X-Perience

(Be-) Sinnliche Reise

11.07.2023 - Das Berliner Synth-Pop-Trio X-Perience erkundet gern das Leben sowie ferne oder ganz naheliegende Orte. Mal träumt es von den magischen Feldern, mal vom Paradies oder einfach nur dem Zuhause. Anno 2023 verkündet der neue Albumtitel globale Reiseziele. "We travel the world" funktioniert aber auch im kleineren Maßstab, greift bandtypische Themen auf und bietet einen wunderbaren Sommer-Soundtrack. Von: Torsten Pape

Image Synth-Pop-X-Perten: Matthias und Claudia Uhle, Alex Kaiser (Foto: Promo)

BODYSTYLER: Nachdem es zwischenzeitlich etwas ruhiger um X-Perience wurde, scheint Ihr in letzter Zeit wieder reichlich Kreativität und Schaffenskraft gefunden zu haben. Wie kam es zu diesem Schub und wie haltet Ihr das Energielevel aufrecht?

ALEX KAISER: Du beziehst Dich sicher auf die Pause bis zum "555"-Album. Das waren ja viele Jahre, in denen wir uns komplett und bewusst aus der Öffentlichkeit zurückgezogen haben und es war eine selbstgewählte Entscheidung. Wir befanden uns in einer Phase des Lebens, in der andere Sachen als Musik wichtig waren. Da haben wir Familien gegründet, Kinder bekommen, also quasi das Leben gelebt. Das erfordert ja auch Schaffenskraft.
Natürlich hätten wir auch Alben veröffentlichen können, aber zu dieser Zeit fühlten wir uns einfach „auserzählt“. Gerade dafür, um neue Ideen zu finden und zu erspüren, war diese Pause gut. Nun können wir aus der Sicht der vermutlich zweiten Hälfte des Lebens eine kleine Retrospektive und einen Ausblick mit den Erfahrungen der letzten Jahren in unsere neuen musikalischen Wege einfließen lassen.
Unser Produzent Bernd Wendlandt hat uns auch ein bisschen gezwungen, unsere kreativen Ideen wieder zu bündeln. Ein wirklicher Erkenntnisgewinn war, dass bestimmte Konstrukte, wie eben Bands, nur genau in diesen Konstellationen wieder funktionieren. Das meinen wir nicht nur auf der Erfolgs-, sondern gerade auf der Kreativ-Ebene.
Zum Energielevel: Vielleicht ist es ein bisschen wie in einer guten Beziehung. Du hast Vertrauen, Du kennst alle Schwächen und Stärken. Damit agierst Du in einem „safe space“, der dir den nötigen Raum für Kreativität gibt, den Du nicht hast, wenn Du immer „auf der Suche“ bist.

BODYSTYLER: Seht Ihr "555" als vollwertiges Album oder durch sein Konzept (je fünf alte Songs, neue Songs und Coverversionen) eher als Warm-Up für das neue Werk?

ALEX KAISER: Ich fasse diese Frage mal nicht als Beleidigung auf (lacht). Wir haben ganz sicher nicht nach 15 Jahren ein Album veröffentlicht, welches wir nicht als vollwertig bezeichnen. Wir hatten eine Retrospektive und einen Ausblick im Sinn, deshalb gab es diese Teilung aus bekannten und neuen Nummern. Den Rückblick als Besinnung und den neuen Teil als Ausblick auf den Sound, den wir mit „We travel the world“ im Sinn hatten.
Neue Zeit, große neue Herausforderungen für uns alle. Wir persönlich sind ja, wie man sagt, aus dem Gröbsten raus. Alles und alle um uns herum, unsere Gesellschaft auch? Sicher nicht.
Das neue Album ist unsere Art, mit den Veränderungen in der Welt umzugehen. Wir meinen mit dem Titel nicht, dass wir real um die Welt reisen, sondern, dass es viele Arten gibt, mit denen man die Herausforderungen unserer Zeit angehen kann.

BODYSTYLER: Ich habe beim Hören der neuen Tracks das Gefühl, dass Euer Sound noch etwas klarer, tiefer und leichtfüßiger geworden ist. Habt Ihr produktionstechnisch etwas anders gemacht oder ist vielleicht andere Technik am Start?

ALEX KAISER: Ja und Nein. Wir haben kein leichtfüßigeres Gefühl, klarer und tiefer - ja. Zurück zu den Wurzeln - ja. Grundlegend anders haben wir nichts gemacht. Natürlich gab es ein bisschen Technik-Update, aber nichts Elementares. Wir haben nicht den super neuen Synthie gekauft, sonder eher den Fokus auf bestehende Sounds gelegt und diese etwas derber produziert, als wir das vielleicht früher gemacht hätten. Uns ist es heute noch mehr egal, was die Kritiker, Radioleute oder Plattenfirmenheinis sagen. Wir machen, was wir in dem Moment fühlen. Wer es nicht mag, kann einfach was anderes hören.

BODYSTYLER: Nachdem Ihr früher, aber auch noch bei "555" immer reichlich begleitende Singles mit Remixen/Extended Versionen am Start hattet, habt Ihr letztere jetzt gleich auf die Bonus-Disc des Albums gepackt. Klingt auf dem Papier fast schon pragmatisch, oder? Oder wolltet Ihr einfach die Fans, deren Aufmerksamkeitsspannen noch nicht verkümmert sind, glücklich machen?

ALEX KAISER: CD1 ist wie heute, CD2 ist wie früher… Such Dir gern aus, wo Du Dich siehst. Das ist unser Angebot an die Hörer. Unsere Fans machen uns glücklich, weil wir gespiegelt bekommen, wie sehr sie sich über diese Versionen freuen.
So viele Gedanken haben wir uns darüber gar nicht gemacht. Es tut mir fast schon leid, wenn man als Rezeptor mehr in die Kompilation interpretiert als der Sender. Ich traue unseren Fans aber zu, dass sie das richtig einordnen. Im Übrigen haben wir zu einem großen Kreis der Fans so ein enges Verhältnis, dass sie in den Schaffens- und Kompilierungsprozess inzwischen sehr eingebunden sind. Deren Feedback ist für uns ein wichtiger Teil bei Entscheidungsfindungen.

BODYSTYLER: Mit "Conquest of paradise – All the songs we love" begebt Ihr Euch auf eine ganz besondere Zeitreise und erspart Euch damit bestimmt in den meisten Interviews die Frage nach Euren musikalischen Einflüssen. Wie ist diese Idee entstanden?

ALEX KAISER: So simpel, fast schon tragisch (lacht): Wir hatten eine coole Melodie und keinen Text. Zeit: Zwei Tage und damit meine ich Studiotage sowie zwei Wochen im realen Leben (meint: Überlegungen in den Tagen dazwischen). Irgendwann kam die Idee:
Auf den Refrain geht „Conquest of paradise“ - aber das gibt´s ja schon.
Egal, lass uns mal überlegen.
Was mögen wir denn?
Was wäre, wenn wir einfach alle Songs, die wir lieben, kompilieren?
Coole Idee.
Mist, die Zeilenlänge passt nicht.
Ok, den Song magst Du, ich nicht, aber wir sind ein Team.
Press die Zeile rein.
Wir finden es total lustig und glauben es ist die erste Single.
Na, vielleicht doch nicht.
Finale Furioso.
Get it done.
I Like.
We Like.

Schaffensprozess in a nutshell

BODYSTYLER: Bonusfrage: Bezieht Ihr Euch bei "(I) Come undone" auf Jennifer Rush oder Duran Duran?

ALEX KAISER: Das darf der geneigte Hörer aussuchen. Was könnten wir wohl meinen? Sind wir Jennifer Rush oder Duran Duran? Na, was glaubst Du?

BODYSTYLER: Sind Euch da sogar Deine Lakaien dazwischen gerutscht ("Love me tot he end")? (Nach der "Into my arms"-Version von Angelzoom, Claudias Soloprojekt, für den Fan vielleicht gar nicht so überraschend...)

ALEX KAISER: Deine Lakaien – so was von echte Liebe. Ich habe in meiner ersten Wohnung in Kreuzberg mal Alexander Veljanow angerufen. Kann ich mich noch genau dran erinnern. Ich war eher Fanboy als wirklich glaubend, dass man etwas zusammen machen würde. Das wurde auch nichts, ich erinnere mich nicht, warum. Wir alle lieben Deine Lakaien. Das ist unsere Zeit, die gehören dazu.
Veljanow, ruf endlich zurück!

BODYSTYLER: "Nobody cares like you" verschafft mir auf Anhieb Gänsehaut. Dieser Song umarmt einen durch seine hypnotischen, zarten Klänge geradezu. Wie seid Ihr an die Komposition / technische Umsetzung herangegangen?

ALEX KAISER: Bernd war ein bisschen auf Pink Floyd. Keine Ahnung warum. Diverse Weinschorlen später, fiel uns beim Nachdenken ein Titel ein, den ich besonders gern mag und der mich seit meiner Jugend immer wieder in Wellen berührt hat: "London Rain" von Heather Nova. Ich beanspruche nicht, diese intellektuelle Dichte in unserem Song zu haben wie Heather Nova vor 20 Jahren, aber es ist unser Gefühl dazu.

BODYSTYLER: In "Wasted time" geht es darum, sich nicht über über eben jene, verschwendete Zeit zu ärgern. Wie schaffst Du es selbst, solche Momente/Dinge abzuhaken und den Blick wieder nach vorn zu richten? Oder geht es letztendlich darum, die Zeit auch mal ganz bewusst "ungenutzt" vorbeiziehen zu lassen und einfach den Moment zu genießen (siehe "Endless summer")?

ALEX KAISER: Langeweile ist die kleine hässliche Schwester der Kreativität, sagt man.
Es wäre schön, sich viel mehr zu langweilen. Leider gibt das reale Leben so wenig Zeit zur Besinnung, zur Langeweile. Ich glaube nicht an ungenutzte Zeit. Im Gegenteil, in unserer schnelllebigen Zeit ist ungenutzte Zeit fast ein Schimpfwort, dabei ist es in Wirklichkeit ein Ziel. Der perfekte Luxus.
"Carpe diem" meint doch nicht, den Tag mit Aktivitäten zu füllen, die am Ende nur der Erfüllung des Tagwerks dienen.
Wir appellieren daran, jeden Moment bewusst zu erleben.
Die Sonne scheint. Die Luft ist mild. Genieße den Moment.
Du weißt nie, wie viele Momente Du hast.
Ich habe mal gelesen von einer Frau, die ich sehr schätze, die in einer Kolumne in einem renommierten Magazin schrieb: „Noch ca. dreißig Mal das erste Mal Kirschen essen. Wenn Du Glück hast.“ Denk mal darüber nach und dann verschwende deine Zeit weiter. Klar, kannst Du nicht alles ändern, Sachzwänge kennt jeder. Aber genieße den kleinen Moment, den Du in der Hand hast und das hilft Dir beim Blick nach vorn.

BODYSTYLER: Ich hatte bereits 1997 das Vergnügen, mit Euch ein Interview zu führen und möchte gern ein paar Aussagen daraus zitieren. Was denkst Du, wenn Du das heute liest und magst Du es vielleicht kurz kommentieren?

"Wir machen nur unsere Musik, uns kann keiner reinreden und deshalb fürchten wir auch keine Kommerzialisierung."

ALEX KAISER: Da sieht man ja, wohin uns das geführt hat (lacht). Wir kamen damals aus der Depeche-Mode-Party - Ecke in Berlin. Als wir Erfolg in der 90s Dance Music Zeit hatten, waren wir als echte Band inmitten der Projekte so was wie die Schmuddelkinder des Pop. Wir haben die Kommerzialisierung nicht gefürchtet. Wir hatten Erfolg - mal mehr, mal weniger. Heute ist es kein Schimpfwort mehr, Mainstream zu sein. Wir sind immer zu old school oder zu eigen oder zu modern - such Dir was aus. Wir sind einfach X-Perience und machen unser Ding.

"Wir verarbeiten unsere Erfahrungen, deshalb: X-Perience."

ALEX KAISER: Siehste, hat doch geklappt. Große Erfahrung: Das mit dem X an Anfang war eine Schnaps-Idee.

"Man muss versuchen, seine Träume zu verwirklichen. Das macht die Träume so wichtig."

ALEX KAISER: Na ja, so doof waren wir damals wohl nicht. Versuchen muss man es. Immerhin hatten wir bis heute ein Leben, in dem wir weitestgehend selbstbestimmt arbeiten können. Das ist ein Riesen-Privileg und das wissen wir auch.

"Wir machen so viel wie möglich selbst. Das ist Prinzip."

ALEX KAISER: Stimmt.

"Wir hätten aber Lust mit S.P.O.C.K zu spielen, in welcher Konstellation (Anm.: Support/Hauptband) auch immer."

ALEX KAISER: Never trust a klingon.

Ich finde es fast erschreckend, wie wenig sich unsere Meinung geändert hat. Werden wir jemals erwachsen? Ich hoffe nicht. Never mind the bollocks!

BODYSTYLER: Es gibt ja diese extrem rare Maxi "Du bist der Star" von Euch. Da ich die Geschichte dazu nicht kenne, würde mich doch mal interessieren, wie das damals mit der Castingshow für die Kids ablief und welche Rolle Ihr dabei gespielt habt?

ALEX KAISER: Wer sich an die 90er erinnert, war nicht dabei.

BODYSTYLER: Mir ist aufgefallen, dass das Album "Take me home" auf gängigen Streamingportalen nicht zu finden ist. Was sind die Gründe dafür und wird sich daran in Zukunft etwas ändern?

ALEX KAISER: Da liegen die Rechte bei Warner, die sind da leider etwas langsamer in der Auswertung. Das kann schon mal 20 Jahre dauern, bis die aus dem Pott kommen. Wir produzieren das Album einfach nächstes Jahr neu, wenn die es nicht hinkriegen, das zu veröffentlichen. Beschlossen und verkündet.

BODYSTYLER: Ihr habt für September ein Konzert im Maschinenhaus in Berlin angekündigt. Was kann der Besucher an diesem Abend erwarten? Wird es weitere Konzerte oder Fernsehauftritte geben?

ALEX KAISER: 2023 gibt es nur diese eine Show. Wir haben doch keine Zeit (lacht). Das sollte lustig klingen, aber es ist irgendwie wahr. Was kann man erwarten? Viel Musik, viel Video, viel Entertainment. Gute Gespräche, wenn es gut läuft. 2024 sind wir häufiger unterwegs (more to come auf www.x-perience.de)

BODYSTYLER: Vielen Dank für Deine Zeit und die schöne Musik! Alles Gute und viel Erfolg mit "We travel the world"!

ALEX KAISER: Danke und liebe Grüße!