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Carsten Klatte

"Ich bin back to basics gegangen."


Carsten Klatte hat 'ne neue Platte, die er dieser Tage veröffentlicht hat. Jedoch nicht unter seinem Künstlernamen Lacasa Del Cid, sondern unter seinem bürgerlichen Namen. Ich könnte Namedropping ohnegleichen betreiben , um ihn in diesen ersten und für den Leser ausschlaggebenen Zeilen zu bewerben. Abba ditt hat der Klatte nich nötich. Der selbsternannte Rebell und Project Pitchfork-Gitarrist lud für ein Interview zu viel Kaffee, Zigaretten und einem Keks in seine Berliner Wohnung.


Interview:
Sir Raze // © 2010
 
Hat(te) kein Geld, um einkaufen gehen zu können: der Klatte  
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»Es ist nicht mein Problem, welchen Preis diese Leute in ein oder zwei Jahren dafür zahlen!«
Carsten Klatte
 
 
 
 
 
 
 
Carsten Klatte „Carsten Klatte“
VÖ: 19.03. Avasonic
Drums, Bass, Gitarre, Violine und Gesang. Klatte ließ mal wieder seine Gedanken und Hände spielen. Dabei kam die „Klatte Platte“ heraus. Persönlicher und intensiver als je zuvor (siehe Interview). Im Gegensatz zu seinem Projekt Lacasa del Cid setzt Klatte hier auf mehr Instrumentierung. Die Musik ist echtes Handwerk. Engelsgleich schweben die Violinen von Neil Black (UB 40, Coil) über den Liedern. „Good Book“, „Freedom Says“, „Rise and Fall“ und „Unbroken“ sind einige der Indie-Hymnen dieser Platte. Klatte scheint hierbei in kreativer Höchstform gewesen zu sein. Respektsbekundungen in Form eines Liedes sind „In the Garden of God“ und „Who can see“. Hier wird vor den verstorbenen Musikern Bruno Adams und Gregory McCormick der Hut gezogen. Die Texte dieser CD sollten für den Hörer als Notwendigkeit betrachtet werden. Wer auf einen dumpfdüsteren Partyhit wartet, ist hier falsch. Dieses Album ist ein geschlossener Kreis. Eine in sich abgeschlossene Sache, wie man sie höchstens bei einem David Bowie, Nick Cave oder John Cale findet. (Sir Raze)

 
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MySpace.com/CarstenKlatte
 
 
 

Bodystyler: Allein dein bürgerlicher Name Carsten Klatte ziert das neue Album. Warum hast du das Album nicht, wie bei den Alben davor, unter deinen Künstlernamen Lacasa Del Cid veröffentlicht?
Carsten Klatte:
Einfach, um die ganze Geschichte näher an mich heran zu holen. Wir leben in einer Welt, die aus Profilen besteht. Das Profil ist augenscheinlicher als die Person. Für mich ist das ein Prozess des Reiferwerdens, was auch mit Ernüchterung einher geht. Ich wollte mir diese ganze Profilscheisse einfach mal vom Gesicht reißen. So nach dem Motto "der Klatte lässt die Hosen runter". Dadurch ziehe ich nach außen hin meine Musik näher an mich heran und kommuniziere somit die Platte nicht über ein erfundenes Profil. Bei meinem Projekt Lacasa Del Cid geht es hingegen um eine Art der Darstellung.

Bodystyler: Ich hatte die Vermutung, du würdest deinen eigenen Namen verwenden, weil sich die Musik von Carsten Klatte doch sehr von der Musik des Lacasa del Cid unterscheidet, du dir deshalb ein neues Image unter neuen Namen aufbauen möchtest.
Carsten Klatte:
Das ist interessant, das du das sagst. Die Musik von Lacasa Del Cid, die Stilistik des Neowestern, entwickelte sich aus dem Musikerdasein und aus musikalischen Techniken. Ich habe einen Weg gesucht, meine musikalischen Fähigkeiten auf ein adäquates Niveau zu bringen und nicht mehr Lagerfeuergitarre zu spielen. Ich habe mit Anschlagtechniken experimentiert, denn dabei kannst du aus einer Gitarre ein ganzes Orchester machen. Es ging mir auf der alten Platte nie um das Klischee des Country und Western, sondern im Wesentlichen um die Auslastung als musikalischer Handwerker. Das führte zu diesem Neowestern bei L.Cid. Auf der „Klatte Platte“ hingegen schließen sich Kreise, die bereits seit 25 Jahren existent waren. Würdest du beispielsweise 1991er Material von mir hören, könntest du das neue Material mit den Worten „das klingt ja wie damals“ beschreiben.
Ich bin also back to basics gegangen. Du hörst zum Teil Elemente aus dem Beebop und aus der Modbewegung, weil mir das ganz einfach Spass macht zu spielen. Live beziehen wir uns ganz elitär nur noch auf die Musik.

Bodystyler: Nun zu einer Frage, die unsere Leser sicherlich brennend interessieren wird. Was hast du als letztes in der Kaufhalle bzw. im Supermarkt eingekauft?
Carsten Klatte:
Oh, ich wollte gestern einkaufen gehen und bin dann aber am Supermarkt vorbei gegangen, weil ich zu wenig Geld bei hatte. Ich hab mir dann einfach für 1 Euro ein Burger geholt. Jedoch war meine letzte große Anschaffung eine „Long John“.

Bodystyler: Was ist das?
Carsten Klatte:
Eine lange Unterhose (lachen und abrollen)!

Bodystyler: Kommen wir noch mal zum neuen Album, der sogenannten „Klatte Platte“. Sie beinhaltet sehr schöne, ausgereifte Songs, die für mich zeitloser Indierock sind. Zudem ist auch eine wunderschöne Ballade enthalten.
Carsten Klatte:
Ja, wir bewegen uns mit den Liedern durch die Zeit. Wir scannen musikalisch die Jahrzehnte von 1960 bis 1990. Wir beleben Traditionen der Szenen, von der Hippiebewegung bis zu den Skinheads, neu. Also alle Subkulturen und Gegenbewegungen. Ich sehe beispielsweise ganz klar eine Anlehnung an die Oldschool Oi-Musik. Die heutige sogenannte Oi-Musik ist als Streetpunk sehr klischeebehaftet. Die von dir benannte Ballade ist ein Requiem für die beiden Musiker und Freunde Gregory „Itchy“ McCormick und Bruno Adams. Itchy war Sänger der Band Shock Therapy und verstarb im November 2008 in Detroit. Bruno war Begründer von Fatal Shore und starb im April 2009 in Berlin. Der Song heisst „Who can see“ und ich hätte es mir nie träumen lassen, dass ich mal ein Reqiuem für Itchy schreiben muss, weil es kein anderer tut. Du kennst die Geschiche. Wir haben ja damals zusammen auf dem Benefiz-Sampler für Itchy veröffentlicht. Ich habe mir gesagt, wenn es kein anderer tut, ich tue es auf jeden Fall. Gleichzeitig beinhaltet der Song für die wachen Independent-Geister noch die Message „der Augen hat, der sieht“. Komischerweise erinnert mich der Song irgendwie an Joy Division. Weiss auch nicht wieso.

Bodystyler: Du hast auch wieder Gastmusiker auf deinem neuen Album vereint. Erzähle doch mal, um wen es sich handelt und wie du zu ihnen gestoßen bist!
Carsten Klatte:
Da wären Achim Färber. Er ist Schlagzeuger bei vielen Bands. Von Project Pitchfork, Phillip Boa, Wolfsheim bis zu Tito & Tarantula und den Krupps. Bei meinen Produktionen lege ich auf musikalische Kompetenz sehr viel Wert. Die Musiker beeinflussen letztendlich auch meine Musik. Achim ist einer der besten Drummer, die ich kenne und mit ihm zu arbeiten ist sehr bereichernd. Wir kennen uns schon länger durch unsere gemeinsamen Muckerjobs bei Pitchfork und Wolfsheim. Dann ist Neil Black mit seiner Violine dabei. Er ist Engländer, den ich im „Schokoladen“ in Berlin kennengelernt habe. Er saß 1982 bei Bauhaus hinter den Reglern und arbeitete zudem mit Bands wie UB 40 und Coil zusammen. Und solche Leute trifft man quasi auf der Straße. Ich bin darüber sehr glücklich, dass er mit mir zusammengearbeitet hat.

Bodystyler: Du bist in der Produktion dein eigener Herr. Besitzt somit die Autonomie Dinge so zu machen, wie du sie haben möchtest. Ist Selbstbestimmung letztendlich der Motor deiner Kreativität? Denkst du, dass sich deine Autonomie irgendwann in verkauften Einheiten auszahlt?
Carsten Klatte:
Ich schaue mir Kollegen an, die in der Musikindustrie ihren Deal gemacht haben und die über die gängigen Vertriebsstrukturen gehen. Sie nagen alle am Hungertuch und haben Existenzängste. Der Zusammenbruch der Musikindustrie, bzw. der Zusammenbruch der Wirtschaft, bzw. der Zusammenbruch der Weltwirtschaft, ist da noch mal ein ganz anderes Thema. In unsicheren Zeiten wie jetzt, wo innerhalb eines Jahres 50 % des Musikmarktes zusammengebrochen sind, kann ich mich zurücklehnen. Ich führe diesen Kampf schon seit Jahren und habe dazu auch eine kulturpolitische Meinung. Ich hatte überlegt, ob ich das Album überhaupt durch einen Vertrieb herausbringe oder ob ich es, als rein kulturpolitischen Akt, kostenlos im Internet veröffentliche. Es geht nicht um Gewinn, sondern um Kommunikation im Sinn von Authentizität. 99 % der Musiker verbiegen sich, um Gewinn zu machen, um sich bei der korrumpierten Musikindustrie anzubiedern. Es ist nicht mein Problem, welchen Preis diese Leute in ein oder zwei Jahren dafür zu zahlen haben. Ich muss mich da nicht anbiedern. Meine Musik ist losgelöst vom Zeitgeist. Es gibt Entertainer und es gibt Künstler. Künstlern geht es um Identität. Künstler sind die Extremisten der Gesellschaft. Als Künstler kannst du dich nicht in der Mitte der Gesellschaft aufhalten. Du musst die menschlichen, emotionalen Extreme ausloten. Du hast die Pflicht, die Masse zu reflektieren. Das sind kulturelle Aufträge, die du da hast. Da geht es nicht darum ein Genre zu bedienen oder jemanden als Dienstleister einen Bummbumm-Abend in der Disco angenehm zu gestalten. Ich vestehe mich als Künstler und nicht als Entertainer. Was sollte ich als Entertainer Leute bedienen, die als Bürgertum total mittelmäßig sind? Leider schiebt diese Gesellschaft ihre Künstler ab. Und an dieser Stelle wird der Künstler zum Rebell.

Bodystyler: Du kennst aber nun auch die andere Seite der Medaille. Schließlich warst du der Sänger von Care Company und da seid ihr ja schon ein wenig auf den Mainstream aus gewesen, wenn ich das sagen darf. So mit Videodreh in L.A....
Carsten Klatte:
Genau das hat die Meinung am Ende des Tages noch verstärkt, dass man seine unabhängigen Wege geht. Die andere Seite ist keine Erlösung. Ken Jebsen hat das mal schön gesagt. Er sagte „Wenn du dein eigener Chef bist, dann lebst du viel direkter. Denn wenn du scheiterst, dann fällst du sofort auf die Fresse.“ Wenn du einen Künstlervertrag bei irgendeinem großen Unternehmen unterschreibst, bist du im Grunde genommen genauso auf dich gestellt. Dein Arbeitgeber kann dich zu jeder Zeit kündigen. Du lebst in der Illusion, dass du sicherer bist. Ich gehe den radikaleren Weg, indem ich mir diese Illusion nicht erlaube. Das ist der Weg schneller zu Bewusstsein zu kommen. Für mich ist das Ziel des künstlerischen Schaffens Bewusstsein. Das ist auch der primäre Impuls für mich zu leben. Ich möchte am Ende des Tages schlauer sein, als am Anfang. Das bedeutet, sich in der heutigen medienüberfluteten und konspirativen Welt zu enttäuschen. Man muss sich das Wort mal auf der Zunge zergehen lassen. Enttäuschen. Darin steckt gar nichts Schlechtes. Es ist etwas Konstruktives. Eine Enttäuschung ist die Befreiung von Dingen.


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Homepage: MySpace.com/CarstenKlatte

Carsten Klatte auch in: Bodystyler Print #35 »

 
 
 
 
 
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