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V.A. "#6122 (to Andrew Fletcher of Depeche Mode)"

Das Jahr 2022 wird als ein sehr trauriges in die Depeche Mode-Historie eingehen. Im Mai starb mit Andrew Fletcher eines der Gründungsmitglieder der Band, was Fans wie Musikwelt tief erschütterte. Trotz aller Niedergeschlagenheit und Trauer sind die Geschicke der Basildon Boys zum Glück nicht zum Stehen gekommen, wie die kürzliche Ankündigung des neuen Albums für den März 2023 beweist. Über den Titel "Memento mori" ist mittlerweile ausreichend oft gesagt worden, dass er bereits vor dem Tod von Fletch feststand. Die Aussage Dave Gahans, dass er einige Texte nun in einem anderen Licht sieht bzw. andere Dinge bei ihrem Vortrag fühlt, dürfte die allgemeine Wahrnehmung angesichts der Namensgebung gut widerspiegeln.

Bevor allerdings die neuen Kompositionen an die Ohren der gespannten Weltöffentlichkeit dringen, haben sich einige Musiker zusammengefunden, um in Gedenken an Mr. Fletcher altes Liedgut neu zu interpretieren. Müßig zu erwähnen, dass es sich dabei nicht um Songs aus seiner Feder handelt, denn die gibt es bekanntermaßen nicht. Unbestritten findet man dafür seinen Geist in ihnen. Der Name der vorliegenden Compilation ist natürlich ein Verweis auf die Lebenszeit des Verstorbenen und die Liste der teilnehmenden Künstler lässt Musikliebhaber mit der Zunge schnalzen. Dazu kommt, dass einige der Tracks im berühmten Abbey Road Studio gemastert wurden und 50 Prozent der Einnahmen wohltätigen Zwecken zugute kommen.

Es sind also viele Dinge, welche bereits im Vorfeld für den Erwerb dieser CDs bzw. des Downloads sprechen. Trotzdem soll im Anschluss ein möglichst objektiver Blick auf die Qualität und die Strahlkraft der einzelnen Tracks geworfen werden.

Den Anfang macht Daniel Gierke aka The Brute:, die treibende Kraft hinter dem Projekt. Sein "A question of time" ist eine kraftvolle, scharfkantige und detailverliebte Interpretation des Originals, die absolut überzeugt. Beim folgenden "Never let me down again" von Watershed, "In your room" von NightNight und "Ice machine" von Renard feat Mary Ann liegt die Kraft zunehmend in der Ruhe und Tiefe der Darbietung. Drei beeindruckende Versionen, nach denen Redeem mit einer kernigen Rockversion von "Broken" durchstartet. Im Vergleich hierzu wirkt "Stripped" aus den Händen von Starlights Live durch seine String-Sounds fast schon feingliedrig bevor sich im Verlauf die volle Kraft des Originals entfaltet. Nun kommt mit Atlantic Popes das Projekt von Bernhard Lloyd (Alphaville) an die Reihe und die musikalische Expertise ist bei "Little 15" absolut erkennbar. Die ungarische Synth-Pop-Band Apsürde ist nicht nur für mich schon lange kein Geheimtipp mehr und das von ihnen ausgewählte "The sun and the rainfall" ist zu einem fetten Dance-Track umgebaut worden. Auch "My secret garden" von Cold Connection zeigt in eine ähnliche Richtung wobei man sich etwas näher am Original bewegt. Bei "It‘s no good" von Oxic Inc feat. De La Morte werden im Anschluss wieder mehr die Rock-Gene betont und der Wechselgesang bringt eine neue Mr.Jeckyl & Dr. Hyde-Facette ins Spiel. Roy Jones & Red Beat treiben die Dualität der Stimmen noch weiter auf die Spitze wobei das Zusammenspiel mit den etwas extravaganteren Klängen eine Frage des Geschmacks sein könnte. Etwas eingängiger, aber auch düsterer agieren danach The Rude Awakening ("Should be higher") bevor mit "Somebody" DIE Depeche Mode-Ballade ins Haus steht. TOAL, The Brute: und People Theatre vereinen ihre Kräfte in einer durchaus überzeugenden Interpretation. Nun folgt mit Bon Harris (Nitzer Ebb) eine der Überraschungen der Zusammenstellung. Gefühlvoll und melodisch erstrahlt "In sympathy" in einem Licht, das so gar keine EBM-Wellenlängen enthält. Mit Zentrum Ost 71 folgt nun ein Künstler, der allen alteingesessenen Bodystyler-Lesern noch ein Begriff sein sollte. Norman Winter war nämlich früher hier als Schreiber und Illustrator tätig und zimmert mit "Heaven" eine amtliches Brett an den Abschluss des ersten Silberlings.

Halbzeitpause und bis jetzt nur gute bis sehr gute Haltungsnoten.

Der zweite Durchgang beginnt sodann mit einem Paukenschlag, denn LeBen orientiert sich mit seiner "Enjoy the silence"-Fassung eher an der Mike Shinoda Version und packt sogar noch eine Rock-Schippe drauf. Polly Scattergood stellt mit ihrem "Personal Jesus" hingegen eher den weiblich-gespenstischen Gegenpart zu Johnny Cash dar und Kirlian Camera präsentieren mit "Wrong" eine faszinierende, weil glamourös schillernde und dekadent anmutende Variation. Bei Rohn-Lederman werden sich die Geister erstmals wirklich scheiden. Ihr rotziges, verschrammeltes und mit reichlich Distortion versehenes "Policy of truth" wirkt wie ein auf links gedrehtes Zerrbild des melodiösen Originals. Im Vergleich hierzu erhält "To have and to hold" bei Page of Quire eine angenehme Frischzellenkur und auch "Angel" aus den Händen und Stimmbändern von Tom Meeloo ist eine respektvolle Verbeugung vor dem Original. Ähnlich sorgsam beginnt die einzige Songwiederholung der Compilation bevor Northern Kind mit ihrer Interpretation von "The sun and the rainfall" zu einer quietschigen Client-Kopie werden. Shelter bieten danach ähnliche Töne aus dem Synthie, bekommen aber zum Glück die Kurve und machen "Photographic" zum leicht hektisch, aber doch geradlinig durchstartenden Rennpferd. Dieses kommt jedoch danach ein wenig ins Straucheln durch die verschachtelte/fragmentierte "Barrel of a gun"-Bearbeitung von Carlos Peron. Erleichtert stellt man fest, dass Tin Gun nun in eine gemäßigte Gangart wechseln und mit "I feel you" gekonnt die Muskeln spielen lassen. Der Übergang zu "I feel loved" lässt einen aufgrund der Ähnlichkeit des Titels schmunzeln und Daniel Hall und Stephen Newton grooven sich lässig durch den Track. Etwas bleepiger und experimenteller agiert Gareth Jones mit dem Instrumental "Oberkorn (It‘s a small town)" bevor Neocoma mit "Clean" kraftvoller, harmonischer und mit beeindruckendem Gesang versehen daherkommt. Am Ende darf noch einmal The Brute: (dieses Mal mit stimmlicher Unterstützung von Rachel Delgado) in Erscheinung treten. "Breathe" vermittelt dunkle Energie und beschließt gehaltvoll den umfangreichen Reigen.

Die zweite Halbzeit gerät etwas herausfordernder als der erste Teil, bietet jedoch unter dem Strich eine ebenso spannende und kurzweilige Kollektion. Somit ist "#6122" eine durch und durch sympathische Kondolenz und dürfte zu einem Ohrenschmaus für viele Depeche Mode-Fans werden. (Torsten Pape)

Label Timezone | 25.11.2022 | Homepage www.thebrutemusic.com/6122

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