Dyan Valdes

Stand – Ein Popalbum mit feministischem Hintergrund

13.02.2022 - Dyan Valdes hat ihr Popalbum „Stand“ veröffentlicht. Im Interview gibt sie Auskünfte über dieses Solodebütalbum und gewährt einen Einblick in die dieser Veröffentlichung zugrundeliegenden Erfahrungen und Denkstrukturen. Sie lebt in Berlin und hat kubanische Wurzeln. Von: Roman Golub

Image Dyan Valdes in Pose (Foto: Petra Valdimarsdottir)

BODYSTYLER: Welche musikalischen besonders erwähnenswerten Erfahrungen hast du in deinen vorherigen Projekten gemacht und inwieweit haben diese deinen momentanen Musikstil geprägt?

DYAN VALDES: Ich bin seit fast zwanzig Jahren als Profimusikerin unterwegs, von daher habe ich eine Menge Erfahrungen gemacht! Meine erste Band The Blood Arm war eine Indie-Band, die fünf Alben herausgebracht hat und fast ein Jahrzehnt lang auf Tour war, meine nächste Band Mexican Radio war eine Synth-Punk-Band mit einem sehr analogen DIY-Ethos, und in den letzten zehn Jahren habe ich bei der legendären Hamburger Band Die Sterne gespielt. Ich hatte die Gelegenheit, mich beim Schreiben und Spielen in vielen unterschiedlichen Stilen auszuprobieren, was mein Instrumentarium für meine Soloplatte sicherlich erweitert hat. Aber mir war auch daran gelegen, dass meine „eigene“ Musik anders klingt als meine Projekte mit anderen, weswegen ich viele Entscheidungen getroffen habe, die ich im Rahmen meiner anderen Bands nicht getroffen hätte – es ist ziemlich befreiend, wenn man keine anderen Leute fragen muss, ob sie mit den eigenen kreativen Entscheidungen einverstanden sind!

BODYSTYLER: Warum hast du dein Album „Stand“ genannt?

DYAN VALDES: Der erste Song, den ich geschrieben habe, heißt „Stand“ – eine kämpferische, mitreißende, feministische Electro-Clash-Hymne, die ich schrieb, nachdem ich zu Beginn des ersten Lockdowns am helllichten Tage auf der Straße von einem Mann angegriffen wurde. Der Refrain lautet: „Get on your feet / Rise / Get out in the street / Stand“. „Stand“ habe ich dabei als Imperativ gemeint – um die Menschen buchstäblich zum Aufstehen und Aktivwerden aufzurufen. Später habe ich bemerkt, dass es auch im Deutschen funktioniert, im Sinne von „Stand“ als derzeitiger Zustand oder Status von etwas. Ich habe das Album geschrieben, als ich vierzig wurde, und bin dabei wirklich tief in meine Vergangenheit eingetaucht und habe mich selbst im Spiegel betrachtet. In vielerlei Hinsicht ist es fast wie ein Lagebericht für mich selbst, mein derzeitiger „Stand der Dinge“ im Leben.

"Sich mit diesen Themen zu beschäftigen, kann einen zur Weißglut bringen und in die Depression stürzen."

BODYSTYLER: Im Titel „A Different Kind of Love“ singst du „Nobody gonna patronize“. Wie übst du dort Kritik am Patriarchat? Wie sehr haben dich Gedanken rund um den Feminismus und das Patriarchat beschäftigt, so dass du diese Themen behandelst?

DYAN VALDES: Mit diesem Album wollte ich eine sehr starke feministische Botschaft ausdrücken – ich begann mit dem Schreiben als Reaktion auf den Angriff durch einen Fremden auf der Straße und entschied mich, auf allen Ebenen des Projekts nur mit Frauen zu arbeiten. „A Different Kind of Love“ hat sicherlich damit zu tun. Mir fiel auf, dass ich in einigen miesen und gefährlichen Beziehungen verblieben war (von denen ich in anderen Songs des Albums singe), nur weil ich das Gefühl hatte, unbedingt in einer Beziehung sein zu müssen. Diese Vorstellung, dass wir alle eine „andere Hälfte“ haben oder von jemand anderem „vervollständigt“ werden müssen, führt dazu, dass sich Menschen, insbesondere Frauen, allein unzulänglich fühlen. Unter diesen Umständen sind Menschen entweder mit sich selbst unzufrieden, wenn sie keinen Partner haben, oder, was noch schlimmer ist, sie bleiben aus einer emotionalen Bedürftigkeit heraus bei jemandem, der sie misshandelt. „A Different Kind of Love“ ist eine Erklärung, dass ich alleine glücklich bin – der Song feiert die Art von Liebe, für die wir uns nicht kleiner machen müssen, als wir sind, auch wenn es nur eine Liebe für uns selbst ist.

BODYSTYLER: Welche Bedeutung hat für dich der Freiheitsbegriff im Zusammenhang mit der Bewegung des Feminismus? In „Fade Away“ heißt es da u.a. „Hoping, waiting for that day/ When I can feel what it is to be free“. Welches Gefühl möchtest du mit diesem Song vermitteln?

DYAN VALDES: Auf „Fade Away“ bin ich beim Abwaschen gekommen – welch tolle Kulisse für eine feministische Erleuchtung! –, als ich über die Metapher eines Hauses nachdachte, in dem jemand gefangen ist. Ich stellte mir vor, wie ich selbst blind durch die Flure wandere und dabei nach einer Tür und einem Schlüssel suche, um hinauszugelangen. Es ist unklar, ob jemand anderes oder ob ich selbst mich eingesperrt habe – meiner Ansicht nach bezieht sich der Song sowohl darauf, wie uns andere zurückhalten, als auch darauf, wie wir uns selbst zurückhalten, warum auch immer. Tatsächlich komme ich nie wirklich aus dem Haus heraus, aber ich wünsche mir immer wieder, dass alle Decken und Wände einfach verschwinden – „fade away“. Der Song ist traurig, aber doch auch voller vorsichtiger Hoffnung. Frauen und andere marginalisierte Menschen haben oftmals das Gefühl, irgendwie festzustecken. Aber von Zeit und Zeit ist es wichtig, über den „different day“, den anderen Tag nachzudenken, an dem wir aufwachen wollen, und genau davon wollte ich singen.

"Ich begann mit dem Schreiben als Reaktion auf den Angriff durch einen Fremden auf der Straße."

BODYSTYLER: Inwieweit siehst du dich revolutionär gegenüber den kritisierten Zuständen? In „Be My Revolution“ ist folgendes zu vernehmen: „Free me, liberate me/ Be my revolution“.

DYAN VALDES: Gut, ich versuche nicht, irgendeine Regierung zu stürzen, aber ich stehe dem Kapitalismus und dem Patriarchat unglaublich kritisch gegenüber und diese Kritik zieht sich durch mein Album. Sich mit diesen Themen zu beschäftigen, kann einen zur Weißglut bringen und in die Depression stürzen, aber mir wurde auch klar, dass sich ein politisches Erwachen so ähnlich anfühlen kann, als würde man sich verlieben. Man ist aufgeregt, nervös, platzt vor Energie und ist bereit, sich kopfüber in die Zukunft zu stürzen – dieses Gefühl der Freude wollte ich mit „Be My Revolution“ einfangen. Ich schrieb den Song auf dem Höhepunkt der Black Lives Matter-Demonstrationen, mitten während der andauernden Fridays for Future-Proteste und zu der Zeit, als Frauengruppen in Großbritannien in Scharen auf die Straße gingen, nachdem ein Polizist Sarah Everard brutal ermordet hatte. All diese Bewegungen waren Reaktionen auf entsetzliche Zustände, aber es war ermutigend zu sehen, wie die Menschen in Solidarität und mit einer Vision für eine bessere Welt auf die Straßen gingen. Ob auf einer größeren gesellschaftlichen oder auf einer persönlichen Ebene – die Verbindungen, die wir mit Menschen eingehen, die uns Hoffnung geben, können wahrhaft revolutionär sein. Der Song ist leidenschaftlich, direkt und vor allem ein Liebeslied.

BODYSTYLER: Du wohnst in Berlin. Was stört dich konkret an der Gesellschaft in Deutschland, im Hinblick auf die Rolle der Frau? Inwieweit gibt es Unterschiede im Vergleich zu den USA? Bis zum Jahr 2011 hast du ja in Kalifornien gelebt. Dein Vater ist kubanischer Herkunft. Inwiefern hast du Erfahrungen bezüglich dieses Kulturkreises gemacht, was den Umgang mit Frauen angeht? Wie spiegeln sich deine Ansichten in „Stand“ wider?

DYAN VALDES: Ich bin froh, dass die neue Regierung zugesagt hat, Paragraph 219a des Strafgesetzbuchs endlich abzuschaffen, der es Ärzt*innen verbietet, für Abtreibungen zu „werben“, aber Deutschland hat noch einen langen Weg vor sich, was reproduktive Rechte und eine frauengerechte Gesundheitsversorgung angeht. Hingegen tragen das Elterngeld und zahlreiche soziale Förderprogramme für alle dazu bei, vor allem Frauen dabei zu unterstützen, an der Gesellschaft und der Wirtschaft teilzuhaben – dies fehlt in den USA weitgehend. Ich selbst habe auch unmittelbar von der Initiative Musik, die mein Album finanziert hat, und anderen Kunstförderorganisationen profitiert, die insbesondere Frauen, gender-diverse und queere Menschen sowie People of Color im Kulturbereich fördern. Allerdings bin ich in Berlin auch mindestens achtmal von fremden Männern auf der Straße angegriffen worden und musste einmal sogar ins Krankenhaus. Das zeigt mir, dass Deutschland nicht genug tut, um Frauen zu schützen, und nicht genug, um Jungen zu Männern zu erziehen, die die Autonomie, die Sicherheit und das Recht der Frauen, ihr Leben in Frieden zu leben, anerkennen.
In den USA sind die reproduktiven Rechte Gegenstand von Angriffen und das Wohlstandsgefälle ist enorm, was Frauen und Kinder überproportional trifft. Die Tatsache, dass der vorherige Präsident überhaupt je den Fuß ins Weiße Haus gesetzt hat, zeigt, dass das Land, das ihn gewählt hat, zutiefst frauenfeindlich ist. Mich inspirieren jedoch die vielen Frauen und Aktivist*innen im ganzen Land, die sich trotz all dieser Rückschläge weigern aufzugeben.
In Kuba habe ich mich als Frau so sicher wie nie zuvor gefühlt, wenn ich nachts durch die Straßen lief, aber das lag an der extrem repressiven Regierung, die ihre Bevölkerung für jeden Gesetzesverstoß hart bestrafte (insbesondere gegenüber ausländischen Staatsbürger*innen). Wie der Alltag von Frauen in Kuba ausseht, kann ich nicht wirklich sagen, aber ich bin der festen Überzeugung, dass ohne Rede- und Demonstrationsfreiheit alle marginalisierten Gruppen leiden.
Mit „Stand“ wollte ich die Stimmen und Erfahrungen von Frauen in den Blickpunkt rücken – der Frauen, die mich inspiriert haben, der Frau, die ich früher war, und der Frau, die ich künftig sein will. Als ich begann, mich wirklich kritisch mit der strukturellen Unterdrückung von Frauen in aller Welt zu beschäftigen, erkannte ich, wie oft sich dies auf persönlicher Ebene widerspiegelt. Das Album spannt einen Bogen von „Makro“ zu „Mikro“ – mir wurde klar, dass es nicht im luftleeren Raum geschah, als mein Ex meine Sachen zerstörte oder ein Fremder mich auf der Straße schlug. Der patriarchale Kapitalismus produziert diese Zustände und nachdem ich über weibliche Erfahrungen in aller Welt gelesen und nachgedacht habe, hoffe ich, in der Lage zu sein, einige unserer Geschichten zu erzählen.

BODYSTYLER: Was hat dich bisher am meisten in deinem Leben geprägt, so dass du zu dieser feministischen Sicht der Dinge gekommen bist?

DYAN VALDES: Meine Mutter hat mich als Feministin erzogen. So lange ich denken kann, wurde mir immer gesagt, dass ich alles tun oder sein kann, was ich will, solange ich nur hart genug dafür arbeite und es mir verdiene – es gab nichts, was ein Junge tun konnte, was ich nicht auch hätte tun können. Außerdem wuchs ich in den 90er Jahren auf, als Hillary „Ko-Präsidentin“ im Weißen Haus war und Riot Grrrl die Musikszene eroberten. In einem prägenden Alter hatte ich viele positive weibliche Vorbilder, sowohl in der Gesellschaft als auch in der Musik; als das Pendel also während der Bush-Jahre politisch und kulturell in die andere Richtung ausschlug, war es schon zu spät – ich wusste bereits, dass Frauen mehr verdient hatten, und war bereit, dafür zu kämpfen!

BODYSTYLER: Wie sehen deine Wunsch- und Idealvorstellungen einer Gesellschaft aus? Gibt es Zustände, mit denen du zufrieden wärst?

DYAN VALDES: Tatsächlich bin ich ein sehr optimistischer Mensch – ich denke, es gibt genug Beispiele von Menschen, die einander helfen und, auch in kleinen Dingen, freundlich miteinander umgehen, um mich weiterhin an das Gute im Menschen glauben zu lassen. Wenn wir alle mit unserer kleinen Ecke der Welt anfangen, können wir etwas bewegen. Was meine Ecke in der Musikbranche angeht: Ich fände es großartig, wenn es mehr Geschlechterparität bei Festival-Line-ups gäbe, wenn mehr Frauen und gender-diverse Menschen Musik schreiben, produzieren und promoten würden und es eine Kultur der Verantwortung im Umgang von Männern mit Frauen gäbe – sowohl mit den Frauen, mit denen sie zusammenarbeiten, als auch mit den Frauen und Mädchen, die zu ihren Konzerten kommen. Ich glaube, die Musikbranche ist dabei, sich zu verändern, und gerade junge Leute werden den Ausschluss der Stimmen von Minderheiten oder die sexuelle Ausbeutung von Frauen und Mädchen, was noch vor zehn Jahren völlig akzeptiert wurde, nicht mehr länger tolerieren. Diese, wenn auch langsame Veränderung zu beobachten, lässt mich hoffen!

BODYSTYLER: Stellst du dir selbst den Anspruch, mit dieser Veröffentlichung gesellschaftlich etwas zu bewegen? Glaubst du, dass durch die poppige Gestaltung der Musik die Inhalte leichter zu vermitteln sind?

DYAN VALDES: Ich glaube, wenn ich jemanden erreiche und etwas zum Ausdruck bringe, was diese Person gefühlt hat, aber bislang noch nicht in der Popkultur widergespiegelt gefunden hat, dann war ich erfolgreich. Frauen machen mehr als 50 % der Weltbevölkerung aus, doch die Mehrheit der Kunst ist weder von noch für uns. Je mehr wir uns wehren und darauf bestehen, dass unsere Stimmen gehört werden, desto mehr werden unsere Erfahrungen anerkannt. Ich habe viele alte Wunden aufgerissen und in diese Songs einfließen lassen und ich hoffe, dass es für die Menschen kathartisch sein wird, das Album zu hören. Ich hoffe auch, dass mein Album andere Frauen ermutigt, ihre eigenen Geschichten zu erzählen – sie werden die Welt bereichern.
Und ich hoffe natürlich, dass es funktioniert, dass die Botschaft mit Hilfe der Popmusik besser rüberkommt! Mein Ziel war es, Musik zu machen, die eingängig ist und bei der sich die Leute wohlfühlen, die aber zugleich eine wichtige Botschaft enthält. Ich wollte keine Protestsongs schreiben, bei denen sich die Menschen deprimiert und hilflos fühlen. Es steckt eine Menge Freude darin, sich selbst zu ermächtigen!

BODYSTYLER: Willst du zum Schluss noch etwas sagen?

DYAN VALDES: Smash the patriarchy!