Ravenous

Wurzelbehandlung

01.12.2021 - Über zwanzig Jahre sind seit dem letzten Lebenszeichen der Electro-Formation Ravenous vergangen, da schiebt sich der Sargdeckel plötzlich zur Seite. Aus der Tiefe dringen fetzige Klänge, die unverkennbar die Handschrift von Gerrit Thomas tragen und zum Comeback-Album „Forward to the roots“ gehören. Sänger Tim Fockenbrock sowie Björn Böttcher berichten von der erfolgreichen Wiederbelebung. Von: Torsten Pape

Image Björn, Gerrit und Tim haben gern die Hand am Kinn. (Foto: Promo)

BODYSTYLER: Ravenous sind zurück. Damit hätte wohl niemand mehr gerechnet. Warum geschah es denn genau jetzt und nicht früher (oder später)? Potenzielle Jubiläen gab es ja schon einige bzw. wird es noch geben?

TIM FOCKENBROCK: Die Dinge passieren, wenn sie passieren sollen! Wir hatten ganz einfach vorher keinen Kontakt mehr. Ich habe einen Anruf von Björn bekommen, ob es für mich O.K. wäre, zum 25jährigen Jubiläum unveröffentlichte Tracks herauszubringen. Das war der Anlass sich wieder zu treffen. Dass daraus neue, kraftvolle Songs entstanden sind, war vorher nicht geplant und nicht abzusehen.
 
BODYSTYLER: Hättet Ihr vor zehn Jahren gedacht, dass Ihr mal in eine Reunion bzw. eine Comeback-Geschichte verwickelt sein werdet?

TIM FOCKENBROCK: Nein, daran war vor 10 Jahren nicht zu denken.

BODYSTYLER: Ihr habt früher – gemeinsam mit vielen anderen Bands – den Oberbegriff „Weiberelectro™“ mit Leben gefüllt. Wie blickt Ihr auf diese Zeit und diese Einordnung zurück? Dürfte man Euch dieses Etikett heute noch anhängen?

TIM FOCKENBROCK: Wenn harmonische Melodien, tiefsinnige Texte und ein halbwegs talentierter Sänger zu diesem Prädikat führen, dann kann ich damit sehr, sehr gut leben! Ich empfinde das auch nicht als so abwertend, wie es gemeint ist. In Bezug auf Zugang zur eigenen Emotionalität sind Frauen für uns Männer sowieso ein gutes Vorbild.

BODYSTYLER: Ich denke nicht, dass der Begriff „Weiberelectro™“ negativ gemeint ist, eher humorvoll bzw. augenzwinkernd (RIP Niels „23“ Fischborn). Nun gut, nächste investigative Frage: Die Wege von Björn und Gerrit sind relativ gut dokumentiert und im Netz nachvollziehbar. Bei Dir, Tim, verhält es sich anders, da Deine Aktivitäten in anderen Bands bzw. im Synchronsprecher-Gewerbe etwas mehr im Dunkeln liegen. Dürfte man diesbezüglich denn ein paar Details erfahren?

TIM FOCKENBROCK: Ich habe in verschiedenen Bands und Projekten gesungen. Musikalisch ging das von Rock/Pop über Fusion/Funk bis hin zu einfacher, akustischer Musik. Ich bin da breit aufgestellt und stehe vielen Genres tolerant gegenüber. Musik transportiert Emotionen und wenn diese bei mir ankommen, ist es für mich nicht wirklich wichtig, welchem Genre sie zugehörig sind. Emotionen sollte man nicht in Schubladen stecken.

BODYSTYLER: Funker Vogt, Ravenous, Eisfabrik, Fictional, Fusspils 11, Gecko Sector – mittlerweile gab/gibt es so einige Projekte mit personellen Überschneidungen. Besonders die drei erstgenannten Bands kommen sich dabei stilistisch manchmal doch recht nahe. Das ist grundsätzlich nicht verwerflich, aber man könnte zum Beispiel die Frage stellen, was ein Stück im Anfangsstadium der Komposition haben muss, damit es den jeweiligen Stempel bekommt? Oder gibt es gar „Überläufer“, die ursprünglich mal an ein anderes Projekt „vergeben“ waren?

TIM FOCKENBROCK: Grundsätzlich gibt Gerrit die Richtung vor und macht seine Musik gezielt für die einzelnen Bands. Trotzdem kann es im Einzelfall auch vorkommen, dass einzelne Kompositionen doch bei einer anderen Band landen. Wenn ein Song grundsätzlich gut ist, mich aber nicht berührt, dann ist dieser natürlich wieder offen.

BODYSTYLER: Die Hookline von „Roots“ ist schon ziemlich grandios und einprägsam. Wann, wie und wo ist sie Euch in den Sinn gekommen und wie kam es eigentlich zu den beiden Versionen (oder gab es vielleicht sogar noch mehr)?

TIM FOCKENBROCK: Die Melodie des Refrains ist mir am Piano gekommen. Gerrit schickt mir seine Songs, ich adaptiere diese auf dem Klavier und mache meine Interpretation davon. Diese verschmelzen wir dann gemeinsam im Studio in den elektronischen Sound. Dadurch entsteht unsere spezielle Mischung und unser spezieller Ravenous-Sound. Gerrit war es aber auch ein Anliegen seine eigene Interpretation davon zu machen und zu veröffentlichen. So kam es zu der zweiten Version.

BODYSTYLER: „Frozen tears“ hättet Ihr ja beinahe schon mal vor 20 Jahren veröffentlicht. Warum kam es damals eigentlich nicht dazu? Hat der Track bis jetzt in der Schublade gelegen oder habt Ihr ihn zwischendurch doch noch mal in der Hand gehabt? Warum war es Euch wichtig, beide Versionen auf „Forward to the roots“ zu präsentieren?

BJÖRN BÖTTCHER: „Frozen Tears“ sollte eigenlich schon 2001 als EP bzw. Maxi-Single beim damaligen Label Bloodline erscheinen. Es war auch schon alles vorbereitet. Leider kam dann die Insolvenz von Bloodline dazwischen. Und seitdem haben wir den Track tatsächlich immer wieder in der Hand gehabt und überlegt, was wir damit machen können. Letztlich war die Idee, „Frozen Tears“ irgendwie nochmal zu veröffentlichen, ein bisschen der Zündfunke für das jetzige Album „Forward to the Roots“.
Ursprünglich wollten wir eigentlich nur die Original-Version von 2001 veröffentlichen. Aber da hat Gerrit natürlich der Ehrgeiz gepackt und er hat den Song nochmal komplett neu produziert, so dass wir jetzt die alte und die neue Version haben. Beide Versionen im Vergleich bilden nun in gewissem Sinne auch unsere Zeitreise der letzten 20 Jahre ab.

BODYSTYLER: Der Titel des Albums macht ja nun nicht gerade ein Geheimnis daraus, eine Art Gegenentwurf zu „Back to the future“ zu sein. Der Bezug zur Bandgeschichte ist natürlich schnell klar, aber seid Ihr generell Fans von Zeitreise-Thematiken? Was wären diesbezüglich Eure Favoriten in Literatur und Film?

TIM FOCKENBROCK: Eigentlich ist es ein Gegenentwurf zu „Back to the Roots“. Wir haben die Vergangenheit akzeptiert und verinnerlicht, um jetzt bewusst nach vorne zu schauen. Ein ewiger Kreislauf aus Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.
Und ja, das Thema Zeitreise hat uns übergreifend schon immer interessiert und die „Back to the future“ Reihe gehört zu meinen Top 10.

BODYSTYLER: Wer hat eigentlich das Coverbild entworfen? Hank Pym beim Solarium-Besuch?

TIM FOCKENBROCK: Soweit ich weiß, hatte Gerrit die Idee zum Coverbild.
BJÖRN BÖTTCHER: Das Artwork hat letztlich Alexander Froebel von Pixelbreed erstellt.

BODYSTYLER: Ihr habt den Sound der älteren Tracks, die man auf dem neuen Werk findet, dem aktuellen Standard angepasst. Juckt es Euch eigentlich in den Fingern, die ersten Alben generell mal aufzupolieren?

TIM FOCKENBROCK: Mich würde es eher jucken neue Songs zu machen.

BODYSTYLER: Einige der Tracks wurden damals gemeinsam mit André Schmechta (XMTP etc.) produziert. Hattet Ihr seitdem noch Kontakt und könntet Ihr Euch vielleicht eine weitere Kooperation vorstellen?

TIM FOCKENBROCK: Ich hatte seitdem keinen Kontakt mehr und es sieht auch nicht danach aus, dass sich das ändert. Wahrscheinlich ist er heute noch froh, dass er das mit uns überstanden hat. (lacht)

BODYSTYLER: Wird es denn auch eine Live-Präsentation der neuen Songs geben?

TIM FOCKENBROCK: Wir werden erst einmal alles auf uns zukommen lassen. Dann schauen wir mal wie die Resonanz auf „Forward to the Roots“ ist und werden dann gemeinsam besprechen wie und ob es weitergeht.

BODYSTYLER: Ich hatte ja irgendwann mal in einem anderen Interview laut überlegt, wie es denn mit einem Mega-Festival aussehen würde, mit allen Bands, bei denen Ihr oder Eure anderen Kollegen involviert seid/wart? Das wäre doch ein tolles Line-Up und wahrscheinlich für viele Fans eine Pilgerfahrt wert.

TIM FOCKENBROCK: Stimmt, das wäre für die Fans sicherlich lohnend. Ob man das jedoch noch mit all den Protagonisten hinbekommt, stelle ich einfach mal in Frage.