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Solar Fake "Another Manic Episode"

Sven Friedrich geht mit dem neuesten Solar Fake-Werk bereits in die vierte Albumrunde. Machte bereits seine einzigartige Stimme das Projekt von Anbeginn an unverwechselbar, so hat er sich über die Jahre auch musikalisch seinen ganz eigenen, unverwechselbaren Klang zwischen treibendem Future-Pop, hochmelodiösen Momenten, aggressiven Einschüben und waviger Melancholie erschaffen.

Was verbirgt sich nun jedoch im neuesten Langspieler? Das erste Stück "Not what I wanted" wartet zunächst mit einer kleinen, etwas angeschrägten Melodie auf, die sich jedoch schnell zu einem voluminösen Electro-Kracher auswächst und der Refrain wird nicht die letzte Melodie enthalten, die sich im Laufe des Albums im Kopf festsetzt. Gleichzeitig wird man auch durch die Zeile "I take the pills you offer me" an ein zentrales Thema des Albums (Psychische Erkrankungen/Psychopharmaka) herangeführt und das enthaltene Piano-Break verdeutlicht, dass es oft mehr als nur eine Seite gibt, die es zu betrachten (behandeln?) gilt. Mit den nächsten drei Songs "Fake to be alive" (herrlich aggressiv inkl. kleinem Dub-Step-Ausflug), "All the things you say" und "Under control" werden prompt drei weitere Raketen abgeschossen, wobei man letztere bereits durch Veröffentlichungen im Vorfeld des Albums kennen kann. Nun folgt "Observer" und sorgt zunächst durch einen irren, verschachtelten Rhythmus-Part für Aufhorchen. Wenn sich dann nach fast der Hälfte der Spielzeit langsam der Refrain anbahnt, kommt dieser danach geradezu einer Explosion gleich ("Escape before I fell apart, why the fuck you broke my heart!") und ein weiterer SF-Nackenbrecher ist geboren. Nun ist es Zeit für einen etwas glatteren Synthie-Pop-Track ("Until it's over"), der mit etwas Gitarreneinsatz auch zu Svens anderen Bands Dreadful Shadows oder Zeraphine gepasst hätte. Im Anschluss wird mit "The race of the rats" wieder ordentlich das Gaspedal durchgedrückt und ähnlich fetzige Rhythmen wie bei "Observer" durch die Membranen geschickt. Mit den letzten drei Stücken wird der Hörer noch einmal durch verschiedene Perspektivwechsel geführt, was allein angesichts der Songtitel "If I were you", "I don't want you in here" und "Stay" deutlich wird. Was zunächst musikalisch in future-poppigen Gefilden startet, geht über in nachdenkliche/melancholische Töne und endet in einer gewohnt herrlichen, himmelstürmenden Abschlussballade. Dieses Album birgt im Hauptteil ohne Unterlass tief berührende Momente und man lässt sich irgendwann nur noch durch die intensiven Gefühlswelten tragen.

In der absolut lohnenswerten Deluxe-Version hat "Another manic episode" eine Bonus-CD zu bieten, die es wahrlich in sich hat und neun weitere Songs/Remixe präsentiert. Den Anfang macht die Coverversion des Killers-Songs "Somebody told me", die - vom rotzigen Element des Originals befreit - absolut frisch und mitreißend klingt. Beim nächsten Track hat man sich an das fantastische Stück "You need the drugs" von Westbam herangewagt, das 2013 auf dem Überflieger-Album "Götterstrasse" zu finden war und damals von Richard Butler (The Psychedelic Furs) eingesungen wurde. Beide Versionen stehen absolut gleichberechtigt nebeneinander und bieten dem Hörer zwei interessante Interpretationsansätze. Danach erklingt die treibende "If I were you"-Variation von Peter Spilles (Project Pitchfork), die man allein aufgrund der eingesetzten Sounds als absolut typisch und gelungen bezeichnen darf. Ebenso hochwertige und markante Arbeit liefern Aesthetic Perfection ab, deren Remix von "Under control" die Tanzflächen im Sturm erobern dürfte. Nun folgt mein persönliches Highlight, denn der "I don't want you in here"-Remix von Desireless and Operation Of The Sun erzeugt durch seine zusätzliche, organische Instrumentierung, spätestens jedoch wenn die Französin die zweite Strophe anstimmt, eine meterhohe Gänsehaut. Danach tritt das Broken Soldiers Project auf den Plan, was insofern interessant ist, da es die aktuelle Wirkungsstätte von Juliane Richter ist, die auch schon bei Zeraphine und den Dreadful Shadows am Mikrofon stand. Die geradezu ruppige Interpretation von "The race of the rats" weckt Erinnerungen an Fear Factory oder Korn und will leider nicht so recht ins Gesamtbild passen. Elektronischer und facettenreich erweist sich der "Fake to be alive"-Remix des finnischen Dark Pop-/Industrial-Duos Ten After Dawn bevor mit Saprozoon ein mysteriöses Berliner Projekt an den Start geht. Trotz teilweise interessanter Ideen und Effekte wirkt "Observer" in diesem Gewand einfach nur chaotisch und ohrzerfetzend. Da ist es geradezu erfrischend und funktioniert erstaunlicherweise prächtig, wenn Proxy_View "Under control" durch alte Atari-/C64(??)Soundchips jagen, was den Silberling bliepend und piepend ausklingen lässt.

Die Fans, die das Glück hatten, die streng limitierte Box zu ergattern, kommen zudem in den Genuss von diversen Gimmicks (Handschuhe, Sticker, Postkarte, Metal Pin etc.) sowie der "Sedated"-Bonus-CD, die Piano-Versionen von sieben neuen Stücken enthält. Selbst schnelle Originale werden hier von Pianist Dirk Riegner gefühlvoll und zumeist getragen interpretiert, was durchweg perfekt umgesetzt wurde. Wie der Titel der EP dabei zu deuten ist, wird der Hörer entscheiden. Handelt es sich um eine (chemisch) erzwungene oder freiwillige Beruhigung? Verspürt man hier eine friedliche, kraftvolle oder eher beängstigende Ruhe? Erkennt man Schwäche oder Stärke? Unstrittig dürfte am Ende sein, dass Svens Stimme in diesem Rahmen noch intensiver, teils fragiler wirkt und so ungefiltert direkt durch's Ohr ins Herz trifft. Wahnsinn!

Trotz einiger Remix-Schwachstellen MUSS man dem Gesamtpaket von "Another manic episode" einfach die Höchstpunktzahl geben, da der Käufer mit ihm je nach Bedarf mit einem Maximum an Gefühl, Melodie, tiefsinnigen Texten, Tanzbarkeit, ruhigen Momenten und Fan-Devotionalien versorgt wird. (Torsten Pape)

Label Out Of Line | 30.10.2015 | Homepage www.solarfake.de

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