A.I.Zero

Realer Cyber-Pop

27.11.2014 - Der Name des Duos A.I.Zero lädt sicherlich zu Spekulationen ein, aber es soll bitte niemand auf die Idee kommen, dass hier zu wenig oder gar nix von den Zutaten enthalten sein könnte, die ein Fan intelligenter Electro-Mucke in seiner akustischen Cola haben möchte! Da könnte es schon eher mal bei untrainiertem Gehör zu Überdosierungen kommen... Von: Torsten Pape

Image Flesh Wire und Maikko - echte Musiker mit echten Gesichtern und echten Künstlernamen (Foto: Promo)

BODYSTYLER: Maikko, Dich kann man ja bereits als Mitglied der Bands/Projekte Human Decay und Mind.Area kennen. Was hat dazu geführt, dass Du A.I.Zero ins Leben gerufen hast, wie kam es zur Namensgebung und wie grenzt Du es selbst gegenüber den anderen kreativen Zonen ab?

MAIKKO: Das Projekt ist eher durch Zufall entstanden. Nach einem Remix-Beitrag für Human Decay wollten wir eigentlich nur einen feat. Track für Mind.Area produzieren und irgendwie hat da was gepasst. Da kam kreative Energie auf, der wir freien Lauf ließen.

BODYSTYLER: Herrn Flesh Wire werden die Szene-Gänger spontan dagegen eher weniger auf dem Schirm haben. Deswegen wäre ein Vorstellung an dieser Stelle durchaus wünschenswert...

FLESH WIRE: Ich hätte mir ja nicht so 'nen super Künstlernamen gegeben, um dann alles auszuplaudern. Ich möchte es erstmal anonym lassen, so habe ich (auch für mich) eine Grenze zu meinen bisherigen musikalischen Projekten. Der Name Flesh Wire ist übrigens lose durch den Roman "Neuromancer" inspiriert, falls das irgendwer interessant findet.

BODYSTYLER: Wie sind denn die Aufgaben innerhalb der Band verteilt?

FLESH WIRE: Wir machen das so: Da wir ziemlich weit auseinander wohnen, schicken wir uns Spuren der Lieder per Internet. Einer von uns sendet dem anderen einen Song, manchmal schon eine fertige Demoversion oder eine Songskizze. Dann arbeitet der jeweils andere bis wir beide zufrieden sind. Zwei Dinge sind dabei immer gleich: Zuerst macht Maikko den Feinschliff, das heißt, die aus meiner Sicht super Produktion kommt von ihm. Die Texte und den Gesang mache ich (zum größten Teil). 
Jeder hat jederzeit ein Vetorecht, das wir beide bisher fleißig nutzen, da wir musikalisch und oft auch textlich verschieden ticken. Bisher fand ich das sehr spannend und es hat zu Ergebnissen geführt, die wir jeweils allein nicht erreicht hätten.
MAIKKO: Dem gibt es nichts hinzuzufügen.

BODYSTYLER: Welche Reaktionen habt Ihr auf die Debüt-EP und die Tatsache, dass ihr sie für lau angeboten habt, bekommen? Inwiefern haben sich diese Reaktionen vielleicht sogar auf den Entstehungsprozess des Albums ausgewirkt?

MAIKKO: Alben für lau werden ja gerne geladen, wenn der Künstlername nicht ganz unbekannt ist und ja, die Downloadzahlen waren schon ganz gut wie auch die Rezis und Feedbacks. Das war auch der Grund, weshalb wir noch ein paar mehr Lieder machten und das Album forcierten.

BODYSTYLER: Es ist schon ungewöhnlich, dass Ihr Euer Debüt "Reality design" auf einem russischen Label veröffentlicht. Wie darf man sich denn den Weg zu dieser Entscheidung vorstellen und wie kam der Kontakt zustande?

FLESH WIRE: Es gab einige Anfragen an verschiedene Labels, aber das vorliegende Album war entweder nicht szeneclubtauglich genug bzw. A.I.Zero zu unbekannt oder es wollte einfach niemand ein finanzielles Risiko eingehen… Da hat sich Vladimir von Scent Air gemeldet. Er kannte bereits Mind.Area, von daher hatten wir wohl einen Vertrauensvorschuss, was die künstlerische Freiheit anging. 
Uns war wichtig, das Album so rauszubringen, wie es nun ist und das war nur mit Vladimir möglich, wofür wir ihm auf jeden Fall dankbar sind.

"Ich mag gute deutsche Texte bei anderen Bands sehr gerne, also war es eine natürliche Entwicklung, auch bei A.I.Zero deutsch zu singen."

BODYSTYLER: "Matter over mind" stach bereits auf Grund seines tollen Refrains und der tollen Instrumentierung aus dem Rahmen der EP heraus. Thematisch geht es hier recht ernsthaft zur Sache, da Ihr das Streben nach Perfektion, Optimierung und Zertifizierung auf's Korn nehmt. Sprecht Ihr da eher globale Entwicklungen an oder ist das etwas, das Euch auch in Eurem beruflichen oder gar privaten Alltag begegnet? Seht Ihr Möglichkeiten, sich dieser Entwicklung entgegenzustellen oder wenigstens zu entziehen?

FLESH WIRE: Den Refrain hat Maikko gemacht! Den finde ich auch sehr stark! 
Der (deutsche) Text ist aus der Sicht einer fiktiven Person geschrieben. Schwer zu sagen, ob man sich gewissen Entwicklungen entziehen kann bzw. sollte. Ich finde es aber toll, dass es dich zum Beispiel zum nachdenken über gewisse Themen angeregt hat. Mehr kann man nicht verlangen, wenn man Texte schreibt. Eine „richtige“ Erklärung habe ich leider nicht. Oft schreiben sich die Texte einfach selber.

BODYSTYLER: Habt Ihr eigentlich mal darüber nachgedacht, diesen Track durch geschickte Platzierung auf Samplern oder vergleichbare Aktionen noch mehr ins Bewusstsein der Leute zu schubsen? Hier könnte doch durchaus eine beachtliche Karriere als Szene-Hit lauern, oder?

MAIKKO: Na, was nicht ist, kann ja noch werden. Bis jetzt siehst Du das jedenfalls etwas euphorischer, als der Rest der Szene/Samplerproduzenten (lacht).


FLESH WIRE: Wobei wir schon wussten, dass dieser Track „Ohrwurmpotenzial“ hat.

BODYSTYLER: Wie entscheidet Ihr eigentlich bei der Komposition bzw. beim Aufbau eines Songs, ob zu ihm eher die Vielschichtigkeit und Komplexität passt oder weniger doch eher mehr ist? Könnt Ihr das eventuell an ein/zwei Beispielen erläutern?

FLESH WIRE: Da würden sich "Follow" und "Catharsis" anbieten. "Follow" entstand aus einem langen Prozess mit vielen Änderungen und Diskussionen. Man merkte immer erst nach einiger Zeit und mehrfachem Hören was im Lied funktioniert oder eben nicht. "Catharsis" hat sich dagegen praktisch selber geschrieben. Ich habe sogar Elemente aus dem Demo von Maikko entfernt, um vom Instrumental aus eine Art Hip Hop Beat zu haben. Das hat mir spontan sehr gut gefallen und musste so bleiben und hat eben auch mit den wenigen Spuren für uns gut funktioniert.

BODYSTYLER: Ich finde Eure Soundscapes sehr filmreif, in dem Sinne, dass man beim Hören oftmals sofort Bilder im Kopf hat. Geht Euch das mit Euren eigenen Tracks auch so? Welche Musik anderer Musiker löst in Euch einen solchen Effekt aus?

FLESH WIRE: Danke! So etwas hört man gerne!! Ich bin großer Filmfan. Filme deren Soundtracks ich echt liebe und die mich sehr inspiriert haben sind: 
"28 Days Later", "Mysteria" (der Lucius C Kuert Film), "Ghost in the Shell II", "District 9" und noch unglaublich viele mehr!
 Beispiele, die ich aktuell höre und keine Filmmusik sind, obwohl es so sein könnte: Mind.Area, Emerge (und viele weitere Veröffentlichungen des Attenuation Circuit Labels).

BODYSTYLER: Der Name des abschließenden Tracks "Mirim" lässt sich nicht wirklich eindeutig erklären. Was hat es denn mit diesem Titel und dem ganzen Gekreische auf sich?

FLESH WIRE: Das ist meine Art von Humor und entstand aus einer spontanen Jamsession mit der „Sängerin“. Eine unglaubliche Performance von ihr! Ich habe den Track dann an einige Freunde gesendet, da ich den Sound (und die Intensität der Stimme) so super finde. Maikko fand den Song dann sogar als Abschluss für das Album passend. So endet es mit einem abgefahrenen Ausrufezeichen. Der Name ist eine Ableitung von Miriam.

BODYSTYLER: Ihr verwendet in vielen Songs geschickt und gekonnt die deutsche Sprache. Gab es diesbezüglich jemals (Berührungs-)Ängste oder Zweifel oder ist das Teil einer ganz natürlichen Entwicklung?

FLESH WIRE: Ja, beim Textschreiben hat man natürlich auch mal Zweifel. Man macht sich ja angreifbar. Da ist es egal, ob es englisch oder deutsch ist. Aber deutsch ist für mich einfacher, da ich im Englischen kein Muttersprachler bin. Ich mag gute deutsche Texte bei anderen Bands sehr gerne, also war es eine natürliche Entwicklung, auch bei A.I.Zero deutsch zu singen. Also ich habe da eher keine Berührungsängste.

BODYSTYLER: Ich würde ja mal behaupten, dass für Eure musikalische Ausrichtung zum einen die elektronischen Pioniere, aber auch die Entwicklung des elektronischen Undergrounds Mitte der Neunziger (Off Beat, Zoth Ommog etc.) und nicht zuletzt auch Filmmusik ausschlaggebend waren. Würdet Ihr dem zustimmen und was genau hat Euch denn in dieser Hinsicht sozialisiert und auf Euren ganz eigenen Weg gebracht?

FLESH WIRE: Ich persönlich bin wohl von der Musik aus der Mitte der 90er sozialisiert. Allerdings eher nicht durch die von dir genannte Electro-Musik, die habe ich erst etwas später für mich entdeckt. Um ein paar Beispielalben aus der Zeit zu nennen, die mir bis heute wichtig sind: Nine Inch Nails „Further down the spiral" und "The fragile“, Aphex Twin „Selected ambient works II“, Smashing Pumpkins „Adore“ und Mobb Deep “The infamous”.
MAIKKO: Bei mir lassen sich wohl die (von Dir genannten) Wurzeln nicht verleugnen. Dabei bin ich aber auch immer ein Suchender. Es ist mir wichtig, dass bei A.I.Zero modern klingende, aktuelle Electromusikstile einfließen. Es gibt da wenige Tabus.

"Alben für lau werden ja gerne geladen, wenn der Künstlername nicht ganz unbekannt ist."

BODYSTYLER: Auf Eurer Bandcamp-Seite gibt es als Album-Bonus einen tollen Remix von "Actually" zu hören, aber leider nicht separat zu kaufen. Wie ist dieser entstanden und wird es noch eine Möglichkeit für die Besitzer der CD geben, diesen einzeln zu erwerben?

MAIKKO: Der chinesische Kollege DJ Areal Kollen hat den Remix gemacht. Ich dachte mir, dass dies als kleines Giveaway genau richtig fürs digitale Album ist, wenn man über Bandcamp den Künstler direkt unterstützen will. Wahrscheinlich gibt's den Track aber demnächst auch einzeln…

BODYSTYLER: Was das Artwork und die Gestaltung des Goldlings (ist ja kein Silberling... ;-) anbelangt, habt Ihr Euch ja wirklich Mühe gegeben. Die Fans der CD-Kultur werden es Euch mit Sicherheit danken! Wieviel Energie und Zeit habt Ihr in diesen Aspekt investiert und wie meint Ihr wird sich der Markt für die Offline-Musik in den nächsten Jahren entwickeln?

MAIKKO: Als hauptberuflicher Mediengestalter will ich auch grafisch der Musik was mitgeben. Die Haptik eines CD- oder Vinyl-Covers hat halt was für mich… Auf lange Sicht wird sich das physikalische Medium aber kommerziell erledigen und es wird wahrscheinlich nur noch limitierte Kleinauflagen geben. Auch der momentane Vinyl-Hype wird nicht ewig anhalten, denn ein Download-Code muss ja da meist gleich dabei sein. Wer legt schon noch die Scheibe wirklich auf, wenn er das Album in guter Qualität auf 'nem iPod hat.

BODYSTYLER: Ist A.I.Zero eigentlich als reines Studio-Projekt gedacht oder wird es auch Live-Präsentationen geben?

FLESH WIRE: Das wird sich wohl im Laufe des nächsten Jahres herausstellen. Wenn wir es nicht schaffen, die Musik adäquat umzusetzen, wird es wohl nicht dazu kommen. Bisher sind wir leider noch nicht soweit.