Demokratie

Volks Musik

19.11.2021 - Ein Deutscher (Manfred Thomaser - !distain, Arsine Tibé, The Independent Seasons) und ein Brite (James Knights - Scarlet Soho, Boytronic, Knight$) treffen sich in Berlin und rufen kurze Zeit später die Demokratie ins Leben. Klingt abgefahren, ist aber wirklich so geschehen und als Beweis liegt im Herbst 2021 das wunderschöne Debütalbum „Perform & consume“ vor. Von: Torsten Pape

Image Defekte Steine statt Bandfoto (Foto: Seyhan & Demokratie)

BODYSTYLER: 7.9.2019 – Orwo-Haus – Berlin, der Ort, an dem alles begann. Wie würdet Ihr diesen Abend und das erste persönliche Treffen aus heutiger Sicht beschreiben wollen?

MANFRED THOMASER: Wir haben den Abend mit !distain für ein Boytronic-Konzert eröffnet. In den Wochen zuvor hatte es bereits erste Kontakte per Mail gegeben, so dass James und ich beim ersten persönlichen Aufeinandertreffen kurz vor dem Soundcheck keine Hürden überwinden mussten, um ins Gespräch zu kommen. Aber an so einem Tag bleibt natürlich wenig Zeit für lange intensive Gespräche.

JAMES KNIGHTS: Ich erinnere mich, dass es mir ziemlich schlecht ging! Diese Show war wichtig für mich und ich habe vor dem Gig meine Stimme verloren. Ich war in einem Stimmungstief, aber Manfred kam herüber, um zu reden und mir ein paar Halsbonbons und Mitgefühl zu schenken!

BODYSTYLER: Wann und warum wurde aus den ersten gemeinsamen musikalischen Gehversuchen die Reise hin zur Demokratie?

MANFRED THOMASER: Die ursprüngliche Idee war, James als Gastsänger für Arsine Tibé ins Boot zu holen. Also nach dem Motto: wir komponieren gemeinsam einen Song und schauen dann weiter. Dieser erste Song war „Ice Fall“.

JAMES KNIGHTS: Ja. Wenn ich mich richtig erinnere, habe ich die Demo-Vocals für „Ice Fall“ an einem Sonntag aufgenommen. Wenn der Sonntag also einen Sound hätte, würde er in etwa wie „Ice Fall“ klingen. Es fühlte sich gut an, meine Stimme auf eine andere Weise einzusetzen. Die Pandemie machte so viele Live-Events unmöglich, bei denen ich normalerweise aufgetreten wäre, daher war es sinnvoll, von zu Hause aus an mehr Projekten zu arbeiten.

BODYSTYLER: Der Begriff „Demokratie“ ist seit seiner ursprünglichen Definition immer mehr zu einem dehnbaren Begriff geworden. Dank Eures Projektes kann man mit ihm nun auch akustische Eindrücke verbinden. Wie ging die Namensfindung vonstatten und warum hat sich die deutsche Schreibweise durchgesetzt?

MANFRED THOMASER: Mit dem Thema Bandnamen kann man Jahre verbringen. Es kommt einem manchmal fast unmöglich vor, einen guten Namen zu finden. Und dann fragt man sich, gibt es eine Band, die Democracy heißt? Und man wundert sich, dass die Antwort „nein“ lautet. Ich habe sowohl Demokratie als auch Democracy vorgeschlagen. Ich glaube, James mochte die deutsche Version sehr viel mehr als die Englische.

JAMES KNIGHTS: Ja, Manfred liegt richtig. Demokratie fühlte sich gut an.

BODYSTYLER: „Ice fall“ ist für Euch ein sehr wichtiger Song, aber im Grunde auch nicht die ganz typische Single-Auskopplung. Wieso habt Ihr Euch dafür entschieden, das geneigte Publikum mit diesem Track zu begrüßen bzw. es abzuholen?

MANFRED THOMASER: „Ice Fall“ hatte einen sehr großen Einfluss auf alle nachfolgenden Kompositionen. Dieser Song erschuf die Dynamik und die Atmosphäre von Demokratie.

JAMES KNIGHTS: Da „Ice Fall“ unser erster gemeinsamer Song war, hatten wir viel Zeit, ihn anzuhören und uns parallel besser kennenzulernen. Da Demokratie ein neues Projekt war, brauchten wir Zeit, um die Musik, die wir machten, zu erfassen.

MANFRED THOMASER: So entstanden weitere Kompositionen. Als ich James später fragte, welchen Song er als erste Single wählen würde, antwortete er „Ice Fall“. Seine Antwort ließ keinen Zweifel aufkommen.

"Musik ist Freiheit"

BODYSTYLER: Wenn es um das Kriterium Eingängigkeit/Einprägsamkeit geht, so stechen die zwei Tracks „Speed fight date“ und „Where are you (The family tree)“ aus dem Album heraus. Gibt es Pläne, diese beiden Tracks noch einmal separat zu präsentieren?

JAMES KNIGHTS: Ehrlich gesagt habe ich noch nicht so weit voraus gedacht. Die Reaktionen der Öffentlichkeit und die sich entwickelnde Popularität eines bestimmten Songs können das beeinflussen. Manchmal sind Künstler nicht so gut darin, die Singles auszuwählen, das müssen wir alle manchmal zugeben!

BODYSTYLER: Bei „Speed fight date“ dominieren prägnante Percussion-Sounds, die man so ähnlich auch schon bei den Einstürzenden Neubauten gehört hat. Man muss jedoch auch an die Straßenmusiker mit ihren Röhren-Konstruktionen denken. In Kombination mit den Gitarrenlicks und dem variablen Gesang ist das ein wirklich toller Track geworden. Was könnt Ihr zu seiner Entstehung erzählen?

MANFRED THOMASER: Als erstes war der Songtitel da und ich denke, er war ausschlaggebend für die perkussiven Sounds, die bereits im ersten Demo als Idee enthalten waren. Diese erste Idee war aber noch weit entfernt vom Weg, den „Speed Fight Date“ nachfolgend ging. Das vierte Demo enthielt teilweise den Basslauf und die Percussion der finalen Version 18, war aber nur 15 Sekunden lang. Das war noch nichts, was ich James hätte präsentieren wollen.

JAMES KNIGHTS: Als ich Manfreds Demo zum ersten Mal hörte, erinnerte ich mich an das Ultravox-Album „Rage in Eden“. Ich hatte es seit Jahren nicht mehr gehört, aber ich denke, es hat meine Herangehensweise an diesen Song inspiriert. Manfred und ich haben nicht wirklich über seine Einflüsse gesprochen, und ich denke, das ist gut so. Wir nähern uns den Songs von zwei völlig unterschiedlichen Seiten aus an.

BODYSTYLER: In „Where are you (The family tree)“ präsentiert ihr eine weitere, ungewöhnliche, aber doch perfekt funktionierende Symbiose von musikalischen Elementen. Das reicht von Sisters-mäßiger Dunkelheit über Art Of Noise-Spielereien bis hin zu einem Refrain, den man an dieser Stelle nicht erwartet hätte. Was war zuerst da und welchen Weg hat dieser Song im Laufe der Zeit genommen?

MANFRED THOMASER: „Where Are You (The Family Tree)“ war unsere letzte Komposition für „Perform & Consume“. Im Vergleich zu „Ice Fall“ oder „Speed Fight Date“ entstand das Instrumental in eher kurzer Zeit. Die Strophen lagen im Instrumental zuerst vor. Ich hatte auch bereits eine Idee für den Gesang, war mir aber nicht sicher, ob ich sie James präsentieren sollte, da er die Vocal-Melodien zu allen anderen Stücken komponiert hatte. Auch fand ich meine Idee zum Refrain zwar gut, aber es fehlte etwas. James nahm dann seine Vocal-Ideen auf und schnell war klar: meine Idee zu den Strophen bleibt drin und seine Idee zum Refrain ersetzt meinen Vorschlag.

JAMES KNIGHTS: Ja. Wir kamen zu dem Schluss, dass Manfreds Gesang in den Strophen bleiben sollte. Ich bin nicht so stark mit Spoken-Word-Tracks. Gesanglich treffe ich jede Note! Im Einklang zur Musik zu sprechen fällt mir aber sehr schwer!

BODYSTYLER: Manfred, in „Persistence“ meine ich mal wieder Deine Vorliebe für Tangerine Dream herauszuhören. In Kombination mit dem schönen, schmalzig-melancholischen Gesang ist Euch eine weitere ungewöhnliche Verschmelzung gelungen. Was wolltet Ihr mit dieser Komposition zum Ausdruck bringen?

MANFRED THOMASER: Der Mensch zeichnet sich bekanntlich dadurch aus, dass er vielfach nicht aus der Vergangenheit lernt. Ausnahmen bestätigen die Regel. Wenn man diesbezüglich bedenkt, dass die erste Weltklimakonferenz 1979 in Genf stattfand, dann weiß man, wieviel Zeit seither vertan wurde. In „Persistence“ geht es darum, sehenden Auges ins Unglück zu rasen.

JAMES KNIGHTS: Das ist mein Lieblingssong auf dem Album. Er hat eine epische Qualität, die man nicht ohne weiteres erzeugen kann.

BODYSTYLER: Den wohl ungewöhnlichsten Songtitel besitzt meines Erachtens „The wall behind the door“. Wie ist dieses Bild, resp. dieser Text entstanden? Zusatzfrage: Könnt Ihr nachvollziehen, wenn ich an einigen Stellen an „In God‘s country“ von U2 denken musste?

JAMES KNIGHTS: An U2 hatte ich nicht gedacht, aber ich verstehe, was du meinst! Mit dem Text hatte ich gehofft, einen Punkt von Vernunft zu finden. Musik ist natürlich großartig, aber die Musikindustrie ist es nicht. Ich singe über verlorene Freunde, gescheiterte Geschäfte, verpasste Gelegenheiten… all das! Es ist nicht negativ, nur die Sehnsucht, dass die guten Tage wiederkommen.

"Wenn der Sonntag also einen Sound hätte, würde er in etwa wie „Ice Fall“ klingen."

BODYSTYLER: Wie sind denn eigentlich die ersten Reaktionen auf Euer Debüt ausgefallen? Gab es da Unterschiede bzgl. Eurer beiden (ursprünglichen) Fanlager?

JAMES KNIGHTS: Ich arbeite immer an unterschiedlichen Projekten, natürlich überwiegend elektronische Musik. Ich teste mich gerne aus und ich denke, die Fans verstehen, dass ich das tun möchte. Musik ist Freiheit.

MANFRED THOMASER: Es scheint, dass Demokratie für einen gewissen Teil unserer Fans eine Überraschung darstellt. Zum Beispiel: Manche Leute haben nicht erwartet, dass James eine so andere Gesangsatmosphäre beschreibt, als er es bisher getan hat. Es zeigt nur, wie talentiert und wandelbar er ist. Und ja, Musik ist Freiheit.

BODYSTYLER: Wie hoch ist nach Abschluss der Produktion und der VÖ aktuell Euer Energielevel? Geht es gleich an die nächsten Demokratie-Stücke, kommen Eure anderen Bands wieder an die Reihe oder ist erst einmal eine Pause angesagt?

MANFRED THOMASER: Aktuell arbeite ich an neuen Instrumentalversionen für Demokratie. Zwei davon habe ich James bereits zukommen lassen. Wir haben erste Ideen bezüglich möglicher Veröffentlichungen, aber aus Erfahrung kann ich sagen: diese Ideen sind noch lange nicht fix.

JAMES KNIGHTS: Ich fühle mich bereit, etwas weniger im Studio zu arbeiten und wieder mehr live zu spielen. Nach so viel Zeit abseits der Bühne brauche ich das. Aber meine Tür steht natürlich immer offen.

BODYSTYLER: Habt Ihr schon darüber nachgedacht, Demokratie auch auf der Bühne zu präsentieren? Wie könnte die Live-Umsetzung aussehen?

JAMES KNIGHTS: Darüber haben wir nachgedacht. Ich kann mir Demokratie gut in einem Planetarium oder ähnlichem vorstellen.

MANFRED THOMASER: Eine Idee, die mir sehr gefällt.

Vielen Dank und alles Gute für die Zukunft. Ich bin sehr gespannt auf die nächsten Lebenszeichen von Euch.

MANFRED THOMASER: Vielen Dank.