!distain

Vom Ursprung zurück in die Zukunft

26.07.2014 - Innerhalb von acht Monaten hat es die Synth-Pop-Band !distain geschafft, ihren gesamten Backkatalog digital und aufpoliert erneut zu veröffentlichen. Dabei kamen etliche rare bis ungehörte Songs als Bonus hinzu, aber auch eine komplett neue Fassung des letzten Albums "On/Off" aus den Händen des Franzosen Peter Rainman galt es zu entdecken. Hier nun der zweite Teil der Interview-Zeitreise. Von: Torsten Pape

Image Finden Sie die Unterschiede! (Foto: Archiv / Barbara Andres)

1995 ("Confession" / "Cement Garden")

BODYSTYLER: Wie fühlte sich die Beschäftigung mit diesen fast zwanzig Jahre alten, ersten offiziellen Gehversuchen für Euch an?

ALEXANDER BRAUN: Schon irgendwie wie eine Zeitreise. Für mich ist das so ähnlich wie mit Düften: Ich habe sofort Bilder im Kopf, Bilder voller Emotionen... Bilder aus längst vergangenen Tagen und doch so präsent!

BODYSTYLER: Beim unveröffentlichten Demo "My room" habe ich mich schon gefragt, ob hier vielleicht die Pet Shop Boys Pate gestanden haben, speziell natürlich die von Nick Lowe gesungenen (gesprochenen) Songs?

ALEXANDER BRAUN: Der Vergleich ehrt mich natürlich, vielen Dank! Aber es war wohl eher einer dieser Versuche, mal etwas „härter“ zu sein, irgendwie EBM zu machen. Dass es dann immer noch nach Pet Shop Boys klingt, zeigt mir, dass ich/wir vielleicht einfach keine harte Musik machen kann/können (grins)...

BODYSTYLER: Was ist das eigentlich für ein Sample (1:08) im Demo von "Whispering love"? Ich musste unweigerlich an Hubert Kah ("Welcome machine gun") denken, bin mir aber nicht hundertprozentig sicher...

ALEXANDER BRAUN: Ich weiß es ehrlich gesagt gar nicht. Oli Faig hatte das Demo damals produziert, das hat er vermutlich von einer Sample-CD genommen. Also Hubert Kah stand hier zwar nicht Pate, aber ich schätze diesen Song („Welcome machine gun“) sehr, hab ihn ewig nicht gehört. Danke für diesen Flashback!

1996 ("Li:quid")

"Ich muss unweigerlich daran denken, wie ich mit Klamotten in einem Pool auf Mallorca stehe..."

BODYSTYLER: Ich würde mal behaupten, dass "Li:quid" Euer absolutes Pop-Album ist und auch vom Artwork her heraussticht. Welche Erinnerungen werden wach, wenn Du, Alexander, an die Zeit um 1996 denkst?

ALEXANDER BRAUN: Ich muss unweigerlich daran denken, wie ich mit Klamotten in einem Pool auf Mallorca stehe, während unser Video zu „Conversation overkill“ gedreht wird... Und das auf Super8! Und ich muss daran denken, wie sich Sebastian (aus der alten Besetzung) unbedingt an damals aktueller Musik von Robert Miles oder Everything But The Girl orientieren wollte - weshalb das ein oder andere Stück auf dem Album auch danach klingt.

BODYSTYLER: Was könnt ihr denn über die Bonusstücke, die ihr zu dieser Veröffentlichung ausgegraben habt, erzählen? Wie kamen zum Beispiel die Veränderungen im Refrain von "Yet so far away" (Demo/Albumversion) zustande oder warum ist die Verbeugung vor der Frühphase von Depeche Mode ("Just a guy") letztendlich nicht auf dem Album gelandet?

ALEXANDER BRAUN: “Yet so far away“ war eines der wenigen Stücke, das aus meiner Feder stammte. Das Demo hatte ich bei mir auf dem 4-Spur Recorder gemacht. Beim Refrain haben sich die damaligen Bandkollegen durchgesetzt. Leider gab es damals endlose Diskussionen über die Musik. „Just a guy“ liebe ich irgendwie immer noch, aber auch das war den Kollegen zu happy, zu fröhlich.

1998/1999 ("Homesick alien" / "Tears of joy")

BODYSTYLER: Für mich vereint das Album die Qualitäten seiner beiden Vorgänger und ist zudem das letzte Werk in der ursprünglichen Besetzung. Wie seht Ihr dieses Album heutzutage und welchen Stellenwert nimmt es in Eurer Diskographie ein?

ALEXANDER BRAUN: Damals empfanden wir es tatsächlich auch als das bis dahin beste Album. Wir waren sehr überzeugt davon und standen kurz vor einem Deal mit einem Major-Label. Als dieser dann doch nicht zustande kam, war die Enttäuschung so groß, dass das schließlich beinahe zum Ende von !distain führte. Auf jeden Fall aber zum Ende der Ur-Besetzung.

BODYSTYLER: Wie sehr stand damals E.T. bei der Titelgebung Pate?

ALEXANDER BRAUN: Der Song "Alien Atmosphere" war ausschlaggebend für den Titel des Albums. Die Idee dazu hatte ein befreundeter Musiker, der auch einige Gitarren-Parts beigesteuert hatte.

BODYSTYLER: Woher stammt das nette Intro des Bonusteils?

ALEXANDER BRAUN: Da ist es mit unserem damaligen Produzenten durchgegangen. Wenn ich mich recht entsinne, war das wieder irgend so ein Sprachsample, das total durch die Mangel gedreht wurde. Aber wir hatten viel Spaß.

BODYSTYLER: Warum habt Ihr Euch dafür entschieden, die "Sincerity"-Version des "Synthphony Remixed"-Albums noch hinten dranzuhängen bzw. warum habt Ihr die dort zu findenden Remixe ansonsten nicht verwertet?

MANFRED THOMASER: Das Einfügen des "Sincerity"-Remixes in die Tracklist der Special Edition soll auf das Remix-Album hinweisen. Weitere Remixe aus dem Album fehlen, weil wir es nicht ausschlachten wollten.

BODYSTYLER: Bei der EP ist mir aufgefallen, dass sich die Mixe von Gareth Jones, die ich lange nicht gehört, aber eigentlich in positiver Erinnerung hatte, heutzutage ein wenig unspektakulärer anhören. Wie empfindet ihr das Hörerlebnis mit einigen Jahren Abstand?

ALEXANDER BRAUN: Ja, stimmt, ist relativ reduziert. Ist mir aber immer lieber, als „überproduziert“. Das war damals eine sehr positive Erfahrung mit Gareth Jones. Ursprünglich gab es ja nur den Chill Out Mix von "Tears of Joy", aber Gareth hat dann auf Bitten unseres Label-Chefs Carl Erling noch einen weiteren Remix angefertigt, der einen höheren Wiedererkennungswert für uns hatte. Und das ohne Aufpreis! Also ein richtig netter Typ, diese Legende von einem Produzenten!


2011 (On/Off)

BODYSTYLER: Wie habt ihr es empfunden, als ihr das gesamte Album erstmals in der Version von Peter Rainman gehört habt und hat sich an dieser Wahrnehmung seitdem noch etwas verändert?

ALEXANDER BRAUN: Ich bin immer wieder sehr begeistert, welche neuen Aspekte und Gefühle Peter den Songs entlocken konnte. Manche höre ich mir heute lieber an, als das Original...(grins)

MANFRED THOMASER: Das geht mir aktuell auch so. Gerade "My god", "Why (bootlicking hypocrites)" und "Monokultur" empfinde ich mehr als neu produzierte Stücke denn als Remixe.

RICK PROKEIN: Ich finde es nach wie vor großartig und für mich ist es ja schon fast ein „neues“ Album. „Why“ fand ich immer gut, aber in der neuen Version von Peter, ist es mein absoluter Lieblingssong. Ich wollte davon auch unbedingt die Instrumental-Version... (grins)

BODYSTYLER: Warum wurde eigentlich "Mediaeval presence" als einziger Track nicht von Peter bearbeitet?

MANFRED THOMASER: Die Version des Albums von 2011 wurde von Peter produziert. Er tat sich schwer mit der Idee, den Song 2014 zu remixen. Er hatte ja bereits seinen Stempel hinterlassen. Das war auch ok so für uns.

BODYSTYLER: Wo kommen eigentlich die beiden unveröffentlichten Versionen von "The 6th floor" und "Mein Weg" her? Sind das Remixe, die noch auf Halde lagen oder Neuanfertigungen?

MANFRED THOMASER: Beide Remixe entstanden im Rahmen der Produktion von "on/off" 2010/2011. Remi Janotta, der die ersten zehn Songs auf "on/off" produzierte, fertigte die Remixe ohne Anfrage unsererseits an. Er hatte während seiner Arbeit an beiden Songs so viele neue Ideen, die aber zu den Originalversionen nicht passten, dass er uns Alternativ-Mixe anbot. Die Special Editions gaben uns auch hier die Möglichkeit, fast schon in Vergessenheit geratene Aufnahmen auszugraben.

BODYSTYLER: Vielleicht könnt ihr an dieser Stelle einmal erzählen, wie ihr so in Kontakt mit Euren (zahlreichen) Remixern kommt, speziell natürlich Peter Rainman, aber gebt auch ruhig ein paar andere Kennenlerngeschichten preis!

ALEXANDER BRAUN: Die meisten Kontakte zu Remixern stammen aus der Zeit mit Synthphony Records, als wir dort das Album „!distain: REMIXed“ veröffentlichten. Daher kennen wir z.B. auch Peter Rainman. Sehr viel passiert heute auch über Facebook. Das ist dann oft ein „Geben und Nehmen“ von Remixen oder man arbeitet an gemeinsamen Projekten oder erst mal nur so zum Spaß zusammen.

MANFRED THOMASER: Spektakuläre Kennenlerngeschichten fallen da kaum an. Natürlich gibt es die eine, als Rick nach einem Konzert einen Stuhl durch ein Fenster warf. Das Geklirr war schon kaum zu ertragen, aber als wir vor den Club gehen, sitzt DJ Ram auf dem Stuhl, auf der Straße, vor dem zerstörten Fenster und sagt: "Yo, guys. Let's remix." Unerträglich sind solche "Zufälle", aber diese Geschichte ist so natürlich nie passiert.

RICK PROKEIN: Ach nein? (lacht) Also, ich kann sagen, dass Facebook tatsächlich die Verbindung in die Welt ist. Persönlich kennengelernt habe ich speziell die wenigsten.


2014 (Zukunft)

"Natürlich gibt es auch bei uns Demo-Aufnahmen, die unter Verschluss bleiben."

BODYSTYLER: Wie wurde die Re-Release-Reihe von den Fans aufgenommen?

MANFRED THOMASER: Sehr gut. Wir wollten von Beginn an nicht den Eindruck erwecken, mit abgehalfterten schlechten Demos die Studioalben der Band künstlich zu erweitern. Und das kam offensichtlich so auch bei den Fans an. Natürlich gibt es auch bei uns Demo-Aufnahmen, die unter Verschluss bleiben. Und es gibt sogar einige Songs/Songideen, die aus meiner Sicht die Qualität gehabt hätten auf den Special Editions zu landen, dennoch nicht veröffentlicht wurden. Eines dieser Stücke haben wir uns nach Abschluss der Planungen zu den Special Editions noch einmal vorgenommen und... ja, das ist eine andere Geschichte.

BODYSTYLER: Nun, da dieses Mammut-Projekt beendet ist, ist die nächste Etappenankunft in Form einer neuen Single bereits in Sicht und auch die neue Albumproduktion befindet sich in den letzten Zügen. Wie sehr haben sich diese beiden Aktivitäten eigentlich überschnitten oder gar beeinflusst?

ALEXANDER BRAUN: Da lief schon einiges parallel, wobei ich für meinen Teil nicht feststellen kann, dass sich das irgendwie auf die neuen Produktionen ausgewirkt hat. Vielleicht eher ein Anreiz, dass es an der Zeit wäre, wieder ins Studio zu gehen.

RICK PROKEIN: Es ist eine lange Zeit seit unserem letzten Album verstrichen und jeder von uns hatte schon feste Ideen für neue Songs. Das Arbeiten am neuen Album wurde nicht durch die anderen Aktivitäten beeinflusst.

BODYSTYLER: Könnt ihr einen ersten Ausblick auf das neue Material geben?

ALEXANDER BRAUN: Ich könnte mir vorstellen, dass die Synthpop-Fans sehr gut bedient werden und gleichzeitig wird es auch die ein oder andere Überraschung geben!

RICK PROKEIN: Und auf die ein oder andere Überraschung freue ich mich am allermeisten…. (grins)