BODYSTYLER: Vor 25 Jahren erschien mit "Anderswelt" ein Album welches in vielerlei Hinsicht aus Eurer Diskografie heraussticht. Könnte man es Euer Opus Magnum nennen? Ihr habt dieses Jubiläum kürzlich mit einer speziellen Edition gefeiert. Möchtet Ihr etwas zu ihrer Entstehung erzählen?
JANUSZ ZAREMBA: Hm, Opus Magnum? Gute Frage. Es war das richtige Album zur richtigen Zeit für uns und wir haben damit eine sehr breite Zuhörerschaft erreicht, fernab von Genre-Grenzen. Die Produktion seinerzeit war eine sehr intensive Phase.
MARK HOFMANN: Wir haben aber schon mit dem Gedanken gespielt, „Anderswelt“ auf Vinyl zu veröffentlichen, hatten aber nie konkrete Pläne. Im Frühjahr 2020, im Corona-Lockdown, habe ich die vorhandenen Master-DAT-Tapes digitalisiert. Da habe ich gleich geprüft, ob die Mixe vinyltauglich sind, denn für den Vinyl-Schnitt gelten ganz besondere Voraussetzungen. Das war zum Glück der Fall.
Das Jubiläum traf uns dann eher wir ein Blitz, ca. Ende Juni 2024. Im Rahmen der Arbeiten am Layout für das neue Album „Seelengeleiter“ stieß ich auf eine Vektor-Zeichnung, wo ich dachte, das wäre ein nettes Motiv für eine „Anderswelt“-Vinyl. Im gleichen Moment schoss mir die „25“ durch den Kopf. Kurz mit Janusz alles durchgesprochen und die spezielle Edition dazwischengeschoben.
Eigentlich sollte die „Anderswelt 25th Anniversary Edition“ schon vor dem neuen Album erscheinen, doch das Presswerk in Güstrow hat uns einen fetten Strich durch die Rechnung gemacht, obwohl alles perfekt von uns vorbereitet wurde. Nun erscheinen beide Alben zeitgleich am 29.11.2024
BODYSTYLER: Wie hat sich über die Jahre Euer Verhältnis zu "Anderswelt" entwickelt/verändert? Seht Ihr das Werk heute mit anderen Augen?
MARK HOFMANN: Nein, mit anderen Augen sehe ich „Anderswelt“ nicht. Es ist für mich ein Zeit- und Tondokument, welches mich noch immer die Umstände, unter denen das Album entstanden ist, durchleben lässt.
JANUSZ ZAREMBA: Mit dem Ergebnis des Re-Masters für den Vinyl-Release haben wir das Album und seine Facetten neu entdeckt. Meine erste Reaktion auf das Re-Master war: „Mussten wir jetzt 25 Jahre warten, damit das Album SO klingt“. Es war schon ein Erlebnis. Das nächste umwerfende Erlebnis kam dann mit der Testpressung. Das Schnittstudio (Schnittstelle in Berlin) als auch die Galvanik von Stamperdisc haben phänomenale Arbeit geleistet, weil mit Schnitt und Galvanik ein Vinyl steht oder fällt!
BODYSTYLER: Lasst uns über das neue Album sprechen… Seelengeleiter gibt es in vielen Religionen. Diese Boten/Engel waren bei den Griechen, den Ägyptern, den Germanen, aber auch im Christentum bekannt. Wie seid Ihr auf diesen Begriff gestoßen und was verbindet Ihr speziell mit ihm?
MARK HOFMANN: Der Begriff ist noch ein Erbe unserer „Anderswelt“-Phase: Psychopompos (Gr.), auf Deutsch „Seelengeleiter“. Er geleitet die Seelen der Verstorbenen ins Jenseits. Das Thema war auch schon auf „Anderswelt“ ("Dreamcatcher" - Schamane, "Die Erlösung" - Asrael) präsent und spannt so einen Bogen von der Vergangenheit in die Neuzeit.
BODYSTYLER: Die Auswahl des Album-Covers ist absolut gelungen. Wie habt Ihr dieses tolle Bild gefunden?
MARK HOFMANN: Vielen Dank! Uns hat es auch von Anfang an begeistert!
Ich hatte selbst an einem Compositing in Photoshop gearbeitet. Es war auch sehr schön, aber mir fehlte noch das gewisse Etwas. Also habe ich in der Suchmaschine meiner Wahl den Begriff „Seelengeleiter“ eingegeben und als eines der ersten Ergebnisse kam das Bild.
JANUSZ ZAREMBA: Genau, wir haben uns nur angeguckt und es war entschieden: Das IST das Coverbild! Noch kurz die rechtliche Seite abgeklärt und dann war es geschehen.
Die offizielle Beschreibung von „Die Seelen am Acheron“
: "Die Seelen der Toten haben sich in Menschengestalt am Ufer des Acheron niedergelassen. Begleitet vom Seelenführer Hermes Psychopompos warten sie ruhelos auf die Überfahrt in die Unterwelt. Am Fluss nähert sich bereits der Kahn des Fährmanns Charon." Diese Erzählung aus der griechischen Mythologie zeigt Adolf Hirémy-Hirschl mit emotionaler Intensität. Die realistische Darstellung der nackten, blassen, teils verschleierten Körper basiert auf fotografischen Vorlagen. Sie fördert – trotz pathetischer Inszenierung – die schauerliche Wirkung des Werks.
BODYSTYLER: Die Akustik-Gitarren, klassischen Elemente, aber auch der ätherische Frauen-Gesang sind auf "Seelengeleiter" wieder deutlich präsenter. Stilistisch knüpft Ihr somit eher an "Anderswelt", denn an den direkten Vorgänger "Mater mortis" an. Warum zieht es Euch anscheinend nach allen Ausflügen in andere Genre-Regionen immer wieder in die Gefilde des Neo-Folks oder auch der Heavenly Voices / Neo-Klassik-Stilistik?
MARK HOFMANN: In diesen Gefilden fühlen wir uns am wohlsten, das ist Engelsstaub, authentisch und unverwechselbar in unserer Art. Und heute haben wir ganz andere Möglichkeiten, uns musikalisch zu verwirklichen.
Nach „Mater Mortis“ häuften sich die Stimmen, die sagten, es wäre ein wirklich gutes Album, aber es fehle das Besondere, das Entrückte und das Mystische, was uns früher ausgezeichnet hat.
Im Grunde war ich auch der Meinung, also, mehr "back to the roots"…..
BODYSTYLER: Wie ist die Liebe zu dieser Art der Musik ursprünglich in Euch geweckt worden? Was waren Eure ersten Helden?
MARK HOFMANN: Ich habe schon recht früh Soundtracks gesammelt, vor allem aus der Horror- und Mystery-Ecke. Ich mag schwere Bläser wie French Horns, Cimbasso und Wagner-Tuba. An Namen fallen mir spontan Kilar, Young, Elfman, Goldsmith und LoDuca ein. Auch die frühen Werke von Dead Can Dance möchte ich nicht unerwähnt lassen, vor allem „Within The Realm Of A Dying Sun“.
Erste Helden? Christian Death mit Rozz Williams!
JANUSZ ZAREMBA: Anfang der 1980er Jahre gab es in England eine experimentierfreudige Szene um Bands wie Coil, Nurse With Wound und Psychic TV. Letztere haben mit „Dreams Less Sweet“ einen Meilenstein (damals schon in Quadrophonie) abgeliefert. Und natürlich darf man das World Serpent-Umfeld nicht außer Acht lassen.
BODYSTYLER: Wann und warum fiel die Entscheidung, dass "Seelengeleiter" ausschließlich als Download und auf Vinyl erscheinen wird? Inwiefern hatte die durch das LP-Format vorgegebene Spielzeit einen Einfluss auf das Komponieren bzw. die Auswahl der Tracks?
JANUSZ ZAREMBA: Dass es ein Vinyl geben wird, stand für uns schon sehr früh fest. Bei „Mater Mortis“ hatten wir überlegt. Doch damals waren aufgrund des Vinyl-Booms die Lieferzeiten sehr lang. Also haben wir es uns für’s nächste Album aufgehoben. Zwischenzeitlich hat sich auch die Fertigungssituation wieder entspannt - wenn man nicht gerade in Güstrow pressen lässt.
MARK HOFMANN: Als wir uns dann für das Cover-Bild entschieden hatten, ging eh kein Weg mehr an Vinyl vorbei, allein wegen der Größe. Im kleineren Format wirkt es weniger auf Anhieb. Eine CD kam uns nicht in den Sinn, da die Verkäufe arg rückläufig sind. Download/Streaming ist ja ein Quasi-Standard und je nach Anbieter auch in 24bit/44.1kHz möglich, was über dem CD-Format liegt.
Das LP-Format hatte keinen Einfluss auf das Komponieren, wohl aber auf das Mixing, weil diverse Vorgaben berücksichtigt werden müssen (Frequenzen, Phasenverschiebungen, Monokompatibilität). Bei der Track-Auswahl mussten wir uns eigentlich nur bei zwei Tracks wegen der Spielzeit entscheiden. Bei den restlichen Tracks hatten wir schon eine Reihenfolge im Kopf, die sich auch mit der Spielzeit vereinbaren ließ.
BODYSTYLER: Wie kam der Kontakt zu Clara Sorace zustande? Ihr musikalischer Werdegang – besonders im Bereich TV, Film, Game-Soundtrack ist ja sehr beeindruckend.
MARK HOFMANN: Direkten Kontakt zu Clara Sorace hatten wir nicht, auch nicht zu Elena Borroni.
Beide Sängerinnen haben Aufnahmen für das Projekt „Ethera Atlantis“ gemacht, welches man käuflich erwerben kann, Clara als „Cinematic Singer“, Elena bedient die Rubrik „Fantasy“.
Aus diesen Aufnahmen haben wir uns die passenden herausgesucht und dann mit Hilfe der Technik den Songs angepasst.
Beide Sängerinnen kann man aber auch für Auftragsarbeiten buchen. Beide besitzen ein hochwertiges Studio für Aufnahmen vor Ort. Man sendet einen Roughmix und die Damen lassen sich darauf ein. Man bekommt Mix-fertige Vocals zurück. Clara macht wohl auch Fernsessions mit Cubase.
BODYSTYLER: Mit dem wunderschönen "Lament Rusalki" bezieht Ihr Euch wahrscheinlich auf die Oper von Anton Dvorak bzw. ein slawisches Märchen. Erzählt doch bitte, was Euch an dieser Geschichte besonders fasziniert hat und wo genau Eure Berührungspunkte damit liegen.
JANUSZ ZAREMBA: Nein, auf die Oper beziehen wir uns nicht. Es erinnert an meine Herkunft.
Nach dem polnischen Volksmythos aus der vorchristlichen, slawischen Tradition waren die Gewässer mit Wassergeistern bevölkert, die Rusalka genannt wurden, und es hieß, dass es sich um die Geister toter junger Frauen handelte, die weiterhin auf der Erde umherwanderten. Das heißt, den jungen Frauen wurde ein Seelengeleiter verwehrt, was sie nun beklagen.
Ein ähnliches Motiv verarbeiten wir im Opener „Asphodelila“. Dort geht es um den Asphodeliengrund, eine mystische Blumenwiese, wo die unvollkommenen Seelen rast- und ratlos als Schatten umherirren und nicht verstehen, was ihnen widerfahren ist.
BODYSTYLER: Auf dem neuen Album habt Ihr sogar einen Kinderchor am Start. Wie kam diese Zusammenarbeit zustande? War den Kids bewusst, dass Ihr eine ganz schön gruselige Truppe seid?
MARK HOFMANN: (lacht)
Nein, so spektakulär war das alles nicht. Ich habe für einen Sampler (PlugIn) eine Chor-Library, bei der auch ein Kinderchor dabei ist. Die Library beinhaltet einen so genannten „Wordbuilder“. Man kann dort Text in Englisch oder Latein eingeben und der Chor ‚singt‘ das dann auf die eintreffenden Midi-Noten. Kann man nach Belieben noch editieren.
BODYSTYLER: Die eingängigsten der neuen Tracks sind sicherlich die Vorab-Single "Fading in the dark", "The sick muse" und "Silence". In meinen Augen (Ohren) würden sie sich wunderbar für eine eigenständige Veröffentlichung oder sogar einen elektronischen Remix eignen. Da ihr letzteres meines Wissens noch nie am Start hattet, stellt sich die Frage, ob das nicht eine Überlegung wert wäre? Gibt es vielleicht sogar Musiker/Bands, denen Ihr eine Bearbeitung anvertrauen würdet?
MARK HOFMANN: „The Sick Muse“ war tatsächlich als zweite Auskopplung vor der Album-Veröffentlichung geplant, aber durch traurige Umstände in unserem Umfeld hatten wir das aus den Augen verloren.
JANUSZ ZAREMBA: Vielleicht schieben wir die Single noch hinterher. Wir würden dafür auch gerne ein ‚richtiges‘ Video drehen, doch das kostet Vorbereitung und Zeit.
MARK HOFMANN: Mit dem Remixen ist das immer so eine Sache, weil wir uns etwas dabei denken, die Stücke so zu arrangieren.
Deswegen haben wir einen externen Remix oder gar einen elektronischen Mix nicht in Angriff genommen. Aus dem Stand wüssten wir auch keine Musiker/Bands, denen wir eine Bearbeitung anvertrauen würden.
BODYSTYLER: 2004 erschien "Anderswelt" sogar in einer besonderen dts-Edition im 5.1. Sound. Meines Erachtens hätte das neue Werk ebenfalls das Potential für eine solche spezielle Version. Denkbar? Machbar?
MARK HOFMANN: Machbar ist das schon. Nur diesmal könnte man gleich noch in Mehrkanal mischen. Das Feature hat ja zwischenzeitlich fast jede gute DAW. Doch ob die Arbeit wirklich sein muss? Warten wir mal die Reaktionen auf das neue Album ab….
BODYSTYLER: Leider habe ich es damals nie geschafft, Euch einmal live zu erleben. Wird es in absehbarer Zeit die Möglichkeit dafür geben?
JANUSZ ZAREMBA: Gut, unser letzter Auftritt ist auch schon 30 Jahre her. Danach hat es einfach immer nicht geklappt.
Für die Zukunft halten wir uns das offen, wenn auch nicht mit oberster Priorität, weil es bei mir auch mit meinem Job schlecht vereinbar ist.
MARK HOFMANN: Auch die technische Umsetzung nach so langer Zeit würde eine Herausforderung…
BODYSTYLER: Letzte Worte?
ENGELSSTAUB: Es war uns eine Freude, Deine interessierten Fragen zu beantworten!
Besten Dank für den fortwährenden Support und Deine Treue!