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Deutsch Amerikanische Freundschaft "Nur noch einer"
Das Festmahl für Gabi und Robert war angerichtet. Die gemeinsame Rückkehr ins Studio war bereits geplant. Ausgehend von in Vergessenheit geratenen und von Robert wieder entdeckten Sequenzen aus den 1980er Jahren sollte das erste DAF Album seit 17 Jahren entstehen. Dann starb Sänger und Texter Gabi Delgado Lopez und DAF war „nur noch einer“.
Und der eine überlegte lange, ob und wie er solo DAF sein konnte. Die Antwort darauf gibt das Titelstück des neuen von Robert Görl komponierten und getexteten Longplayers. Erinnerungen an den Song „Alles ist gut“ kommen auf. Die düstere Sequenz, die gnadenlos minimalistische Synth-Fläche, die hypnotischen Drums und Delgados Gesang, der einen fertig macht - all das geschah 1981, als sich die Deutsch Amerikanische Freundschaft auf dem Weg befand, innerhalb von nur zwei Kalenderjahren die von Conny Plank produzierten drei unsterblichen und wegweisenden Alben „Alles ist gut“, „Gold und Liebe“, und „Für immer“ zu veröffentlichen.
Genau in diese Zeit reist Robert Görl zurück und glänzt. Keine Frage, die Frage kommt auf, wie die 15 neuen DAF-Songs 2021 wohl mit Gabi Delgado Lopez geklungen hätten. Dort wo Gabi textlich und gesanglich extrovertiert war, erscheint Robert introvertiert und reflektierend. Ein Beispiel: Görls Ideen/Texte sind bzw. wirken autobiographisch. Vom „Kind aus dem Ratinger Hof“ hin zur ersten „DAF Probe“, über die frühe Erkenntnis, anders zu sein („wir sind wild“), und weiter zur einst zu fünft angetretenen Reise der Band nach London („Holland Road“) greift der Musiker tief in die Erinnerungsschatulle und erzählt die Entstehungsgeschichte von Deutsch Amerikanische Freundschaft nach. All dies ohne Wert darauf zu legen, selbst im Vordergrund zu stehen.
„Es muss ans Licht“ beschreibt die Entdeckung der alten Aufnahmen und damit verbundenen Energien, die bis hin zur Veröffentlichung von „Nur noch einer“ freigesetzt wurden. Im Hintergrund schwirrt parallel eine Liebeserklärung an die vielfach zitierten Synthesizer MS-20 und ARP Odyssey durch den Raum.
Musikalisch ist man als DAF-Fan sofort drin im neuen Album. Die „erste DAF Probe“ sollte man dabei mit Humor nehmen, bevor „Im Schatten“ einfach typisch DAF ist. Die gewählte Sequenz beflügelt den Rausch. Robert Görls Schlagzeugspiel setzt an ungewohnten Stellen Akzente. Wurde er jemals für seine eigenwillige Technik gewürdigt? Er kann ja nicht nur geradeaus treiben wie beim grandiosen „Kunststoff“, er ist auch ein Meister der versteckten Grooves und setzt Becken wie kein anderer ein. Ob er an manchen Stellen mit Absicht untertreibt? Machen wir uns nichts vor: das ist große Kunst.
„Das Pur Pur Rot“ wirkt, als habe ein Suchender den im Wald verloren gegangenen Prinzen gefunden. Selbiger wandelte zuvor in Form einer Synth-Melodie zwischen den aufrecht ragenden Stämmen umher, als versuche sich ein schüchternes Reh an der Tastatur. Sehr bekloppt, sehr geil. „Du bist so zart“ verführt den Prinzen nachfolgend auf einer Lichtung. Ob es dem jungen Mann jemals gelingen wird, aus dem Wald heraus zu finden?
Stimmlich versucht Robert Görl nicht, es mit Gabi Delgado Lopez aufzunehmen. Er interpretiert den DAF-Stil wie bereits angedeutet introvertiert. Bei „loslassen“ steht er direkt neben einem und spricht nah aber dezent ins Ohr. Die „neue Welt“ besingt er verträumt, voll froher und gleichzeitig zurückhaltender Freude, der Zukunft entgegenblickend. „Gedanken lesen“ kann er wie ein gestörter Hypnotiseur, bei dem man zwar lieber keinen Termin bucht, sich sehr gerne aber den Sprechgesang über die Anlage anhört. Als rücksichtsloser Diener des Staates erscheint Görl in „Kein Ausweg“. Jeder Regelverstoß wird hart bestraft. „Das Geschenk“ interpretiere ich an dieser Stelle als geäußerte Wertschätzung gegenüber Gabi Delgado Lopez. Sollte es sich um eine Fehleinschätzung handeln: ich bin nicht mehr schulpflichtig. Sollte dem aber so sein, erahnt man, wie wichtig es für Görl stets gewesen ist, zusammen mit Delgado Lopez DAF zu sein und DAF zu leben. Diese Band ist größer als die einzelnen Bestandteile. Er weiß es. Jetzt ist nur noch einer da. Deshalb, lieber Robert, lebe DAF und kehre zu neuen DAF-Songs zurück, wann immer Dir danach ist. Die Welt braucht DAF.
Anspieltipps: „Kunststoff“, „Das Geschenk“ und „Nur noch einer“.
(Manfred Thomaser)
Label Grönland Records | VÖ 26.11.2021 | Homepage www.facebook.com/goerl