Chiasm

Raum für das Momentum

18.03.2024 - Zählt man ihr in Eigenregie veröffentlichtes Debüt mit, hat Emileigh Rohn sechs Alben unter dem Namen Chiasm veröffentlicht. Dazu kommen Kollaborationen mit Interface, Carphax Files, John Fryer oder Jean-Marc Lederman. 2024 erscheint mit "Zone" ein weiteres Album, das meisterhaft die Verschmelzung von Electro, Industrial und Pop zelebriert. Ein guter Grund ein paar Fragen nach Detroit zu schicken. Von: Torsten Pape

Image Herrin der Maschinen (Foto: Promo)

BODYSTYLER: Seit 1998/2001 bist Du kontinuierlich in der Electro/Industrial-Szene präsent. Ob mit Chiasm, Rohn-Lederman, Deiner Zusammenarbeit mit John Fryer oder diversen Gastauftritten in anderen Projekten. Woher nimmst Du die Energie für diese anhaltende Kreativität und Produktivität?

EMILEIGH ROHN: Ich habe eine ständige Sehnsucht in mir, mich auszudrücken, die sich manchmal nur an diesem Ort möglich anfühlt. Die Musik ist für mich ein sicherer Raum, in dem ich mich vollständig, offen und frei fühlen kann. Das Schreiben von Liedern hilft mir, so viele innere Konflikte zu lösen, die sich oft explosionsartig in Text und Klang äußern, und ich liebe es, wie sie mit der Zeit eine neue Bedeutung bekommen. Es ist lustig, dass du 1998 erwähnst, da war ich allein in Detroit und habe mich mit einem Korg Trinity durchgeschlagen! Ich habe 1998 selbst gebrannte CDs (die heute als Demos gelten) und das komplette Album "Embryonic" so veröffentlicht. Seitdem habe ich die meisten davon wieder aufgegriffen. Dann wurde ich 1999 von COP International für eine Compilation unter Vertrag genommen, und schließlich erschien 2001 das Album "Disorder", das wir erst kürzlich wiederveröffentlicht haben, neu gemastert von Jean-Marc Lederman.

BODYSTYLER: Musik scheint Dein Leben zu sein. Was bedeutet sie für Dich? Reine Freude? Kanalisierung von Emotionen? Kompensation/Gleichgewicht/Stabilität? Wie sieht die Musikzone von Emileigh Rohn aus?

EMILEIGH ROHN: Es ist nicht immer reine Freude... Ich würde sagen, es ist in erster Linie das Kanalisieren von Emotionen, und es verschafft mir auf jeden Fall eine Work-Life-Balance, die ich sonst nicht hätte. Meine Zone ist das Wissen, dass ich eine beträchtliche Menge an Raum habe, um mich auf nichts anderes zu konzentrieren, und endlich dieses Momentum freizusetzen, das in mir wächst und bei dem ich immer genau weiß, was als nächstes zu tun ist. Es fühlt sich natürlich, unmittelbar und wahr an. Es ist intensiv und ein großartiges Gefühl!

BODYSTYLER: Gleich im ersten Song, "Crushing the dread", öffnest Du die Türen und lässt einen intensiven Blick in deine Welt zu. Mir gefällt besonders die Zeile "Tears in ears count back the years". Was hat es Dir ermöglicht, Dich zu öffnen und diesen Einblick zu gewähren?

EMILEIGH ROHN: Es ist interessant, dass ich in letzter Zeit bei der Arbeit mit anderen mehr Selbstkritik geübt habe, als wenn ich alleine arbeite. Nicht, dass sie ein Urteil abgegeben hätten, aber es fühlt sich anders an, also habe ich mir in "Zone" völlige Verletzlichkeit erlaubt, um einfach zu sein, was ich bin. Ich bin während der gesamten Produktion des Albums bewusst persönlich geblieben, ohne auf Erwartungen Rücksicht zu nehmen. Es war für mich sehr wichtig, so authentisch und offen wie möglich zu sein, weil es sich wie eine einmalige Gelegenheit anfühlte.

BODYSTYLER: Darf ich fragen, was Du neben der Musik machst? Was nimmt noch einen wichtigen Platz in Deinem Leben ein?

EMILEIGH ROHN: Ich arbeite Vollzeit in einem akademischen Forschungslabor. Außerdem habe ich derzeit vier Katzen, die meine Aufmerksamkeit einfordern. Sie rennen überall hin, auch durch das Studio, was manchmal in Missgeschicken endet, aber sie sind total liebenswert. Ich liebe Industrial-Musik und Science-Fiction-Filme. Ich mag lokal gerösteten Kaffee und verstecke mich gerne im Wald am Fluss.

BODYSTYLER: Du scheinst das neue Album komplett alleine aufgenommen zu haben. Wie würdest Du diesen Prozess beschreiben? Würdest Du Dich als Multitalent bezeichnen?

EMILEIGH ROHN: Ich denke, dass jeder, der ein Album selbst produziert und veröffentlicht, insbesondere bei einem unabhängigen Label, ein Multitalent ist. Ich bin im Grunde ein Künstlerin und Schöpfer, also war es eine Reise für mich, die Besonderheiten der verschiedenen Medien zu lernen! Ich bin dankbar, dass ich die Möglichkeit habe, allein in meinem Studio zu arbeiten und ein Album wie dieses zu produzieren. So verbringe ich meine Zeit am liebsten. Auch hier ist mein Lieblingsteil der Prozess des Schaffens und das ist es, was mir die ultimative Freude und den Frieden bringt.

BODYSTYLER: Deine Musik lebt von Kontrasten. Man könnte sagen, dass die Songs immer Schönheit mit Dissonanz, Melodien mit Geräuschen, Beats mit Synthesizerflächen kombinieren. Würdest Du dem zustimmen?

EMILEIGH ROHN: Es ist die Art und Weise, wie ich mein Leben lebe, und es ist wirklich nur eine Reflexion dessen, was ich bin. So nehme ich meine eigenen Erfahrungen wahr. Ich gebe wieder, was ich fühle, so gut ich kann, manchmal als Dokument. Wenn ich mir meine Lieder von vor Jahrzehnten anhöre, erhalte ich ein völlig neues Verständnis.

BODYSTYLER: Auch wenn die süßen Seiten in Deinen Kompositionen mal mehr und mal weniger präsent sind, gewinnen sie auf Dauer nie die Oberhand. Könntest Du Dir vorstellen, eines Tages ein reines (anspruchsvolles) Pop-Album zu produzieren?

EMILEIGH ROHN: Ich glaube, am nächsten kam ich dem mit dem "Missed the Noise"-Album mit John Fryer, und es war immer noch authentisch ich, also nicht besonders. Das ist kein beabsichtigtes Ziel von mir, aber warten wir doch einfach ab! Ich bin ziemlich offen, aber vielleicht hängt es von der Definition von Pop ab (lacht).

BODYSTYLER: Könntest Du Dir andererseits vorstellen, ein reines Noise-Album aufzunehmen? Reine brachiale Aggression ohne Licht und Anmut?

EMILEIGH ROHN: Ja, das ist viel einfacher! Ich könnte jeden Morgen mit meinen Katzen in mein Sprachmemo murmeln, während ich mich an meiner Heizung wärme, und käme ziemlich nah dran. Mein Haus macht alle möglichen Sampling-Geräusche!

BODYSTYLER: In den ersten Tracks des Albums wirken Deine Texte zerbrechlich und strahlen nur teilweise Selbstvertrauen aus. In "I should have known better" und "Dead trees" kommt dann eine gewisse Wut zum Ausdruck, Deine Stimme wird lauter und Dein Selbstbewusstsein scheint stärker zu werden. Ist diese Beobachtung richtig und entspricht diese Entwicklung chronologisch der Realität?

EMILEIGH ROHN: Es ist interessant, denn dies ist das erste Album, das ich tatsächlich in chronologischer Reihenfolge erstellt habe. Früher habe ich monatelang oder jahrelang an Stücken herumgeschraubt, bin zurückgegangen und habe sie neu geschrieben, habe mir Zeit gelassen. Jetzt hatte ich allerdings den Ansporn, meine Arbeit abzuschließen und weiterzumachen! Also habe ich mir dieses Mal nicht diese Flexibilität erlaubt, um zu verweilen. Ich glaube nicht, dass die Trackliste besonders mit der Zeitachse des Schreibens übereinstimmt, aber ich sehe auch diese Entwicklung. Ich habe die emotionaleren Stücke an das Ende gesetzt, weil ich da das Gefühl hatte, dass ich mich in einem sichereren Raum befinde, um dort meiner Kreativität freien Lauf zu lassen, wenn das einen Sinn ergibt. Das habe ich also getan!

BODYSTYLER: Gab es einen Titel auf dem Album, mit dem Du besonders zu kämpfen hattest? Was waren die Schwierigkeiten und warum hat sich am Ende alles zum Guten gewendet?

EMILEIGH ROHN: "It's Time" fing zunächst ganz anders an. Ich ließ mich von einer Dokumentation über emotionale Roboter inspirieren und wollte zunächst eine Menge Samples verwenden, entschied mich dann aber dagegen und baute das Ganze neu auf. Jetzt ist es einer meiner Lieblingssongs auf dem Album!

BODYSTYLER: Am Ende stehen die Sätze "Alle Tränen sind aus unseren Plänen verschwunden." und "Wir warten auf die Rückkehr der Sonne". Was für ein wunderbarer, sanfter und zuversichtlicher Abschluss. Wie fühlte es sich an, dieses Album in die Welt zu setzen?

EMILEIGH ROHN: Ich bin stolz und glücklich, ein so emotionales Album zu veröffentlichen. Es fühlt sich kathartisch und schön an, mich auf diese Weise auszudrücken. Das tue ich im täglichen Leben nicht so oft. Danke, dass Du mir zugehört hast!

BODYSTYLER: Es ist bereits von einer weiteren EP die Rede, die im Mai erscheinen soll. Welche Albumtracks werden darauf enthalten sein und was kannst du uns über B-Seiten und Remixe erzählen?

EMILEIGH ROHN: Der Schwerpunkt der EP liegt auf "Chasing Butterflies" und ich habe einige fantastische Remixe von Beborn Beton und Sapphira Vee. Ich habe auch einen "Dead Trees"-Mix von Mark Hockings, der wunderschön ist, zusammen mit anderen tanzbaren Überraschungen!!!

BODYSTYLER: Jean-Marc (Lederman) hat in unserem letzten Interview angedeutet, dass ein neues Rohn-Lederman-Album kurz vor der Fertigstellung steht. Er sagte: "Ihr könnt ein Doppelalbum erwarten, das zwei sehr unterschiedliche Aspekte von dem zeigt, was Emileigh und ich vorhaben." Wie würdest Du das Werk in Deinen eigenen Worten ankündigen? Bitte mach uns weiter neugierig!

EMILEIGH ROHN: Es ist ein tolles Doppel-Album mit dem Titel "Black and Bleu"! Ich liebe die Songs, die wir geschaffen haben, und ja, die beiden Scheiben sind in ihrer Komposition völlig unterschiedlich... Wir haben einen tollen Job gemacht, um beim Thema zu bleiben, indem wir die Dunkelheit und den Ozean mit mir verglichen haben! Wie alles von Rohn-Lederman ist es super-originell und fesselnd, kein Moment der Langeweile ist erlaubt und dein Gehirn und dein Körper werden vor Begeisterung tanzen!!! Es befindet sich derzeit im Presswerk und wird sehr bald auf Les Disques De La Pantoufle (neu gegründetes Label von Jean-Marc) erscheinen!

BODYSTYLER: Ich bin sicher nicht der Erste, der Dich nach bevorstehenden Auftritten (möglicherweise sogar in Europa/Deutschland) fragt. Was gibt es in dieser Hinsicht zu berichten?

EMILEIGH ROHN: Im Moment genieße ich es, einfach nur zu schreiben und aufzunehmen, was eine Menge Konzentration erfordert, wenn man bedenkt, dass der Rest meiner Zeit gut ausgefülltist. Es wäre fantastisch, die Freiheit zu haben, sowohl zu kreieren als auch sich Zeit für Auftritte zu nehmen, aber in der Vergangenheit fand ich es insgesamt zu ablenkend von meinem Ziel, das darin besteht, tolle Songs zu produzieren und sie mit euch allen zu teilen. Nochmals, wir werden sehen!! (lacht)

BODYSTYLER: Danke, dass Du Dich meiner Neugierde gestellt hast. Ich wünsche Dir alles Gute mit dieser Veröffentlichung und den eventuell kommenden Shows .

EMILEIGH ROHN: Vielen Dank für Dein Interesse und die Unterstützung!