Depeche Mode

Pressekonferenz 4.10.2022

08.11.2022 - Aus der Sicht eines Fans... Von: Tom Meeloo

Image Das etwas andere "Oben ohne"-Bild... (Foto: )

Fürs Leben - die Ankunft

Ich erinnere mich, wie Sabine, Elli, Jens und ich mit 15, 16 Jahren aufgeregt Konzert-Berichte über Depeche Mode geschrieben haben, ohne dass uns in Ost-Berlin je ein solches Erlebnis in Aussicht stand.

Das hat sich geändert. Wir schreiben den 04. Oktober 2022. Es ist nicht kalt, es ist nicht warm. Meine schwere Lederjacke passt nicht zur Wetterlage, aber dennoch könnte ich heute nichts Passenderes tragen.

Bahnhof Friedrichstraße: Den Weg finde ich der Nase nach und er führt mich unter eine Brückenkonstruktion, die als mustergültige Kulisse für ein Depeche-Mode-Video taugte, sofern zuvor die Graffiti-Schriften hinter einem frischen Grau verstrichen würden, wie es vor den Dreharbeiten der "The Hunger Games - Mockingjay 1" (2014) in dem verlassenen Zement- bzw. Phosphatwerk in Rüdersdorf gehandhabt wurde.

Auf dem Spendenschild des schlafenden Obdachlosen steht in Großbuchstaben "Fürs Leben". Obwohl ich gerade intuitiv suchend zu der Pressekonferenz der Band meines Lebens gehe, deren neues Album "Memento Mori" ("Bedenke, dass du sterben wirst/ musst !") heißen soll, berühren sich unsere Welten nicht, weil ich zu sehr im Tunnel des Suchenden bin und für einen Suchenden bin ich zu sehr im Tunnel.

Überraschend komme ich auf dem Schiffbauerdamm heraus. Halb sehe ich, halb erahne ich rechterhand eine schwarze Wand voll von Depeche-Mode-Fans. Zwischen jenen und mir baut sich allmählich das BE, das Berliner Ensemble, am Bertolt-Brecht-Platz Nummer 1, auf.

Ich sondiere die Lage: Da sagt ein Wachmann etwas und es liegt nahe: Stehe in der verkehrten Reihe für die Pressevertreter; hake nach: Die eingeladenen Fans sollen auf der gegenüberliegenden Seite warten, bis sie aufgerufen werden.

Wo bleibt nur Anni Meeloo ?
Das Telefon klingelt...
bei ihr.

Anja kam zehn Minuten früher am Bahnhof an und steht dort noch immer in der Erwartung, dass ein S-Bahn-Waggon auf der anderen Seite der Friedrichstraße mich mit halb Berlin ausschüttet.


Das Bändchen

Es dauert nicht lange, bis Karsten Schreiber auftaucht und ruft, die eingeladenen Fans sollen sich ihr Bändchen im Irish Pub abholen.

Innere Unruhe breitet sich so schleichend aus, wie es gefühlt Stunden dauert, bis Anja auftaucht. Ist wie Weihnachten als Kind.

Wir lassen uns treiben und nun gemeinsam an der Nase herumführen, um zu sehen, wohin sie uns führt, die Nase, vorbei an den ganzen Facebookfreunden, die ähnlich wie damals die Jungs beim Depeche-Mode-Konzert in der DDR von den Plakaten nun aus dem Netz gestiegen sind. Hin- und hergerissen zwischen den Hoffenden, die auf den Bandbus warten, und dem Nichtverpassen des Bändchens irren wir mehrmals zwischen dem Theater und dem Pub.

Plötzlich fällt mir ein, für Tom Meeloo gibt es keinen Personalausweis. Oje ! Markus Räbiger sieht mich und winkt durch: "Tom Meeloo", streicht meinen Namen auf dem Anmeldezettel durch.

Eine charmante Dame befestigt sorgfältig das begehrte Bändchen um mein Handgelenk. Puh!

"Shake The Disease" oder Brücken fürs Leben

Kurz darauf sehe ich Anja Hunger, die mir gerade ein paar Nächte zuvor über das von ihr oft besuchte Noctural Culture Night-Festival (NCN) schrieb und über den Zustand der Pflege. Anja sendete mir ein Foto mit Andy Fletcher, der für dieses Bild extra Anjas kleine Tochter auf die Arme nahm: Ein weiterer Beleg für Fletchs Einfühlsamkeit. Als Belohnung dafür, dass ich ihm sein auf dem Sessel liegengelassenes Handy hinterhertrug, zeigte er es extra für unser Foto in die Kamera. Diese Gesprächsenergie entlädt sich in einen erfreuten Blick des Sich-Entdeckens. Für mehr ist hier keine Zeit.

"Ahhh!", umarme ich Annett „Nettel“ Fritzsche, mit der ich viele persönliche Begegnungen mit der Band nächtelang durchgequatscht habe und mit der wir in Locarno um einen FOS1-Platz um die Wette gerannt sind.

Mit Andi Dufte, mit dem ich bei mir vor Jahren Alan-Wilder-Soundbänke angeklimpert und bei ihm ein wunderbares Parfümfläschchen bestellt habe, tauschen Anni Meeloo und ich uns mit ihm kurz über die Brücken fürs Leben, in sein zweites Leben aus, Brücken, die Andi selbst gefunden hat.

Wenig später wird mir mit Andi im Theater des Berliner Ensembles eines dieser Fotos fürs Leben gelingen, ohne dass er es bemerken wird. Und ich auch nicht.

Ein Gruppenfoto soll entstehen. Anni und ich machen mit, am Rand, in der Hoffnung, letztendlich aus dem Rahmen des – angesichts der vielen Fans und Freunde - Breitwandfotos gefallen zu sein.

Die Sänger von And One und Forced To Mode erspähe ich und Chris Nätscher. Und dieser Fan..., woher kenne ich ihn ? Er kommt mir so bekannt vor. Wollte ihm die Freundschaftsfrage stellen. Er wurde in der Doku über Depeche Mode-Fans in der DDR interviewt, in der auch Sascha Lange spricht, der mit Dennis Burmeister die Depeche-Mode-Bibel "Monument" herausgebracht hat.

Zwei, drei Sätze spreche ich mit Thomas Buder, der mir im Januar 2018 half, mein Equipment vom Auto auf die Bühne zu schleppen, als ich – zu meinem Erstaunen – auf einer privaten Feier von Forced To Mode als "Vorgruppe" auftreten sollte, bei der Nik Page und Dennis Schober auf der Gästeliste standen und sie so zwangsläufig zu meinen Zuschauern degradiert wurden.


Der Einlass

Irgendwann erschallt das Kommando zum Anstellen mit der Bitte, die Band nicht nach der Rückkehr von Alan Wilder zu fragen und den Tod von Andy nicht zu thematisieren. Es entsteht eine unausgewogene Situation zwischen teenyhaftem Losrennen und einem beherrscht olympischen Gehen.

Ich rate Anni, lass uns an FOS1-Profis wie Nettel halten, aber egal, wie wir es versuchen, sehr bald ist Annett verschwunden. Thomas Buder steht direkt vor uns. Einmal nicht hingesehen, steht er vier Personen weiter vorn; Nettel steht bereits vor der Eingangstür. Das ist überhaupt nicht despektierlich, sondern bewundernd gemeint.

Nach kurzer Zeit stelle ich zwei Reihen fest: meine Reihe, die zum Eingang hin vordringt, die andere Reihe am Zaun, die stehenbleibt. Die Stehenbleibreihe hat keine Bändchen.

Bald spült es uns ins Theater. Es wird immer dichter, immer enger. Drei Platzanweiser versperren die Pforte. Der Druck erhöht sich. Unheimlich !

„Nicht drängeln, nicht drängeln !“

Und wieder kämpfen die Widersacher der Tugend, wofür Lessing stand, und der Leidenschaft, wofür Shakespeare angesehen wurde, miteinander das Gefecht der Erwachsenen, die noch immer in deren depechen Jugend verhaftet sind. Am Ende siegt die Vernunft, damit die oberen Ränge erobert werden können.

Was für eine Aussicht !


Stories of old

Marek Lieberberg, der Boss von LiveNation, und Jonathan Kessler, Manager von Depeche Mode, der zugleich der Mann aus dem „Everything Counts“-Video ist, der zu Beginn spricht: „A lot of money..., tons of money !“, der aber auch derjenige ist, der Dave 1996 nach seinem Beinahe-Tod aus dem Krankenhaus abgeholt hat, wollte ich vor Jahren um eine Vermittlung für das Depeche Mode-“Heroes“-Cover bitten - für unsere Bowie-Doku. Allerdings waren die beiden zu sehr vertieft in ihre Aufgaben, dass ich sie dabei gestört hätte.

Hier sehe ich sie nun wieder. Sie werden wie immer später zu Gesprächen verschwinden in die Stadt oder in ein Restaurant. In Berlin saßen die Beiden nach der PK im Hyatt wie hinter dem Schaufenster eines Intershops: Angucken ja, ansprechen nein.

Die Bowie-Doku liegt seit Langem auf Eis, weil wir zwar Filmmaterial der Geburtstagsfeier und Record-Release-Party von „Black Star“ im Meistersaal des Hansa Studios mit mehreren Interviews mit Fans, Thilo Schmied und sogar dem Toningenieur Edu Meyer haben und auch von der Trauerfeier kurz darauf, aber keine Musikrechte von David Bowie. Daher suchen wir nach Bands, die Bowie gecovert haben bzw. dadurch Veröffentlichungsrechte besitzen.

Ich gebe zu, in der freudigen Erwartung von Mart und Mister David Gahan, nicht im Geringsten an Bowie zu denken.


Die Pressekonferenz

Marek betritt die Bühne, die Show beginnt. Wie in Paris 2012 hält Marek Lieberberg eine warmherzige Eingangsrede, in der er das besondere Verhältnis der Fans zu Depeche Mode hervorhebt und sich über die etwa 200 erschienenen DM-Anhänger und anwesenden Journalisten freut.

Das Saallicht erlischt, es folgt ein Kurzfilm über die neuesten Studioaufnahmen mit dem Ausschnitt aus dem Album mit dem Arbeitstitel "Ghosts Again". Das Publikum jubelt, das Licht erhellt den Saal.

Marek Lieberberg kehrt mit der Moderatorin Barbara Charone zurück auf die Bühne, stellt sie kurz (als Chelsea-Fan) vor, nennt Dave und Martin, legt sein Mikro auf Martins Sessel und tritt ab.

Und da sind sie, Martin und Dave. Mart betritt die Bühne mit seinem sicheren Händchen für ein ausgesuchtes Schuhwerk - und er ist da über jeden Vergleich erhaben-, lächelnd, berührt kurz Barbaras linke Schulter, schnappt sich zielsicher das Mic und nimmt Platz. Nicht minder elegant bewegt sich Dave auf den anderen Sessel zwischen Martin und Frau Charone. Beide wirken sehr locker und entspannt, so wie es die Bilder zeigen, wie sie in den USA auf dem Flughafen miteinander umgehen.

Hier ist etwas anders, etwas ist neu.

Ich durfte in der Lounge eines Hotels miterleben, wie sich Martin und Dave trafen und sich in Anwesenheit zweier Leibwächter unterhielten. Dave lachte sehr oft und laut, also von der Lautstärke her noch angenehm. Er wirkte innerlich aufgeregt. Ob er seine Unsicherheiten weggelacht hat oder eine Situation entschärfte, bleibt im Verborgenen. Für mich fühlte es sich angespannt an.

Im Gegensatz dazu sehe ich auf den Flughafen-Bildern nun ein ganz anderes Verhältnis. Hier gehen sie natürlich und elegant miteinander um, wie Kinder, die noch keine Vorbehalte kennen. Wie mag es dazu gekommen sein ?

Als sensibler Musiker sehe ich gerade, wie Martin eine Akkordfolge anschlägt und wie Dave darauf einsteigt und wie sie das Motiv weiterentwickeln; wie sie sich blind verstehen und ein Akkord das nächste Gesangsmotiv ergibt und ein Gesangsmotiv den nächsten Akkord oder eine neue Textphrase.

Plötzlich wendet Martin das in eine Tonart, die gar nicht passt. Es stoppt. Beide prusten vor Lachen los, werden aber schnell wieder ernst.

Ein passender, leiser Akkord in Moll erklingt.

Dies entspringt rein aus meiner Phantasie, aber solcherlei Situationen könnten eine Beziehung, ein Verhältnis zueinander komplett verändern wie ein Aha-Effekt.

In den Einzelinterviews nach der großen PK spricht Dave, dass Martin und er sich mehr über ihre Gefühle ausgetauscht haben: Musik, was sie so machen, Fletch.

Dave: "And when we were in the studio together, many times we would joke or things could come up and of course we missed Fletch."


Das Interview

Und das ist das, was ich als Zuschauer im ersten Rang des BE erlebe. Beide berichten, wie ihnen Andy fehlt. Ob Dave, auf dem Balkon rauchend, Fletch vor seinem inneren Auge auf dem Nachbarbalkon oder Nachbarraum erspäht und Fletch Dave mit seiner tiefen Stimme anspricht: "Alright, Dave ?!" oder ob Martin ihn in der Bar sieht. Martin und Dave gehen locker mit dem schweren Verlust um, indem sie Andy immer noch in seiner physischen Gestalt erwarten und dann prompt vermissen, aber ihn auch seelisch um sich wissen.


Exkurs: Die malerische Verarbeitung von Andys Tod

Das ist genau die Situation, die der dänische Maler und Künstler Jesper Kikkenborg auf seinem Gemälde "Looking through the Timeless Ocean" bzw. mit dem inzwischen geänderten Titel "Dancing through the Timeless Ocean" so treffend zum Ausdruck bringt.

Als ich sein Andy-Portrait zum ersten Mal sah, fühlte ich mich auch in meinen Empfindungen verstanden und wusste aus Mails, dass auch andere Fans so fühlen. So schrieb ich Jesper:
I saw your wonderful art on instagram first. I mean your Andy portrait. The way you paint, that is, where colours, wildness and calm meet, but also this own life of your Andy portrait, fits in with our feelings about Andy, because he is still there for us, but on the other side, too. In your picture Andy is looking through the invisible veil that separates us and at the same time does not separate us in the same way as a wall, like the wall at the hall (Hansa Studio in Berlin).

Jesper antwortete mir:
"Wow, Thanks a lot for your words and very beautiful description of my Andy Portrait Tom - spot on really! When I painted him, I told my wife that I wanted him to be in both worlds - hovering there in the timeless "ocean". Wow, I'm really touched by your description Tom. Exactly the way that I wanted Andy to be."
Ist es das, was Antoine de Saint-Exupéry mit dem Wesentlichen meint, das nur vor dem Herzen sichtbar wird ?


Zurück zum Interview

Vorher erfahren wir, dass die meisten Songs geschrieben waren, bevor Andy verstorben ist, er also noch am Entstehungsprozess beteiligt war, und Martin hebt hervor, dass der Album-Titel "Memento Mori" ("Bedenke, dass du sterben wirst/ musst !") bereits vor Andys Tod feststand. Nachdem, was ich gehört habe, war das für alle Fans eine überraschende, unglaublich unfassbare Nachricht.

Martin, der normalerweise keine Interpretationshinweise gibt, erinnert mit nachdenklichem Blick daran, dass der morbide Titel zugleich eine positive Konnotation beinhalte, nämlich jeden Tag maximal auszukosten: "I think that's how we like to interpret it too." Dave beschreibt, dass Martin nach den ersten sechs Demos und nachdem sie überlegt hatten, in welche Richtung sie gehen wollten, Martin auf den Albumtitel gekommen sei, der auch David sofort gefiel. Auf Daves Nachfrage weist Martin auf den historischen Bezug des Titels auf das Alte Rom hin.

Auf Andy angesprochen, gerät Dave etwas ins Schlingern, nicht dass er nach Worten ringt, aber es scheint, als dass er während des lauten Denkens nach Klarheit sucht. Ein innerlich immer angespannter werdender Martin spürt das und avanciert zu Daves schweigendem Sekundanten: Er bewegt sich in seinem Sessel, legt seine linke Hand kurz vor sein linkes Knie, fiebert mit seinen Blicken und mit seiner Mimik mit. Ich empfinde mehr den Blick eines Freundes, als den eines Bandkollegen, der 20 Minuten später mit dem anderen schwarz lackierten Minibus, damals üblicherweise mit Fletch, vor dem Hotel anlandet.

Bald gewinnt Dave seine Souveränität zurück: Man würde Dinge erst vermissen, die selbstverständlich sind, wenn sie nicht mehr da wären. Fletch würde wirklich vermisst.

Martin fällt sozusagen in ein Loch, sofern er vor seinem geistigen Auge Andy in der Hotelbar sieht, aber Andy nun tatsächlich nicht mehr dort sitzt.

Das Interview wird in dieser Art fortgeführt, es wird entspannter. Auf eine weitere Fußball-Chelsea-Einlassung kommt eine Unruhe auf, weil die Tourdaten auf der riesigen Leinwand erscheinen. Da bemerkt Dave: "...there's something. Oh ! ... Somethings happened... There was a change in energy." So wird Dave sie auf der Bühne erleben, die Energiewand, die er so feinfühlig wie einst Karajan seine Berliner oder Wiener Philharmoniker dirigierte, die als unerschöpfliches Energiebündel er am Ende
eines kraftraubenden Konzertabends dazu bringt, ihre Arme - ebenso mit letzter Kraft - wie ein winddurchflutetes Weizenfeld hin- und her zubewegen.

Ja, und darauf haben die Fans gewartet, auf die Tourdaten: Und der Ticketkauf-Wahnsinn kann losgehen.
Und darauf folgen die Reporter- und oder die Publikumsfragen.

Unter anderem wird gefragt, wie Fletch gewürdigt würde: Dave spricht über die Gedanken, Fletchs Lieblingssongs in die Playlist aufzunehmen oder über Bilder während der Konzertes etwas zu gestalten.

Christian Eigner und Peter Gordeno werden von der Moderatorin erwähnt. Beide geben sich zu erkennen.

Martin scherzt, dass sie nun a capella etwas singen würden. Er amüsiert sich köstlich. Im Publikum erkenne ich hinter dem aufstehenden Gordeno die Starfotografin Daniela Vorndran.

Die nächste Frage ist eine politische Frage, die Dave auf der musikalischen Ebene in dem Sinne sehr klug beantwortet, als dass DM durch ihre Musik Menschen zusammenbringen und durch ihre Musik hoffentlich für Freude sorgen.

Schlagfertig und witzig reagiert David Gahan auf die Frage, ob jemals über eine unangestöpselte, also über eine unplugged Show nachgedacht wurde: "Wir können nicht wirklich ohne Stecker spielen, weil wir eine elektronische Band sind." Mart setzt noch einen oben drauf: "Wir könnten es mit Akkus versuchen oder so etwas."

Die Moderatorin mit ihrer einprägsamen Stimme nutzt die Gelegenheit, dem Interview ein Ende zu setzen. Dave hebt zuerst mit ein paar coolen Bewegungen ab und dann entschwindet er mit Mart und Frau Charone im Dunkel des abgesenkten Lichts.

Ein Musikvideo mit Konzertausschnitten und einem winzigen Ausschnitt des neuen Titels folgen.


Nachspielzeit

Nach der Pressekonferenz sehe ich, wie die geladenen Gäste in einen abgesperrten Bereich vordringen und freue mich, Anne Haffmans (Label-Managerin bei MUTE und enge Freundin von Depeche Mode und Daniel Miller) an uns vorbeigehen zu sehen. Damals arrangierte sie in Paris das große Fanfoto, welches sich in dem Depeche-Mode-Buch "Monument" von Dennis Burmeister und Sascha Lange veröffentlicht findet. Dennis, aber auch Thilo Schmied, der die wunderbaren Berlin Music Tours, zum Beispiel durchs Hansa Studio, durchführt, erspähte ich eben noch im Parkett. Thilo und ich winkten uns erfreut zu.

Marek Lieberberg erlaubt vielen Fans, ein Foto mit ihm. Für Nettel und ihre Freundin fotografiere ich die Szenen von der Seite:

Erst jetzt komme ich auf den Gedanken - Martin und Dave waren zu beeindruckend und lang, lang ist's her -, Marek um die Vermittlung für das Depeche-Mode-Cover von "Heroes" zu bitten, aber in dem Moment überschreitet er bereits die Absperrung vor der Treppe zum geladenen Bereich.

Verpasst !

Ihm hinterherrufen... ? Nein ! Irgendetwas hält mich davon ab. Ist es Intuition, gebietet es der Anstand oder das ungeschriebene Gesetz, niemals den Bandmitgliedern oder der Depeche-Mode-Familie im falschen Moment zu nahe zu kommen ?

Allmählich zerstreuseln sich die Fans nach draußen.

Nach einer kurzen Regieabsprache über Ablauf und Kameraführung interviewt ein Bild-Reporter DM-André vom Fanclub Chemnitz, was ich wieder seitlich mitfilme. Verzweifelt versuchen wir danach auf allen erdenklichen Wegen, eine Facebook- oder eine sonstige Übertragungsmöglichkeit für das Filmmaterial aufzubauen, damit André meinen Mitschnitt bekommt. André berichte ich von einem Traum, in dem ich neben Martin Gore sitze und ihm einen Song von mir auf dem Handy vorspielen möchte, worauf Mart sogar geduldig wartet. Doch die Suche ist so endlos, sodass Martin verschwunden ist, als sich mein Blick endlich wieder vom Handybildschirm löst.

Plötzlich knufft mich Anja an und flüstert mir etwas zu, was ich nicht verstehe. Marek Lieberberg steht direkt vor mir, einfach so, und gestattet erneut Fotos. Das ist die Chance:

"Herr Lieberberg, darf ich Sie etwas fragen ?" -
"Ja, fragen Sie !"

Marek hört in Ruhe zu und wendet ein, dass er natürlich nur vermitteln und anregen könne. Er gibt mir seine Karte und die Gelegenheit für ein Erinnerungsfoto.


Kritik

Die Stimmung auf der Presskonferenz ist ausgesprochen gut. Vor allem kommt der Ausschnitt des neuen Titels sehr gut an, weil er so melodiös rüberkam. Anja und Nettel machen ihrer Begeisterung Luft und sagen: Mehr davon !

Insgesamt fällt die Pressekonferenz sehr, sehr kurz aus und auch nicht allen Fans gefallen die Fußballanspielungen der Moderatorin, höre ich. Doch wir wissen, Mart ist ein Arsenal-Fan. Frotzelnd fragte er Barbara als Erstes noch beim Hinsetzen: "Chelsea-Fan ? That changes everything !"

Wir kennen die Bilder: Depeche Mode spielen Fußball gegen... und auch der berühmte Tischfußball auf den Touren ist bekannt.

Mit Anja und Jürgen kam ich mal gemeinsam nach einem Ghost Capsules-Konzert im Bi Nuu in die Lage, für Tim Simenon (Bomb The Bass, Gavin Friday, ULTRA), Daryl Bamonte (Tourmanager DM, The Cure) und die Band spontan eine Kneipe in Berlin-Kreuzberg zu suchen. In der zweiten stand tatsächlich ein Tischfußballtisch und... Daryl ... war weg, am Tisch. Sofort.

Übrigens lautet der Name der Vorband Princess Chelsea. Ausgerechnet !

Ihren Mutterwitz beweist Frau Charone vor dem Depeche-Mode-Hotel, vor dem inzwischen vor eigens aufgestellten Absperrgittern noch rund zwei Dutzend Fans sehnsüchtig auf Martin und Dave warten: Der ersehnte schwarze Kleinbus kommt an. Weder Mart noch Dave, sondern sie steigt aus und sagt: "Sorry !" Alle lachen, ein Applaus folgt. Ab jetzt ist Barabara Charone nicht mehr die mit den überflüssigen Fußballanspielungen.


Dem Teenyalter entwachsen - Wirklich ?

Haben wir wirklich noch die Chance, Martin oder Dave zu sehen ? Anja schlägt vor, zum DM-Hotel zu laufen. Gesagt, getan. Auf dem Weg am Schiffbauerdamm sehen wir durch die übergroßen Scheiben eines Restaurants hindurch Forced To Mode und Steve Naghavi beim Essen. Ich winke erfreut. Steve, der mal aus Spaß seinen Bandnamen 'And One' gegen unseren damaligen Bandnamen 'Deleted Notice' während einer Begegnung in den Kellerräumen seiner Plattenfirma 'Machinery' tauschen wollte, schaut erneut verdattert, weil er mit mir nix anfangen kann. Dagegen eilt Christian Schottstädt überraschend für ein Händeschütteln an die Tür und auch er weiß wie alle anderen, denen wir begegnen, die Dame zuerst. Über Christian freuen wir uns sehr.

DM-André und sein Freunde aus Chemnitz hatten die gleiche Idee und tauchen kurze Zeit später vor dem Hotel auf. Wir erkennen uns und lachen: "Ahhh ! Ihr auch ?!"
Der Portier hütet die umstehenden Fans wie einen Sack Flöhe, was ihm allerlei Geduld abfordert, aber er verliert nicht seinen Charme, aber auch nicht seine freundliche Autorität. Natürlich lockert so eine verrückte Teeny-Fangruppe in den Vierzigern und Fünfzigern seine Arbeitsalltagsroutine auf, aber er trägt auch die Verantwortung dafür, dass uns ob der stetig einfahrenden Hotelgastfahrzeuge und Taxen nichts passiert.

Einige Gäste meinen spaßhaft, wir stünden uns ihretwegen die Beine in den Bauch und belieben zu scherzen.

Die Range reicht von zurückhaltend, bescheidenen Fans über einen irren Typen, der alle wie im Wahn in verschiedene Phantasiezustände hineinquatscht, bis zu einem Fan, der so unheimlich auf ein Autogramm fixiert ist und dabei so wahnsinnige Augen, eine so irre Mimik zeigt, dass mir Himmel, Angst und Bange wird.

Spät erscheint jemand, der in meinem Musikvideo ALIGN: "Too Late" mitspielt und für das Depeche-Mode-Coveralbum "6122" für Andy Fletcher, für die Kinderkrebshilfe und den Jessie's Fund einen Song eingesungen hat, und zwar weltklasse !

In seiner Anwesenheit vergeht die Zeit wie im Fluge, weil wir fachsimpeln: über Depeche Mode, über die ersten Konzerte, über unsere Musikvideos und über unsere Kontakte mit den damit verbundenen Geschichten.

Wohlwissend um das große Glück, bei der Pressekonferenz gewesen sein zu dürfen, sind wir nicht enttäuscht, dass wir Martin und Dave an diesem Abend nicht mehr sehen, und verlassen gemeinsam "die Bühne".

...

Ach, ja ! Ehe ich's vergesse.
Damals vor der Kneipe Nummero 2:
Daryl stand da so, hielt eine Flasche Bier in der Hand. Ich schüttelte seine Bierflaschenhand und sagte:

Shakespeare !