Joachim Witt

Steinzeit

12.09.2023 - Der Herr der Berge ist aus den Höhenlagen herabgestiegen und hat seinen Weg zum Meer gefunden. Dort stoßen wir gemeinsam mit ihm auf den "Fels in der Brandung". Wie kam er dorthin, der Fels? Oder ist Herr Witt selbst der stabile Stein? Ein kurzweiliges Telefonat liefert Antworten bzw. Ansätze. Von: Torsten Pape

Image Herr Witt im feinen Zwirn (Foto: Promo)

BODYSTYLER: Hallo Joachim, schön, dass es wieder mit einem Interview geklappt hat. Wie geht es Dir?

JOACHIM WITT: Ganz gut. Ich habe wirklich viel zu tun. Aktuell komme ich gerade von einem Festival.

BODYSTYLER: Ich habe Deinen Auftritt beim M‘era Luna zumindest am Fernseher verfolgt. Bist Du zufrieden mit Eurem Set und der Reaktion des Publikums?

JOACHIM WITT: Das war wirklich mega. Der Sound war toll, der Mitschnitt super und das Publikum hat mich wahnsinnig freundlich begrüßt. Das war eine schöne Erfahrung.

BODYSTYLER: Außerdem gab es gleich zwei Mal die Gelegenheit, Dich zusammen mit Peter Heppner auf der Bühne zu sehen...

JOACHIM WITT: Ich habe Peter im Vorfeld angerufen und gefragt, ob er nicht einen Tag früher anreisen kann. Sein Auftritt fand ja erst am nächsten Tag statt. Gerade wegen der Übertragung durch arte lohnte es sich besonders, weil man die Auftritte später in der Mediathek abrufen kann. Im Gegenzug hat er mich gebeten, bei seinem Programm mitzumachen.

BODYSTYLER: Lass uns zunächst einen kleinen Schritt zur abgeschlossenen "Rübezahl"-Trilogie zurück gehen, die Dich und Deine Fans über fünf Jahre begleitet hat. Wie hast Du Dich nach dieser Zeit von Deinem Alter Ego verabschieden können? Oder ist der Herr der Berge noch in Dir?

JOACHIM WITT: Das ist schon eine zwiespältige Angelegenheit, da ich mich mit dem Sound und der Geschichte sehr wohl gefühlt habe. Mein Produzent Chris (Harms) hat in der Zwischenzeit mit Nino De Angelo gearbeitet und meinen Sound an ihn weitergegeben. Das ist einfach seine Handschrift. Nino hatte damit einen riesengroßen Erfolg und ist zudem einiges bekannter als ich.

BODYSTYLER: Würdest Du das wirklich sagen? In meiner Wahrnehmung war er zum Beispiel lange Zeit weg, wo Du hingegen sehr präsent warst...

JOACHIM WITT: Ja, das denke ich trotzdem. Wenn ich danach noch einmal ein solches Album gemacht hätte, würden viele denken, dass ich seinen Sound kopiere. Das wollte ich dann doch vermeiden, da ich das schon mit Unheilig erlebt habe. Der Graf hat Ende der 90er mit meinem damaligen Mitproduzenten eine Band gegründet und offen gesagt, dass er einen Sound wie "Die Flut" haben möchte. In den sozialen Medien hieß es dann nicht selten, dass ich so klingen würde wie Unheilig. Das hat mich natürlich genervt und ich hatte ehrlich gesagt ein wenig Angst davor. Ganz abgesehen davon, tut ein neuer Sound doch auch gut.

BODYSTYLER: Du bist ja sogar bekannt dafür, dass Du nach einer gewissen Zeit Deine Produzenten wechselst und neue Wege beschreitest. Von daher ist das in Deinem Schaffen nicht neu und es hält Deine Musik meines Erachtens frisch. Dein neuer Produzent Hardy Krech war mir von Beyond The Black bekannt, aber er hat auch Santiano, die Kelly Family oder den voXXclub produziert. Wie seid Ihr denn in Kontakt gekommen?

JOACHIM WITT: Ich habe mein Management gebeten, mit ihm Kontakt aufzunehmen, da ich ihn gern kennenlernen wollte. Ich wusste bereits, dass er strategisch arbeiten kann und oft Sachen produziert, die ein breiteres Publikum ansprechen. Ich wollte aus meiner Nische mal wieder ein kleines Stück herauskommen und mehr Leute erreichen, ohne mich dabei zu verbiegen. Wir waren uns sehr sympathisch und so kam es schnell zu einer Zusammenarbeit. Im März 2022 ging es dann los.

BODYSTYLER: Sind denn überhaupt noch Mitstreiter aus der "Rübezahl"-Zeit dabei?

JOACHIM WITT: Nein, es ist eine komplett neue Besetzung.

BODYSTYLER: Der Albumtitel "Der Fels in der Brandung" strahlt ziemlich viel Stabilität aus. Wenn man das Album hört, aber auch in Zusammenhang mit Deinen Ausführungen, könnte ein Untertitel wie "Aufbruch / Neuanfang" gut daneben bestehen. Kein neuer Ansatz in Deinem Schaffen, aber in dieser Intensität doch noch nicht dagewesen. Würdest Du zustimmen?

JOACHIM WITT: Ja, absolut. "Der Fels in der Brandung" ist für mich zunächst einmal kein konservativer Begriff. Er drückt eine grundsätzliche Stabilität ungeachtet von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft aus. Man kann unter diesem kräftigen Begriff viele Dinge vereinen. Er hat für mich nichts Grobes, sondern steht für Sensibilität und Willenskraft.

BODYSTYLER: Lass uns zunächst über die Duette reden, die das Album bietet. Das erste trägst Du zusammen mit Velile Mchunu vor, die viele durch ihren WM-Song "Helele" mit dem Safri Duo oder auch das Musical "König der Löwen" kennen. Wie ist "Sibelele" entstanden?

JOACHIM WITT: Hardy hat mir immer wieder Nummern vorgestellt und abgetastet, ob sie für mich in Frage kommen würden. Natürlich weist dieser Song in eine etwas andere Richtung und sticht aus dem Album hervor. Ich hab mich schon gefragt, ob das wirklich passt? Der Sound ist jedoch toll und durch ihren Gesang strahlt er eine positive Urkraft aus.

BODYSTYLER: Ich denke, er spiegelt sehr gut Deinen offenen Blick wieder. Eine schöne Abwechslung. Ähnlich überraschend ist für viele Hörer bestimmt auch "In unserer Zeit", das Duett mit Marianne Rosenberg. Eure Stimmen harmonieren erstaunlich gut...

JOACHIM WITT: Marianne habe ich bereits in jungen Jahren in Fernsehsendungen gesehen. Sie fiel mir immer auf und ich hatte sie lange Zeit im Kopf, obwohl ich kein Schlagerliebhaber bin. Sie war jedoch immer außen vor, ihre Stimme ist ganz reizend und sie sah immer toll aus. In den 70ern erschien ihr Song "Marlen" und den fand ich bombastisch. Das war dieser Phillysound, den auch Barry White grausam gut drauf hatte. Im Zuge der Produktion haben wir über Duette nachgedacht und Namen zusammengetragen. Ich sagte dann, dass mich ein Duett mit Marianne Rosenberg sehr reizen würde, weil ich mir vorstellen konnte, dass das eine sehr eigene Energie besitzen könnte. Wir haben sie angefragt, sie hat sich den Titel angehört und dann haben wir uns in Berlin getroffen.

BODYSTYLER: Ihr seid beide so lange in der deutschen Musiklandschaft unterwegs, dass man sich gar nicht vorstellen kann, dass Ihr Euch vorher nie begegnet seid.

JOACHIM WITT: Nein, vorher nie. Sie hat mir witzigerweise erzählt, dass sie einige Bewunderer aus anderen Stilrichtungen hat bzw. hatte. Rio Reiser war zum Beispiel ein glühender Fan von ihr. Für mich ist das eine tolle Geschichte.

BODYSTYLER: Bei "Hörst Du mich" gibt es noch ein Duett zu hören, obwohl die Info bei mir nicht vorhanden ist, mit wem Du da singst...

JOACHIM WITT: Das ist M.L., die ich in einem Studio in Hamburg kennengelernt habe, als sie 16 war. Wir sind seitdem befreundet und ich hab sie irgendwann gefragt, da sie eine echt tolle Stimme hat.

BODYSTYLER: Mein absoluter Lieblingstrack ist aktuell "Jung", in dem Du Dich mit dem Verrinnen der Zeit, Vergänglichkeit und Erinnerungen beschäftigst. Meine Lieblingszeile ist "Ein schädliches Virus nennt sich ‚Zeichen der Zeit‘" und mich beeindruckt die Art, wie Du den Refrain vorträgst. Was kannst Du zu diesem Song erzählen?

JOACHIM WITT: Das ist auch meine heimliche Lieblingsnummer. Da steckt eine Wehmut drin, das ist richtig intensiv. Natürlich hat der Text damit zu tun, dass ich nun schon etwas älter bin. Da versetze ich mich generell in Menschen in meinem Alter hinein. Man erinnert sich an die Jugend, die so schnell abgeschlossen war. Übrig bleibt der sehnsüchtige Blick auf die positiven Dinge dieser Zeit. Ich höre oft im Zusammenhang mit "Goldener Reiter", was das damals für eine tolle Zeit war. Es ist schade, dass man das sagt, denn die jetzige Zeit ist auch toll. Man hat ein Leben gelebt und warum muss das schlechter sein als die Jugendzeit? Vielleicht hat diese Sicht etwas mit den ersten Liebesbeziehungen zu tun, die damals Neuland und sehr intensiv waren. Später wird alles vielleicht etwas ruhiger, aber ich finde nicht, dass mein Leben heute weniger schön ist. Vielleicht ist es sogar schöner. Eventuell ist der Song auch ein Synonym für die allgemeine Sehnsucht nach etwas Besserem.

BODYSTYLER: Ein Text, der sich mir noch nicht komplett erschlossen hat, ist "Bäume". Man könnte zunächst denken, dass er schlicht Deine Naturverbundenheit widerspiegelt. Er beginnt recht poppig, aber dann geht es plötzlich um Schlafstörungen, Antriebslosigkeit, Alttagstrott sowie falsche Werte und Ideale. Wer ist denn "der, der mit Bäumen spricht" und welche Aussage steckt in diesem Track?

JOACHIM WITT: Der, der mit den Bäumen spricht, bin zu 100 Prozent ich und der Titel liegt mir sehr am Herzen. Dieser Text ist mir in relativ kurzer Zeit in die Tinte geflossen. Ich verstehe das als Ausgleich für das tägliche, oft oberflächliche Leben. Man sollte andere Energien kennenlernen und nutzen. Deshalb das Bild mit dem Umarmen des Baumes. Natürlich ist das ein Klischee, aber es steht für die natürliche Energie, die im Alltag oft fehlt. Mit den neurotischen Anwandlungen habe ich es bewusst auf die Spitze getrieben, weil diese viele Menschen haben. Das ist weiter verbreitet als man sich wünschen würde. Im Grunde war das bereits Thema bei "Goldener Reiter".

BODYSTYLER: Beim Titel "Propaganda" rechnest Du mit den Medien sowie einigem Klatsch und Tratsch ab. Warum war Dir das ein Bedürfnis?

JOACHIM WITT: Ich hatte beim Texten das Problem, dass ich die ganze Propaganda-Diskussion nicht auf die übliche Weise führen wollte. Es geht da oft um politische Felder, die mir sehr auf die Nerven gehen. Ich habe überlegt, was ich dafür stellvertretend benutzen könnte und bin damit nicht klar gekommen. Ich bin nun mal nicht der Sprecher einer politischen Bewegung und wollte das eher ironisch umsetzen. Deshalb habe ich mir einen Texter zu Hilfe geholt. Am Ende geht es darum, dass Propaganda nicht immer die Wahrheit verkörpert, dargestellt auf einer sehr persönlichen Ebene.

BODYSTYLER: Wie ist denn der Kinderchor dazu gekommen? Für mich hört sich das nach neckenden Kindern auf dem Spielplatz an.

JOACHIM WITT: Hardy hat das vorgeschlagen und ich hab gesagt, dass er das machen kann. Das soll natürlich die nächste Generation verkörpern, aber musikalisch hätte ich das nicht mal gebraucht.

BODYSTYLER: Am Ende des Albums holst Du bei "Träume im Gegenwind" noch mal den richtig großen Bombast heraus und man muss natürlich unweigerlich an Deine Klassik-Album "Refugium" denken...

JOACHIM WITT: Hier stand zunächst mein Text und es musste darauf eine Nummer komponiert werden. Das hat wegen der sinfonischen Elemente auch richtig lange gedauert, aber es ist für meinen Geschmack gut gelungen. Es geht hier um die Art, wie ich die Welt sehe und erneut um die Sehnsucht nach einer besseren Welt.

BODYSTYLER: Wird es denn nach "Schwör mir" und "In unserer Zeit" noch eine Single / ein Video zum Album geben?

JOACHIM WITT: Zum Album wird es wahrscheinlich keine weiteren Videos geben, aber für nächstes Frühjahr ist eine spezielle Edition geplant. Da wird es weitere fünf/sechs Stücke mit neuen Duettpartnern geben. Das ist heutzutage ja ein legitimes Mittel, um die Dinge am Leben zu halten und ich freue mich auf diese Tracks. Aktuell ist noch nicht alles in Sack und Tüten, von daher wäre es gefährlich, Details zu nennen. Es wäre doch ärgerlich, wenn noch jemand abspringt… (lacht)

BODYSTYLER: Aktuell stehen vier Konzerte an und nächstes Jahr soll dann noch eine längere Tour folgen?

JOACHIM WITT: Zunächst einmal sind wir gespannt auf die Termine im Herbst und die Nachfrage nach dem Album. Davon machen wir die weiteren Schritte abhängig.

BODYSTYLER: Was darf man denn auf den anstehenden Gigs erwarten?

JOACHIM WITT: Ich stelle gerade die Setlist zusammen und es wird eine bunte Mischung aus Stücken, die ich lange nicht gespielt habe. Es muss ja auch alles zum neuen Album passen und da kann ich nicht die ganze Zeit "Rübezahl" reinhauen. Es gibt genug Alben die in Frage kommen: "Thron", "Neumond" oder "Pop", wo ich mir die Highlights rauspicke.

BODYSTYLER: Dann wünsche ich viel Spaß bei den Auftritten und viel Erfolg mit dem Album. Zum Schluss wollte ich Dir auch noch mal zu Gold und Platin für "Silberblick" und "Goldener Reiter" gratulieren. Was lange währt wird auch veredelt!

JOACHIM WITT: Dankeschön. Manchmal muss man Glück haben oder alt genug werden (lacht).

BODYSTYLER: In diesem Sinne wünsche ich Dir noch viele Gold- und Platin-Erlebnisse!

JOACHIM WITT: Vielen Dank.