BODYSTYLER: Ich durfte Euch kürzlich im Vorprogramm von Alexander Veljanov erleben und genießen. Wollt Ihr noch einmal kurz erzählen, wie es zu dieser gemeinsamen Reise gekommen ist?
MARCUS "MAX" TESTORY: Wir kennen uns seit vielen Jahren, hatten schon bei der einen oder anderen Gelegenheit miteinander zu tun. Als ich erfahren hatte, dass Veljanov auf Tour gehen werden, hatte ich Alexander einfach gefragt, ob er sich vorstellen könne, uns dabei zu haben. Wie wir auf Tour, beim gemeinsamen post-konzertanten Philosophieren dann erfahren hatten, waren letztendlich die beiden Damen im Hause Veljanov für die Zusage ausschlaggebend. Sie haben Alexander offensichtlich „positiv motiviert“ weil sie das neue Kammer-Material recht ansprechend fanden… (zwinkert). Daher rührt auch die Aktion mit den Blumensträußen beim Tourfinale in Berlin. Ich wollte damit unsere Dankbarkeit ausdrücken...
BODYSTYLER: Welche Erfahrungen/Erlebnisse nehmt Ihr von dieser Tour mit?
MARCUS "MAX" TESTORY: Hoffnung, Freude, Freundlichkeit und Respekt. Die gesamte Produktion ist wunderbar zusammengewachsen und wir haben großartigen Zusammenhalt erlebt. Alexander hat sich sehr für uns eingesetzt und das Publikum hat uns sehr herzlich aufgenommen. Alles in Allem führt das zur wesentlichen Erfahrung bzw. dem wesentlichen Gefühl: Dankbarkeit.
BODYSTYLER: Was angesichts Eurer Setlist des Konzertes in Berlin auffällt ist, dass sie hauptsächlich aus Stücken des aktuellen Albums besteht bzw. nur zwei ältere Songs dabei waren. Wie ist diese funktionierende und tolle, aber doch ungewöhnliche Idee entstanden?
MATTHIAS "MATZE" AMBRÉ: Wir haben die Gelegenheit genutzt, um in den 50 Minuten Spielzeit vor allem den neuen Kammersound zu präsentieren. Das bedeutet aber nicht, dass wir die vielen großartigen Songs aus der Vergangenheit in Zukunft nicht mehr spielen werden.
BODYSTYLER: Über die Jahre definiert Ihr den Begriff "Kammer-Musik" immer wieder ein wenig neu. So kommt nie Langeweile im Stübchen auf und auch für dementsprechende Wortspielchen scheint Ihr offen zu sein. Wie wichtig ist Euch Abwechslung und Humor?
MARCUS "MAX" TESTORY: Ohne Humor wären wir vermutlich schon verrückt geworden und würden den Alltag nicht ertragen. Er spielt sicherlich auch in unserem Schaffen eine Rolle. Allerdings tritt er bei uns nicht so sehr als Klamauk, sondern eher als Sarkasmus auf. Wir spielen lieber subtilere Töne an, was das betrifft. Unser Humor ist natürlich wie unsere Musik: tief schwarz!
BODYSTYLER: Guter Punkt. Wenn man Eure Musik über die Jahre verfolgt und die jeweiligen Cover-Artworks hinzuzieht, kann man sagen, dass der Gesamteindruck generell immer düsterer wird. Besonders hell war es ja noch nie, aber wie erklärt Ihr diese Veränderung im Farbspektrum?
MATTHIAS "MATZE" AMBRÉ: Das ist so ein bisschen wie bei Harry Potter, oder? (lacht) Ich glaube, dass es die Zeit und viele private Ereignisse waren, die dem Album den schwermütigen Anstrich verpasst haben.
MARCUS "MAX" TESTORY: Vermutlich ist unser Schaffen auch nur ein Spiegel der Realität....
BODYSTYLER: Benni Cellini (Letzte Instanz) unterstützt Euch immer wieder live, aber meines Wissens (noch) nicht im Studio. Wo liegen die Ursprünge dieser Zusammenarbeit / Freundschaft und wäre auch eine Kooperation im Rahmen einer Albumproduktion denkbar?
MATTHIAS "MATZE" AMBRÉ: Definitiv! Benni ist quasi von Anfang an immer wieder dabei. Wir haben auf der zurückliegenden Tour festgestellt, dass sein Stil und seine Art das Cello zu spielen sehr gut mit dem neuen Kammersound harmoniert.
BODYSTYLER: Lange Zeit war die Tuba fester Bestandteil Eurer Musik. Seit "Season IV: Some things wrong" ist sie jedoch nicht mehr vertreten. Warum hat es nicht mehr gepasst?
MATTHIAS "MATZE" AMBRÉ: Wir hatten uns nach der langen Coronapause grundsätzlich die Frage gestellt, ob und wenn ja, wir mit der Kammer weitermachen können und wollen. Wir empfanden die bisherige Besetzung von acht Personen aber, trotz all ihrer Vielseitigkeit und Musikalität, zunehmend als einengend und unflexibel. Auch konnten wir wegen des hohen Aufwands immer weniger Projekte, Studioaufnahmen und Konzerte realisieren. Die Veränderungen waren wirklich nicht leicht, aber zurückblickend aufs nun ausklingende Jahr 2024 doch richtig und wichtig. Ich bin mir aber sicher, dass eines Tages auch wieder mal eine Tuba in einem Kammersong zu hören sein wird.
BODYSTYLER: Seit "Season III: Solace in Insanity" unterstützt Euch Sabine Bohlmann mit ihren gesprochenen Texten, die stets für Gänsehaut sorgen. Wie ist dieser tolle Kontakt zustande gekommen?
MATTHIAS "MATZE" AMBRÉ: Tatsächlich erst mal ganz klassisch per Internetrecherche. Es gibt ja einige Portale, auf denen man sich professionelle Stimmen suchen und anhören kann. Wir waren auf der Suche nach einer Stimme für "Sophie", die ja schon auf den früheren Alben eine Rolle spielte. Ohne zu wissen, dass Sabine vor allem als Sprecherin für Lisa Simpson bekannt ist, gab es dort als Sprachbeispiel ein Gedicht, was sie mit ernster, aber jugendlicher Stimme vorgetragen hat. Das war der Grund, sie zu kontaktieren. Daraus ist tatsächlich ein steter Kontakt entstanden. Sie besucht immer mal wieder unsere Konzerte, wenn wir in München gastieren. Und ich hatte zum Beispiel letztes Jahr für eines ihrer neuen Bücher die Musik zum Trailer komponiert. Sie ist eine großartige, vielseitige Künstlerin.
BODYSTYLER: Wie kam es eigentlich in grauer Vorzeit zur Verwendung der Begrifflichkeit der "Seasons" im Kammer-Kosmos? Warum habt Ihr Euch dafür entschieden, diesen "Staffel"-Begriff zu verwenden und damit das optische Element noch mehr in den Vordergrund zu rücken? Oder spielte eventuell auch die Übersetzungsmöglichkeit der "Jahreszeit" eine Rolle? Obwohl, dann wärt ihr ja jetzt im Karneval angekommen… (zwinkert)
MARCUS "MAX" TESTORY: Tatsächlich beziehen wir uns hier auf „Schaffensphasen“, angelehnt an die Bezeichnungen der verschiedenen Staffeln von (TV-) Serien. Eine Season kann mitunter auch einige Jahre andauern oder auch schon nach ein paar Monaten enden, je nach unserer persönlichen und künstlerischen Weiterentwicklung. Die Bezeichnung steckt also den zeitlichen Rahmen ab, in dem etwas mit Bezug darauf passiert...
BODYSTYLER: In den letzten Monaten habt Ihr Videos von "I am leaving now" und "Bedroom wars" unter dem Titel "Seance" veröffentlicht. Sie zeigen nur die beiden Hauptprotagonisten mit ihren Akustikgitarren, was somit auch ans "Minimized"-Konzept anschließt. Was steckt hinter dieser Idee und warum "Seance"?
MATTHIAS "MATZE" AMBRÉ: Es wird in Zukunft noch viele weitere solcher "Sitzungen" geben. Auch mit musikalischen Gästen. Wenn wir es technisch hinbekommen, vielleicht sogar auch mal als Livestream. Es ist ein Format, in dem wir versuchen, eher ein zerbrechlicheres, "live-iges" Gefühl zu transportieren. Irgendwie ist es uns ein Bedürfnis, in Zeiten von AI und technisch erzeugter Glattheit, die Schönheiten von Imperfektion und Spontanität zu erhalten.
MARCUS "MAX" TESTORY: Seance ist so schön besetzt, man denkt sofort an die Geister, die gerufen werden. Wir rufen die Geister, die in den Stücken stecken. So spontan wie möglich, pur, ohne Schnörksel. Einfach hinsetzen und spielen. Das „Set-Up“ dafür steht in unserem Proberaum bereit. Jetzt ist die richtige Jahreszeit dafür...
BODYSTYLER: "Ignoring my safeword" ist nicht nur ein faszinierender Titel, sondern eröffnet auch eine lyrische Tiefe, die mehrere Deutungen zulässt. Man kennt das "Safeword" aus dem BDSM-Bereich und selbst Außenstehende werden wissen, dass Begriffe wie "Harder" oder "More" relativ ungeeignet für ein solches Signalwort sind. In eurem Song geht es meines Erachtens jedoch weniger um die härteren Sexualpraktiken als vielmehr um eine toxische Beziehung und psychische Verletzungen/Schmerzen, oder? Was könnt Ihr zu diesem Text erzählen?
MATTHIAS "MATZE" AMBRÉ: Ja, der Song bedient sich des Themas als Metapher. Es geht um Limits und wie sie in hochemotionalen Situationen immer schwerer erkennbar werden. Eben keine klar gezogenen, schwarzweißen Grenzen, sondern verschwommen in Graustufen.
BODYSTYLER: "Melancholy milkshake" – wie kommt man bitte auf diese grandiose Beschreibung eines Geisteszustandes?
MATTHIAS "MATZE" AMBRÉ: Indem man sehr lange in einem solchen Geisteszustand feststeckt.
BODYSTYLER: "The black veil of eternity" scheint einer der Schlüsselsongs auf dem Album zu sein und die Textzeilen "Follow me down / All your sins will be undone" werden in Eurem aktuellen Merch-Angebot auch prominent verwendet. Wer ist dieser Verführer und wie genau wird die Kammer(adschaftliche) Absolution erteilt?
MARCUS "MAX" TESTORY: Es ist natürlich der ewige Verführer, Gevatter Tod, der uns auf seine Seite des schwarzen Schleiers locken möchte. Ich sehe es so: Wir begegnen ihn in unserem Leben immer wieder auf die eine oder andere Weise, manchmal will er uns zum Aufgeben verführen, alles hinter uns zu lassen und weiter zu ziehen... Manchmal springen wir ihm nur knapp von der Schippe. Egal, was wir tun, irgendwann gewinnt er und wir werden uns ihm ergeben. Die Absolution erhält der brave Bußgänger durch eindringliches Hören der Kammer.... (zwinkert)
BODYSTYLER: Gibt es bereits Pläne für ein nächstes Album oder gar erste Aufnahmen? Mit welchen Veröffentlichungen darf man in nächster Zeit rechnen?
MATTHIAS "MATZE" AMBRÉ: Wir werden die Wintertage nutzen, um Inspiration zu finden, neue Ideen zu entwickeln und neue Songs zu schreiben. Wann und in welcher Form diese erscheinen werden, ist allerdings noch nicht geplant. Bis dahin empfehle ich natürlich "Season 5" - ein Album, das es wirklich verdient hat, öfters gehört zu werden.
BODYSTYLER: Ihr habt gerade das nächste "Kammerfeuer" für 2025 angekündigt. Wollt Ihr an dieser Stelle noch ein wenig für diese tolle Art der Veranstaltung werben?
MARCUS "MAX" TESTORY: Das Kammerfeuer geht 2025 in seine nunmehr neunte Auflage. Es ist unser jährliches Treffen mit Freunden und Fans der Kammer zum gemeinsamen Grillen, Schmausen, Genießen, Trinken, Musizieren, einfach zum gemeinsam „das Leben feiern“. Dieses Jahr besuchen uns der geschätzte Herr Christian von Aster, um aus seinen Werken zu lesen und Benni Cellini wird sein Soloprogramm präsentieren. Natürlich gibt es danach auch wieder Kammermusik zu hören, Altes, Neues und auch Unveröffentlichtes
BODYSTYLER: Gibt es ansonsten schon Ideen für kommende Möglichkeiten, um Euch live zu erleben?
MARCUS "MAX" TESTORY: Noch nichts Offizielles, wir arbeiten aber daran!
BODYSTYLER: Vielen Dank für die spannenden Antworten und ich bin auf die nächsten Neuigkeiten aus der Kammer gespannt.
DIE KAMMER: Vielen Dank für Dein Interesse und Deine Unterstützung!