Human Decay

Menschlicher Verfall in höchster Perfektion

07.03.2012 - Vor mehr als sieben Jahren erschien das letzte reguläre Album von Human Decay und vor fünf Jahren noch eine Online-Kopplung mit neuen Songs und Remixen. Nun wird die danach eingetretene Stille mit dem fantastischen neuen Werk "Credit to humanity" glanz- und klangvoll beendet. Das haut sogar die stärkste Electro-Fliege um! Von: Torsten Pape

Image Geschminkte Avatare: Human Decay (Foto: Michael Tonn)

BODYSTYLER: Lange ist es her, dass wir das letzte Mal ein Interview geführt haben. Demzufolge habe ich mich riesig gefreut, als ich Euer neues Werk bekommen habe. Da es zudem auch noch grandios famos geworden ist und irgendwie immer noch wächst, ist es mir eine große Ehre, Euch mal wieder ein paar Fragen zukommen zu lassen.
HD: Die Freude ist ganz auf unserer Seite!

BODYSTYLER: Nachdem nun wirklich alles HD-ready oder gar full-HD ist, musstet Ihr doch einfach zurückkommen, oder?
MAIKKO: Da auf so manchen Geräten unsere Initialen prangen, war es nur folgerichtig, dass mal wieder Musik von uns veröffentlicht werden müsste (diese Infiltration der Industrie war schon eine echte Herausforderung).

BODYSTYLER: Da ich nichts von einem Besetzungswechsel gehört oder gelesen habe, gehe ich mal davon aus, dass Ihr Euch jetzt einfach mal mit anderen Namen präsentiert. Warum waren Andre, Danny und Sascha nicht mehr zeitgemäß?
MAIKKO: Als wir damals in der Versenkung verschwunden sind, haben wir irgendwann beschlossen, anstatt uns selbst, unsere Avatare in die wirkliche Welt zurückzuschicken. Die müssen dann auch schön zu den Fototerminen gehen und sich davor auch die Fratzen anmalen lassen.

BODYSTYLER: Zunächst einmal Gratulation zum gelungenen Einstieg ins Album. So stelle ich mir einen gekonnten, elektronischen Paukenschlag vor. War es Euch wichtig, mit dem ersten Song ganz bewusst gleich durchzustarten (so ganz ohne Intro...)?
MAIKKO: Von meiner Seite aus, ein definitives 'Ja'. Es war seinerzeit etwas schwierig, dies durchzusetzen. Ich habe alle meine Überredungskünste angewandt, geknebelt und unter Androhung von Gewalt haben die Kollegen dann die Tracklist unterzeichnet.

"Hatten wir damals alle Tasten an allen Keyboards gleichzeitig gedrückt (...), betätigen wir heute als erstes nur eine Taste!"

BODYSTYLER: Vor ungefähr neun Jahren habt ihr einmal gesagt, dass bei Eurer Band nicht die Suche nach einem eigenen Stil im Vordergrund steht, sondern der stetige Versuch, neue innovative Sounds zu kreieren und Grenzbereiche der elektronischen Musik zu testen. Hat sich an dieser Einstellung mittlerweile etwas geändert?
GORDON: Ähmm…, nein! Die Instrumente sind für mich noch lange nicht durchgespielt. Je länger ich die Dinger kenne, umso mehr muss ich feststellen, dass die Möglichkeiten der Umsetzung immer vielseitiger werden. Die Reise ist noch nicht zu Ende.

BODYSTYLER: Ihr macht gleich unmissverständlich klar, dass auch Gitarrenklänge in Eurem Soundkosmos willkommen sind und Verwendung finden. Wann und wie habt Ihr Euch diesen Klängen erstmals zugewendet?
GORDON: Maikko hatte als Jungspund für eine Woche Gitarrenunterricht, seitdem kann er gut damit umgehen. Die Gitarre aber verschwand auf dem Dachboden und blieb dort für immer! In einer lustigen Runde erzählte er mir, dass er seitdem „Butterfly“ nicht mehr hören könne, was auch immer das für ein Lied sein soll… Um ihn zu ärgern, hab ich es dann mit Krautrockelementen in unseren Demos versucht, leider ging mir das Kraut schon eher auf den Keks, als ihm und die Idee des Spielens mit Gitarren war geboren.
MAIKKO: Danyel Gérard hatte das verbrochen

BODYSTYLER: Ich hab ja nicht schlecht gestaunt, als Ihr bei "Dolls" die fetten Big-/Break-Beats auffahrt. Wann habt Ihr denn diese Fortbildung erfolgreich abgeschlossen?
GORDON: Wir sind vor einiger Zeit mit dem gesamten Studioinhalt in die Stadt umgezogen. Im neuen Studiogelände versteckte sich irgendwo ein Drummer und spielte nachts heimlich seine eigenen Ideen über den Standard-Rhythmus ein. Das Material klang in dem Studio so anders für uns, wir konnten aber den Grund dafür nicht finden, uns war nur aufgefallen, dass der Vorrat an Studioverpflegung stetig abnahm. Die nette Oma vom Nachbarn wies uns darauf hin, dass immer Freitag Nacht Licht brennt und Samstag der Müllkübel nach frischem Essen riecht. Für uns lag es auf der Hand: Das kann nur der Drummer sein. Um ihn nicht zu verscheuchen, sehen wir seitdem zu, dass der Vorratskeller gut gefüllt ist und die Schälchen mit den Knabbereien griffbereit stehen. Wir können uns von unserem heimlichen Untermieter nunmehr nur schwer trennen.

BODYSTYLER: Nach dem Beat-Gewitter kommt jedoch sofort der Gang ins Chill-Out-Areal mit sanften Piano- und Streicher- und Harfen(??)-Klängen. Brauchtet Ihr nach diesem Gefühlsausbruch erstmal ne Anti-Aggressionstherapie und denkt, dass es der Hörer auch braucht?
GORDON: Gegensätze ziehen sich bekanntlich an. Auch wenn sich diese zwei Stücke überhaupt nicht miteinander vertragen, wirken beide zusammen sehr zerbrechlich. Aussagekräftig, aggressiv das eine und der Gegenpart dazu, in vorstellbaren Bildern und echten Tönen. Das ruhige Stück danach beschreibt genau die andere Seite. Das Thema ist dann doch zu ernst.

BODYSTYLER: Ich möchte noch einmal auf unser damaliges Gespräch zurückkommen: Ihr hattet mir erzählt, dass Eure Tracks zunächst immer sehr überladen sind und mit der Zeit dann immer mehr reduziert/gekürzt werden. Angesichts der noch vielschichtigeren Songs kann ich mir das heutzutage kaum noch vorstellen. Ist ein Demo von Euch für den Laien noch im Detail wahrnehmbar?
GORDON: Diese Arbeitsweise haben wir mit der Zeit schon sehr stark abgeändert. Hatten wir damals alle Tasten an allen Keyboards gleichzeitig gedrückt und alle Samples aller Sampler gleichzeitig gestartet, um nach und nach einen Song herauszuschälen, betätigen wir heute als erstes nur eine Taste und packen nach und nach neues Material hinzu, was am Ende auch zu einer gewissen Überladung führt, aber leichter in Ordnung zu halten ist. Ein Vorabdemo hat aber genauso wenig mit dem fertigen Song zu tun wie früher. Wir könnten mal ein Quiz starten, in dem man die Demos den fertigen Sachen zuweisen muss. Wer das fehlerfrei schafft, dem wird das Prädikat „Laie“ entzogen.

BODYSTYLER: Bis jetzt gab es immer auch spektakuläre bis gelungene Remixe Eurer Tracks. Ist da bereits wieder etwas in Planung?
GORDON: Die Remixplanungspipeline ist momentan leer, aber du bringst mich da auf eine Idee. Ich werde jetzt nichts verraten, da ich es erst mit allen Beteiligten besprechen muss. Ein regelmäßiger Blick für Interessierte auf die HD-Seite oder auf die bekannten sozialen Netzwerke wäre hier von Vorteil.

BODYSTYLER: Wenn es noch so etwas wie Gerechtigkeit in der Electro-Szene gibt, dann müssten wenigstens "Alienate" und "c.f.d.t." zum Hit avancieren. Erzählt doch bitte etwas zu diesen Songs! Wäre für sie eine Single-Ehrung denkbar?
MAIKKO: Nun, letztendlich wird es wahrscheinlich an den Hörern/Tänzern liegen, inwieweit sich dann Torben (Schmidt, Labelboss; Anm. d.Red.) für sowas wie eine Single entscheidet. Das wäre auch sicher der beste Platz für ausgewählte Remixe von uns selbst und von Musikern, die das sicher noch besser können - jedenfalls das mit der Tanzbarkeit ;-)

BODYSTYLER: Bei "Black sheep", das auf seine Weise auch ohne Gesang perfekt ist, ist mir aufgefallen, dass so ein Lied durchaus gut mit einer Frauenstimme funktionieren könnte. Wäre auch so eine Variante mal wieder möglich?
MAIKKO: Ja, gerne! Bewerbungen mit Bild bitte direkt an uns weiterleiten (nur nicht diese biometrischen)! Bisher haben wir leider noch nicht die passende Stimme gefunden. Das könnte man mal als Aufruf hier so stehen lassen.

"Maikko hatte als Jungspund für eine Woche Gitarrenunterricht, seitdem kann er gut damit umgehen!"

BODYSTYLER: Nach all den eher "technischen" Coverartworks sticht das aktuelle durch sein biologisches Thema deutlich hervor. Es ist zwar auch nicht gerade die Verkörperung der Lebendigkeit, aber zumindest gab es hier anscheinend mal etwas Lebendiges. Wie ist das Bild auf das Album gekommen?
GORDON: Alles in der vom Geld regierten Welt wird des Profites wegen als positiv verkauft, um über Leichen gehen zu können, die dann niemand sieht oder sehen will. Das war so der Grundgedanke bei der Sache und wurde dann so, wie zu sehen, umgesetzt. Das gute Gefühl der eingeimpften Dankbarkeit gegenüber der Kollateralschäden, die dabei entstehen. Ich halte das Cover für sehr aussagekräftig. Aber, das ist nur sinnloses Geschwafel, die richtige Geschichte dazu geht nämlich so: Zu Zeiten des tapferen Schneiderleins waren solche Cover fast unmöglich herzustellen. Er hatte zwar Sieben auf einmal erwischt, das aber nur ein einziges Mal. Die Wahrscheinlichkeit, dies mit Fünfen mehrmals zu tun, halte ich für sehr gering. Wir haben hier etwas getrickst, denn im Studio sind noch alte Doppelfenster verbaut. Jeder kann sich jetzt leicht denken, dass man hier nur einsammeln braucht. Die quadratischen Papierstücke vergilbten mit der Zeit von alleine. In Handarbeit wurde dann folgendermaßen vorgegangen: ein Stück Papier, darauf fünf Fliegen, wieder ein Stück Papier und wieder fünf Fliegen und so weiter. Die nette Oma vom Nachbarn schließlich half uns beim Pressen, wir haben die Papierstücke unter ihrem Fernsehsessel aufgeteilt.

BODYSTYLER: Wie handhabt Ihr das im Privaten so mit den Insekten? Wer wird tot gemacht und wer kriegt das Ticket in die Freiheit?
GORDON: Wenn du jetzt nicht nach „privat“ gefragt hättest, würde ich dir sagen, der, der bezahlt, darf fliegen. Aber übrig bleibt ja irgendwie doch nur ein Haufen Fliegendreck. Ob er dabei größer oder kleiner wirkt, liegt im Auge des Betrachters. Und selbst der Haufen wird vergehen.

BODYSTYLER: Gab es eigentlich auf einem Electro-Album schon einmal Flötenklänge?
GORDON: Soweit ich meine Sammlung kenne, hab ich auf einem reinen Electro Album noch keine Flötentöne gehört. Falls welche drin sein sollten, dann wurden diese bis zur Unkenntlichkeit verwurschtelt. Es könnte doch sein, dass der Rudy seine verzerrten Leads einflötet.

BODYSTYLER: Maikko ist ja ebenfalls unter dem Namen mind.area musikalisch aktiv. Was gibt es denn diesbezüglich Neues zu berichten?
MAIKKO: Eigentlich ist da schon alles in Sack und Tüten für das neue Album. Einzig der Termin ist noch nicht ganz klar. Ich muss noch an so manchen Kleinigkeiten schrauben. Dieses Jahr wird's aber werden. Diesmal sind allerhand Gastsänger mit von der Partie. Es wird also eine (dunkel)bunte Mischung. Die Frauenquote würde ich aber dennoch gerne noch etwas erhöhen, deshalb: Interessentinnen bitte mich direkt kontakten über die HP oder FB!