Schwessi

Achtung Überlebensgefahr - Die Gefahr zu überleben in allen Facetten

12.11.2021 - Schwessi hat mit ihrem Debütalbum „Achtung Überlebensgefahr“ eine Mischung aus politischen und persönlichen Lebenserfahrungen in die Welt geworfen. Die Künstlerin gab im Interview einen Einblick die Bedeutungstiefe ihres Longplayers und stellte auch die persönlichen Aspekte heraus. Von: Roman Golub

Image Schwessi in bester Laune (Foto: Till Haupt)

BODYSTYLER: Wie viel Sarkasmus und wie viel Ironie steckt in deinem Debütalbum „Achtung Überlebensgefahr“? Inwieweit bedienst du Klischees?

SCHWESSI: Sehr viel Ironie, sehr wenig Sarkasmus. Ich bediene mich gern aller Klischees, um mich über stereotype Denkstrukturen lustig zu machen und sie in Frage zu stellen - nicht umgekehrt.

BODYSTYLER: Du bist im professionellen Songwriting durchaus geschult und hast auch mit Udo Lindenberg zusammengearbeitet. Wie groß ist jeweils der Kopf- und der Gefühlsanteil beim Verfassen deiner Songs? Inwieweit kommst du in einen Schreibflow, wenn du die Lyrics verfasst? Wie verarbeitest du deine Gedanken in Reime?

SCHWESSI: Das Gefühl ist King - ein Schwessi-Song braucht genau die richtige Mischung aus Leichtigkeit und Tiefgründigkeit. Wenn ich im Flow bin, brauch ich den Kopf gar nicht. Der Flow ist immer da, wie ein Tunnel, ich krieg dann nix mehr mit von meiner Umgebung und tauche voll in den Schreibprozess ein. Reime zu suchen ist für mich wie eine große Spielwiese, wo ich mich voll austoben kann. Erst ganz zum Schluss, wenn das Ding in die endgültige Form gegossen wird, kommt der Kopf nochmal und überprüft alles - wie aus der Vogelperspektive. Was muss raus, was ist nicht stark genug? Stimmt die Message? Kommt auch wirklich genau das rüber, was ich sagen will? Welches Gefühl erzeuge ich bei den Zuhörenden und will ich das? Sonst schraube ich nochmal an der einen oder anderen Stelle herum. Von "Kill your darlings" halte ich allerdings nicht viel, ich mach dann lieber alles nochmal neu, um die "darlings" zu erhalten.

BODYSTYLER: In deinem Titel „Revolution“ heißt es u.a. „Sie ist erst dreizehn und voller Adrenalin/ Und Papa sagt sie soll sich anständig anzieh'n/ […]/ Sie soll Jura und Medizin studier'n/ Doch sie geht lieber Mauern beschmier'n“? Vor dem Hintergrund, dass du Erfahrungen mit der „Spießigkeit eines kleinen katholischen Dorfs in Bayern“ gesammelt hast, frage ich, wie viel Autobiographisches in diesen Versen steckt. Welche persönliche Bedeutung hat „Revolution“ für dich?

SCHWESSI: Obwohl es in meinem Dorf keine Graffiti-Szene gab, der ich mich hätte anschließen können, ist da sehr viel persönliche Bedeutung drin, ja. Der Song ist die Story of my Life. Ich wollte nie ein 08/15 Leben, wie meine Eltern es für mich vorgesehen hatten - und hatte auch schon immer diesen wahnsinnigen Weltschmerz. Ich hab früh verstanden, dass unser Wohlstand auf sehr vielen Ungerechtigkeiten aufgebaut ist, aber nie verstanden, warum alle das mitmachen. Der Song ist auch eine Hymne für alle Aktivist*innen, die nicht aufhören, an die Revolution zu glauben. Sie sind die wahren Held*innen unserer Zeit.

"Das Gefühl ist King - ein Schwessi-Song braucht genau die richtige Mischung aus Leichtigkeit und Tiefgründigkeit. "

BODYSTYLER: Wie verträgt sich deiner Ansicht nach die Festsetzung politischer Korrektheit mit Toleranz? Wo sind die Grenzen der political correctness und kann diese auch etwas unkorrekt finden, was auch eine demokratische Grundhaltung hat? Wie vertragen sich unter dieser Fragestellung deine beiden Songs „Alles geht“ und „Die politisch nicht korrekte Libido“ miteinander?

SCHWESSI: Das kommt darauf an, wie man "politisch korrekt" für sich definiert. In dem Libido-Song geht es ja vor allem um eigene Werte, die verraten werden, wenn man sich im Hormonrausch dem verschwenderischen Lifestyle des Lovers hingibt, der gar keinen Bock auf Klimaschutz hat. Und der Libido ist das egal, obwohl man sonst mit Kapitalismus, Konsumwahn und Ausbeutung auf Kriegsfuß steht. Das hab ich als "politisch nicht korrekt" bezeichnet, in dem Sinne, dass die Grenze genau an der "woken" Twitter-Bubble verläuft, der ich mich zugehörig fühle. Und die hier überschritten wird. Es kommt also auf den eigenen Standpunkt an. Insofern: nein, demokratische Haltungen und politische Unkorrektheit schließen sich nicht aus, und Toleranz geht m.E. trotzdem, wie die Geschichte dieses Liedes beweist.

BODYSTYLER: Kannst du die Formulierung „Inkontinenz der Meinungsfreiheit“ aus dem Song „Wer ist das Volk“ etwas präzisieren? Wo hört deiner Ansicht nach die Meinungsfreiheit auf? Wo beginnt Rassismus und Fremdenfeindlichkeit? Wo siehst du die Grenzen der Freiheit? Inwieweit kann sich „Demagogie“ (im gleichen Titel ist auch davon die Rede) unter der Voraussetzung vorhandener Mündigkeit breitmachen?

SCHWESSI: Das ist ganz einfach: Alles geht, außer Nazis. Die müssen raus. Raus aus dem Verfassungsschutz, aus der Polizei, aus dem Parlament. Und vor allem auch raus aus den Talkshows und raus aus dem Internet. Die Meinungsfreiheit hört da auf, wo menschenverachtender, faschistoider Hass auf Basis von Fake-News verbreitet wird. Rassismus ist ja wieder salonfähig geworden, wegen Facebook und Co.! Die rechten Netzwerke und ihre Trolle fluten das Internet ungestraft mit ihren Nazi-Parolen und gefährden Menschenleben und unsere Demokratie - dieses Phänomen nenne ich "Demagogie" - denn was jahrelang permanent aufs menschliche Bewusstsein einprasselt, wird irgendwann als "normal" wahrgenommen, als eine Meinung unter vielen. Faschismus, Rassismus, Homophobie und Misogynie ist aber keine "Meinung". Sondern ein Angriff auf die Menschlichkeit. Es ist einfach nicht richtig, dass Faschos diese Plattformen bekommen und ihre Hetze ungefiltert verbreiten können, während andere um ihr Leben fürchten müssen, weil sie für Demokratie und die Unantastbarkeit der Menschenwürde einstehen.

BODYSTYLER: Warum hast du den Longplayer „Achtung Überlebensgefahr“ genannt? Welche tiefsinnigere Bedeutung hat das Cover des Albums? Inwieweit willst du den Fokus auf bestimmte Dinge legen?

SCHWESSI: Ich sach mal so: Wir haben Donald Trump überlebt, und sogar Andi Scheuer. Ich persönlich hab zwei Burnouts überlebt, einige Unfälle und eine Suchterkrankung. Das muss gefeiert werden - aber nützt ja alles nix, wenn wir den Planeten weiter zugrunde richten. Es muss endlich ins Bewusstsein der Menschheit, dass wir radikale, revolutionäre Veränderung brauchen, wenn wir überleben wollen! Das "Achtung Überlebensgefahr"-Schild markiert den Übergang in ein neues Zeitalter, eine Utopie: Wenn Sie diesen Bereich betreten, besteht die Gefahr, dass Sie überleben. Hier gibt es weder Atomkraft noch Ausbeutung oder Ausgrenzung. Hier wird die volle Power der Gleichberechtigung genutzt, die wir übrigens dringend brauchen, um die Welt noch zu retten - so die Prophezeiung des Dalai Lama und da stimme ich ihm hundertprozentig zu. Hier wird Solidarität wirklich gelebt, auch mit allen Menschen weltweit, die täglich um ihr Überleben kämpfen müssen - wegen der Globalisierung und der Klimakatastrophe. Wir können jeden Tag neu entscheiden, ob wir rüberjumpen wollen auf die andere Seite des Zauns. Und überleben.

BODYSTYLER: Im Booklet des Longplayers gibt es eine Abbildung mit einem leicht zertrümmerten Dach eines Reaktors mit einem darüber schwebenden Löffel. In welche Richtung zielt dabei die Aussage, die du damit treffen willst?

SCHWESSI: ATOMKRAFT NEIN DANKE. Weg damit. That's all. (zwinkert) Und na ja, wir fanden es auch ein bisschen lustig, dem Ganzen mal kurz die Bedrohlichkeit zu nehmen.

BODYSTYLER: Welcher Titel des Albums ist dir am wichtigsten? Sind dir politische Inhalte oder eher persönlichere Songs wichtiger? Lebenserfahrungen mischen sich für gewöhnlich mit politischer Willensbildung. Sind dir vielleicht deswegen Songs lieber, die diese beiden Seiten kombinieren?

SCHWESSI: Absolut. Die Kombination aus persönlich und politisch ist mir am allerliebsten, weil ich da den in mir tobenden inneren Konflikt kreativ ausdrücken kann. Dieser permanente Widerspruch, in diesem System zu leben und dadurch Teil des Raubtierkapitalismus zu sein, ob ich will oder nicht. Ein Spagat, der mich noch mehr zerreißt als der Alleinerziehenden-Alltag.

BODYSTYLER: Wie bist du zum Künstlernamen Schwessi gekommen?

SCHWESSI: Hab' s mir leicht gemacht - Schwessi ist mein Spitzname, seit ich klein bin: mein Bruder hat mich immer so genannt und alle haben es übernommen. Inzwischen mag ich den Namen viel lieber als meinen "echten" Namen.

BODYSTYLER: Wie viel Therapieerfahrung steckt in dem Song „Ohne Worte“? Dort singst du u.a. „Ich kann nur nicht reden über meine Emotionen/ Die Worte fehlen mir ...“.

SCHWESSI: Keine Angst mehr vor Gefühlen zu haben. Und vor allem: Die Fähigkeit zur Selbstbeobachtung, diese ironische Distanz zum eigenen widersprüchlichen Verhalten und der wohlwollende Blick darauf - das ist das, was die Therapie mir geschenkt hat.

BODYSTYLER: Wie finden sich deine „Therapieerfahrungen“ konkret im Album wieder?

SCHWESSI: Ohne Therapie gäbe es das Album gar nicht, weil ich nie den Mut und die Kraft aufgebracht hätte, es zu veröffentlichen.

BODYSTYLER: Wie wirkt sich Meditation auf dein Songwriting aus? Inwieweit hat diese deine Einstellungen und dein Leben verändert?

SCHWESSI: Beim Meditieren connecte ich mich mit mir selbst, ich schenke allem, was in mir in diesem Moment lebendig ist, hundert Prozent meiner Aufmerksamkeit. Dadurch laufe ich im Alltag weniger Gefahr, unbequeme Gefühle weg zu kompensieren - was für mich extrem wichtig ist, weil ich so echt und bewusst wie möglich das Leben verwirklichen will, für das ich geboren bin. Im Einklang mit meinen ganz individuellen Werten, Bedürfnissen und Grenzen. Und ich übe mich in der Meditation im Mitfühlen mit anderen, wodurch sich mein Bedürfnis nach Verbundenheit und Empathie erfüllt. In Zusammenhang mit der "Gewaltfreien Kommunikation" hat das Meditieren mein Leben sehr bereichert, ich konnte mich aus Verstrickungen, Illusionen und Abhängigkeiten befreien, und immer mehr zu dem Menschen werden, der ich wirklich bin. Und dieser Mensch versuche ich natürlich auch in meinen Songs zu sein und zu bleiben, bei aller Selbstironie und Zweideutigkeit.

"Die Kombination aus persönlich und politisch ist mir am allerliebsten, weil ich da den in mir tobenden inneren Konflikt kreativ ausdrücken kann.
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BODYSTYLER: Wie sieht dein politisches Informationsverhalten aus? Welcher Medien bedienst du dich?

SCHWESSI: Ich lese gern die Artikel von "Perspective Daily", einer Initiative, die sich dem konstruktiven Journalismus verschrieben hat und unfassbar viel Arbeit in die Recherche steckt. Wenn mich ein Thema interessiert, kann ich da sehr sehr tief tauchen. Bin außerdem ZEIT-Abonnentin und mag Sendungen wie "Panorama", aber auch das "ZDF Magazin Royale" mit Jan Böhmermann oder "Die Anstalt", wo ich weiß, das hat alles Hand und Fuß und jede einzelne Aussage wurde doppelt und dreifach dem Faktencheck unterzogen.

BODYSTYLER: Hast du besondere musikalische Ziele oder Erwartungen? Wie ehrgeizig bist du dabei?

SCHWESSI: Als ich vor zwei Jahren meine EP "Liebe in Zeiten der Apokalypse" veröffentlicht hab, hab ich "Erfolg" für mich ganz persönlich definiert. Mit meiner Musik Menschen im Herzen zu berühren, zu erheitern und zu inspirieren. Also wenn mir Menschen schreiben, dass ein Konzert oder ein bestimmter Song von mir ihr Leben bereichert oder sogar verändert hat - das ist die größte Erfüllung für mich. Ein großes Geschenk. Und diese Menschen dürfen gern noch mehr werden, da hätte ich gar nix dagegen.

BODYSTYLER: Willst du zum Schluss noch etwas sagen?

SCHWESSI: Yes. Danke für' s Lesen! Und: LOVE & PEACE & NAZIS RAUS.