Darkness On Demand

Digitale Smartphones behindern analoges Stagediving

27.08.2023 - Seit 2018 bereichern Gary Wagner, Falgalas und Seba die düstere Electro-Szene unter dem Namen Darkness On Demand. Anno 2023 steht nun bereits der dritte Longplayer ins Haus. Ein guter Grund für einen Studiobesuch bei Soundhexer Falgalas und nachdem alle Beteiligten (inkl. der Hunde) mit Chips versorgt waren, klinkte sich auch Sänger Gary per Live-Schalte ein. Das Plauderstündchen konnte beginnen: Von: Torsten Pape

Image Rücken an Rücken – Gary und Falgalas als Symbol der Gesellschaft (Foto: Pixelstudio)

BODYSTYLER: In meinen Augen habt Ihr mit dem neuen Album "Digital outcast" den nächsten konsequenten Schritt in Eurer Entwicklung gemacht. Es knallt ordentlich, hat reichlich Groove und macht Spaß.

FALGALAS: Prima, Dankeschön.

GARY WAGNER: Das freut mich.

BODYSTYLER: Lasst uns zunächst einmal in die Vergangenheit schweifen. Wir haben jetzt schon ein paar Interviews gemacht und ich habe Euch noch nie die Frage gestellt, wie Ihr ursprünglich mal zur Musik gekommen seid. Erzählt doch mal!

FALGALAS: Mit sechs Jahren wurde ich Mitglied in einem Fanfarenzug und war da bis ich 15 geworden bin. Dabei war das meine eigene Entscheidung und nicht die meiner Eltern. Mein bester Freund und ich haben damals mit 10 oder 11 sogar einen Song geschrieben und den hier auf dem Deich vor 2000-3000 Leuten dargeboten. Wir waren nur am Zittern und hatten Pipi in der Hose, aber wir haben den da hingeschmettert.

BODYSTYLER: Gary, wann hast Du denn das erste Mal in die Fanfare geblasen?

GARY WAGNER: Nee, ich hab andere Sachen gemacht. Mit 6/7 Jahren war ich im Schulchor. Meine Musiklehrerin meinte nämlich, dass ich Talent hätte. Ich habe Akustikgitarre gelernt, dazu gesungen und irgendwann fielen mir auch erste Songs ein. In Berlin wurden dann immer mehr Bands gegründet und meine damalige Freundin fragte mich, ob das nicht auch was für mich wäre. Ich hab daraufhin mit ein paar Kumpels eine Band gegründet. Das ging erst in Richtung Sixties oder auch Velvet Underground, dann Richtung Metal und Rock. Ich habe sogar Gesangsunterricht genommen und irgendwann hat mich ein Produzent gefragt, ob wir nicht mal was in Richtung Gothic probieren wollen. Wir haben das Projekt Heart Of Darkness genannt und kurz darauf wurde daraus Dance Or Die.

FALGALAS: Wir haben uns dann kennengelernt, weil wir damals die gleiche Bookingagentur hatten. Ich war mit Nigra Nebula auf Tour und wir haben 1992/93 zusammen mit Dance Or Die Auftritte gehabt. Ich wurde gefragt, ob ich mir vorstellen könnte, sie live zu unterstützen und Keyboard zu spielen. So wurde ich zunächst zum Keyboard-Dummy, habe später Backingvocals übernommen und im Laufe der Zeit immer mehr komponiert.

GARY WAGNER: Dann war irgendwann der Zeitpunkt gekommen, Dance Or Die als Legende liegen zu lassen. Unsere Geschichte war aber noch nicht zu Ende und irgendwie hatten wir doch Bock auf eine Fortsetzung. So entstand Darkness On Demand.

BODYSTYLER: Was sich ja bei Euch als roter Faden über die Jahre durchzieht sind die Androiden, Cyborgs oder die Aliens, von denen ihr erzählt und erstere haben es ja jetzt sogar auf das Albumcover geschafft…. Im Zusammenhang mit dem Titel "Digital outcast" wirft das die Frage auf, wie Ihr diese Kombination verstanden wissen wollt?

GARY WAGNER: Ich habe mir das wie im Science Fiction-Film "Equilibrium" vorgestellt, in dem die Menschen digitalisiert werden. Alle bekommen ihren Chip eingepflanzt und werden als digitale Nummer geführt. Oder dieser Film mit Bruce Willis, in dem er seine Cyborgs zur Arbeit schickt. Dufte Vorstellung, aber bevor so eine KI-Puppe, die aussieht wie ich mit 25, auf der Bühne rumtanzt, bleibe ich doch lieber ein Mensch. "Digital Outcast" ist also jemand, der sich weigert, sich nummerieren oder registrieren zu lassen und der Schafherde zu folgen. Wenn man noch das liebenswerte Bargeld mag und nicht auf digitale Währungen umsteigt, bist Du der "Digital Ausgestoßene", der analog lebt. Wenn ich nur noch vor Bildschirmen sitze und mich besudeln lasse, sollte man die Geräte auch mal abschalten und an die frische Luft gehen. Kaum jemand liest noch Bücher stattdessen sind alle handysüchtig. Früher konnte wir noch Stagediving machen, aber heute fängt Dich doch keiner mehr auf, weil sie alle ihre Smartphones in der Hand haben. Die Menschen sollen Party machen, Pogen und Abgehen oder meinetwegen auch Bierbüchsen werfen. Stattdessen entstehen tausende Videos mit schlechtem Bild und Sound und man fragt sich ständig, wie man diesen Dreck auf YouTube wieder weg kriegt. Ich verstehe einfach nicht, was man davon hat, sich das zu Hause in schlechter Qualität anzuschauen…

BODYSTYLER: Es gibt zum Glück immer mehr Bands, die das auch von der Bühne propagieren und ihr Publikum direkt auffordern, ihre Handys wegzulegen. Sie sollen das Konzert genießen und nicht durch den Bildschirm wahrnehmen.

GARY WAGNER: Sicherlich hat man als Band eine gewisse Verantwortung und die Interaktion mit dem Publikum ist enorm wichtig.

BODYSTYLER: Zurück zur analogen Lebensweise oder Wahrnehmung, vielleicht sogar zurück zur Natur – könnte diesbezüglich der Song "Flowers" ein zentraler Track auf Eurem Album sein? Er erscheint zunächst als ruhiges Mauerblümchen (*hüstel*), aber da steckt doch sehr viel Autobiografisches drin, oder?

FALGALAS: Das stimmt. Gary ist an den Rand von Berlin und ich an den Deich gezogen.

GARY WAGNER: Die richtigen Berliner sind doch mittlerweile alle rausgezogen. Keine Punks, keine Rockabillys, stattdessen nur noch zugezogene Hipster mit Rauschebärten. "Flowers" ist eine ruhige Industrial-Nummer und mir fiel ein, dazu eher psychedlisch zu singen. Das ist inspiriert von The Pretty Things oder auch den Beatles. Dieses Geleierte wie bei indischen Instrumenten hat sich da förmlich angeboten. Das ist jetzt kein Aufruf, um Gottes Willen! Werdet bloß keine Hippies! Es ist aber wichtig, sich auf die Natur zu besinnen und da wären wir wieder bei "Digital outcast".

BODYSTYLER: Eine andere ruhige Nummer auf dem Album ist "Hang on", das ihr im Vorfeld schon im Winterhart-Remix herausgebracht habt. (Winterhart ist ein zweites Projekt der Musiker, Anm. d. Red.) Dieses Lied vermittelt für mich einerseits Licht und Hoffnung, andererseits aber auch Melancholie, Traurigkeit oder Verzweiflung. Wo seht Ihr diesen Song?

FALGALAS: Auf musikalischer Ebene empfinde ich "Hang on" eher als nachdenklich. Ich wollte ausdrücken, wie viel Freiheit uns während der Corona-Zeit genommen wurde.

GARY WAGNER: Sicherlich drückt der Text Verzweiflung aus. Man will seine Freiheit behalten und sich nicht bevormunden lassen. Wir haben im Video Rücken an Rücken gestanden, um die gespaltene Gesellschaft zu symbolisieren. Dieser verzweifelte Schrei nach Individualität und Freiheit zieht sich durch das ganze Album. Wir sind keine gleichgeschalteten Bürger wie es in Diktaturen der Fall ist.

BODYSTYLER: Lasst uns über "Final way" sprechen. Diesen Text verstehe ich als Beschreibung eines Auswegs aus der Reizüberflutung und dem Überangebot an Möglichkeiten.

GARY WAGNER: Da habe ich mich wieder auf das bezogen, was auch auf dem Cover zu sehen ist. Menschen, die immer mehr zu Maschinen werden. Das ist der letzte Weg, den man als Mensch geht, bevor man komplett von Maschinen ersetzt wird. Ich habe versucht, das Alltägliche darzustellen. Deine Fussballmannschaft hat verloren, kaufe Dir einen Toaster, kaufe dies, kaufe das, mache dies, mache das, um zu funktionieren. Der Mensch ist nur noch ein funktionierendes Wesen bevor er komplett zum Androiden oder Cyborg wird.

BODYSTYLER: Der letzte Song "Tragedy" kam mir gleich bekannt vor, aber ich musste erst ein bisschen recherchieren bevor ich gemerkt habe, dass er ja bereits auf der Winterhart-Bandcamp-Veröffentlichung "Our memories" als Bonustrack enthalten ist. Was könnt Ihr zu diesem doch sehr berührenden Song erzählen?

GARY WAGNER: Ach weißt Du, das ist so eine persönliche Sache, die sich da durch zieht. Ich war an den Punkt gekommen, um über Beziehungen und Liebe nachzudenken und habe das alles unter die Lupe genommen. Dann ist dieses elektronische Liebeslied entstanden, was einfach als Abschluss passt. Ein Lied, bei dem wir alle einpennen wollen… (lacht) Ich musste übrigens öfter mal an die "Everspring"-Platte (Dance Or Die, 1995) denken. Das Album ist zwischendurch ebenfalls sehr ruhig und melodisch und auf den begleitenden EPs knallen wir auf die Tanzfläche.

BODYSTYLER: Gab es denn schon mal Songs, wo Ihr beim Komponieren bei Darkness On Demand angefangen habt und dann bei Winterhart gelandet seid oder andersrum?

FALGALAS: Das kommt definitiv vor und so gibt es zum Beispiel aktuell einen Song, der zunächst für Darkness On Demand gedacht war und nun auf dem kommenden Winterhart-Album drauf sein wird. Da waren einfach zu viele Streicher drin (lacht).

BODYSTYLER: Könnte man sagen, dass DOD noch fokussierter auf einen Stil ist, seit es Winterhart gibt?

GARY WAGNER: Ich hatte eher das Gefühl, dass da ein Weg offen war. Falgalas hat mir damals Songs mit Streichern und Bombast vorgespielt, die eher in die Richtung Martial Industrial, Neo-Folk oder Ambient gingen. Das war teils elektronisch, teils analog, wo es bei Darkness On Demand ja rein elektronisch ist. Es gibt aber sicherlich immer noch Berührungspunkte zwischen beiden Bands, zum Beispiel bei den Remixen.

BODYSTYLER: Mit "Last attack" reist ihr stilistisch in Eure Vergangenheit. Man kann eine Verwandtschaft zu "Fire" oder auch "Relationshit" erkennen. Nun wäre noch interessant, um welche Eindringlinge es im Text geht?

GARY WAGNER: Das sind Weltraumparasiten, die die Welt angreifen und die Menschheit versklaven wollen. Wie bei "Alien vs Predator": der Mensch als Nahrungsmittel. Dann kommen die Guten aus dem Erdinneren und so ist unsere Alien-Geschichte entstanden. Musikalisch geht es voll auf die Zwölf und wir legen mal wieder das Feuer (lacht).

BODYSTYLER: Kommen wir zu Eurer nächsten Single "White clouds". Da ist zum einen wieder die typische DOD-Orgel drin und zudem das Bild, dass weiße Wolken grau werden. Das könnte eine Sehnsucht nach Regen symbolisieren, oder ?

GARY WAGNER: Die Interpretation finde ich gut, aber eigentlich geht es um Depressionen und Einsamkeit. Wenn die Wolken grau werden, scheint die Sonne meist nicht mehr. Oder es scheint die Sonne und man sieht es einfach nicht. Dann geht man zum Doktor, bekommt bunte Pillen, die irgendwann wirken und dann strahlt man wieder. Die Welt ist schön und am besten lässt man sich noch von irgendeiner Eso-Brezel bequatschen: "Warum bist du denn immer so negativ? Du könntest doch viel lieber mit einem Lila-Laune-Röckchen durch die Gegend hüpfen." Eigentlich ist einem aber gar nicht danach. Lasst mich doch mal in meinen grauen Wolken herumschweben. Wir sind nun mal nicht im Teletubby-Land. Man muss nun mal auch schauen, wo der Dreck liegt und das ist außerdem eine gute Motivation, um Texte zu schreiben. Auf der anderen Seite gibt es natürlich Depressive, die man nicht auffangen konnte und die aus dem Fenster gesprungen sind. Das ist aus psychologischer Sicht schon sehr wichtig und spannend, sich mit solchen Dingen zu beschäftigen.

BODYSTYLER: Wahre Worte. Lasst uns zurück auf den Dancefloor, der doch manchmal auch eine Therapieoption ist. Ich bin der Meinung, dass "Ban of truth" ein absoluter Ohrwurm ist und eine weitere Auskopplung wert wäre...

FALGALAS: Willst Du mich jetzt zur Arbeit verdonnern, oder wie? (lacht) Das hängt natürlich auch von der Plattenfirma ab, aber andererseits sitze ich sogar schon am vierten Album. Gary und Seba haben gerade zwei Songs als Beta-Versionen von mir bekommen. Beide haben über 130 bpm, gehen also richtig ab. Wir wollen nicht wieder vier oder zehn Jahre mit dem nächsten Album warten.

GARY WAGNER: Grundsätzlich fühlen wir uns aber schon der 80er Tradition mit Maxi-Singles oder EPs verpflichtet. Es wird also immer spezielle Versionen, exklusive B-Seiten und Remixe geben.

BODYSTYLER: Lasst uns zum Schluss noch über mögliche Live-Auftritte reden. Könntet Ihr Euch eine Tour vorstellen? Ist irgendwas in Planung?

FALGALAS: Ich hätte mit zwanzig Dates am Stück kein Problem. Aktuell ist jedoch nur unser Auftritt auf dem Dark Rush-Festival am 24.2.2024 in Berlin bestätigt und wir sind an ein paar anderen Gigs dran.

GARY WAGNER: Vielleicht gibt es ja sogar wieder Auslandseinsätze (lacht). Heutzutage tourt doch aber kaum noch jemand aus der Szene und bespielt jedes Dorf. Man tritt auf ausgesuchten Festivals auf oder spielt mit ein/zwei anderen Bands einzelne Gigs , maximal von Freitag bis Sonntag. Depeche Mode können natürlich auch auf einen Dienstag spielen, da ist das egal. (lacht)

BODYSTYLER: Dann wünsche ich viel Spaß bei allen Auftritten und viel Erfolg mit dem Album.