Ultravox

Schotten, die nicht mit Brillanz geizen

25.05.2012 - Vor mehr als einem Vierteljahrhundert ging die erfolgreichste Ära von Ultravox, nämlich die mit Midge Ure, zu Ende. Das neue Jahrtausend ist zwölf Jahre alt und eine der großen Bands der 80er Jahre meldet sich mit einem tollen Album zurück. Der Bodystyler hatte die Ehre, einen fantastischen Musiker und einen Menschen mit einer ebenso beeindruckenden wie ergreifenden Lebensgeschichte zu treffen. Von: Torsten Pape

Image Man würde uns ohne "Vienna", Dancing...", "The voice", "Lament" oder "Hymn" wohl kaum von der Bühne lassen. (Midge Ure) (Foto: Anna Weber)

BODYSTYLER: Würdest Du bitte zunächst den Moment beschreiben, in dem ihr den Drang verspürtet, der Ultravox-Geschichte ein neues Kapitel hinzuzufügen? Was war der Auslöser dafür, dass ihr jetzt wieder aktiv seid und ein Album herausbringt?
MIDGE URE: Es war zunächst etwas, das überhaupt nicht geplant war. Es wäre uns vor zwei Jahren nie in den Sinn gekommen, jemals wieder etwas zusammen zu machen. Als dann der Gedanke aufkam, ging es auch nur darum, gemeinsam auf Tour zu gehen. Bei den Konzerten wurden wir jedoch des öfteren mit der Frage konfrontiert, ob wir nicht auch neue Songs schreiben und ein Album aufnehmen wollen. Unsere spontane Antwort war jedes Mal: "Natürlich nicht!" Einfach aus dem Grunde, da unsere Art ein Album aufzunehmen damals immer sehr anstrengend, ja sogar schmerzhaft war. Wir sind in diesen Dingen so langsam, standen monatelang mit unserem Equipment in Übungsräumen herum, immer auf der Suche nach der passenden Idee. Keiner von uns hatte darauf Lust, also verwarfen wir diesen Gedanken sehr schnell. Als wir die Hälfte der Tour absolviert hatten, es war sogar hier in Berlin, traten Universal Records an uns heran und wollten unbedingt ein Album von uns. An diesem Punkt dachten wir doch wieder ernsthaft darüber nach und mir kam die Idee, mein Haus in Kanada, nördlich von Montreal, für die Aufnahmen zu benutzen. Es ist groß genug, um dort mit drei Leuten - Warren blieb in Los Angeles - zu wohnen und zu arbeiten. Wir richteten mehrere Laptop-Studios und Aufnahme-Setups ein und begannen, mit den ersten Ideen zu spielen. Schon nach wenigen Tagen merkten wir, dass die Essenz, die Chemie, das Gefühl wieder da waren und der Funke übersprang. Das war erstaunlich, denn all das war vor fast 30 Jahren nicht mehr vorhanden gewesen und der Grund dafür, dass wir getrennte Wege gingen. Wir hatten etwas verloren, es jedoch wieder gefunden. Die ersten Anzeichen dafür gab es bereits auf der Tour, da wir als Band sehr gut harmonierten und schöne Konzerte spielten, was uns ein gewisses Selbstvertrauen verlieh, als wir ins Studio gingen. Während wir das Gefühl hatten, etwas Neues und Tolles zu erschaffen, gingen die Erwartungen von Universal jedoch in eine andere Richtung. Sie wollten eine vollkommen andere Platte als die, die uns vorschwebte. Also trennten wir uns an diesem Punkt und die Band finanzierte den Rest des Albums allein. Wir standen da jedoch schon in Kontakt mit der EMI, die ja eine gemeinsame Geschichte mit uns hat, da wir ja in den 80ern bei Chrysalis waren. Zu der Zeit hatte die Firma jedoch ernsthafte Probleme, weswegen sie uns nicht unter Vertrag nehmen konnte. Also warteten wir, wie in einer guten Partnerschaft, bis sie in einer besseren Position war. In dieser Zeit gingen wir erneut ins Studio und nahmen zwei zusätzliche Stücke - "Satellite" und "Brilliant" - auf, die sonst nicht auf dem Album gewesen wären. Also hatte das Warten auch etwas Gutes.

BODYSTYLER: Darf ich Dich fragen, ob Ihr immer noch versucht, Euch mit dem Ellenbogen die Nase zu kratzen? (Das ist ein Witz, den man in der Autobiographie von Midge Ure nachlesen kann. In den 80ern wurde das über Ultravox gesagt, wenn es um die Aufnahmen von neuen Songs ging und die Band stets den kompliziertesten Weg wählte, nie den einfachen..., Anm. d. Red.)
MIDGE URE: Ah, ich weiß, was Du meinst. (Er fasst sich um den Kopf und versucht, sich an die Nase zu fassen.) Heutzutage mache ich es lieber so. (lacht) Aber, ich glaube schon. Ja, auf metaphorische Weise tun wir das immer noch. Wir denken immer noch über interessante, ungewöhnliche Wege nach, uns dem Songwriting und dem Aufnahmeprozess anzunähern. Welcher normale Mensch würde denn schon daran denken, in einem 3000 Meilen entfernten Haus in Kanada ein Album einzuspielen? Wir haben uns da ja auch vollkommen isoliert und keinen Tontechniker mitgenommen, der wusste, wie all die Technik funktioniert. Wir haben buchstäblich alles alleine gemacht von der Musik bis hin zum Kochen und Abwaschen. Das ist mit Sicherheit nicht der normale, aber definitiv ein aufregender Weg kreativ zu sein.

"Manchmal ist die Tatsache, dass man sich mit seinen Problemen konfrontiert - was auch immer das Problem sein mag - eine sehr furchteinflößende Angelegenheit."

BODYSTYLER: Sich öffnende Wolken, Sonnenstrahlen, man fliegt durch die Lüfte und fühlt sich unbesiegbar. Ist es Euch bewusst, dass Ihr den Menschen die Möglichkeit gebt, diese Empfindungen zu haben, während sie sich Eure Musik mit ihren geradezu magischen Elementen anhören?
MIDGE URE: Ich würde liebend gern glauben, dass wir solche Gefühle auslösen, weil es genau das ist, was ich als Kind durch die Musik erlebt habe. Ich denke da an das "Ziggy Stardust"-Album von David Bowie. Es hat mich damals aus dem dreckigen, alten Glasgow an einen komplett anderen Ort geführt. Es brachte mich zum Lachen, machte mich glücklich und ließ mich träumen. Und wenn jemand nur einen kleinen Teil dessen verspürt durch das, was ich erschaffen habe, dann habe ich wirklich etwas erreicht.

BODYSTYLER: Also, ich habe definitiv beim Hören des Albums diese Dinge gefühlt und habe, ehrlich gesagt, auch in diesem Moment eine Gänsehaut... Nach dem Lesen Deiner Autobiographie habe ich mich übrigens gefragt, ob man im Leben mehr erreichen kann, als Du es getan hast. Hast Du selbst das Gefühl, das Bestmögliche getan und erreicht zu haben? Bist Du ein glücklicher Mensch?
MIDGE URE: Lass mich die letzte Frage zuerst beantworten: Ich bin irrsinnigerweise wirklich glücklich. Ich weiß nicht genau wie, aber ich habe es geschafft, keinen Beruf erlernt zu haben, was auf eine Art großartig ist. Es ist mir möglich, nach dem Aufstehen direkt ins Studio oder an meinen Computer zu gehen, Videos zu schneiden oder zu tun, wonach mir gerade ist und was ich liebe. Das ist das beste Gefühl, das man haben kann und jeder sollte diese Optionen haben. In dieser Hinsicht bin ich wirklich glücklich. Die meisten Leute, wie auch mein Vater, üben ihren Beruf hauptsächlich deshalb aus, damit sie ihre Familien ernähren können. Sie hassen vielleicht sogar das, was sie tun und quälen sich jeden Tag aus dem Bett. Ob ich immer mein Bestes gegeben habe? Ich würde mir wünschen, dass ich zumindest den Standard hoch gehalten habe. Es gibt nämlich einen bedeutenden Unterschied dazwischen, ob man erfolgreich ist oder kommerziell erfolgreich ist. Wenn man Musik schreibt, mit der man selbst zufrieden ist, hat man sein Ziel erreicht. Der Weg zum kommerziellen Erfolg ist ein langer Korridor, gefüllt mit Leuten, die sich wie bei der stillen Post auf die Schulter klopfen, um die Botschaft zu übermitteln. Wenn sich da nur einer nicht so fühlt, in die falsche Richtung agiert oder nicht an seinem Platz ist, hast Du am Ende keinen kommerziellen Erfolg. Ich möchte jedoch die Möglichkeit haben, zu sagen, dass ich keinen DJ-Mega-Mix von meinen Songs haben möchte, auch wenn das ein Weg zum kommerziellen Erfolg ist. Wenn Du solche und andere Werkzeuge verweigerst, musst Du natürlich auch die Konsequenzen tragen. Das tue ich, bin mir in vielerlei Hinsicht treu geblieben und damit zufrieden.

BODYSTYLER: Darf ich denn trotzdem fragen, ob es Extended Versions / Remixe der aktuellen Songs geben wird, da diese Bearbeitungen wiederum ein wichtiger Teil Eurer Bandgeschichte sind?
MIDGE URE: Wenn es nach mir geht, können wir sehr gern, sehr viele solcher Versionen in Auftrag geben. Es gibt so viele interessante Künstler wie z.B. Schiller oder Jam&Spoon, aber diese Welt ist mir immer noch ein wenig fremd. Die Extended Versions haben wir damals ja alle selbst produziert. Man macht einfach alles länger, nimmt Elemente raus und wieder rein. Bei den Dance-Mixen wird ja alles verändert, bis auf den Gesang. Vielleicht sollten wir auch etwas in der Ambient-Richtung ausprobieren, aber darüber haben wir uns noch gar nicht unterhalten. Bei Billie, zum Beispiel, bin ich mir nicht wirklich sicher, ob das sein Ding wäre.

BODYSTYLER: Gerade das könnte doch aber perfekt passen...
MIDGE URE: Definitiv. Bei Ultravox gibt es ja auch schon immer dieses filmische Element und wenn das die richtigen Leute anpacken, könnte das großartig werden. Es hat mich übrigens schon immer gewundert, dass Ultravox nie wegen eines Soundtracks angefragt wurden. Von Tangerine Dream bis Trent Reznor und Sigor Ros haben so viele Künstler Filmmusiken geschrieben, das wäre für uns auch mal interessant. Vielleicht liest das hier ja jemand, der den Stein ins Rollen bringt...

BODYSTYLER: Es gab früher meistens interessante Geschichten zur Aussage und Entstehung Eurer Albumcover. Welche erzählt das neue Artwork und gibt es für Dich Verbindungen zu denen der Vergangenheit?
MIDGE URE: Verbindungen in der Hinsicht, dass wir Grafiken mögen und uns um Artwork und Verpackung immer schon Gedanken machen. Im Internet gab es bereits so viele Diskussionen, da viele Leute es nicht erwarten konnten, endlich das neue Artwork zu sehen. Es gab auch schon Reaktionen, dass es nicht so gut wie das von "Rage of Eden" oder "Quartet" wäre. Das waren jedoch die kreativen Energien von damals und wir wollten natürlich etwas Neues erschaffen. Zusammen mit dem Titel "Brilliant" haben uns viele vorgeworfen Ego-Maniacs zu sein. Wer sich das Artwork jedoch genau anschaut, wird feststellen, dass das eine Frage ist und mit einem Fragezeichen versehen ist. (Er zeigt auf das Cover und zeichnet die Form nach.) Sind wir also wirklich brillant?

BODYSTYLER: Das ist mir gar nicht aufgefallen, aber der Titelsong relativiert einen solchen Eindruck ja ebenfalls...
MIDGE URE: So, here we go... (lacht). Wir fanden die Form dieser gedrehten, verschraubten Karte und wie sie zu einer Art Fragezeichen wird, spannend. Dann gibt es ja noch diesen Effekt, dass das Licht durch den ausgestanzten Albumtitel fällt und das Wort auf der Innenseite noch einmal erscheinen lässt. Sehr einfach, trotzdem interessant und es sticht hervor.

"Ich bin irrsinnigerweise wirklich glücklich."

BODYSTYLER: Lass uns noch über zwei Songs sprechen...
MIDGE URE: Okay.

BODYSTYLER: Zur Zeit ist "Change" mein absoluter Lieblingssong, mit all seiner Weisheit, Größe, aber auch Einsamkeit und der Ankunft am Ende. Wie sind die Worte und die fantastische musikalische Umsetzung entstanden?
MIDGE URE: Viele der Texte auf dem aktuellen Album sind viel persönlicher als die auf den vorherigen Platten. Damals benutzte ich die Worte eher wie einen Energiefluss. Man konnte viel hineininterpretieren, aber es gab im Grunde keine Geschichte dazu. Hör Dir nur "Reap the wild wind" oder "The voice" an, da konnte man jede Zeile wie eine Akkordfolge verstehen. Es mag die Pause sein, meine Erfahrungen mit den Solo-Alben oder das Alter - viele Texte spiegeln mich als Person deutlich mehr wieder. Da Du mein Buch gelesen hast, weißt Du, dass ich einige Höhen und Tiefen im Leben durchgemacht habe. Veränderungen waren deshalb ständiger Teil meiner Entwicklung. Es gab keine religiöse Erweckung. Ich bin nicht mal ein religiöser Mensch. Es geht vielmehr um einen Reifeprozess und darum, sich seinen Dämonen zu stellen. Manchmal muss man sich sagen, dass etwas nicht so weitergehen kann, sich etwas verändern muss. Manchmal ist die Tatsache, dass man sich mit seinen Problemen konfrontiert - was auch immer das Problem sein mag - eine sehr furchteinflößende Angelegenheit. Im Song geht es um die Akzeptanz der Veränderung. Sie wartet auf Dich und Du musst nur bereit sein, Dich auf sie einzulassen. Das können ganz normale Sachen wie eine Heirat oder Nachwuchs bekommen sein oder ein unangenehmer Telefonanruf. Natürlich trifft das auch auf den Moment zu, als ich mit dem Trinken aufgehört habe. Das war ein großer Schritt in meinem Leben, aber ich musste ihn gehen und mich durchkämpfen. Es geht also nicht darum, etwas aufzugeben, sondern vielmehr darum, etwas Neues zu akzeptieren. Ich habe die Songs übrigens oft in einem abgedunkelten Raum eingesungen, weil das die Atmosphäre war, die mir passend erschien. Ich wollte das Gefühl haben, vollkommen allein zu sein und spielte mit verschiedenen Techniken und Ansätzen.

BODYSTYLER: Zum anderen würde ich gern mehr über "Remembering" erfahren. Beim Hören dachte ich unweigerlich an Menschen, die an Demenz oder Alzheimer erkrankt sind. Wäre das ein möglicher Schlüssel zum Inhalt oder ist das zu weit her geholt?
MIDGE URE: Das ist überhaupt nicht weit her geholt. Mein Schwiegervater, der vor sechs Wochen gestorben ist, hatte Alzheimer und meine Mutter war vor ihrem Tod ebenfalls an Demenz erkrankt. Dieses Element, dieses traurige, alptraumhafte Element spielt sehr wohl eine Rolle. Es geht aber auch um grundsätzliche Erinnerungen, wenn man sich hinsetzt und auf sein Leben zurückblickt. Das ist wieder so wie in meinem Buch. Man spricht über die schönen Dinge, die Höhepunkte wie das Touren, den ganzen Spaß und das viele Geld. (lacht) Das ist alles großartig, aber dann wird man auch wieder traurig, weil vieles von dem nicht mehr da ist. Man ist nun einmal nicht mehr jung, nicht mehr 25 und erobert nicht mehr die Welt. Die Erinnerungen sind natürlich auch Teil dessen, wenn man als Band wieder zusammenkommt. Man spricht nun mal über die Vergangenheit, sitzt in einem Hotelzimmer und holt Anekdoten hervor. Das ist so, als wenn man heutzutage wieder in Glasgow ist und durch die Straßen schlendert. Man wurde dort geboren, verbrachte seine Kindheit dort, aber vieles hat sich nun einmal über die Jahre verändert. Man selbst hat sich natürlich auch verändert, aber die Erinnerungen in Deinem Kopf sind immer noch lebendig.

BODYSTYLER: Man vernimmt bereits die ersten (bestätigten) Gerüchte bezüglich einer geplanten Tour. Habt Ihr Euch über die Konzerte bereits Gedanken gemacht? Werdet Ihr zum Beispiel alle neuen Songs spielen oder nur eine Auswahl? Was kann das Publikum erwarten?
MIDGE URE: Ich denke, es wird wohl eine Auswahl sein. Wäre es nicht töricht, das gesamte neue Album zu spielen? Es ist zum einen fast eine Stunde lang und zum andern ist es doch egal, wie gut die Songs sind oder wie wohl wir uns beim Spielen fühlen würden. Die Mehrheit des Publikums möchte wohl kaum alle neuen Songs hören, sondern natürlich auch die ganzen Klassiker. Auf der letzten Tour haben wir immer 18-20 Songs gespielt. Einige davon müssen nun aussortiert werden, aber viele von ihnen müssen wir einfach spielen. Man würde uns ohne "Vienna", Dancing...", "The voice", "Lament" oder "Hymn" wohl kaum von der Bühne lassen.

BODYSTYLER: Ich bin jedenfalls wahnsinnig gespannt auf die Konzerte.
MIDGE URE: Ich danke Dir, und wir spielen auch hundertprozentig hier in Berlin.

BODYSTYLER: Ich danke DIR für das tolle Interview!

Zum Schluss noch als Tipp eine schöne dt. (inoffizielle) Fanseite: http://ultravox.npage.de/index.html