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Klez.e "Desintegration"

Vor der Tür bricht gerade eine Schneelawine aus den Wolken über die Menschheit herein. Die eisige Kälte, die den Homo Sapiens historisch auszeichnet, schiebt sich ergänzend durch die Straßen ins Gebälk. Raus damit, hinfort. Alles was bleiben darf: das Gefühl, in dieser Welt keinen Platz zu finden. Soviel zum Intro. Hüpfen wir nun in die 1980er Jahren zurück, als The Cure die Melancholie perfekt zu beschreiben wussten.

Die Band, in ihrem Sound vielfach von einer tiefen Trauer geprägt, gab einem die Kraft, den Alltag als Außenseiter zu überstehen. Frei nach dem Motto: "Ihr wollt mich nicht? Ich brauche Euch nicht!" Der Independent-Geist hatte sich durchgesetzt. Dann sprang das Jahr 1989 ins Bewusstsein. Schau mal in die CD-Sammlung von Menschen, die '89 alt genug waren, um in die Disco zu gehen, selbst aber eher auf Kuschelrock und die BRAVO Hits standen. Unter all den Tonträgern findet sich in diesen Sammlungen immer wieder die eine CD, die nicht in die Kollektion passen will: "Disintegration" von The Cure. Es bleibt ein Rätsel, wie so viel Schwere all jene faszinieren konnte, die gar keinen Platz dafür hatten. Fakt ist: The Cure landeten mit diesem wunderbaren Seelenballast im Mainstream. Massive Attack gelang mit "Mezzanine" 1998 ein ähnliches Kunststück.

Seit einigen Tagen sind immer mehr Journalisten aufgerufen zu spekulieren, ob ein vergleichbares Werk in deutscher Sprache gelingen kann. "Desintegration", das neue Album von Klez.e, ist da. Der Titel enthält eine klare Ansage: Der soziale Zusammenhalt steht 2017 auf dem Spiel. Der Tonträger befindet sich soundtechnisch in der Gegenwart. Ein Teil seiner Geschichte aber reicht bis 1989 zurück, dem Jahr des Mauerfalls. Tobias Siebert, der eigentliche Kopf hinter Klez.e wuchs in Ostdeutschland auf. Die Arroganz des Westens, die Versprechen der Politik, und die Unterschiede zwischen Ost und West, sie haben ihre Spuren hinterlassen. "Desintegration" greift diese Stimmung auf. Deutlich geprägt ist das Album vom anderen Teil der Geschichte, dem Erbe der nach wie vor aktiven Band The Cure.

Das Schlagzeug konzentriert sich auf "Desintegration" in The Cure-Manier immer wieder auf die TomTom-Trommeln. Der Bass hypnotisiert ebenso wie die synthetischen Flächensounds. Die Gitarre glänzt mit einzeln gespielten Noten. Die Nähe zu Robert Smith & Co. ist nicht zu überhören. Anlehnungen an die frühen Scheiben "Seventeen Seconds" (1980) und "Faith" (1981) ziehen sich immer wieder durch die Songs (z.B. "Mauern" und "Schwarz"). Die ausgesprochen verstörte Seele des Longplayers "Pornography" (1982) lebt im Song "Flammen" auf. "Drohnen" bezieht seine verregnete Laune aus den genannten The Cure Alben, atmet aber auch Teile von "The Head On The Door" (1985) tief ein und aus.

Klar, kann man hier sehr schnell von einem Plagiat sprechen. Die Qualität der meisten Stücke aber wirkt dem entgegen. Auch textlich geben Klez.e eine klare Richtung vor. Ein Zitat aus dem Titel "Schwarz":
"schaut wie es überall auf der Erde explodiert / schaut wie der Teufel beflügelt aus uns zielt / wie uns das Ende dieser Welt fasziniert."

Fünf von acht Stücken wissen sehr zu überzeugen. Melodien, Arrangements und Gesang bringen schlichtweg alles auf den Punkt. Als schwache Teile fallen "Nachtfahrt", "Lobbyist" und "Requiem" aus dem Rahmen. Das liegt vor allem an der Stimme, d.h. Musik und Gesang finden nicht zueinander. Ist aber nicht weiter tragisch, denn "Mauern", "Flammen", "November", "Schwarz" und "Drohnen" sind zu gut, um darüber zu stolpern.

Fazit: Es war höchste Zeit für ein Album wie dieses. Ein Album, das eine Gesellschaft wie ein Weckruf aus einem schwarzen Loch heraus zur Besinnung bringen möchte. Es liegt an uns zu entscheiden, wie wir damit umgehen. (Manfred Thomaser)

Label Staatsakt | 13.01.2017 | Homepage www.klez-e.de/

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