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Emotional anders

04.12.2023 - Das Münsteraner Electro-Duo, bestehend aus Estefania und Sevren-Ni-Arb, war in den letzten Jahren sehr produktiv. Zwischen 2017 und 2022 wurde eine Album-Trilogie veröffentlicht und 2023 erscheint bereits das nächste Werk. "Superstition" bietet gewohnt abwechslungsreiche, melodiöse und oft tanzbare Tracks und lotet erneut spannende, emotionale Welten aus. Von: Torsten Pape

Image XMTP warten, dass der Rauchmelder Alarm schlägt. (Foto: Promo)

BODYSTYLER: Mit dem Vorgänger-Album "New/end" habt Ihr eine Album-Trilogie erfolgreich abgeschlossen. Was ist Euer Ansatz beim neuen Album? Ist es ein Einzelgänger oder wieder der Beginn einer Serie? Gibt es aus Eurer Sicht inhaltliche und/oder thematische Bezugspunkte zur Trilogie?

SEVREN NI-ARB: Es gibt keine besonderen oder bewusst geplanten Anknüpfungspunkte an die Vorgängeralben, die sich ja auch erst im Verlauf als dramaturgisch zusammengehörig entwickelten. In „Superstition“ erkunden wir ebenfalls wieder tiefgreifende, emotionale Momente. Insofern bleiben wir uns da thematisch zunächst wieder treu, aber wir schaffen einen neuen Ausgangspunkt, mit dem wir einen Blick auf diese Gefühlswelten werfen.

BODYSTYLER: Aberglaube ("Superstition") ist ein breites und spannendes Themengebiet, dessen Ursprünge außerhalb der Weltreligionen zu suchen sind. Diese Dinge werden vielmehr mit Naturreligionen, Hexenkult, dämonischen Kräften etc. assoziiert. Was waren / sind Eure Berührungspunkte mit diesem Thema und warum habt Ihr diesen Albumtitel gewählt?

SEVREN NI-ARB: Der Album-Titel „Superstition“ stand schon recht früh fest. Aber mir ging es weniger darum, den Begriff des Aberglaubens in dem von dir erwähnten Kontext zu nutzen. Ursprünglich bezeichnete es ja das Abwenden von allgemein gültigen Glaubensvorstellungen, wenn also jemand nicht konform zu erwünschter, religiöser Einstellung lebte. Die Stigmatisierung erfolgte also auf einer unerwünschten Andersartigkeit. Ich wollte „Superstition“ im Sinne von emotionaler „Nonkonformität“ verwenden. Wenn wir schwierige Phasen mit schmerzhaften Erinnerungen durchleben, Selbstzweifel unsere Entfaltung verhindern, wir Sehnsüchten nachspüren, auf unserem Weg scheitern, verzweifelt sind, dann ist das alles ebenso Teil von uns. Von uns als Individuum. Nicht nur glücklich und zufrieden zu sein, bedeutet richtig zu leben. Und so geht es um unsere emotionale Anders- und Einzigartigkeit. Diese prägt auch den Glauben an uns selbst, an Andere, an das Leben, den Tod und definiert damit eine wesentliche Basis unserer Lebenseinstellung. Es geht also nicht um irgendwas Dämonisches oder Teuflisches, aber um Spiritualität und Identität.

BODYSTYLER: Trotzdem würde mich interessieren, ob Ihr abergläubisch seid? Wo begegnet Euch Aberglauben im Alltag?

SEVREN NI-ARB: Ich glaube, jeder von uns ist ein wenig abergläubisch. Aber auch in unserem Leben gab es Ereignisse und Erlebnisse, in die wir vielleicht etwas mehr als nur einfaches Schicksal hineininterpretierten. Dennoch sind wir sicher keine abergläubischen Menschen, ein Freitag der 13. ist für mich ein normaler Tag. Interessanterweise spielt die 13 aber bei mir im Studio schon eine Rolle. Ich halte es zum Beispiel beim Speichern von Song-Production-Files, wie Hotels bei ihren Zimmernummerierungen: Eine Nummer 13 gibt es nicht.

BODYSTYLER: Ihr habt das Album im Vorfeld mit drei Tracks angekündigt, die auch die ersten Songs des Albums sind? Die dazugehörigen Videos sind sehr ästhetisch gemacht und scheinen eine gemeinsame Geschichte zu erzählen. Was waren die Gedanken hinter dieser bewegten wie bewegenden Einstimmung auf "Superstition"? Was könnt Ihr zur Entstehung der Videos erzählen?

SEVREN NI-ARB: Ich würde ja gerne zu allen Songs eines Albums auch ein Video machen, aber ich muss natürlich Zeit und Budget im Blick halten. Zu „Superstition“ sind insgesamt fünf Videos geplant – so viele wie noch bei keinem anderen Album zuvor. Aktuell haben wir mit „Home Tonight“ Video Nummer vier veröffentlicht. Das ist Track 10 auf dem Album. Video fünf soll noch in diesem Jahr folgen.
Oft versuche ich, schon während der Album-Produktion zu einzelnen Tracks tragende, visuelle Elemente zu finden, erste Video-Ideen festzuhalten. Dann kristallisiert sich heraus, welche Songs ein Video bekommen werden. Es startet immer mit ersten Scribbles oder einfachen Mood-Boards, welche die Grundidee liefern und die generelle Richtung bestimmen. Dann werden erste Sequenzen erarbeitet. Es gibt ja Videos, die wir selber drehen und andere, die wir aus gekauftem Stockmaterial produzieren und editieren. Als wir wussten, dass zu den ersten drei Tracks des Albums Videos existieren werden, haben wir beschlossen, diese auch in der Albumreihenfolge zu veröffentlichen.

BODYSTYLER: Es ist mittlerweile fast schon eine Tradition, dass Euer Album-Opener stets mit „Wasser-Bildern“ aufwartet (Wellen, Regen, Meer, Flut, Küste, Hafen…). In unserem Gespräch vor drei Jahren war Dir das noch nicht so aufgefallen, aber es stellt sich schon die Frage, ob das mittlerweile bewusst geschieht?

SEVREN NI-ARB: Ja, es war interessant, als du uns damals darauf gestoßen hattest, so bewusst war uns das gar nicht. Auch diesmal haben wir nicht darauf geachtet. Doch es stimmt, das Element taucht immer wieder auf, mal stärker, mal zurückhaltender. Es ist eben eines unserer Lebens-Elemente, eigentlich kein Wunder, dass es in den emotionalen Bildern, die wir erzeugen, auch immer wieder auftaucht. Wäre vielleicht mal interessant, es tiefenpsychologisch zu erkunden.

BODYSTYLER: Obwohl sich das Album mit Abschieden jeglicher Art beschäftigt und durchaus traurige/melancholische/tränenreiche Momente aufweist, habt Ihr es geschafft, immer wieder Licht ins Dunkel zu lassen. Eine richtig düstere Ballade sucht man zum Beispiel vergeblich. Was gibt Euch Kraft und Zuversicht angesichts von Trennungen/Verlusten, die das Leben zwangsläufig bereithält?

SEVREN NI-ARB: Gerade Estefanía hatte in den letzten zwei Jahren viele familiäre Verluste zu betrauern. Die Eltern und weitere Verwandte sind innerhalb recht kurzer Zeit verstorben. „Sacred Ground“ auf unserem Album „New/End“ greift das auf. Kraft gibt uns vor allem unsere eigene Familie, unsere Söhne, deren Partnerinnen, unser Hund. Und wir sind als Paar der Fels in der Brandung für den jeweils anderen. Wir haben in diesem Jahr Silberhochzeit gefeiert, sind seit über 35 Jahren zusammen. Das gibt nicht nur Halt, sondern jede Menge Sinnhaftigkeit für das eigene Leben.

BODYSTYLER: In einer besseren Welt könnte „No more lies“ bestimmt zu einem Radio-/Chart-Hit avancieren. Könnt Ihr dieser Vorstellung etwas abgewinnen? Wie ist dieser schnuckelige Ohrwurm entstanden?

SEVREN NI-ARB: Klar, gegen einen Chart-Hit hätte ich natürlich nichts einzuwenden. Der Song greift eigentlich eine ganz einfache und doch so berührende Thematik auf. Sich ehrlich zuzugestehen, wie sehr man unter einer Trennung oder einem Verlust leidet, wie man anfangs noch etwas sarkastisch versucht, das zu meistern, aber eigentlich noch voller Sehnsucht und Schmerz ist. Es ist also ein Moment voller Verletzlichkeit, den man sich erst mal zugestehen muss. Wir haben noch überlegt, wer von uns den Song singen wird, haben uns dann aber für die männliche Perspektive entschieden.

BODYSTYLER: Mit dem Albumcover geht Ihr rein optisch neue Wege, da Ihr das Bandlogo grundlegend überarbeitet habt. Es ähnelt jetzt fast einem Tag aus der Sprayer-Szene. Wie verlief hier der kreative Prozess?

SEVREN NI-ARB: Ich bin ja unter anderem geschäftsführender Gesellschafter einer Kommunikationsagentur. Und als ich meine neue Senior-Art-Direktorin eingestellt habe, hatte ich gerade mit den ersten Artwork-Ideen zu „Superstition“ begonnen. Da ich gerne mit einem neuen Logo arbeiten wollte, reizte es mich, mal jemanden daranzusetzen, der bisher noch keine Berührungspunkte mit XMTP hatte. Gleich bei den ersten Ideen war das jetzige Logo dabei und ich war begeistert.

BODYSTYLER: André, es ist kein Geheimnis, dass Du ein Faible für analoge Synthesizer / Sequencer etc. hast. Gab es in den letzten Jahren spannende Neuerwerbungen? Welche Geräte kamen bei den aktuellen Tracks zum Einsatz?

SEVREN NI-ARB: Ja, ich kaufe immer mal wieder neues Gerät, digital wie analog und mein Studio ist schon wieder ordentlich gewachsen. Die Liste aller Hard- und Software wäre lang. Aber auf „Superstition“ kamen zum Beispiel folgende Hardware-Synthesizer zum Einsatz: Sequential OB-6, Sequential Pro-One, Arturia Matrixbrute, Novation Peak, Vermona PerFOURmer MK II, Behringer MonoPoly, Moog Sub 37, Korg Prologue und ein Modular-System mit Modulen u.a. von Xaoc Devices, Make Noise, Mutable Instruments, Doepfer und dreadbox.

BODYSTYLER: Würdest Du sagen, dass Du Deine "Maschinen" in und auswendig kennst oder gibt es immer noch spannende Neuentdeckungen was Funktionen/Möglichkeiten anbelangt?

SEVREN NI-ARB: Es gibt ja „Maschinen“ mit reduziertem und welche mit größerem Umfang – gerade, wenn es zum Beispiel um Modulationsmöglichkeiten etc. geht. Aber ich sehe ja nicht immer nur die Funktionen eines einzelnen Gerätes, sondern alles immer im Zusammenspiel mit anderen, digital wie analog. Denn ich habe ja meine eigenen kreativen Prozesse entwickelt, mit denen ich unseren Sound umsetze. Und da geht es dann auch viel um das Layern von Instrumenten, Re-Sampling, die Verwendung spezifischer FX-Chains etc. Dann sind die Möglichkeiten eigentlich unendlich. Und beim Modular-System ist es immer ein wenig so, als wenn Du neue Lego-Kiste ausschüttest und noch nicht weißt, was du bauen möchtest (zwinkert).

BODYSTYLER: Wie würdest Du aktuell das Verhältnis von analogen und digitalen Klangquellen beziffern bzw. beschreiben wollen?

SEVREN NI-ARB: Ausgewogen. Ich habe und nutze beides. Und mag auch beides.

BODYSTYLER: Gibt es Überlegungen, mal wieder eine Konzertbühne zu betreten?

SEVREN NI-ARB: Wir bekommen sehr viele Anfragen – vor allem auch aus dem Ausland – und auch unsere Fans fragen regelmäßig auf unseren Social Media Kanälen, wann wir auf Tour gehen. Das macht uns stolz und wir sind natürlich neugierig auf unsere Fans. Aber es bleibt für Estefanía und mich einfach so schwer, ausreichend Zeit freizuschaufeln, um wirklich einmal konkret Live-Shows anzugehen. Das hat berufliche, wie private Gründe. Und so müssen wir abwägen, wie wir unsere freie Zeit für musikalische Aktivitäten einteilen. Ich kann wirklich nicht sagen, ob, wann und wie wir wieder auf die Bühne gehen.

BODYSTYLER: Vielen Dank für das Beschäftigen mit meinen Fragen und ich wünsche Euch viel Erfolg mit dem tollen, neuen Album!

SEVREN NI-ARB: DANKE FÜR DAS INTERVIEW!