Straftanz

Proletarisierung des Reichtums

09.03.2012 - "Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm... deutsche Panzer rollen wieder... Fallobst für das neue Reich" - Seit dem 16.09.2011 macht das Quartett Stadt und Land mit seinem nunmehr dritten Album tanzwahnsinnig. Mainstream! Sellout! Underground! Was sich hinter mancher Idee versteckt hält, verrieten uns die Maskierten. Lest selbst! Von: Manuela Seiler

Image Bei(m) Straftanz kann schon mal was durcheinanderkommen... (Foto: Promo)

BODYSTYLER: Ist es eine Ehre oder eine Schande, dass der BODYSTYLER in eurem Jingle nicht erwähnt wird?
STRAFTANZ: Ihr müsst selber wissen, ob Ihr euch eingereiht sehen wollt bei den Wiederkäuern des postromantischen Kernschrotts, wo man stolz die Fahne schwenkt, wenn die Ranger-Boots jetzt noch veganer werden oder ob ihr, wie wir, Kunstleder am liebsten mit holländischer Butter poliert, um in einer ganz neuen vegetarischen Nische zu stehen. Metaphorisch gesehen. Du weißt schon.

BODYSTYLER: Ihr wollt eigentlich nicht nach hinten schauen, und dennoch hört sich "die neue F-Klasse" wie die alte NDW an - doch ein bißchen nostalgisch?
STRAFTANZ: Spannend, das sollte nicht nostalgisch sein. Eigentlich hat das auch noch niemand behauptet, ich würde das Stück sogar für eines der moderneren auf dem Album halten. Woran liegt das? Vielleicht ist es zu deutsch, es kommen sogar Panzer darin vor. Vielleicht ist es auch neu und die Welle, die denkt man sich dann. Nein, eigentlich weiß ich nicht, wovon Du sprichst.

"Während die Experten noch im Gerichtssaal versuchen zu erörtern,
warum das Pferd gestorben ist, sind wir schon mal Afterparty gegangen und haben den Schnaps geklaut!"


BODYSTYLER: Euer Cover ist vielfach interpretierbar. Würdet ihr es auch so sehen, dass ihr der Zahn seid, der eigentlich gezogen werden müsste, weil er vor sich hinfault bzw. mürbe ist, aber clam das große Ganze unterminiert? Ihr haltet ja nichts von Hierarchie und Macht, also seid ihr der Zahn, der zuletzt noch lacht und die Macht in der Wurzel hat, während der Rest kaputt geht? Kampf des Proletariats?
STRAFTANZ: Natürlich ist das ein Goldzahn. Der ist nicht mürbe, sondern er spielt sich an einer unangemessenen Stelle fürchterlich auf. Die Proletarisierung des Reichtums, das zeigen, was man nicht hat. Der Glanzpunkt, der schreit, dass man noch immer fressen kann, auch wenn das in der pappig weichen Fastfood-Textur, in die man sich versenkt, weder eine Fähigkeit noch ein Genuss ist. Wir brauchen mehr Gold und weniger weiche Brötchen. Wir brauchen Dichte, Gewicht und Glanz. Metaphorisch gesehen, natürlich. Du weißt schon.

BODYSTYLER: Was muss man eigentlich tun, um zum Straftanz verurteilt zu werden?
STRAFTANZ: Wenn man versucht, den Status quo um seiner selbst willen zu erhalten. Wenn man jahrelang jede Bewegung ablehnt und sich dann fragt, warum keine spannenden Menschen mehr auf dem Tanzboden zu sehen sind. Wenn man sagt, dass die Dinge eben so sind, wie sie sind. Wenn man dem Alten hinterher trauert, weil selbst das Schlechte früher im überlegenen Superlativ vorlag. Aber wir verurteilen nicht. Während die Experten noch im Gerichtssaal versuchen zu erörtern, warum das Pferd gestorben ist, sind wir schon mal Afterparty gegangen und haben den Schnaps geklaut.

BODYSTYLER: Seid ihr die Rufer in der Wüste? Euer Statement zum angeblich rechtsanbändelnden WGT 2006 scheint ja nicht besonders großen Nachhall gefunden zu haben! Was ist passiert?
STRAFTANZ: Offensichtlich ja. Aber das macht nichts. Wenn man eine Position hat, ist man nicht darauf angewiesen, dass andere diese teilen. Es ist zu vermuten, dass seitens der Festspielgesellschaft Mitteldeutschlands ein Draht zum rechten Rand besteht, wenn der nicht dementiert wird. Im Kern der Sache ist das kalter Kaffee. Es interessiert niemanden. Und wir haben besseres zu tun, als den falschen Leuten das Richtige zu erzählen, wenn in Sheffield oder in Paris längst die Party angefangen hat. Wir machen elektronische Tanzmusik. Wo wir hingehen, müssen wir nicht jeden grenzdebilen Röhm-Putsch-Romantiker und Fackelträger mitnehmen. Echt jetzt.

BODYSTYLER: Wenn ihr eure Songs im Club testet, wer darf vor und nach euch aufgelegt werden?
STRAFTANZ: Solange der DJ sowas wie Beatmatching beherrscht oder eine Software dafür bedienen kann und wenn ihm die Seele beim Betrauern oder Anklagen von irgendwas im 4--Beat noch nicht verhungert und verdurstet ist, ist uns das erstaunlich egal. Das hängt außerdem viel davon ab, welche Nummer der gerade spielt.

"Nach vorne sehen. Das machen, was wir tun: Weiter gehen, bis du nicht mehr kannst!"

BODYSTYLER: Seid ihr die Sex-Pistols des EBM?
STRAFTANZ: Nein. Wir nehmen dafür eindeutig nicht genug harte Drogen und mögen unser Publikum zu sehr. Ein Sid Vicious, der mit der Außenkante seines E‐Basses mechanisches Diktat an den Köpfen in erster Reihe vollführt, ist für uns nicht vermittelbar. Jede Form revolutionärer Bewegung rollt den reaktionären Tetraeder von unten auf. Unten ist für uns der Tanzboden und da sind wir zu Hause.

BODYSTYLER: Was könnte man in einer Straftanz-Schule lernen? Wer käme als Straftanz-Lehrer infrage?
STRAFTANZ: Du stehst nicht vorne, weil du talentiert bist, gut aussiehst, Geld hast oder unfassbar schlau bist, sondern weil du nach vorne gegangen bist. Wir gehen nicht gerne alleine, weil wir es nicht gerne einsam haben, wenn wir am Paradies vorbei kommen. In der Straftanz-Schule lernst Du, dass man manchmal an spannende Orte kommt, ohne was darauf zu geben, wohin du gehst. Wir sehen überall Wege, auch da, wo keine sind. Deshalb räumen wir aus dem Weg. Die Straftanz-Schule braucht keinen Lehrer. Da steht nur ein Schild. Da steht drauf: Weiter gehen!

BODYSTYLER: Welche Tipps würdet ihr uns auf dem Weg geben, bevor wir aussterben? Sterben wir mit Straftanz besser aus?
STRAFTANZ: Sterben einstellen! Nach vorne sehen! Das machen, was wir tun: Weiter gehen, bis du nicht mehr kannst! Lass die anderen zum Aussterben zurück! Es ist nicht der Mühe wert.

BODYSTYLER: Vielen Dank für das interessante und aufschlussreiche Interview!