe ich ihm gesagt, dass er sich einfach raus suchen sollte, was er gern singen würde und ich lass mich dann darauf ein. Es machte für mich dann den Reiz aus, die Struktur und die Akkorde festzulegen und alles in unsere Klangwelt zu transferieren. Das war eine schöne und unterhaltsame Auseinandersetzung und gar nicht mal so anstrengend. Unsere Songs habe ich mir Stück für Stück zusammengesucht und hatte irgendwann eine Vorlage für Alexander. Ich würde sagen, dass beides gleich schwierig war.

"Man kann aber ein Konzert mit Publikum einfach nicht ersetzen."

BODYSTYLER: Ihr beide habt ja über die Jahre immer mehr eine Symbiose entwickelt. Würdest Du sagen, dass dieses Album vor zehn oder zwanzig Jahren oder gar ganz zu Beginn Eurer Karriere überhaupt möglich gewesen wäre?

ERNST HORN: Ich weiß, was Du meinst. Ich glaube schon, dass sich aufeinander einzulassen vielleicht schwieriger gewesen wäre. Wir waren zudem früher eher von unserem eigenen Sound oder auch dem Experimentieren berauscht, so dass wir wahrscheinlich erst gar keine Lust auf Coverversionen gehabt hätten.

BODYSTYLER: Im Zuge der Beschäftigung mit Eurem Album musste ich an die vielen Bands oder Produzenten denken, in deren Werken man oft deutlich ihre Inspirationen heraushört. Oftmals geben die Musiker diese Einflüsse aber gar nicht zu. An dieser Stelle dreht Ihr den Spieß komplett um und legt die Karten auf den Tisch. Ihr macht sozusagen aus der Not anderer Leute eine Tugend für Euch.

ERNST HORN: Haha, da muss ich an einen unserer ersten Kontakte mit einer Plattenfirma denken. Da hat uns jemand ganz unverblümt gesagt, dass wir doch lieber so etwas wie Band XY machen sollten...

BODYSTYLER: Was dachtet Ihr eigentlich mit welchem Cover Ihr die Leute am meisten überrascht und stimmt das mit dem bisherigen Feedback überein?

ERNST HORN: Bis jetzt wussten die meisten Leute, die das Album gehört haben, natürlich, dass wir eine große Bandbreite anbieten wollen. Es war zum Beispiel auch bekannt, dass Alexander ein großer Jaques Brel-Fan ist. Vielleicht war die größte Überraschung sogar der Kate Bush-Song, weil das allein gesangstechnisch nun wirklich komplett in einer anderen Welt liegt. „Dust in the wind“ (Kansas), „Spoon“ (Can) oder „Lady D‘Arbanville“ (Cat Stevens) hatten vielleicht auch nicht alle auf dem Schirm, sondern dachten wahrscheinlich, dass wir uns mehr in den 80ern austoben würden. Letztendlich kommt aus der Ecke nur der The Cure-Song („The walk“). Nun könnte man sagen, dass es wie bei Johnny Cash, Gunter Gabriel oder Heino ja auch ein Marketingtrick sein kann, ganz bewusst Songs aus anderen Genren zu covern, um neue Märkte anzutriggern. Das hatten wir aber gar nicht im Kopf. Linkin Park („My December“) war übrigens eine Idee meiner Tochter. Ich glaube sogar in Zusammenarbeit mit Alexanders Tochter, die sind ja im selben Alter. Da wäre ich selbst gar nicht drauf gekommen. Wir haben übrigens insgesamt 32 Stücke gemacht, also ist noch etwas in der Pipeline… (lacht)

BODYSTYLER: Ich wollte Dich sowieso fragen, ob es noch Songs gibt, die es nicht auf das Album geschafft haben?

ERNST HORN: Ich habe sogar etwas Verrücktes gemacht und ein Instrumentalstück von György Ligeti gecovert. Das ist einer der größten Komponisten des 20. Jahrhunderts und die meisten kennen ihn, weil Stanley Kubrick ein paar Takte seines „Requiem“ in „2001: Odyssey im Weltraum“ verwendet hat. Ich hab ihn sogar kennengelernt, weil er an der Hamburger Musikhochschule unterrichtet hat. Er war ein verehrungswürdiges Genie. Das Stück war für Cembalo und drei Synthesizer komponiert, lebt aber so von den Skalen, dass das mit Stimme bzw. Stimm-Samples nicht funktioniert. Das fängt ganz tief an und geht dann super hoch. So hoch kann kein Mensch singen, also werden wir es als Deine Lakaien nicht veröffentlichen.

BODYSTYLER: Kommen wir doch mal zu dem eigenen Song „Qubit man“, der am ungewöhnlichsten klingt. Das Quantenbit ist ja nun nicht gerade ein selbsterklärender Begriff. Magst Du dazu etwas erzählen?

ERNST HORN: Das ist die Analogie zum „Floh-Lied“ von Mussorgsky, welches von dem Floh erzählt, den man nicht los wird, der einen fertig macht. Ich habe das dann andersherum gedacht, dass sich die neuen Computer, die Quanteninformatik wie ein fleischfressender Mantel um einen legen und Dich verzehren. Beide an sich kleinen Dinge können den Menschen beherrschen.

BODYSTYLER: Ihr macht Euch schon immer viele Gedanken um die richtige Reihenfolge der Tracks auf einem Album. Nun musstet Ihr sogar auf zwei Ebenen schauen, ob der gewünschte Fluss gegeben ist. Wie darf man sich den Austausch darüber vorstellen?

ERNST HORN: Da haben wir wirklich wieder viel diskutiert. Ich war zunächst der Meinung, dass der Coversong immer an der gleichen Stelle stehen muss wie unsere dazugehörige Komposition. Davon sind wir abgekommen, da es wichtiger war, dass die Stücke im Ablauf zueinander passen. Wir werden die Bezüge dann über das Artwork deutlich machen.

"Klar habe ich früher auf dem Klavier auch mal was von den Beatles gespielt."

BODYSTYLER: Was die Möglichkeit der Auftritte anbelangt, so hat sich aktuell ja alles wieder etwas nach hinten verschoben. Ihr hattet ja zwischendurch ein Streaming-Konzert gegeben. Wäre das auch wieder eine Option, um das Album zeitnah zu promoten?

ERNST HORN: Das könnte man sicherlich machen, aber da sind wir wie viele andere Bands mittlerweile etwas weniger euphorisch. Das war eine tolle Idee, dann haben sich alle drauf gestürzt und jetzt sind alle übersättigt. Wenn man es mit anderen Kunstformen, speziellem Licht oder einer besonderen Optik verbinden kann, ist es vielleicht noch spannend. Man kann aber ein Konzert mit Publikum einfach nicht ersetzen. Wir wollen wieder auf die Bühne und haben die Konzerte für Oktober geplant. Ich glaube schon, dass das auch klappen wird.

BODYSTYLER: Ich hoffe so, dass Du recht hast.

ERNST HORN: Aktuell gibt es so einen großen Druck auf die Politiker, die Pharmafirmen etc., dass wir mit den Impfungen auch vorankommen werden. Es wird auch Zeit. Der Frühling kommt, die Leute werden ungeduldiger, die Stimmung geht runter, die Diskussionen werden gröber und alle sind zerstritten. Der einzige Ausweg ist es in meinen Augen, die Impfungen voranzutreiben.

BODYSTYLER: Darf man denn fragen, ob Du schon geimpft bist?

ERNST HORN: Ich bin eigentlich Risikogruppe 2, von daher sollte ich bald dran sein. Es sollen aber wirklich erst mal die Leute drankommen, die mehr gefährdet sind oder noch mehr Kontakte haben. Wenn ich dann dran bin, aber gerne.

BODYSTYLER: Dann drücke ich die Daumen und wenn Ihr wieder auftreten könnt, trägt das bestimmt auch zur Gesundheit der Leute bei.

ERNST HORN: Oh, das wäre natürlich schön. „Seit ich Lakaien gehört habe, bin ich immun gegen alles.“ (lacht)

BODYSTYLER: Das wäre doch mal ein guter Werbeslogan. Für mich war Euer Album jedenfalls mal wieder eine schöne Ablenkung von all den unschönen Dingen, die so passieren.

ERNST HORN: Es ist für uns ja auch ein Segen, dass wir so ein Album als Home-Produzenten aufnehmen können. Da sind wir fein raus. In Sachen Arbeit trifft mich die Pandemie noch am wenigsten. Dafür fehlen mir die Treffen mit der Familie oder der Cafe-Besuch umso mehr. Aber ich möchte natürlich kein Glied einer Infektionskette sein.

BODYSTYLER: In diesem Sinne. Ich drücke die Daumen, dass Du gesund bleibst.

ERNST HORN: Das wünsche ich Dir natürlich auch.