Talvekoidik

Überwinde die Schlucht

23.06.2012 - Symbiosen geht jeder Mensch ein. Unter einer Symbiose versteht man ganz allgemein das Zusammenwirken zweier Systeme zum beiderseitigen Vorteil. Irgendwann hat einer mehr Nutzen als der andere. Dann geht der eine Teil vom anderen oder er verdorrt. Über das nun mittlerweile zweite Album von Talvekoidik spricht Kai Christian Hahnewald alias S.K.E.T. mit uns, vor allem über das Überwinden von Distanzen: Von: Manuela Seiler

Image memento dies (Foto: facebook)

KAI HAHNEWALD: Hallo Manuela! Vielen Dank für die netten Worte und für die Gelegenheit.

BODYSTYLER: Gern geschehen! Kai, was meinst Du, wann haben wir verlernt, auf die Stimme der Natur zu hören („The Tree Knows A Secret“)?

KAI HAHNEWALD: Der Gedanke hinter dem Titel war eigentlich ein anderer. Gewiss macht es Sinn, auf die Natur im Allgemeinen „zu hören“, wenn damit ein Umdenken und eine Reflektion des eigenen Handelns gemeint ist. Es wird ohnehin zu wenig gedacht. Der Mensch fristet ein, gemessen an anderen Lebewesen, relativ kurzes Dasein. Aber den „Schaden“, die „Spuren“ die er dabei hinterlässt, sind enorm. Mir ging es bei dem Titel aber eher um die Vergänglichkeit, um die Bewegung und um das Bewusstsein des Menschen und die Unruhe, die sich daraus ergibt. Der Titel ist metaphorisch gemeint und beschreibt den stillen Beobachter, dessen Dasein länger währt, als das unsere und aus dessen Wesen und Erfahrung wir Wissen und Erkenntnis schöpfen sollten. Damit ist weniger lernen oder gelehrt werden gemeint, sondern Selbstreflektion.

"Ich würde mir wünschen, dass die breite Masse sich bewusst wird, in was für einer Zeit wir gerade leben und dass jeder einzelne die Verantwortung dafür trägt, wie es weitergeht. Im Moment habe ich eher den Eindruck, dass sich niemand dieser Verantwor"

BODYSTYLER:„Curtis Went Away, As Nobody Listened“ wirkte auf mich sehr bedrohlich. Nicht nur der Songtitel an sich, der auch etwas Melancholisch-Hilferufendes an sich hat, sondern auch die Melodik, der Verlauf der Handlung, das Schema. Wann haben wir verlernt, richtig zuzuhören? Nehmen wir überhaupt noch unsere Umwelt richtig wahr?

KAI HAHNEWALD: Das ist ein guter Punkt. Ich denke, dass wir derzeit Bindungen auf einem eher oberflächlichem Niveau eingehen. Der heutige Zivilisationsgrad ermöglicht uns ein umfassend autonomes Dasein. Auch fehlt, denke ich, den meisten die Zeit und die Geduld, die Persönlichkeit und deren Komplexität unserer Mitmenschen zu begreifen und engere Bindungen einzugehen. Das ist meines Erachtens nicht unbedingt gesund, möchte man als Persönlichkeit doch wahrgenommen und verstanden werden. Und ohne engere Bindung im sozialen Umfeld, wird das auch nicht passieren und so wird man immer lauter werden, um das zu kompensieren - wenn man das kann. Das lässt sich sicherlich nicht so verallgemeinern, aber das ist mein Eindruck zur Zeit. Ich denke, wir verschwenden zu viel Zeit mit Nebensächlichkeiten und sollten offener sein für die Gedanken und Gefühle anderer und ihnen mehr Bedeutung beimessen!

BODYSTYLER: Dient der Song als äußere oder auch als innere, als Art Selbstkritik? Würdest Du Dich da mit einbeziehen?

KAI HAHNEWALD: Naja, Kritik eigentlich nicht. Für mich war das eher eine Bilanz. Ich unterscheide mich da nicht sonderlich von anderen. Ich habe festgestellt, dass mir mit der Zeit viele Menschen aus meinem räumlich näheren Umfeld wesentlich ferner sind, auf emotionaler Ebene, als Menschen denen ich mich sehr verbunden fühle, wo die örtlich geprägte Distanz die Beziehung bestimmt. Da bekommen ganz profane Dinge wie Zeit und Kommunikation einen ganz anderen Stellenwert und auch Sehnsüchte und Bedürfnisse verschieben sich und erhalten eine neue Qualität. Man geht anders miteinander um, behutsamer, man achtet mehr auf den anderen und versucht seinerseits deutlicher, offener und weniger oberflächlich zu sein. Auch der Umstand, dass man einfach „abgeschaltet“ werden kann, hat einen starken Einfluss auf die Wertigkeit eines solchen Bezugs. Manche Gedanken dazu erschienen mir zunächst absurd, aber über die Zeit und dank der Musik fanden sich immer mehr Gelegenheiten, mehr oder minder tief, das Ganze zu analysieren. Man lernt sehr viel. Nicht nur über Menschen und andere Kulturen, Sichtweisen, sondern auch viel über sich selbst und auch, dass man sich gar nicht so sehr von Menschen unterscheidet, die am gegenüberliegenden Punkt auf der Erde geboren und sozialisiert wurden. Ich fand das dann so interessant, dass ich mich entschloss, darüber ein Album zu schreiben.

BODYSTYLER: Jeder hat sein eigenes Drama. Niemand achtet auf die persönlichen Tragödien des anderen. Hysterische Gesprächsfetzen, Streitgespräche, Wirrwarr („Sometimes I Wish To Evaporate“). Ist das nicht beängstigend? Jeder ist in der Masse allein. Wie empfandest Du die Situation, die Atmosphäre beim Produzieren?

KAI HAHNEWALD: Ja, die Einsamkeit in der Masse ist so ein persönliches Thema. Mir hat die Arbeit an dem Album geholfen, so ein paar Dinge aus der Vergangenheit zu verarbeiten und abzuschließen. „Sometimes I wish to evaporate“ ist da so ein Punkt. In meiner Kindheit gab es eine Zeit, die sehr von Gewalt geprägt war. Nicht unbedingt gegen mich, aber ich war sehr oft Zeuge und musste mich dem ergeben, weil ich nicht gewusst habe, wie ich dazu beitragen kann, die Situation zu lösen. Ich habe mich damals immer gefragt, warum man solche Ausnahmezustände ertragen muss und sich dem nicht einfach entziehen kann. In meiner kindlichen Naivität hielt ich das Verschwinden, ähnlich dem von Wassertropfen am Fenster nach dem Regen, durchaus für eine erstrebenswerte Lösung. Beim Schreiben an dem Song habe ich versucht, eine ähnliche Atmosphäre zu erzeugen. Zunächst Instrumental, weil mir der Gedanke wirklich Sprachsamples zu benutzen, zu plakativ erschien. Am Ende war mir die instrumentale Lösung aber nicht deutlich genug. Ich habe das dann zweigeteilt, da man, obwohl man sich physisch nicht immer aus solchen Situationen befreien kann, das auf mentaler Ebene doch tut.

"Der heutige Zivilisationsgrad ermöglicht uns ein umfassend autonomes Dasein. Auch fehlt, denke ich, den meisten die Zeit und die Geduld, die Persönlichkeit und deren Komplexität unserer Mitmenschen zu begreifen und engere Bindungen einzugehen. Das ist meines Erachtens nicht unbedingt gesund, möchte man als Persönlichkeit doch wahrgenommen und verstanden werden."

BODYSTYLER: Ich finde das Cover, sowohl innen als auch außen, sehr passend. Wie bist Du auf die Idee gekommen?

KAI HAHNEWALD: Ich denke, jeder Mensch hat eine Ist-Situation und ein Ideal. Diese sind meist nicht deckungsgleich. Das wollte ich mit dem Cover einfangen. Außen ist das Ist und innen das Ideal. Also in dem Falle meins. Nun mag man sich fragen, warum das Ist so hell erstrahlt und das Ideal so düster erscheint. Ganz einfach: das Ist ist mir vertraut. Das Ideal, bis auf meine Vorstellung, eher unbekannt. Ferner verändert sich das Ideal permanent in Anhängigkeit vom Ist-Zustand. Wir brauchen beides, um uns bewegen und entwickeln zu können und dafür dürfen sie sich nicht decken. Wichtig war mir auch der Bezug zum Albumtitel und zum Thema. Ich habe das mit Nicola Borg viel diskutiert und sie hat das dann am Ende auch genau auf den Punkt gebracht.

BODYSTYLER: War der Albumtitel oder waren die Produktionen zuerst da?

KAI HAHNEWALD: Das Thema war zuerst da. Damit dann wenig später auch der Albumtitel. Ich brauche immer ein Thema und einen Arbeitstitel, um den Faden nicht zu verlieren. Und in diesem Fall ist der Arbeitstitel auch geblieben.

BODYSTYLER: Wie kann man sich so eine Arbeit an einem solch ungewöhnlichen Werk vorstellen? Wie lange hast Du von der Idee bis zur endgültigen Fertigstellung gebraucht?

KAI HAHNEWALD: Die Arbeit war diesmal sehr schwer für mich. Ich habe zwischendurch immer mal wieder aufgehört, weil ich mir klar werden musste, wie viel ich von mir preiszugeben bereit bin. Ich wollte auf keinen Fall etwas Beliebiges machen und das Thema ließ keine Oberflächlichkeiten zu. Ich habe auch ein-, zweimal gedacht, es ganz zu lassen. Aber dann hat mich die angefangene Arbeit und das Thema immer wieder verfolgt. Letzten Endes muss man sich vor der Veröffentlichung klar sein, ob man mit dem Ergebnis leben kann. Besonders dann, wenn man so viel Persönliches dort einfließen lässt. Man macht sich verletzbar. Ich habe gut drei Jahre gebraucht, um die Musik fertig zu stellen - immer mit Unterbrechungen. Aber letzen Endes war die Zeit notwendig, auch, um mir selbst klar zu werden, was ich da tue.

BODYSTYLER: Bist Du ein Fan von George Sand?

KAI HAHNEWALD: Ja, das kann man so sagen. Sie war eine sehr kluge Frau mit einem eigenen Kopf und das zu einer Zeit, in der das nicht selbstverständlich war. Ich mag Ihre Sicht auf die Zwischenmenschlichkeiten. Chopin, Liszt, Balzac, Dostojewski und Heine gehören, denke ich, nicht ohne Grund zu ihren Bewunderern. Ich fühle mich in Ihren Analysen durchaus verstanden. „Correspondance“ würde ich empfehlen mal zu lesen.

BODYSTYLER: Wie steht’s mit Deinem eigentlichen Projekt, S.K.E.T.?

KAI HAHNEWALD: Da war lange Zeit Ruhe. Ich habe die Zeit gebraucht, um „Negotiate The Distance“ fertig zu stellen. Nun ist der Kopf frei und es kann damit weitergehen. Ein Thema für das Album haben wir auch schon gefunden und sind dabei, es umzusetzen.

BODYSTYLER: Was wünscht Du Dir noch für dieses Jahr? Welche Hoffnungen setzt Du in die noch verbleibende Hälfte?

KAI HAHNEWALD: Ich selbst wünsche mir nichts. Ich würde mir wünschen, dass die breite Masse sich bewusst wird, in was für einer Zeit wir gerade leben und dass jeder einzelne die Verantwortung dafür trägt, wie es weitergeht. Im Moment habe ich eher den Eindruck, dass sich niemand dieser Verantwortung stellt und sie jenen überlässt, die ihnen damit gegebene Macht missbrauchen. Gerade jetzt ist es wichtig, zu intervenieren und die uns gegebenen demokratischen Rechte zu gebrauchen. Wir sind nämlich dabei diese zu verlieren.

BODYSTYLER:Vielen Dank für das Interview! Ich wünsche Dir alles erdenklich Gute und mach weiter so! Es gibt viel zu wenig fruchtbare und vielseitige Musik!

KAI HAHNEWALD: Ich bedanke mich für alles!