Cyril Schicker

Kompetent, kultiviert und arbeitslos

13.03.2012 - Es ist nicht wirklich alles Schoki, aber halt auch nicht alles Käse. Dachte man bisher über die Schweiz - und so hätte es bleiben können. Dumm nur, wenn da die meistgelesene Tageszeitung die Jagd auf Emos, Hipster und Gothics im Irak anprangert, und zeitgleich der Journalist Cyril Schicker seinen Job verliert. Weil er ein Kollege von uns ist und seine Freizeit einem subkulturellem Webzine opfert! Von: Dr. Mark Benecke // Ivo Klassmann

Image Er wollte Haustiere ertränken, fressen und runterspucken. Oder so... (Foto: Promo)

Okay, Unabhängigkeit ist eine Todsünde und das Leben im verwildernden Medien-Dschungel knallhart. Für uns, die wir nonchalant mehrere hundert Anschläge pro Tag auf Tastaturen verüben, und deren Recherchezeit noch weit über eine Zigarettenlänge hinausgeht. Doch wir sind noch immer sachlich, poetisch und keinesfalls fanatisch. Was zur Hölle hat dennoch den Chef der Schweizer Tochtergesellschaft eines Medienkonzerns, dem man hierzulande nicht nur die Herausgabe des "Metal Hammer" vorwirft, dazu bewogen, seine International Social Policy zu verdrängen und zum Cyberstalker zu werden? Ist man dort tatsächlich so sehr hinterm Berg, ist Zürich etwa der allerletzte Ort auf Erden, wo Gothic noch nicht im Mainstream ankam, wo ein Zine noch in kleiner Auflage per Siebdruck erstellt wird? Unser Experte für bizarre Phänomene, Dr. Mark Benecke, hat mal direkt nachgefragt...

"Zum Verhängnis wurde mir eine Freelance-Tätigkeit: Kulturjournalist beim Webzine www.artnoir.ch"

BODYSTYLER: Lieber Cyril, du bist schräg, du bist schwarz, aber du bist kein Trauerkloß, der blutrote Tränen weint und im Sarg schläft - nix dagegen, aber tust du nicht. Bei deinem neuen Job ist dir trotzdem was Komisches passiert. Erzähl doch mal...

CYRIL: Ein globaler und börsenkotierter Medienkonzern streckte seine Fühler nach neuen, virtuosen "Federhuren" aus. Da ich mich seit Jahren im Medienmüll suhle und der Konzern mich schon früher als Chefredaktor angeln wollte, kam er direkt auf mich zu. Mit Erfolg. Von zweitoberster Stelle wurde ich empfohlen und nach einem Kaffeeplausch sowie einem lukullischen Lunchhöhenflug war der Arbeitsvertrag denn auch bereits perfekt. Exklusiv Spesen und Bonus waren mir satte 115.000 Franken p.a. sicher. In erster Linie war ich dem monetären Lockruf gefolgt. In zweiter Linie wollte ich einem drögen und permanent-defizitären Magazin erfrischendes, neues Leben einhauchen.

Einige Tage vor Stellenantritt kriegte ich allerdings einen weinerlichen Anruf meines (eben nicht) zukünftigen Vorgesetzten. Aber eigentlich hätte ich weinen sollen, wurde mir doch vorzeitig und von zuoberst die Stelle gekündigt, ohne dass ich auch nur einmal für sie in die Tasten gegriffen habe. Ohne genau - zuerst noch - auf die Gründe einzugehen, wurde mir eine Entschädigung in der Höhe eines Monatslohns in Aussicht gestellt. Diesen Geldsegen täte ich aber nur kriegen, wenn ich eine Einwilligung / eine Vereinbarung (im gegenseitigen Einvernehmen) unterzeichne. Täte ich das nicht, könne ich am ersten Tag ins Büro laufen, die Kündigung abholen und dürfe nicht einmal absitzen.

Zum Glück (was heißt hier schon Glück?) verhielt sich der Konzern ähnlich wie der Frosch aus der Fabel des Phädrus. Dieser blaste sich ja auch nur auf, um so groß wie der Ochse zu werden - und explodierte. Der Konzern explodierte zwar nicht, doch immerhin kriege ich nun die Entschädigung mitsamt der Kündigung, ohne dass ich mich da in die Nesseln setzen muss. Das heißt, ich sollte sie kriegen. Bislang ist der Geldfluss kleiner als der Punkt am Ende dieses Satzes und ein Kündigungsschreiben habe ich ebenfalls noch nicht gekriegt.

"Trotz Empfehlungen, trotz besten Referenzen und trotz Arbeitsvertrag wurde mir gekündigt. Mir wurde bewusst, dass das Ganze einfach stümperhaft und lächerlich ist!"

Nun ja, ich bin da wohl nicht der Einzige und bin schließlich froh, nicht Teil dieses Helter Skelter zu sein. Doch woran ich mich wirklich negativ stoße, ist der Kündigungshauptgrund: Okkultismus. Ich habe weder einen Pferdefuss zur Schau getragen noch mit dem Dreizack den Vertrag unterzeichnet. Zum Verhängnis wurde mir eine von sechs Freelance-Tätigkeit(-en): Kulturjournalist beim Webzine www.artnoir.ch.

BODYSTYLER: Wie sehr hat dich das aufgeregt?

CYRIL: Anfangs wollte ich alle Kinder der Chefetagen entführen, deren Haustiere ertränken und fressen und alles auf sie runterspucken. Oder so. Nein, Spaß beiseite. Der anfängliche Schock wich rasch einmal der Peinlichkeit. Das heißt, mir wurde rasch bewusst, dass das Ganze einfach nur stümperhaft und lächerlich ist. Trotz Empfehlungen, trotz besten Referenzen und trotz Arbeitsvertrag wurde mir gekündigt. Gar noch grotesker ist es, dass damit meinem (eben nicht) Vorgesetzten sowie dem COO/CFO - beide zeichnen für meine (eigentliche) Einstellung verantwortlich - die Rücken geschwächt wurden. Überdies sei ihnen beiden das Messer an den Hals gehalten worden. Ach, ach, ich täte nicht einmal auf den Konzern pinkeln, wenn er brennen würde ...

BODYSTYLER: Und was machst du jetzt?

CYRIL: Was ich nun mache? Ich lasse mir einen Vollbart wachsen, stopfe diesen mit Macadamia-Nüssen voll, besegle das eine und andere Meer, besuche verschiedene Städte und gebe mich unzähligen Konzerten hin. Außerdem mache ich meinen Beruf, das Schreiben, zum Hobby, und steige für ein eigenes (Kunst-)Magazin fest ins Geschirr. Steltzer's heißt es. Steltzer's gibt es in stücklimitierter Auflage - 88 in Zürich, 88 in Berlin. Steltzer's ist verschroben, fördert die Naivität und kommt gewissermaßen einer Katharsis gleich. Daneben bleibt noch genügend Zeit und Muße, um purzelnde Gedankenbäume zu pflanzen. Und wer weiß, welch' bizarre oder gar okkulte Blüten diese treiben?