Black Nail Cabaret

Gegen die Angst und für das Leben

04.03.2024 - Das ungarische Duo Black Nail Cabaret bietet auch auf seinem neuesten Album "Chrysanthemum" eine faszinierende Synth-Wave-Mischung aus dunklen Momenten, samtigen Atmosphären, oft tanzbaren Rhythmen und stetig lauernden Ängsten, aber auch der Suche nach dem Leben. Frontfrau Emese Arvai-Illes stellte sich auf offenherzige und sympathische Weise unseren neugierigen Fragen. Von: Torsten Pape

Image Licht und Schatten (Foto: Dori Hrisztu-Pazonyi)

BODYSTYLER: Das letzte Mal, als wir ein Interview gemacht haben, war BNC ein Trio, bestehend aus Emese, Sophie und Krisztian. Seit 2016 präsentiert Ihr BNC als Duo. Wie hat sich die Band seither aus Eurer Sicht entwickelt? Was sind die wichtigsten Veränderungen/Verbesserungen?

EMESE: Nur eine Korrektur, wir waren schon immer ein Duo. Wir haben 2008 mit Sophie und mir angefangen, und Krisztian wurde zwei Jahre später unser Produzent und Tontechniker. Als Sophie 2016 die Band verließ, ist Krisztian als vollwertiges Mitglied eingestiegen und seitdem machen wir BNC zusammen. Wir haben uns persönlich sehr verändert, auch Sophie, wir haben neue Einflüsse bekommen, die unseren Stil natürlich in eine etwas andere Richtung entwickelt haben. Ich denke, dass der Wechsel zur Unisex-Band auch ein Wendepunkt war, zumindest für mich, da viele uns als Girlband bezeichneten, die einen viel unbeschwerteren Ton hatte.

BODYSTYLER: Darf ich fragen, was Eurer Meinung nach die Vor- und Nachteile sind, wenn man eine Band als Paar betreibt?

EMESE: Ich bin dankbar, dass ich jemanden kennengelernt habe, dessen Interessen und Ziele mir in Bezug auf die Kunst so nahe sind. Aber das ist eine andere Sache, und man muss an der Beziehung und der Musik getrennt arbeiten. Die Partnerschaft gesund zu halten, ist eine Aufgabe wie für jeden anderen auch. Ehe und kreative Arbeit gehen nicht unbedingt Hand in Hand. Die Band ist eine eigenständige Einheit, und wir versuchen, persönliche Gefühle fernzuhalten, obwohl das meistens unmöglich ist. Natürlich gibt es Lieder über unsere Beziehung, über die guten und die schlechten Tage, und ich singe sie auf der Bühne neben Krisztian. Er hat mich nie darum gebeten, das nicht zu tun oder es für mich zu behalten, das ist einfach so, das ist Teil des Materials. Die Show geht weiter, auch wenn es emotionalen Stress gibt, es ist nicht einfach, das zu verdrängen.

BODYSTYLER: Mit "Chrysanthemum" habt Ihr einen blumigen Albumtitel gewählt, der automatisch die Assoziation zu einer schönen Blume, aber auch zu Beerdigungen weckt. In Kombination mit dem Artwork scheint der rote Faden des Albums schnell gefunden zu sein. Ist es so einfach?

EMESE: Die Chrysantheme ist eine Blume, die oft auf Friedhöfen verwendet wird, sie mag also eine düstere Konnotation haben, aber sie wird oft gewählt, weil sie am längsten frisch bleibt. Ich habe sie als Albumtitel aus dem Text von "Faceless Boy" gewählt, weil sie das Hauptthema des Albums gut zusammenfasst: „Chrysanthemums bloom under my feet, paving the way into the trees.“ ("Chrysanthemen blühen unter meinen Füßen und pflastern den Weg zu den Bäumen.") Ich habe meine eigenen Ängste beobachtet, und alle scheinen auf die Urangst vor dem Tod zurückzuführen zu sein: die Angst vor Verlust, vor Trauer, vor Veränderung. Wir tun uns das an, ohne es zu merken, und ertrinken in lähmender Angst. Ich habe Chrysanthemen als Symbol für Tod und Trauer verwendet, aber in den Liedern geht es oft darum, wie man sich diesen Dingen stellt, wie man sich dem Leben selbst stellt.

BODYSTYLER: Ihr gebt Euch viel Mühe, um visuell ansprechende Videos zu machen. Warum ist dieses Medium so wichtig für Euch?

EMESE: Es geht nicht nur um die Videos, sondern auch um die Live-Shows. Es ist die ganze Erfahrung, wir versuchen, etwas zu vermitteln, von meinem Geist zu deinem, und das Visuelle ist ein großer Teil davon.

BODYSTYLER: Euer jüngst veröffentlichtes Video zu "Darkness is a friend" bietet mehrere Deutungsebenen. Offenbar geht es um kindliche Freude über einen Spaziergang, Tod/Selbstmord, möglicherweise auch um Ängste und Geister. Möchtest du uns verraten, welche Inhalte und kreativen Ideen dabei eine Rolle gespielt haben?

EMESE: Ich würde dieses Video gerne als das Leben selbst betrachten. Wir fangen unbeschwert an, genießen die Reise und teilen sie vielleicht sogar mit jemandem. Selbst wenn wir vor einer düsteren Szene stehen, bringt es mich dazu, ihr ins Gesicht zu tanzen. Dann sind wir so schnell allein, gehen hinaus ins Freie, um uns unseren größten Ängsten zu stellen - hier, mein eigenes Ich, erstickend, tief unten in der Dunkelheit. Es gab Momente in meinem Leben, in denen ich in dieses schwarze Loch starrte, und ich bin für immer dankbar für die Menschen, die da waren, um mich da herauszuziehen.

BODYSTYLER: Mit dem ersten Stück des Albums "My home is empty" präsentiert Ihr eine große Bandbreite Eurer Fähigkeit, sanfte Harmonien mit unterbrechenden Verzerrungen und Geräuschen zu kombinieren. Abgesehen von den einladenden Worten "Come inside" - warum war es Euch wichtig, das Album mit diesem vielschichtigen Song zu eröffnen?

EMESE: Es fühlte sich als Opener einfach richtig an, weil es zeigt, worum es bei BNC geht: knallharte Elektronik, sanftes Drama, gefühlvolle Lyrics. Die einladenden Worte sind eigentlich für "all the doubt and all the danger" ("alle Zweifel und alle Gefahren"), um sie willkommen zu heißen, wie Diebe in einer Wohnung, denn ich möchte sie treffen, ich möchte sie kennenlernen.

BODYSTYLER: Der zweite Track und erste Single "Autogenic" steht in der Tradition Eurer eher cluborientierten Songs. Warum war dies der Song, den Ihr Euren Fans als ersten Eindruck vermitteln wolltet?

EMESE: Wir waren uns alle einig, dass "Autogenic" ein starkes Single-Potenzial hat, und wir wollten nach der Veröffentlichung von "Woodland Memoirs", das ein eher alternatives Album mit Gitarren, Schlagzeug und Saxophon ist, etwas Schnelleres und Elektronisches bringen. "Darkness Is a Friend" als erste Single hätte wahrscheinlich impliziert, dass wir unsere musikalische Richtung in Richtung Alternative Sound ändern, aber das ist nicht der Fall. "Autogenic" kehrt zu den Wurzeln von BNC zurück.

BODYSTYLER: Eure Songs bieten wieder einmal eine Vielfalt an spannenden und innovativen Sounds. Da sind die ultra tiefen Bässe, die vertrackten Rhythmen und jede Menge betörende Melodien. Das klingt wirklich nicht nach den Standard-Presets. Wie erschafft Ihr diese einzigartigen Sounds und oft ungewöhnlichen Kombinationen?

EMESE: Krisztian ist ständig auf der Suche nach neuem Equipment und testet alle Hard- und Software, die er in die Finger bekommt. Einige verrückte Melodien kommen aus seinem Labor, und wenn ich ein cooles Riff aus dem Studio höre, renne ich mit meiner Textsammlung rüber und mein Verstand beginnt zu arbeiten. Ein anderes Mal beginne ich in meinem eigenen kleinen Labor mit der Arbeit an einem Song, nachdem ich eine bestimmte Idee im Kopf hatte, oder ich lasse mich von einem Filmsoundtrack oder der Melodie eines in der Ferne fahrenden Zuges inspirieren.

BODYSTYLER: Ein Song, der definitiv heraussticht, ist "Neurons". Würdest Du bitte Deine Inspirationen hierfür erzählen und was Dich zu diesem einzigartigen, musikalischen Ansatz gebracht hat?

EMESE: Dies ist einer der Tracks, die aus Krisztians Labor stammen. Er hat viele halbfertige Loops und Spuren, die von früher abgespeichert sind, und soweit er sich erinnern kann, begann dies mit dem Spielen mit Elektron's Digitakt. Wenn er an einem Instrument kreativ wird, ist das wie ein Fluss, und wenn es bereits einen halbfertigen Loop gibt, folgen die Ideen automatisch. Alles beginnt damit, dass er die Maschine anschaltet.

BODYSTYLER: "1mg" scheint einen medizinischen/pharmazeutischen Hintergrund zu haben. Würdest Du uns einen Einblick in Deine Gedanken/Erfahrungen gewähren, die Dich zu diesen Lyrics geführt haben?

EMESE: Ich bin leider nur allzu vertraut mit Medikamenten gegen Angstzustände. Ich werfe einfach eine Pille ein und warte darauf, dass die Panikattacke vorbei ist. Letztes Jahr habe ich gehofft, dass ich mit meinen Ängsten über den Berg bin, aber komischerweise hatte ich nach der Aufnahme der Vocals für "1mg" ein starkes Klingeln in den Ohren sowie ein Schwindelgefühl, das auch nach mehreren Stunden nicht wegging. Es wurde so schlimm, dass ich in die Notaufnahme nebenan gehen musste. Sie gaben mir eine Tablette, sagten nicht einmal, was es war, sondern baten mich nur, sie zu nehmen. Es stellte sich heraus, dass es Alprazolam war. Ich dachte mir: Das ist lächerlich. Mir geht es geistig gut. Ich habe gerade einen Song aufgenommen, danach habe ich sogar meditiert. Nichtsdestotrotz verschwand mein Ohrenklingeln nach der Einnahme von 1mg. Angstzustände sind ein Miststück.

BODYSTYLER: Emese, in den letzten Jahren hast Du einige tolle Gastvocals auf Tracks von Lakeside X, Hapax, Fix8:Sed8, TC75, Attrition oder Soman beigesteuert. Was braucht es, damit Du einer Anfrage zustimmst? Sind neue Kooperationen in Planung?

EMESE: Ich versuche, die Anzahl der Kollaborationen heutzutage zu reduzieren, weil ich privat so wenig Zeit und Energie habe, um an meinen eigenen Songs zu arbeiten. Heutzutage gibt es einfach nicht genug Zeit! Trotzdem gibt es immer noch ein paar, denen ich zustimme, je nach Projekt oder Person. Es gibt noch ein weiteres, das bereits aufgenommen, aber nicht veröffentlicht wurde, und ich habe vor, in den nächsten drei Monaten noch ein paar weitere aufzunehmen.

BODYSTYLER: Andererseits gibt es nicht viele andere Musiker/Sänger als Euch beide, die bei BNC mitmachen. Wie kommt das?

EMESE: Das stimmt so nicht ganz, denn wir haben bei "Woodland Memoirs" mit unseren wunderbaren Freunden, einigen mega-talentierten Musikern, zusammengearbeitet. Tom Szamveber, der Gitarrist dieses Projekts, trat mit uns als BNC mehrmals während der "Pseudopop"-Tour auf. Es gab auch Zeiten, in denen wir zusätzliche Backgroundsänger*innen auf der Bühne hatten, und während unserer letzten Release-Show von "Chrysanthemum" hatten wir wieder ein paar Gastmusiker auf der Bühne, am Bass und an den Gitarren.

BODYSTYLER: Im Laufe der Jahre habt Ihr eine Menge toller Coverversionen gemacht. 2023 wurde "Happy house" von Siouxsie And The Banshees veröffentlicht. Gibt es diesbezüglich Neuigkeiten zu verkünden?

EMESE: Ich denke, es wird ein paar Jahre dauern, bis wir wieder einen Coversong machen.

BODYSTYLER: Letztes Jahr hatte ich das Vergnügen, Euren Auftritt auf dem Dark Rush Festival in Berlin zu sehen. Ich muss zugeben, dass ich erstaunt und überwältigt war von der Energie, die Ihr freigesetzt habt. Was sind Eure eigenen Standards für eure Konzerte? Nach welchen Gesichtspunkten stellt Ihr die Setlist zusammen?

EMESE: Ich habe von jeder Show ein Bild im Kopf, je nach Ort, Veranstaltungsort, Veranstalter, Art der Veranstaltung, Bühne usw. Ich fühle mich natürlich zu einem Look hingezogen, den ich erreichen möchte, den ich ausstrahlen möchte, den ich tragen möchte. Das hilft mir vor allem dabei, mich auf der jeweiligen Bühne selbstbewusst zu zeigen, als die, die ich bin. Das hilft auch bei der Zusammenstellung der Songs, die wir spielen werden. Der Standard ist, wie für jeden Künstler, die Perfektion. Perfektion, die nie erreicht werden wird, also bleibt das Verlangen danach.

BODYSTYLER: Was sind die nächsten Gelegenheiten, Euch auf der Bühne zu sehen?

EMESE: Wir touren im April durch Großbritannien als Special Guests von Empathy Test und treten in acht Städten auf, was unsere bisher größte UK-Tour ist. Wir werden auch auf dem Eastside Festival in Halle auftreten, es gibt ein paar Shows in Ungarn, die noch angekündigt werden müssen, und im November beim Katzenklub Festival in München.